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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 02.12.2005
Aktenzeichen: 10 U 10/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 333
ZPO § 345
ZPO § 514
1. Bei der Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts darauf beschränkt, ob ein Fall der schuldhaften Säumnis vorgelegen hat. Eine Prüfung, ob das erste Versäumnisurteil verfahrensrechtlich zu Recht ergangen ist, findet nicht statt.

2. Zu den Voraussetzungen des "Verhandelns" im Sinne der §§ 333, 345 ZPO.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Urteil Im Namen des Volkes

10 U 10/05

Verkündet am: 2. Dezember 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 10. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 11.11.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung gegen das zweite Versäumnisurteil des Landgerichts Lübeck vom 18.07.2005, AZ 10 O 276/04, wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen seine Verurteilung durch ein zweites Versäumnisurteil.

Die Parteien waren verheiratet. Ihre Ehe ist rechtskräftig seit dem 28.03.2000 geschieden. Sie stritten vor dem Landgericht um den Ausgleich einer Forderung der PSD-Bank als Gesamtschuldner. Die Klägerin reichte zunächst ein Prozesskostenhilfegesuch mit einem Klageentwurf ein. Das Landgericht bewilligte am 21.10.2004 Prozesskostenhilfe und beraumte einen Termin zur mündlichen Verhandlung an. Die Zustellung einer Klageschrift unterblieb dabei. Der Beklagte rügte in der Folgezeit, ihm sei keine Klage zugestellt worden. Die Klägerin reichte einen Schriftsatz vom 11.11.2004 ein, der als Leistungsklage überschrieben war, ein abgekürztes Rubrum enthielt und mit einem Klageantrag versehen war. Dieser Schriftsatz wurde dem Beklagtenvertreter am 25.11.2004 zugestellt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17.01.2005 rügte der Beklagtenvertreter die ordnungsgemäße Zustellung der Klageschrift. Das Gericht verurteilte den Beklagten am Schluss der Sitzung nach Antrag der Klägerin durch Versäumnisurteil antragsgemäß zur ratenweisen Zahlung von 5.665,32 €. Der Beklagte legte hiergegen mit Schriftsatz vom 21.01.2005 eingehend bei dem Landgericht am 24.01.2005 Einspruch ein und lehnte den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Klägerin reichte einen weiteren Schriftsatz ein, der einen Klageantrag und die vollständige Bezeichnung der Parteien enthielt. Der Schriftsatz wurde dem Beklagtenvertreter am 07.02.2005 zugestellt. Nachdem das Schleswig-Holsteinische Oberlandgericht mit Beschluss vom 30.05.2005 das Ablehnungsgesuch des Beklagten gegen den Einzelrichter für begründet erklärt hat, reichte die Klägerin einen weiteren mit einem vollem Rubrum versehenen Schriftsatz ein, der dem Beklagtenvertreter am 22.06.2005 zugestellt wurde. Auf die mündliche Verhandlung vom 18.07.2005 wurde der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil durch ein zweites Versäumnisurteil verworfen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2005 wird auf das Protokoll Bezug genommen.

Gegen die Verurteilung wendet sich der Beklagte mit der Berufung.

Er trägt hierzu vor, dass schon das erste Versäumnisurteil nicht habe ergehen dürfen, da schon im ersten Verhandlungstermin ein ungesetzliches Versäumnisurteil ergangen sei. Auch vor dem Termin am 18.07.2005 sei keine ordnungsgemäße Klagezustellung erfolgt. Außerdem habe der Beklagte in dieser Sitzung verhandelt. Ein Sachantrag sei hierzu nicht erforderlich gewesen. Die Rüge der Nichtzustellung der Klage habe ausgereicht. Auch nach dem Versäumnisurteil sei keine wirksame Klagezustellung bewirkt worden. Die Zustellung des Schriftsatzes vom 31.01.2005 sei nicht mit dem Willen des Gerichts erfolgt. Weiter habe wegen der Richterablehnung das Verfahren stillgestanden. Bei der Zustellung am 22.06.2005 sei nicht mitgeteilt worden, dass die Zustellung als Klage erfolge. Es habe deshalb am Zustellungswillen gefehlt. Darüber hinaus sei bei der Zustellung der Schriftsätze keine Aufforderung zur Klageerwiderung ergangen.

