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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 09.11.2006
Aktenzeichen: 11 U 59/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
ZPO §§ 829 ff
Ob Ansprüche auf Rückkaufswerte aus Lebensversicherungen von einer Teilabtretung und damit von einer Forderungspfändung erfasst werden, ist erst durch Auslegung zu ermitteln.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

11 U 59/06

verkündet am: 9. November 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts durch die Richter auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2006 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten vom 27. April 2006 gegen das am 24. März 2006 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist für das klagende Land vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das klagende Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 39.591,24 €.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darüber, ob dem klagenden Land als Pfändungsgläubiger Ansprüche auf den Rückkaufswert von zwei Lebensversicherungen zustehen.

Das Landgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil antragsgemäß zur Zahlung von 39.591,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. September 2005 verurteilt und festgestellt, daß im Übrigen der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei.

Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht mit Schriftsatz vom 27. April 2006 Berufung eingelegt und diese dahin begründet, dass die Pfändung des beklagten Landes vom 17./19. August 1998 ins Leere gegangen sei, weil die Ansprüche auf die Rückkaufswerte zu diesem Zeitpunkt nicht dem Schuldner des klagenden Landes, dem Versicherungsnehmer der Beklagten, Herrn A., sondern aufgrund der Abtretung seiner Ansprüche aus den Lebensversicherungsverträgen der B-Bank zugestanden hätten.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Das klagende Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die von beiden Parteien benannte Zeugin C. zum Inhalt und Umfang der Abtretungserklärungen der B-Bank vom 16. Juni 1993 betreffend Forderungen aus den Lebensversicherungsverträgen des A bei der D-Lebensversicherungs AG vom 11. und 14. März 1988 mit den Nr. ... und ... über 46.527,-DM und 40.000,-DM vernommen. Auf die Vernehmung des Zeugen A. hat das klagende Land verzichtet. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die gerichtliche Niederschrift vom 17. Oktober 2006 (Bl. 132, 133 GA) verwiesen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

1. Der Beklagten und der von ihr zitierten Rechtsprechung und Literatur ist darin recht zu geben, dass die Pfändung gegenwärtiger Forderungen nicht solche Forderungen des Schuldners erfasst, die dieser vor der Pfändungsmaßnahme an Dritte abgetreten hat und erst nach der Pfändungsmaßnahme durch Rückabtretung zurückerwirbt.

2. Des Weiteren teilt der Senat die Rechtsauffassung, dass bei Vollabtretung einer Forderung durch den Schuldner diese Forderung auch dann nicht von der Pfändung von Forderungen des Schuldners gegen Dritte erfasst wird, wenn die Pfändung künftiger Forderungen ausgesprochen ist.

Das gilt auch für Sicherungsabtretungen. Auch wenn ein vom Schuldner zur Sicherheit an einen Dritten abgetretener Anspruch zurückabgetreten werden soll, ist er von der Pfändungsmaßnahme eines Gläubigers weder als künftiger Anspruch erfasst, noch gilt § 185 Abs. 2 BGB entsprechend, wenn der Schuldner die abgetretene Forderung zurückerwirbt; denn anders als bei einer Sachpfändung fehlt hier mangels Verstrickung die Grundlage für ein späteres Entstehen des Pfandrechts (vgl. Musielak, 4. Aufl., § 829 Rn. 17 m.w.N.).

In solchen Fällen geht die Pfändungsmaßnahme ins Leere.

3. Im vorliegenden Fall wurden allerdings die 1988 vom Versicherungsnehmer A. an die B-Bank voll abgetretenen Rechte aus den bei der Beklagten abgeschlossenen Lebensversicherungsverträgen mit den Nummern ... und ... im Jahre 1993 teilweise wieder an den Versicherungsnehmer, den Schuldner des klagenden Landes, zurückabgetreten, und zwar, wie aus den mit dem Schriftsatz der Beklagtenseite vom 23. November 2005 eingereichten Anlagen B 8 und 9 ersichtlich ist, jeweils mit den Erklärungen:

"Die Bank überträgt hiermit die für den Erlebensfall bestehenden Auszahlungsansprüche in vollem Umfang einschließlich der in o.g. Vertrag damit verbundenen Rechte auf den Sicherungsgeber zurück.

Die Abtretung der Rechte für den Todesfall bleibt in vollem Umfang bestehen.

Der Versicherungsschein verbleibt bei der Bank."

Mit dieser Rückabtretung von Rechten war eine geeignete Grundlage für Pfändungsmaßnahmen des klagenden Landes gegeben.

4. Die im Jahr 1998 von dem klagenden Land verfügte Pfändung und Einziehung wurde, wie auch aus der mit Schriftsatz der Klägerseite vom 17. August 2005 eingereichten Anlage K 2 ersichtlich, ausgesprochen mit u.a. den Worten:

"Der Vollstreckungsschuldner hat gegen Sie Forderungen (Ansprüche, Rechte einschließlich der Gestaltungsrechte) aus dem - vor Jahren - auf den Erlebens- oder Todesfall abgeschlossenen Versicherungsvertrag Nr. ... ...; insbesondere den Anspruch auf Zahlung der Versicherungssumme oder des bei Aufhebung auf die Versicherung entfallenden Betrages der Prämienreserve, das Recht auf Kündigung und Umwandlung der Versicherung sowie auf Bestimmung, Änderung oder Widerruf der Bezugsberechtigung. Ich pfände die gegen Sie aus diesem Rechtsgrund bestehenden gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen (Ansprüche, Rechte, Gestaltungsrechte) des Vollstreckungsschuldners."

