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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 16.09.2008
Aktenzeichen: HEs 4/08 I 5/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121
StPO § 121 Abs. 1
StPO § 121 Abs. 3
StPO § 121 Abs. 3 S. 2
StPO § 121 Abs. 3 S. 3
StPO § 122
StPO § 228 Abs. 1
StPO § 228 Abs. 1 S. 1
StPO § 229 Abs. 1
StPO § 304
StPO § 305 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock BESCHLUSS

- 1. Strafsenat -

HEs 4/08 I 5/08

In der Strafsache

wegen versuchter räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung u. a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock auf Vorlage des Verfahrens zur Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO am 16. September 2008 beschlossen:

Tenor:

Eine Haftprüfung durch den Senat ist zurzeit nicht veranlasst.

Gründe:

I.

Die am 01.03.2008 vorläufig festgenommenen Angeklagten E. Z. und S. H. befanden sich aufgrund der gegen sie ergangenen Haftbefehle des Amtsgerichts B. vom 02.03.2008 zunächst vom 02.03.2008 bis zum 24.07.2008 in Untersuchungshaft.

Die Hauptverhandlung in vorliegender Strafsache begann am 07.07.2008 vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - B. An diesem Sitzungstag wurden in der Zeit zwischen 09.00 Uhr und 15.00 Uhr u. a. vier Zeugen vernommen. Die Sache fand sodann am 24.07.2008 in der Zeit von 09.05 Uhr bis 12.40 Uhr ihre Fortsetzung; an diesem Sitzungstag wurden u. a. (teils auf Antrag der Verteidigung in der Hauptverhandlung vom 07.07.2008) insgesamt sechs Zeugen einvernommen.

Mit Beschluss vom selben Tage ordnete das Amtsgericht die Begutachtung der Zeugin Doris XX. "hinsichtlich der Aussagefähigkeit insbesondere unter dem Aspekt der vermuteten Alkoholabhängigkeit und gegebenenfalls eingetretenen Folgeerscheinungen" durch den zuständigen Amtsarzt an. Durch weiteren Beschluss vom 24.07.2008 hob das Amtsgericht die Haftbefehle gegen beide Angeklagte auf, da diese nach Ansicht des Amtsgerichts der ihnen vorgeworfenen Straftaten nicht (mehr) dringend verdächtig seien.

Weiter ordnete das Amtsgericht an, dass "neuer Termin" von Amts wegen ergehen solle, zu dem (teils auf Antrag der Verteidigung vom 24.07.2008) diverse, näher bezeichnete Zeugen zu laden seien.

Eine Terminsanberaumung und Fortsetzung der Hauptverhandlung innerhalb der Frist des § 229 Abs. 1 StPO ist nicht erfolgt.

Auf die gegen die Aufhebung der Haftbefehle gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stralsund hob das Landgericht Stralsund mit Beschluss vom 31.07.2008 - 26 Qs 204, 205/08 - die Haftentscheidung des Amtsgerichts B. vom 24.07.2008 auf und fasste die Haftbefehle vom 02.03.2008 entsprechend dem aktuellen Verfahrensstand neu.

Aufgrund dessen wurden beide am 24.07.2008 aus der Untersuchungshaft entlassenen Angeklagten jeweils am 05.08.2008 wieder festgenommen und nach richterlicher Vorführung am selben Tage der JVA ...zugeführt.

Das Amtsgericht B. sowie die zuständige Staatsanwaltschaft Stralsund halten die Fortdauer der Untersuchungshaft im Rahmen der §§ 121, 122 StPO für erforderlich. Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt in ihrer Zuschrift vom 09.09.2008 die Auffassung, dass eine Entscheidung des Strafsenats nach §§ 121, 122 StPO (noch) nicht angezeigt sei, da die maßgebliche Frist des § 121 Abs. 1 StPO in vorliegender Sache erst am 30.09.2008 ablaufe.

II.

