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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 27.10.2008
Aktenzeichen: 13 WF 135/08
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 48 Abs. 2
GKG § 48 Abs. 3
Arbeitslosengeld II stellt kein Nettoeinkommen i. S. d. § 48 Abs. 3 S. 1 GKG dar, das im Rahmen der Streitwertermittlung in Ehesachen zu berücksichtigen ist (entgegen OLG Schleswig, 1. Fam.senat, Beschluss vom 28.05.2008, 8 WF 64/06, OLGR Schleswig 2008, 608 = SchlHA 2008, 319).
13 WF 135/08

Beschluss

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig am 27. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Itzehoe vom 18.09.2008 wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Das Familiengericht hat den Streitwert für das Scheidungsverfahren in dem angefochtenen Beschluss vom 18.09.2008 auf 2.000,00 € festgesetzt. Dabei ging es davon aus, dass der Antragsteller Leistungen nach dem SGB II erhielt und die Antragsgegnerin über ein monatliches Nettoerwerbseinkommen von 400,00 € verfügte.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde vom 22.09.2008, mit der er geltend macht, dass das von ihm bezogene Arbeitslosengeld II als Einkommen bei der Ermittlung des Streitwerts für das Scheidungsverfahren heranzuziehen sei. So sei es für die Feststellung der Einkommensverhältnisse der Parteien unerheblich, ob diese aus eigener Leistungsfähigkeit erwirtschaftet würden oder aber durch staatliche Zuhilfenahme. Unter Zugrundelegung der Einkünfte des Antragstellers aus Arbeitslosengeld II von monatlich 722,00 € und dem Erwerbseinkommen der Antragsgegnerin von 400,00 € errechne sich ein gemeinsames Monatseinkommen von 1.122,00 €, weshalb sich ein festzusetzender Streitwert von 3.366,00 € ergebe.

Das Familiengericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dazu ausgeführt, dass die staatlichen Unterstützungsleistungen kein Nettoeinkommen i. S. d. § 48 GKG darstellten, sondern Ausdruck der Bedürftigkeit der Parteien seien. Sofern der Mindeststreitwert von 2.000,00 € nicht mehr der wirtschaftlichen Realität entspreche, sei der Gesetzgeber gefordert.

Die Einzelrichterin hat die Sache dem Senat gemäß § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen, weil die Streitwertbemessung in diesen Fällen in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten ist.

II.

Die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG zulässige Beschwerde war zurückzuweisen.

Das Familiengericht hat zu Recht bei der Ermittlung des Streitwertes das vom Antragsteller bezogene Arbeitslosengeld II außer Betracht gelassen.

In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Handelt es sich bei der nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit um eine Ehesache, so ist für die Einkommensverhältnisse das in drei Monate erzielte Nettoeinkommen der Eheleute einzusetzen, wobei der Streitwert nicht unter 2.000,00 € angenommen werden darf, § 48 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 GKG.

Ob das seit dem 01.01.2005 eingeführte Arbeitslosengeld II als Einkommen i. S. d. § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG zu werten ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Die herrschende Meinung lehnt dies ab, da das Gesetz hinsichtlich der Gebührenberechnung mit der Bezugnahme auf das Einkommen der Eheleute ersichtlich an deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anknüpfe. Rein staatliche Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II könnten aber die individuelle Belastbarkeit der Eheleute nicht bestimmen, sondern seien gerade Ausdruck fehlender eigener Mittel der Empfänger (OLG Dresden NJW-RR 2007, 1161 ff., und FamRZ 2004, 1225, OLG Rostock FamRZ 2007, 1760 f., OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 807, OLG Hamburg OLGR 2006, 269 f. mit Anm. Götsche jurisPR-FamR 19/2006 Anm. 2, OLG Celle FamRZ 2006, 1690 f., OLG Brandenburg FamRZ 2003, 1676 f., OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1135 f., AG Vechta FamRZ 2008, 535 ff., Zöller-Herget, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 3 ZPO, Rn. 16, Stichwort "Ehesachen"). Diese Auslegung des § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG wurde vom Bundesverfassungsgericht aus verfassungsrechtlicher Sicht ausdrücklich nicht beanstandet (BVerfG FamRZ 2006, 841).

