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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 15.12.1999
Aktenzeichen: 13 WF 122/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1
BGB § 50 I
BGB § 1712 I Nr. 1 und 2
BGB § 1713 I
Ein Ungeborener ist rechts- und parteifähig, soweit es um die Feststellung der Vaterschaft und für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen geht.
13 WF 122/99 72 F 638/99 AG Itzehoe

Beschluß

In der Familiensache

des mit voraussichtlichem Geburtsdatum 09.01.2000 von Frau P. erwarteten Kindes

Klägers und Beschwerdeführers,

gesetzlich vertreten durch das Amt für Jugend, Familie und Sport des Kreises Steinburg als Beistand

gegen

Herrn Ö.,

Beklagten und Beschwerdegegner,

hat der 4. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht am 15. Dezember 1999 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Itzehoe vom 02. September 1999 geändert.

Dem Kläger wird Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlung für eine Klage mit folgenden Anträgen gem. Klageentwurf vom 23. Juli 1999 bewilligt:

1. Es wird festgestellt, daß der Beklagte der Vater des/der Klägers/in ist.

2. Der Beklagte wird verurteilt, dem/der Kläger/in zu Händen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters vom Tage der Geburt an Unterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Regelbetrages nach § 1 der Regelbetragsverordnung abzgl. der Hälfte des auf das Kind entfallenden Kindergeldes monatlich im voraus bis zum 01. eines Monats zu zahlen, die rückständigen Beträge sofort.

Gründe:

Der Kreis S. ist gem. § 1713 Abs. 1 BGB vorgeburtlicher Beistand und damit gesetzlicher Vertreter eines von Frau P. mit dem voraussichtlichen Geburtsdatum 09. Januar 2000 erwarteten Kindes. Als Beistand hat der Kreis S. Prozeßkostenhilfe für einen Klageentwurf beantragt, mit dem beantragt werden soll, festzustellen, daß der Beklagte der Vater des erwartenden Kindes ist. Weiter soll der Beklagte verurteilt werden, dem erwarteten Kind vom Tag der Geburt an Unterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Regelbetrages abzgl. des hälftigen Kindergeldes zu zahlen.

Mit Beschluß vom 02. September 1999 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Itzehoe den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der beabsichtigten Klage fehle die hinreichende Erfolgsaussicht. Gem. § 1 BGB beginne die Rechtsfähigkeit eines Menschen mit der Vollendung der Geburt. Nach § 50 Abs. 1 ZPO sei nur parteifähig wer rechtsfähig sei. Gesetzliche Ausnahmen von diesem Grundsatz gäbe es nicht. Daher sei das noch nicht geborene Kind nicht rechtsfähig und könne auch nicht Kläger sein. Die beabsichtigte Klage sei zur Zeit unzulässig.

Hiergegen wendet sich der Kreis S. mit seiner für das erwartete Kind eingelegten Beschwerde, mit der er die Auffassung vertritt, man müsse im Wege der Analogie das erwartete Kind als parteifähig ansehen.

Die Beschwerde ist begründet.

Die beabsichtigte Klage bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).

Der Kreis S. ist Beistand und gesetzlicher Vertreter des noch nicht geborenen Kindes. Aus § 1712 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB ergibt sich, daß auf schriftlichen - hier vorliegenden - Antrag eines Elternteils das Jugendamt Beistand des Kindes für die Aufgaben der Feststellung der Vaterschaft und der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen wird. Diese durch Artikel 1 Nr. 4 des Beistandschaftsgesetzes neu eingefügte Vorschrift regelt, unter welchen Voraussetzungen eine Beistandschaft eintritt, wer Beistand wird und welche Aufgabe er hat. Die Regelung ersetzt die Beistandschaft der aufgehobenen §§ 1685 ff. a. F. BGB und zugleich die gesetzliche Amtspflegschaft der § 1705 ff. a. F. BGB (Palandt -Diederichsen, BGB, 58. Aufl., Rn. 1 zu § 1712). Aus § 1713 Abs. 1 BGB ergibt sich, daß der Antrag auf Beistandschaft schon vor Geburt des erwarteten Kindes gestellt werden kann; denn dort heißt es, den Antrag könne ein Elternteil stellen, dem für den Aufgabenkreis der beantragten Beistandschaft die alleinige elterliche Sorge zustehe oder zustünde, wenn das Kind bereits geboren wäre. Im vorliegenden Fall stünde die elterliche Sorge zweifelsfrei der Mutter des erwarteten Kindes allein zu.

