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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 22.01.2009
Aktenzeichen: 11 U 71/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 280
BGB § 823
Die Verkehrssicherungspflicht im Schulgebäude kann nicht unklar auf die Lehrer übertragen werden
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

11 U 71/08

verkündet am: 22. Januar 2009

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzansprüchen aus Verkehrssicherungspflichtverletzung

hat der 11. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. , den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 25. April 2008 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Kiel unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.329,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31. März 2007 sowie weitere 105,02 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. August 2007 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtstreits in beiden Instanzen tragen die Beklagte 80 % und die Klägerin 20 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert beträgt für beide Instanzen 1.629,42 €, hiervon 300,00 € für den Feststellungsantrag.

Gründe:

I.

Im April 2006 montierten Schüler der Abschlussklasse der Fachrichtung Technik des Fachgymnasiums der Gewerblichen Berufsschule in der K-straße in einem nach Umbau als solchem neu eingerichteten Lehrerzimmer in mehreren Etappen ein metallenes Wandregal (2 x 0,3 x 4 m). Dabei wurden sie angewiesen und angeleitet von den Oberstudienräten A und B, denen die Beklagte nach der Verkündung des angefochtenen Urteils den Streit verkündet hat. Die Montage erfolgte nicht fachgerecht und standsicher, denn es fehlten die zur Aussteifung des Regals erforderlichen Knotenbleche sowie die Wandbefestigungen, die ein Umkippen verhindert hätten (vgl. den Unfalluntersuchungsbericht, Anlage K 1, Anlagennadel in der Tasche der Akte).

Am 5. Mai 2006 kippte das Regal um und fiel auf die bei der Klägerin versicherte Reinigungskraft C. Diese zog sich ein Schädelhirntrauma ersten Grades, eine Schädelprellung, eine HWS-Distorsion sowie eine Prellung des rechten oberen Sprunggelenks zu. Sie stellte sich deswegen im Städtischen Krankenhaus vor, wo sie zur Überwachung bis zum 7. Mai 2006 stationär aufgenommen wurde (vgl. den Durchgangsarztbericht vom 5. Mai 2006, Anlage K 2). Der Klägerin entstanden hieraus Heilbehandlungskosten für die drei Krankenhaustage in Höhe von 1.329,42 € (vgl. die Schadensaufstellung Anlage K 5). Die Arbeitsunfähigkeit der Frau C betrug ca. acht Tage.

Die Klägerin hat gemeint, die Beklagte sei verkehrssicherungspflichtig und hafte auf den bislang entstandenen und möglicherweise zukünftig eintretenden Schaden. Sie behauptet, bei den bei der Versicherten aufgetretenen Verletzungsfolgen müsse aufgrund deren Schweregrades mit weiteren Folgeschäden gerechnet werden.

Die Beklagte hat behauptet, der Regalaufbau sei ohne Wissen und Auftrag des Schulträgers erfolgt und diesem deshalb nicht zurechenbar (Bl. 13).

Das Landgericht hat der Klage - mit Ausnahme eines Teils der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die es auf einen niedrigeren Streitwert (2.329,42 €, davon 1.000,00 € und nicht, wie klägerseits angesetzt, 4.000,00 € für den Feststellungsantrag) berechnet hat - stattgegeben. Es hat gemeint, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt. Als Trägerin der Schule sei sie dafür verantwortlich, dass das Schulgebäude mit allen Räumen sich in einem Zustand befinde, in dem für die Benutzer keine vermeidbaren Gefahren für deren Gesundheit ausgingen. Das gelte auch für die in den Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht einbezogenen Reinigungskräfte, die sich in erheblichem Umfang in der Schule aufhielten. Die Beklagte habe dafür Sorge tragen müssen, dass die Montage so erfolgte, dass das Wandregal standsicher sei. Unabhängig von einem Auftrag und/oder konkreter Kenntnis habe die Beklagte für eine entsprechende Kontrolle sorgen müssen, die durch Rundgänge durch das Gebäude zu bewerkstelligen sei. Dass die Beklagte ihrer Verpflichtung durch entsprechende Organisation und Anweisung der für sie tätigen Personen nachgekommen sei, habe diese trotz gerichtlichen Hinweises nicht vorgetragen. Tatsächlich sei eine Kontrolle der Räume mindestens im Abstand von einer Woche erforderlich, wodurch hier der Unfall vermieden worden wäre.

