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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 19.06.2006
Aktenzeichen: 1 U 124/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 119
ZPO § 522

Entscheidung wurde am 20.10.2006 korrigiert: die Rechtsgebiete und die Vorschriften wurden geändert, Stichworte, Sachgebiete, Orientierungssatz und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
Dem erstinstanzlich obsiegenden Berufungsbeklagten kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht allein mit der Begründung versagt werden, dass noch nicht über die Möglichkeit eines Beschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO entschieden worden sei und deshalb eine Notwendigkeit für die Rechtsverteidigung nicht bestehe (Aufgabe der gegenteiligen Senatsrechtsprechung in OLGReport 2006,190)
1 U 124/05

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht , die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht am 19. Juni 2006 beschlossen:

Tenor:

Den Beklagten zu 1) und 3) wird Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren bewilligt.

Gründe:

I.

Der Kläger hat die Beklagten im ersten Rechtszug auf Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen einer im Rahmen einer Prügelei erfolgten Körperverletzung auf Zahlung von 18.000,-- € in Anspruch genommen. Durch das angefochtene Urteil ist die Klage abgewiesen worden.

Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30.09.2005 Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Mit seiner Berufung hat der Kläger sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Die Berufungsbegründung ist den Beklagten am 06.10.2005 ohne Terminsanberaumung oder Aufforderung zur Fertigung einer Berufungserwiderung zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 10.10.2005 hat der Beklagte zu 1) für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe beantragt und mit Schriftsatz vom 15.11.2005 einen Zurückweisungsantrag angekündigt. Der Beklagte zu 3) hat mit Schriftsatz vom 13.12.2005 für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe beantragt und einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung angekündigt.

Mit Beschluss vom 10.05.2006 hat der Senat nach entsprechender Ankündigung die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

II.

Die von den Beklagten zu 1) und 3) beantragte Prozesskostenhilfe ist gemäß § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO zu gewähren. Nach dieser Norm ist dem Berufungsbeklagten Prozesskostenhilfe ohne die Prüfung der Erfolgsaussichten oder der Mutwilligkeit zu gewähren. Das Rechtsmittelgericht kann aber die Gewährung von Prozesskostenhilfe verweigern, wenn die Verteidigung gegen das Rechtsmittel nicht notwendig ist. Ob die Rechtsverteidigung schon dann notwendig ist, wenn lediglich die Berufungsbegründung eingegangen, nicht aber klar ist, ob das Berufungsgericht nach § 522 Abs. 2 ZPO entscheiden, d.h. die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückweisen wird, ist streitig. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 30.11.2005 (OLGR 2006, 190) unter Berufung auf OLG Düsseldorf (MDR 2003, 658) und OLG Celle (MDR 2004, 598) entschieden, dass es trotz vorliegender Berufungsbegründung solange keines anwaltlichen Beistandes bedarf, wie nicht sicher sei, dass das Berufungsgericht von der Möglichkeit der Zurückweisung durch einstimmigen Beschluss keinen Gebrauch mache.

An dieser Auffassung hält der Senat nach erneuter Prüfung nicht mehr fest. In Übereinstimmung mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Rostock (OLGR 2005, 840) und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 09.10.2003; NJW 2004, 73) zur Frage der Notwendigkeit der Gerichtskosten in einem solchen Fall, ist der Senat nunmehr der Auffassung, dass dem erstinstanzlich obsiegenden Berufungsbeklagten die beantragte Prozesskostenhilfe nicht allein deshalb versagt werden kann, weil noch nicht über die Möglichkeit eines Beschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO entschieden worden sei und deshalb eine Notwendigkeit für die Rechtsverteidigung nicht bestehe. Der BGH hat in der o.a. Entscheidung ausgeführt, dass zu den notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung (§ 91 ZPO) auch die Anwaltsgebühren gehören, die dadurch entstehen, dass der Berufungsbeklagte nach Begründung des Rechtsmittels und vor einer Entscheidung des Gerichts über dessen mögliche Zurückweisung durch Beschluss einen Sachantrag stellt.

Die Gründe, die der Entscheidung des BGH zugrunde liegen und auf die der Senat Bezug nimmt, sind auch für die Frage der Notwendigkeit der Rechtsverteidigung übertragbar. Nach Begründung des Rechtsmittel hat der Berufungsbeklagte ein berechtigtes Interesse daran, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern und eine vom Berufungsgericht beabsichtigte Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege anzuregen und durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern. Ob der Berufungsbeklagte bereits eine materielle Berufungserwiderung eingereicht hat oder sich der Berufungsbeklagte auf die Ankündigung eines Zurückweisungsantrages beschränkt, ist zumindest für die grundsätzliche Frage der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht von entscheidender Bedeutung. Entscheidend bleibt vielmehr, dass die verständige Partei die Beauftragung eines Anwaltes im Rechtsmittelverfahren für erforderlich halten durfte. Ob die konkrete Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten in kostenrechtlichem Sinne notwendig war, ist im Kostenerstattungsverfahren im Einzelfall zu prüfen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann durch solche Erwägungen indes nicht in Frage gestellt sein (vgl. OLG Rostock, a.a.O.).

Die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe lagen bei den Beklagten zu 1) und 3) vor.

Ende der Entscheidung

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