Damit waren zumindest gegenwärtige und zukünftige Forderungen aus den rückabgetretenen Rechten wirksam gepfändet.

5. Zu diesen gehörten im vorliegenden Fall die Kündigungsrechte und die nach deren Ausübung entstandenen Ansprüche auf die Rückkaufswerte aus den genannten Versicherungsverträgen.

a) Die Kündigungsrechte und die Ansprüche auf die Rückkaufswerte sind zwar in den Erklärungen der Bank aus dem Jahr 1993 zur teilweisen Rückabtretung von Rechten nicht ausdrücklich erwähnt. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht rückabgetreten wurden.

Fehlen eindeutige Anhaltspunkte im Abtretungsvertrag, ist im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen der Vertragspartner des Abtretungsvertrages zu ermitteln, ob die Abtretung bzw. Rückabtretung so weit geht, dass dem Zessionar (das war im vorliegenden Fall im Jahre 1993 der Versicherungsnehmer A, der Schuldner des klagenden Landes) der streitige Anspruch schon gegenwärtig zusteht (vgl. Lind/ Stegmann, VersR 1998, 433 ff.).

b) Der Wortlaut der Rückabtretungserklärungen der B-Bank spricht dafür, das Kündigungsrecht und die Ansprüche auf die Rückkaufswerte als Rechte zu verstehen, die mit den für den Erlebensfall bestehenden Auszahlungsansprüchen verbunden sind, d.h. sie als rückabgetretene Rechte anstatt als die allein bei der Bank verbliebenen Rechte für den Todesfall anzusehen.

Im Todesfall entsteht das Recht auf Auszahlung der Lebensversicherungssumme. Das Kündigungsrecht und die Ansprüche auf die Rückkaufswerte sind für den Zeitraum vor dem Tod des Versicherungsnehmers gedacht, für den Zeitraum, den dieser noch erlebt.

Hinzu kommt, dass die für den Erlebensfall rückabgetretenen Auszahlungsansprüche nach dem Wortlaut der Erklärung ausgedehnt wurden auf "in o.g. Vertrag damit verbundenen Rechte", während die bei der Bank verbliebenen Rechte für den Todesfall nicht mit einem solchen Zusatz versehen wurden.

Soweit die Beklagte darauf abhebt, dass bei der Auslegung einer Abtretungserklärung darauf zu achten ist, welche Rechte die Abtretung ausdrücklich erfasst, ist darauf hinzuweisen, dass in der in diesem Fall vorliegenden Rückabtretungserklärung nicht nur Erklärungen zu den rückabgetretenen Rechten abgegeben worden sind, sondern auch für die bei der Bank verbliebenen Rechte und damit diese in die Auslegung mit einzubeziehen sind.

c) Im Übrigen spricht der Zeitpunkt der Rückabtretungen im Jahr 1993 und damit nach dem Jahressteuergesetz 1992 und der damit verbundenen Möglichkeit der Steuererhebung wegen Einsatzes von Kapitallebensversicherungen zur Sicherung und Tilgung von Bankdarlehen dafür, dass die B-Bank 1993 im Interesse ihres Kunden, des Sicherungsgebers und Versicherungsnehmers A, für diesen Steuernachteile vermeiden wollte. Dies ließ sich jedoch nur sicher erreichen bei einer Rückabtretung der Rechte auf Kündigung und Auszahlung der Rückkaufswerte (vgl. Lind/Stemann , a.a.O.).

d) Der im vorliegenden Fall erkennbare Sinn und Zweck der Rückabtretung lässt keinen sicheren Schluss auf eine eingeschränkte Rückabtretung der für den Erlebensfall bestehenden Auszahlungsansprüche und der damit verbundenen Rechte, also auf eine nicht gewollte Rückabtretung von Kündigungsrechten und damit verbundenen Ansprüchen auf Rückkaufswerte zu.

Der Beklagten ist zwar darin recht zu geben, dass das Sicherungsinteresse der Bank einer Rückabtretung der Kündigungsrechte und insbesondere der Rechte auf die Rückkaufswerte entgegensteht.

Andererseits wurden die Sicherungsinteressen der Bank auch dann beeinträchtigt, wenn deren Rückabtretung lediglich den für den Erlebensfall vorgesehenen Auszahlungsanspruch im Jahre 2008 betraf; denn das Erleben dieses Jahres durch den Versicherungsnehmer war möglich und von der Bank mit einzuplanen.