Die Berufung der Beklagten macht geltend, der von ihr eingesetzte Hausmeister sei qualifiziert und zuverlässig und habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet. Der Schaden wäre auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden, denn auf die unzureichende Wandbefestigung habe der Hausmeister bei seinen Rundgängen, die nach Feierabend erfolgten, nicht stoßen können und müssen.

Stellten Lehrkräfte ein Wandregal auf, könne und müsse davon ausgegangen werden, dass Aufstellen und Montage fachgerecht erfolgten, insbesondere, wenn es sich - wie hier - um fachkundige Lehrkräfte gehandelt habe.

Die unfallursächliche (hier unterbliebene) Absicherung sei eine Selbstverständlichkeit. Sie habe daher auch keiner besonderen Kontrolle bedurft, zumal der Mangel bei einem Rundgang auch nicht sichtbar gewesen sei. In den in die Eigenverantwortung der Lehrkräfte übergebenen Räumen (Lehrerzimmer, Bibliothek und Versuchsräume) sei eine besondere, zeitlich enge Kontrolle durch den Hausmeister ohnedies überflüssig.

Für ein Feststellungsinteresse sei nichts ersichtlich. Die im Durchgangsarztbericht festgehaltenen Verletzungen klängen nach kurzer Zeit endgültig ab. Der Ansatz von 1.000,00 € für den Feststellungsantrag sei noch übersetzt. Nach knapp zwei Jahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung sei mit irgendwelchen Folgeschäden nicht mehr zu rechnen.

Die Beklagten beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Die Berufung setze sich nicht damit auseinander, dass nach den zutreffenden Gründen des Urteils die Beklagte zu Kontrollrundgängen auch im Lehrerzimmer verpflichtet gewesen sei.

II.

Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.

Die Beklagte hat der Klägerin aus übergegangenem Recht unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflichtverletzung die Heilbehandlungskosten für die bei der Klägerin versicherte Frau C zu ersetzen (A). Indes ist der Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Leistungen unbegründet (B) und belaufen sich die erstattungsfähigen Rechtsanwaltskosten auf einen niedrigeren Betrag (C).

A.

Die Beklagte schuldet der Klägerin aus übergegangenem Recht Ersatz der Heilbehandlungskosten für die Frau C.

1.

Die Beklagte ist als Schulträger für die Sicherheit im Gebäude verkehrssicherungspflichtig und ihr oblagen deshalb in zumutbarem Umfang auch diesbezügliche Kontrollen.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie die hier konkret die Gefahr auslösende Tätigkeit in Auftrag gegeben hat oder Kenntnis davon hatte oder ob beides nicht der Fall war. Die Kontrollpflicht resultiert gerade daraus, dass sich solche Gefahren eben auch ohne Auftrag und Kenntnis entwickeln können.

2.

In den Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht ist auch die Versicherte der Klägerin einbezogen. Die Sicherung des Gebäudes obliegt der Beklagten gegenüber allen, die mit der Sache bestimmungsgemäß in Kontakt kommen. Das trifft nicht nur für Schüler und Lehrer, sondern natürlich auch etwa für Eltern sowie sonstige Personen zu, die sich erwartbar regelmäßig dort aufhalten, wie etwa Handwerker oder aber auch Reinigungspersonal.

3.