Der Beklagte beantragt,

das 2. Versäumnisurteil des Landgerichts Lübeck vom 18.07.2005, Geschäftszeichen 10 O 276/04, aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht Lübeck zurückzuverweisen;

aufgrund der begründeten Besorgnis der Befangenheit, den Rechtsstreit einer anderen Kammer des Landgerichts Lübeck zuzuweisen;

hilfsweise unter Abänderung des Versäumnisurteils vom 18.07.2005 das Versäumnisurteil vom 17.01.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Bei der Berufung gegen das zweite Versäumnisurteil ist gemäß § 514 Abs. 2 ZPO der Prüfungsumfang eingeschränkt. Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass ein Fall der schuldhaften Säumnis im Termin, auf den das angefochtene zweite Versäumnisurteil ergangen ist, nicht vorgelegen habe. Daneben ist nicht zu überprüfen, ob das erste Versäumnisurteil nicht hätte ergehen dürfen, weil die Klage unzulässig oder nicht schlüssig war.

Der Beklagte war im auf den Einspruch anberaumten Verhandlungstermin schuldhaft säumig. Die Voraussetzungen für ein zweites Versäumnisurteil lagen vor. Ein zweites Versäumnisurteil kann nur ergehen, wenn bereits ein erstes Versäumnisurteil vorliegt. Weiter muss die verurteilte Partei Einspruch eingelegt haben. In dem Termin über den Einspruch und die Hauptsache wiederum darf sie nicht erschienen sein oder nicht zur Hauptsache verhandeln (§ 345 ZPO).

Das zweite Versäumnisurteil ist nicht schon deshalb unrechtmäßig, weil das erste Versäumnisurteil in dem Termin vom 17.01.2005 nicht hätte ergehen dürfen, also rechtswidrig war. Das erste Versäumnisurteil ist verfahrensfehlerhaft ergangen. Zum einen ist das Versäumnisurteil ergangen, nachdem dort bereits ein Vertagungsbeschluss vorlag. Im Übrigen lag keine den Anforderungen des § 253 ZPO genügende Klageschrift vor. Der als Klage zugestellte Schriftsatz vom 11.11.2004 entsprach nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Klage, da die Parteien nicht genau bezeichnet waren. Die Parteien waren nur mit ihren Nachnamen und ohne Anschriften angegeben. Die vollständige Bezeichnung ist aber zwingendes Erfordernis einer ordnungsgemäßen Klageerhebung, jedenfalls dann, wenn die Angaben ohne weiteres möglich sind und kein schützenswertes Interesse entgegensteht (vgl. Zöller/Greger, 25. Aufl., § 253 ZPO Rn. 8).

Ob die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil darauf gestützt werden kann, dass das erste Versäumnisurteil ungesetzlich ergangen ist, ist streitig. Für eine Überprüfung des ersten Versäumnisurteils wird angeführt, dass Verfahrensvorschriften nicht Selbstzweck und nicht formale Mittel zur Verhinderung einer materiell gerechten Entscheidung seien. Ein früherer Verfahrensfehler dürfe nicht dadurch verstärkt werden, dass er durch ein zweites Versäumnisurteil festgeschrieben wird, gerade wenn das Gericht den Fehler erkennt (vgl. Zöller/Herget, 25. Aufl., § 345 ZPO Rn. 5). Gegen diese Argumentation spricht aber schon der Wortlaut des § 514 Abs. 2 ZPO. Danach kann die Berufung allein darauf gestützt werden, ein Fall der Säumnis habe nicht vorgelegen. Andere Berufungsgründe sind damit der Überprüfung entzogen. Dem möglichen Gehörverstoß bei Erlass des ersten Versäumnisurteils wird dadurch begegnet, dass die Partei die Möglichkeit hat, das Gericht auf einen Fehler in seiner Prüfung im Einspruchstermin hinzuweisen. Die Partei kann gerade nicht mehr darauf vertrauen, dass das Gericht in dem auf den Einspruch bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung die Zulässigkeit und Schlüssigkeit der Klage nunmehr anders beurteilen werde (vgl. BGH NJW 1999, 2599, 2600). Im Übrigen muss der Partei bewusst sein, dass eine Säumnis im Einspruchstermin besonders schwerwiegende Folgen haben kann. Sie muss deshalb sicherstellen, im Termin nicht säumig zu sein. Dies ist ihr, nachdem sie schon einmal säumig war, auch zuzumuten. Gerade im hier zu entscheidenden Fall hätte der Beklagte ohne prozessuale Nachteile die Säumnis durch die Einlassung zur Hauptsache unter Rüge der Zulässigkeit abwenden können.