Gem. § 1714 BGB tritt die Beistandschaft ein, sobald der Antrag dem Jugendamt zugeht. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt dies auch, wenn der Antrag vor der Geburt des Kindes gestellt wird. Hieraus ergibt sich, daß eine vorgeburtliche Beistandschaft zulässig und wirksam ist und zwar allein aufgrund des Einganges des entsprechenden Antrages beim Jugendamt, ohne daß es einer zusätzlichen behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung bedürfte (Palandt-Diederichsen, Rn. 5 zu § 1714).

Die Wirkungen der Beistandschaft ergeben sich aus § 1716 BGB. Danach wird durch die Beistandschaft die elterliche Sorge zwar nicht eingeschränkt. Jedoch ist dem Jugendamt unbeschadet der Vertretungsbefugnis des antragstellenden Elternteils gesetzlicher Vertreter des Kindes (§§ 1793 Satz 1, 1915 I, 1716 Satz 2 BGB).

Durch die neugefaßten Vorschriften über die - auch vorgeburtliche - Beistandschaft hat der Gesetzgeber keine ausdrückliche Regelung darüber getroffen, ob das erwartete Kind - gesetzlich vertreten durch den Beistand - bereits rechtsfähig und parteifähig ist. Nach Auffassung des Senats ist diese Frage jedoch im Wege der Analogie zu bereits bestehenden Vorschriften des BGB zu bejahen.

Ausgangspunkt ist § 1 BGB, nach dem grundsätzlich die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Vollendung der Geburt beginnt. Danach ist ein bereits erzeugtes, aber noch nicht geborenes Kind nicht rechtsfähig. Es wird aber durch eine Reihe von Sondervorschriften des BGB geschützt, die ihm Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit zuerkennen. Aus § 1923 Abs. 2 BGB ergibt sich, daß erbfähig ist. Nach § 823 Abs. 1 BGB wird ein noch nicht geborenes Kind gegen vorgeburtliche Schädigungen geschützt, in dem ihm ein entsprechender Schadensersatzanspruch zuerkannt wird. Aus § 331 Abs. 2 BGB ergibt sich, daß ein noch nicht geborenen Kind durch einen Vertrag zugunsten Dritter begünstigt werden kann.

Nach § 1594 Abs. 4 BGB i. V. m. § 1595 Abs. 3 BGB können die Anerkennung der Vaterschaft eines Kindes und die hierfür erforderliche Zustimmung der Mutter schon vor der Geburt des Kindes erklärt bzw. erteilt werden. Nach § 1615 o Abs. 1 BGB kann auf Antrag des Kindes durch einstweilige Verfügung angeordnet werden, daß der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat oder der als Vater vermutet wird, den für die ersten drei Monate dem Kinde zu gewährenden Unterhalt zu zahlen hat. Nach S. 2 dieser Vorschrift kann der entsprechende Antrag bereits vor der Geburt des Kindes gestellt werden. Nach § 1912 Abs. 1 BGB kann ein noch ein nicht geborenen Kind zur Wahrung seiner künftigen Rechte, soweit diese einer Fürsorge bedürfen, einen Pfleger erhalten. Schließlich kann das noch nicht geborene Kind bereits Erbe (§ 1923 Abs. 2 BGB) Nacherbe (§ 2108 BGB) und Vermächtnisnehmer (§ 2178 BGB) sein.

Der Gesetzgeber des bürgerlichen Gesetzbuches hat mithin davon abgesehen, einen allgemeinen Satz über die Rechtsfähigkeit noch nicht geborener Kinder aufzustellen. Er hat sich damit begnügt, einzelne Sonderregeln zu ihren Gunsten aufzustellen (Staudinger/Habermann/Weik, BGB, 12. Aufl., Rn. 11 zu § 1). Diese einzelnen Vorschriften stellen zwar eine nur lückenhafte Regelung dar. Diese Lücken sind aber im Wege der Rechtsanalogie zu den bestehenden Vorschriften zu schließen. Einer solcher Analogie stehen aufgrund der Entstehungsgeschichte und der Intention des Gesetzgebers keine Bedenken entgegen (Münchener Kommentar-Gitter, BGB 3. Aufl., Rn. 26 zu § 1). Auch Ausnahmerechtssätze sind analogiefähig soweit das in ihnen verkörperte Rechtsprinzip auch auf ähnliche Fälle zutrifft. Im Ergebnis kommt man damit jedenfalls in der Praxis über den Wortlaut des § 1 BGB hinaus zu einer beschränkten Rechtsfähigkeit eines noch nicht geborenen Kindes (allgemeine Auffassung, vgl. insoweit die Nachweise bei Münchener Kommentar-Gitter, a. a. O.).