Für eine Delegation der Verkehrssicherungspflicht auf die Lehrkräfte, die zur sicheren Zuordnung der Verantwortlichkeit klar und eindeutig zu erfolgen gehabt hätte, hat die Beklagte - auch in der Berufungsinstanz - nichts Zureichendes vorgetragen. Aus den Ausführungen in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 24. April 2008 und der Berufungsbegründung ergibt sich nichts für einen ausdrücklichen Übertragungsakt. Vielmehr beruhte die Hintanstellung von Kontrollen in Räumen, die primär dem Zugriff der Lehrer unterliegen, auf der bloßen Annahme, diese würden sich zureichend um die Sicherheit kümmern.

4.

Davon, dass die Beklagte vorliegend ihrer Verkehrssicherungspflicht genügt hätte, kann nicht ausgegangen werden. Auch durfte sie nicht ohne weiteres auf eine einwandfreie Montage vertrauen.

Das Vorbringen der Beklagten hierzu ist widersprüchlich. Zwar wird (wenngleich verspätet, so doch unbestritten und deshalb berücksichtigungsfähig) behauptet, der Hausmeister mache regelmäßige Rundgänge nach Dienstschluss. Zugleich wird aber auch einschränkend dargelegt, dass sich derlei Kontrollen auf die primär den Lehrern zugänglichen Räume nicht erstreckten. Das ist nicht ausreichend, und zwar schon deshalb nicht, weil nicht ersichtlich ist, dass den Lehrern eine Beobachtung der Räumlichkeiten auf ihre Sicherheit obläge. Auch wenn (mit der Beklagten) nachvollziehbar ist, dass gewisslich häufiger Schüler als Lehrer für gefährliche Zustände verantwortlich sein dürften, so wird man doch unsachgemäßes Verhalten von Lehrern oder auch nur Gleichgültigkeit gegenüber denkbaren Gefahrenlagen nicht ausschließen können, und zwar insbesondere dann, wenn die Gleichgültigkeit des einen auf der Erwartung beruht, ein anderer Lehrer würde sich um die Sicherheit kümmern.

Der Hausmeister durfte auch nicht darauf vertrauen, dass die fachkundigen Lehrer, die die Montage angeleitet und beaufsichtigt hatten, für die Wandbefestigung und deren Kontrolle selbst gesorgt hätten. In der Tat erscheint es zwar als nicht eben fern liegend, solches Vertrauen zu bilden. Dafür spricht zum einen eine auch ohne besondere handwerkliche Kenntnisse erwartbare Sachkunde bei den Lehrkräften, darüber hinaus auch, dass sich angesichts der Ausmaße des Regals, insbesondere seiner erheblichen Höhe und Breite bei vergleichsweise geringer Tiefe, die Notwendigkeit einer Wandbefestigung zur Gewährleistung der Standsicherheit geradezu hat aufdrängen müssen und entsprechend unwahrscheinlich erscheint, dass die Lehrer das verkannten. Gleichwohl darf nicht ohne weiteres, insbesondere nicht ohne eine klare Zuweisung der Verantwortung oder ohne Absprache oder Rückfrage im Einzelfall, darauf vertraut werden, dass Lehrer, mögen sie sachkundig sein oder nicht, "ihre" Räumlichkeiten selbst in einem verkehrssicheren Zustand erhalten, auf mögliche Gefahrenquellen achten und diese ggf. anzeigen; denn Lehrern obliegen im Schulbetrieb zahlreiche andere Aufgaben überwiegend pädagogischer Art, sodass die Wahrnehmung von Sicherheitsüberprüfungen ohne ausdrückliche Übertragung einer solchen Aufgabe nicht verlässlich zu erwarten ist, zumal dann, wenn beim Handeln mehrerer Lehrkräfte eine Verantwortlichkeit für die Abnahme offen bleibt.

5.