Ein erstes echtes Versäumnisurteil lag mit dem Urteil vom 17.01.2005 vor. Es handelte sich dabei nicht um ein wirkungsloses Nichturteil, sondern allenfalls um eine inkorrekte, gesetzeswidrige Entscheidung. Das erste Versäumnisurteil ist nicht vor Rechtshängigkeit ergangen. Die Zustellung des Schriftsatzes vom 11.11.2004 am 25.11.2004 führte zur Rechtshängigkeit, auch wenn die Parteien darin nicht ausreichend bezeichnet waren. Auch durch Zustellung einer unwirksamen Klage tritt die Rechtshängigkeit ein. Ist die Klage erst einmal förmlich zugestellt worden, muss sie auch als solche behandelt werden, ggf. durch Rücknahme oder Abweisung als unzulässig.

Der Beklagte hat gegen das erste Versäumnisurteil auch Einspruch eingelegt. Der Termin vom 18.07.2005 war auch ausdrücklich zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache anberaumt.

Der Beklagte hat dann zur Hauptsache nicht verhandelt. Verhandeln im Sinne der §§ 333 und 345 ZPO ist die völlige Verweigerung der Einlassung zur Sache. Säumnis liegt deshalb bei bloßem Vertagungsantrag oder sonstigen Verfahrensanträgen vor. Das Verhandeln erfordert im ersten Termin in der Regel die Sachanträge. Nach dem Protokoll der mündlichen Verhandlung, dessen Richtigkeit von keiner der Parteien angegriffen wird, kommen folgende Vorgänge als Verhandeln infrage: Rüge der ordnungsgemäßen Zustellung der Klage durch den Beklagten; Erörterung der Frage durch das Gericht, ob zwischen den Parteien ein Zugewinnausgleich stattgefunden hat; Erörterung des Risikos eines zweiten Versäumnisurteils und Erklärungen des Beklagtenvertreters hierauf; Vergleichsverhandlungen.

Ob ein Verhandeln vorliegt, ist aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles für jeden Termin selbstständig zu beantworten. Verhandeln erfordert eine aktive Beteiligung an der Erörterung des Rechtsstreits vor Gericht, mag sie sich auf eine Tat- oder Rechtsfrage beziehen. Nichtverhandeln ist dagegen die völlige Verweigerung der Einlassung zur Sache (vgl. BGH NJW-RR 1986, 1252, 1253). Entscheidend ist dabei, dass die Parteien über einen außerhalb des Prozessgeschehens liegenden Streitpunkt materiell- oder prozessrechtlicher Art verhandeln (vgl. BGH NJW 1967, S. 728; OLG Dresden, NJW-RR 2001, 792). Dies ergibt schon der Gesetzeswortlaut. Der Begriff "Hauptsache" zeigt, dass allein eine Erörterung von Verfahrensfragen nicht ausreicht, die Säumnis abzuwenden.

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hat der Beklagte im Termin vom 18.07.2005 nicht verhandelt. Die Rüge der ordnungsgemäßen Klagezustellung bezieht sich allein auf das Prozessgeschehen. Zu der vom Gericht angesprochenen Frage, ob zwischen den Parteien im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens ein Zugewinnausgleich stattgefunden hat, hat sich der Beklagtenvertreter ausweislich des Protokolls nicht erklärt.