Alle genannten Vorschriften des BGB, die einem noch nicht geborenen Kind Rechte einräumen, betreffen Sachverhalte, in denen es um den Vorteil und die Wahrung von Rechtspositionen des erwarteten Kindes geht. Einen solchen Sachverhalt regelt auch der neu geschaffenen § 1712 BGB. Sowohl die Feststellung der Vaterschaft als auch die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen liegen im Interesse des Kindes. Es ist daher konsequent, ein noch nicht geborenes Kind als rechtsfähig anzusehen, soweit es um die Feststellung der Vaterschaft und der Unterhaltsansprüche geht.

Aus der (beschränkten) Rechtsfähigkeit des noch nicht geborenen Kindes folgt eine (beschränkte) Parteifähigkeit. Das noch nicht geborene Kind ist zur Geltendmachung seiner Recht parteifähig (Palandt-Heinrichs, Rn. 7 zu § 1). Auch insoweit handelt es sich um ein in einem Ausnahmefall gesetzlich normiertes Prinzip. Es ergibt sich aus der bereits erwähnten Vorschrift des § 1615 o Abs. 1 BGB, wonach ein Kind schon vor seiner Geburt einen Antrag auf Erlaß einer einstweilige Verfügung zur Sicherung des Unterhalts für die ersten drei Monate nach der Geburt stellen kann (Münchener Kommentar-Gitter, a. a. O., Rn. 30).

Auch das Reichsgericht hat in zwei Entscheidungen (RGZ 61,356 und RGZ 65, 281) unter Hinweis auf einzelne Spezialregelungen zugunsten noch nicht geborener Kinder die Auffassung vertreten, aus der Rechtsfähigkeit ergebe sich - soweit sie reiche - auch eine Parteifähigkeit. Das Reichsgericht hat es daher für zulässig angesehen, daß noch nicht geborene Kinder Prozesse um die Eintragung einer Hypothek oder Drittwiderspruchsklagen führten. In der grundlegenden Entscheidung (RGZ 65, 281) hat das Reichsgericht dazu, nachdem es sich mit der Bedeutung der danach vorhandenen gesetzlichen Spezialregelungen auseinandergesetzt hat, ausgeführt:

"Ist aber auf diese Weise einmal ihre (noch nicht geborener Kinder) Rechtsfähigkeit wirklich eingetreten, so ist die notwendige Folge hiervon, daß sie, soweit sich nicht von selbst aus der Eigentümlichkeit ihrer Stellung notwendige Ausnahmen ergeben, im Rechtsverkehre, namentlich im Forderungs- und Sachenrechte, den übrigen Rechtssubjekten gleichgestellt werden müssen, insbesondere Forderungen und dingliche Rechte wenigstens sicherungshalber erwerben, sie verlieren darüber verfügen und als parteifähig darüber Rechtsstreitigkeiten führen können".

Nach diesem Maßstab ist nach Auffassung des Senats auch im Rahmen des neugeschaffenen § 1712 BGB noch nicht geborenen Kindern korrespondierend zu einer hierauf erstreckten Rechtsfähigkeit auch die zugehörige Parteifähigkeit zuzuerkennen. Nur so wird dem Rechtsprinzip der beschränkten Rechtsfähigkeit Genüge getan und nur so können noch nicht geborene Kinder von ihren Rechten sinnvoll Gebrauch machen. Insbesondere gilt dies, soweit es um vorgeburtliche Klagen auf Feststellung der Vaterschaft geht. Insoweit hat nämlich der Kreis Steinburg als Beistand nachvollziehbar unter Berufung auf ein Gutachten des deutschen Instituts für Vormundschaft (Der Amtsvormund 1999, 377 f.) vorgetragen, daß durch die Weiterentwicklung medizinischer Techniken mit der DNA-Analyse inzwischen ein Verfahren zur Verfügung steht, daß den herkömmlichen Blutgruppengutachten gleichwertig oder sogar überlegen ist. Diese DNA-Analyse kann durchgeführt werden, wenn dem neugeborenen Kind nach Beendigung der Geburt aus der Nabelschnur eine Blutprobe entnommen wird. Damit steht eine zuverlässige, schonende und das neugeborene Kind nicht belastende Methode für die schnelle Feststellung der Vaterschaft zur Verfügung. Die sonst erforderliche zumindest mehrmonatige Wartezeit, die aufgrund der physiologischen Zusammensetzung des Blutes des Neugeborenen bei der Erstattung herkömmlicher Gruppengutachten einzuhalten wäre, entfällt damit.

Durch die Einräumung vorgeburtlicher Rechts- und Parteifähigkeit wird dem noch ungeborenen Kind die Möglichkeit gegeben von diesen Vorteilen Gebrauch zu machen. Daß es auch im Sinne des Kindes ist, sobald wie möglich Unterhaltsansprüche durchzusetzen und zu sichern, liegt auf der Hand.

Ende der Entscheidung

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