Es trägt auch die - gegen die Kausalität der Pflichtverletzung gerichtete - Erwägung der Beklagten nicht, die mangelhafte Befestigung wäre bei einer Kontrolle nicht erkennbar gewesen wäre. Das Regal hatte mit zwei Metern eine überschaubare Höhe. Es ist - nach Herausnehmen einzelner Bücher - durchaus möglich und auch zumutbar, danach zu schauen, ob namentlich Wandbefestigungen erfolgt sind. Im Übrigen hätte eine Überprüfung der Standsicherheit auch durch vorsichtiges Wackeln erfolgen können.

6.

Die Höhe der Aufwendungen von 1.329,42 € ist unstreitig.

Der Zinsanspruch folgt aus § 286, 288 BGB.

B.

Der Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Leistungen ist unbegründet.

Grundsätzlich besteht ein Feststellungsinteresse stets zum Zwecke der Hemmung der Verjährung. Bei der Verletzung eines absoluten Rechtsguts reicht es aus, wenn künftige Schadensfolgen (wenn auch nur entfernt) möglich sind, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss (vgl. Zöller-Greger, ZPO, Kommentar, 26. Aufl., § 256 Rn. 8a; BGH NJW 2001, 1432); auf eine Wahrscheinlichkeit weiterer Schäden kommt es nicht an. Erforderlich ist aber doch, dass der haftungsrechtlich relevante Eingriff zu den für die Zukunft befürchteten Schäden führen kann (BGH, a.a.O.).

Vorliegend ist indes für eine auch nur entfernte Möglichkeit weiterer körperlicher Schäden der Frau C nicht zureichend vorgetragen. Der Hinweis der Klägerin, bei den bei der Versicherten aufgetretenen Verletzungsfolgen müsse aufgrund deren Schweregrades per se mit weiteren Folgeschäden gerechnet werden, ist nicht tragfähig. Nach dem Durchgangsarztbericht (Anlage K 2) war Frau C nicht bewusstlos, hat nicht erbrochen, hatte keine retrograde Amnesie, zum Zeitpunkt der Untersuchung nur noch zunehmende Übelkeit und Würgreiz. Neurologisch ergaben sich keinerlei Auffälligkeiten. Am Hinterkopf hatte sie eine schmerzhafte Prellmarke, keine offene Wunde, daneben allerlei ziehende Schmerzen, leichte Prellungen und Hautabschürfungen ohne Schwellung. Im Röntgen ergaben sich keine Anhaltspunkte für Frakturen oder Luxationen. In der Folge wurde die Diagnose eines Schädelhirntraumas ersten Grades bei Schädelprellung und HWS-Distorsion sowie ein Prellung des rechten oberen Sprunggelenkes festgestellt. Das sind sämtliche Verletzungen, die weder für sich noch zusammen genommen Anhalt für irgendwelche späteren Folgeschäden geben. Tatsächlich war Frau C lediglich für den Zeitraum von 6 Tagen arbeitsunfähig geschrieben worden, und es haben sich weder bis zur Einschaltung des Klägervertreters (im August 2007, vgl. Anlage K 7) noch bis zur Klagerhebung unter dem 29. August 2007 noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 13. Januar 2009 irgendwelche weiteren medizinischen Handlungsbedarfe bei ihr ergeben.

Entsprechend dem tatsächlichen Vorbringen der Klägerin hierzu (nicht ihrer Streitwertangabe nach § 253 Abs. 3 ZPO) bewertet der Senat den Feststellungsantrag mit 300,00 €.

C.

Ist die Klage nur wegen des Hauptantrags begründet, sind die vorgerichtlichen Anwaltskosten auch nur auf den Wert von 1.329,42 € zu berechnen. Bei der verlangten 0,65-Gebühr (vgl. die Kostenrechnung vom 2. August 2007, Anlage K 9, Bl. 20) ergeben sich netto 68,25 € nebst einer (aus der vollen 1,3-Gebühr von 136,50 € zu berechnenden) Auslagenpauschale von 20,00 € nebst 19 % Mehrwertsteuer von 16,77 €, also Gebühren von 105,02 €.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. §§ 544 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

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