Die Erörterung des Risikos eines zweiten Versäumnisurteils, zu dem der Beklagtenvertreter ausweislich des Protokolls Erklärungen abgegeben hat, betreffen wiederum allein das Prozessgeschehen, nicht jedoch die Hauptsache. Gleiches gilt für die Erklärung des Beklagtenvertreters, auf den Antrag des Klägervertreters zur Hauptsache gar nichts zu sagen und allein auf die Rüge der mangelnden Zustellung zu verweisen. Auch hier fehlt es an einem Bezug zur Hauptsache. Darüber hinaus hat der Beklagte ausdrücklich eine Einlassung zur Hauptsache damit verweigert, dass er trotz des Hinweises auf die Möglichkeit eines zweiten Versäumnisurteils erklärt hat, zur Sache selbst nichts sagen zu wollen. An dieser Beurteilung ändert auch das Urteil BGH NJW 1965, 397 nichts. Danach muss ein Klagabweisungsantrag zwar nicht ausdrücklich gestellt werden, wenn dieser sich eindeutig aus der Prozesslage ergibt. Hier ist aber gerade ausdrücklich ausweislich des Protokolls die Stellung des Klagabweisungsantrags verweigert worden.

Die Säumnis des Beklagten im Verhandlungstermin war auch schuldhaft. Die Beurteilung des Verschuldens richtet sich dabei nach den gleichen Maßstäben wie bei der Wiedereinsetzung (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, 25. Aufl., § 514 ZPO Rn. 9). Maßgeblich ist dabei die Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei. Das Verschulden entfällt hier nicht deshalb, weil der Beklagte davon ausgehen durfte, gegen ihn werde kein zweites Versäumnisurteil erlassen, weil eine ordnungsgemäße Zustellung der Klageschrift nicht erfolgt war. Dem Beklagten war bekannt, dass ihm mehrfache Schriftsätze mit der vollständigen Bezeichnung der Parteien und vollständigen Klageanträgen förmlich zugestellt waren. Er durfte deshalb nicht darauf vertrauen, dass das Gericht von dem Erlass eines zweiten Versäumnisurteils wegen fehlender Rechtshängigkeit der Sache absieht. Weiter durfte der Beklagte nicht darauf vertrauen, dass das Gericht seiner Rechtsauffassung folgen werde und vom Erlass des zweiten Versäumnisurteils absieht, weil die Voraussetzungen für das erste Versäumnisurteil nicht vorgelegen haben. Dem Beklagten wäre es hier auch unbenommen gewesen, Klagabweisung zu beantragen, d. h. zur Sache zu verhandeln, und gleichzeitig die Verfahrensrügen weiter geltend zu machen. Sein Rügerecht hätte er nur bei rügeloser Verhandlung verloren.

Dem Erlass des zweiten Versäumnisurteils stand auch nicht entgegen, dass die Klageerhebung bis zum Erlass des zweiten Versäumnisurteils nicht ordnungsgemäß war. Spätestens mit Zustellung des Schriftsatzes vom 14.06.2005 am 22.06.2005 war die Klage ordnungsgemäß erhoben und eine Klageschrift gemäß § 253 ZPO unter vollständiger Bezeichnung der Parteien zugestellt. Dass dabei keine Erwiderungsfristen gesetzt worden sind, ein schriftliches Vorverfahren oder ein früher erster Termin nicht anberaumt worden sind, ist für die Frage der Zustellung unerheblich. Das Gericht hat die Zustellung auch willentlich vorgenommen. Die Richterin hatte die förmliche Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ausdrücklich am 17.06.2005 verfügt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nach § 543 ZPO nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Über die Frage, ob es für die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil auf die Rechtmäßigkeit des ersten Versäumnisurteils ankommt, hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden (vgl. BGH NJW 1999, 2599).

Der nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 1.12.2005 bot keinen Anlass, wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten, § 156 ZPO.



Ende der Entscheidung

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