Die Voraussetzungen für die besondere Haftprüfung durch den Strafsenat gem. §§ 121, 122 StPO liegen gegenwärtig noch nicht vor.

1.

Die Staatsanwaltschaft Stralsund hat bei der Berechnung der Frist gem. § 121 Abs. 1 StPO zwar zutreffend dem Umstand Rechnung getragen, dass sich die Angeklagten in der Zeit vom 25.07.2008 bis zum 04.08.2008 insgesamt 11 Tage auf freiem Fuß befunden haben, und demgemäß der Ablauf der Frist an sich auf den 12.09.2008 zu bestimmen war.

2.

Dabei ist indes nicht berücksichtigt, dass das Amtsgericht B. bereits am 07.07.2008 in vorliegender Sache mit der Hauptverhandlung begonnen und diese - jedenfalls faktisch - in dem Fortsetzungstermin am 24.07.2008 gemäß § 228 Abs. 1 StPO ausgesetzt hat. Denn damit ruhte in der vorbezeichneten Zeit der Hauptverhandlung der Lauf der Frist des § 121 Abs. 1 StPO; das Ruhen des Fristenlaufs ist auch nicht nachträglich in Wegfall geraten.

a)

Gem. § 121 Abs. 3 S. 2 und 3 StPO ruht der Ablauf der Vorlagefrist bis zur Verkündung des Urteils, wenn die Hauptverhandlung vor Fristablauf begonnen hat. Wird sie ausgesetzt und werden die Akten unverzüglich nach der Aussetzung dem Oberlandesgericht vorgelegt, so ruht der Fristenlauf ebenfalls bis zu dessen Entscheidung.

b)

Der Wortlaut der vorbezeichneten Vorschrift könnte dafür sprechen, dass von ihr nur Fälle erfasst sein sollen, in denen der Fristablauf in eine bereits begonnene Hauptverhandlung fällt und die Akten bei Aussetzung dieser Hauptverhandlung unverzüglich dem Oberlandesgericht vorgelegt werden.

Sowohl verfahrensökonomische Gründe als auch die Entstehungsgeschichte des § 121 Abs. 3 StPO gebieten aber eine weitergehende Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, dass der Fristablauf stets ruht, wenn mit der Hauptverhandlung begonnen worden ist und es nicht zum Urteil kommt. Wird eine begonnene Hauptverhandlung ausgesetzt mit der Folge, dass sie später erneut durchgeführt werden muss, läuft die Frist erst von der Aussetzung an weiter. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Oberlandesgericht noch nicht gegeben sind, führt dies nicht dazu, dass das Ruhen des Fristenlaufs rückwirkend in Folge der Aussetzungsentscheidung entfällt (so BGH NStZ 1986, 422 mit zustimmender Anmerkung Paeffgen NStZ 1989, 518; LR-Hilger, StPO, 26. Aufl. § 121 Rn. 21).

c)

Für das vorliegend angenommene Verständnis hinsichtlich der Reichweite des § 121 Abs. 3 StPO streitet insbesondere auch die Entstehungsgeschichte der Norm. In der Begründung der Bundesregierung zu dem durch das Strafprozessänderungsgesetz vom 19. Dezember 1964 (Bundesgesetzblatt I 1067) eingefügten und im Gesetzgebungsverfahren nicht geänderten § 121 Abs. 3 StPO heißt es nämlich u. a.:

"Auch während der Hauptverhandlung ruht der Lauf der Frist. Wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und können die Akten in der noch zur Verfügung stehenden restlichen Frist nicht mehr dem Oberlandesgericht vorgelegt werden, so läuft die Frist nicht weiter, wenn die Entscheidung des Oberlandesgerichts unverzüglich nach der Aussetzung beantragt wird." (BT-Drucksache III/ 2037 Seite 24).

Der Hinweis darauf, dass die Frist während der Hauptverhandlung (generell) ruht, und es bei einer Aussetzung auf die dann noch zur Verfügung stehende restliche Frist ankommt, spricht gegen einen nachträglichen Wegfall des Ruhens der Frist bei einer Aussetzung der Hauptverhandlung (so auch BGH a. a. O.).