Zusätzlich ist zu bedenken, dass die Bank mit der vorgenommenen Rückabtretung, auch wenn diese Kündigungsrechte und Ansprüche auch auf Rückkaufswerte erfasste, immerhin eine ähnliche Sicherung bei sich behielt, wie sie auch dann gegeben gewesen wäre, wenn ursprünglich zur Kreditsicherung nur eine Risikolebensversicherung gefordert worden wäre.

Den Nachteil der unklaren Auslegung der abgegebenen Erklärungen nach Sinn und Zweck hat die Beklagte zu tragen, da sie für Tatsachen, die eine die Wortlautauslegung einschränkende teleologische Auslegung zulassen, die Beweislast trägt. Für die in den Urkunden enthaltenen Erklärungen spricht die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit. Derjenige, der außerhalb des Urkundeninhalts liegende Umstände behauptet, hat diese zu beweisen (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Auflg., § 133 Rn. 29 m. w. Nachw. Zur Rspr.).

e) Hinzu kommt hier, dass der Insolvenzverwalter des Versicherungsnehmers A und die B-Bank die Rückabtretung im vorbeschriebenen Sinne bzw. Umfang verstanden haben dürften. Darauf deutet jedenfalls das nachfolgende Verhalten der B-Bank hin, indem sie trotz der am 21. Februar 2002 ausgebrachten Pfändung durch den Gläubiger E die Versicherungsscheine im Jahr 2003 an das klagende Land herausgab und der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Versicherungsnehmers A mit Schreiben vom 2. Februar 2004 (Anlage K 7) im Interesse des klagenden Landes vorsorglich die beiden Versicherungsverträge zum nächstmöglichen Termin nochmals kündigte und sein Einverständnis erklärte, dass die gepfändeten Beträge an das klagende Land ausgekehrt würden.

f) Die Vernehmung der von beiden Parteien benannten Zeugin F, der Kreditsachbearbeiterin der Bank, zum Inhalt und Umfang der Rückabtretungserklärungen war nicht ergiebig.

g) An der Auslegung der Rückabtretungserklärungen dahin, dass mit ihr auch die Kündigungsrechte und die nach deren Ausübung entstandenen Ansprüche auf die Rückkaufswerte erfasst waren, ändert die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 45, 163 ff.) nichts.

Der Bundesgerichtshof hat dort entschieden, dass bei einer Lebensversicherung mit geteilter Begünstigung für den Todes- und Erlebensfall der Anspruch auf den Rückkaufswert dem für den Todesfall unwiderruflich Bezugsberechtigten bis zum Eintritt des Erlebensfalles zusteht, dies aber damit begründet, dass die enge Verbindung zwischen unwiderruflicher Begünstigung und sofortigem Rechtserwerb darauf beruht, dass der Verzicht auf Widerruf eine uneigennützige Fürsorge für den Begünstigten offenbart, dieser Zweck sich aber nur wirklich erreichen lässt, wenn das Recht auf die Versicherungsleistung von dem Begünstigten sofort erworben wird und damit nicht mehr dem Zugriff der Gläubiger des Versicherungsnehmers unterliegt. Der danach feststehende sofortige Rechtserwerb des Zessionars soll denn auch den während der Dauer der Todesfallversicherung anfallenden Anspruch auf eine etwaige Rückvergütung erfassen, weil das Recht auf den Rückkaufswert nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme ist. Ein zur Auszahlung gelangender Rückkaufswert steht daher dem unwiderruflich bestellten Bezugsberechtigten der Todesfallversicherung zu, solange dessen Recht auf die Versicherungsleistung besteht, d.h. bis zum Eintritt der auflösenden Bedingung, des Erlebensfalles.

Das muss aber nicht für den widerruflich bestellten Bezugsberechtigten gelten. Dessen Rechtsstellung ist gewollt wesentlich schwächer. Sie kann jederzeit durch Widerruf des Versicherungsnehmers verloren gehen. Sie ist deshalb auch nicht so stark, dass dem widerruflich bestellten Bezugsberechtigen das Kündigungsrecht und der Anspruch auf den Rückkaufswert zugeordnet werden muss.

Die abweichende Auffassung der Beklagten unter Hinweis auf Teslau in van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, Rn. 344, vermag nicht zu überzeugen. Sie berücksichtigt nicht ausreichend den vorbeschriebenen tragenden Grund für die Zuordnung der Ansprüche auf den Rückkaufswert zu dem für den Todesfall unwiderruflich Bezugsberechtigten.

Im vorliegenden Fall war kein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden, und deshalb ist der Versicherungsnehmer A nach Vollabtretung seiner Rechte aus den Versicherungsverträgen im Jahr 1988 und Rückabtretung von Teilrechten im Jahr 1993 Inhaber des Kündigungsrechtes und des Anspruchs auf Auszahlung des Rückkaufswertes geworden

Die in diesem Jahr ausgebrachte Pfändung des klagenden Landes erfasste deshalb auch diese Rechte des Versicherungsnehmers A, des Schuldners des klagenden Landes.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO, § 63 Abs. 2 GKG.

IV.

Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert dies die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Die Entscheidung beruht vielmehr auf der in diesem Einzelfall vorzunehmenden Auslegung der individuellen Rückabtretungserklärungen vom 16. Juni 1993.

Ende der Entscheidung

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