3.

Vorstehende - einen Beschuldigten gegebenenfalls in seinen Freiheitsrechten tangierende - Auslegung darf nach Auffassung des Senats angesichts des Gebots der besonders beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen und im Lichte der Bedeutung der §§ 121 122 StPO (vgl. dazu KK-Boujong, StPO, 5. Aufl., § 121 Rn. 1 m. w. N.) zwar nicht ohne Einschränkung gelten. In Fällen beispielsweise erkennbarer Verfahrensverschleppung, ersichtlich unsachgemäßer, zögerlicher Durchführung einer Hauptverhandlung, deren ggf. unsachgemäßer oder willkürlicher Aussetzung - mithin in Fällen, in denen die Rspr. die Anfechtung einer Aussetzungsentscheidung gem. §§ 304, 305 Satz 1 StPO für zulässig (und begründet) erachtet hat (vgl. OLG Düsseldorf VRS 89 (1995), 211; OLG Frankfurt MDR 1983, 253) - wäre im Einzelfall eine andere Sicht der Dinge, was das Ruhen des Fristenlaufs des § 121 Abs. 1 StPO im Falle der Aussetzung einer begonnenen Hauptverhandlung anbelangt, geboten.

Ein solcher, dem Ruhen des Fristenlaufs entgegenstehender Ausnahmetatbestand ist den Akten jedoch nicht zu entnehmen. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine bewusst sachwidrige Handhabung oder Verschleppung des Verfahrens durch das Amtsgericht vor.

Die maßgeblichen, nach Aktenlage bedeutsamen Zeugen waren auf den 07.07. sowie 24.07.2008 geladen; zudem fanden diese Hauptverhandlungstermine im Beisein der Sachverständigen Dr. M. sowie Prof. Dr. Sch. statt. Die Termine waren mit der Verteidigung rechtzeitig abgestimmt. Dass dem Amtsgericht daran gelegen war, die Hauptverhandlung am 24.07.2008 abzuschließen, wird insbesondere auch aus dem Umstand deutlich, dass ein auf den 24.07. geladener, an diesem Tage wegen Urlaubs verhinderter Zeuge auf den 07.07.2008 umgeladen worden ist. Die ursprüngliche, nach Aktenlage sachgerechte Verfahrensplanung des Amtsgerichts hätte ohne Weiteres zum Erlass eines Urteils am 24.07.2008 führen können; lediglich aufgrund der Beantragung weiterer Zeugeneinvernahmen und der nicht ohne Weiteres absehbaren Begutachtung der Zeugin Sch. war dies nicht möglich.

Die Aussetzung des Verfahrens am 24.07.2008 war nach alledem nicht absehbar und - soweit ersichtlich - auch nicht sachwidrig.

III.

Nach alledem führte die Durchführung der Hauptverhandlung vom 07.07.2008 bis zum 24.07.2008 und deren (wenn auch nicht ausdrücklich so doch konkludent beschlossene) Aussetzung gem. § 228 Abs. 1 S. 1 StPO zum Ruhen des Fristenlaufs in dieser Zeit. Ausgehend davon, dass die Hauptverhandlung insgesamt 18 Tage angedauert hat, fällt der Ablauf der Frist gem. § 121 Abs. 1 StPO vorliegend erst auf den 30.09.2008.

Eine Entscheidung des Senats vor diesem Zeitpunkt ist mithin entbehrlich.

IV.

Das Amtsgericht B. hat Termin zur erneuten Hauptverhandlung für den 26.09.2008 angesetzt. Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Stralsund hat die Vorsitzende des Schöffengerichts den von ihrem Vertreter festgesetzten Termin bestätigt. Sollte die Hauptverhandlung nach allem wie vorgesehen beginnen und mit einem Urteil gegen die Angeklagten enden, so wäre eine (neuerliche) Vorlage der Vorgänge an den Senat entbehrlich.

Ende der Entscheidung

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