Die Gegenansicht will das Arbeitslosengeld II in die Bemessung des Streitwerts einbeziehen, da der Wortlaut des Gesetzes nicht danach differenziere, aus welcher Quelle das bezogene Einkommen stamme. Der Wortlaut des § 48 Abs. 2 GKG erkläre die Einkommensverhältnisse der Parteien ohne Rücksicht auf eine wirtschaftliche Belastbarkeit und ohne Unterscheidung nach der Einkommensquelle für maßgebend. Es lasse sich dem Gesetzeswortlaut nicht im Wege eines Umkehrschlusses entnehmen, dass die Einkommensverhältnisse ausschließlich von Nettoeinkünften, also vom Erwerbseinkommen bestimmt sein sollten. Dass der Mindestwert von 2.000,00 € gemäß § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG durch diese Auslegung seine praktische Bedeutung nahezu einbüße, liege nicht in einer zu weiten Fassung des Einkommensbegriffs begründet, sondern darin, dass der Mindestwert von 2.000,00 € inzwischen weit hinter dem zurückbleibe, was zwei Personen für drei Monate als Einkommensminimum benötigten (OLG Schleswig, 1. Senat für Familiensachen, SchlHA 2008, 319, OLG Hamm FamRZ 2006, 632, OLG Frankfurt FamRZ 2008, 535, Schneider/Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 12. Auflage 2007, Rn. 1268; Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage 2007, § 48 GKG, Rn. 38).

Der 4. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (SchlHA 2007, 391) fest, wonach der Bezug von Sozialleistungen kein für die Streitwertfestsetzung in einer Ehesache relevantes Einkommen darstellt.

Die Argumente der Gegenansicht überzeugen nicht. Bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "Einkommen" i. S. d. § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG hilft zunächst der Wortlaut der Vorschrift nicht weiter. Einkommen sind materielle Leistungen, die einer Person innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zufließen. Darüber, aus welcher Quelle dieses Einkommen stammen soll oder darf, sagt das Gesetz nichts aus.

Für die Auslegung des Einkommensbegriffs kann auch nicht die Definition des Wortes "Einkommen" in § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO herangezogen werden, wonach zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert gehören. Die Vorschriften über die Streitwertbestimmung in Ehesachen stellen nicht wie die Prozesskostenhilfevorschriften das konkret verfügbare "flüssige" Einkommen und Vermögen in den Vordergrund, sondern knüpfen an eine weitergehende Statusbetrachtung an, nach der vom dreifachen Nettomonatseinkommen der Eheleute auszugehen ist. Diese Statusbetrachtung rechtfertigt es nicht, staatliche Unterstützungsleistungen wie das Arbeitslosengeld II in die Streitwertermittlung einzubeziehen, da sich der finanzielle Status von Arbeitslosengeld II-Beziehern auf dem nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches definierten niedrigsten Niveau in Deutschland bewegt (OLG Hamburg OLGR 2006, 269 f.).

Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes sind solche Einkünfte der Eheleute außer Betracht zu lassen, die nicht Ausdruck der Leistungsfähigkeit der Parteien sind. Die Vorschrift des § 48 Abs. 2, Abs. 3 GKG beruht erkennbar auf der Zielsetzung, im konkreten Fall die Festsetzung angemessener Gebühren nach sozialen Gesichtspunkten zu ermöglichen, indem die Parteien in Ehescheidungsverfahren je nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen unterschiedlich hohe Gerichtskosten zu zahlen haben (BVerfG FamRZ 1989, 944 f. zu der bis zum 30.06.2004 geltenden gleich lautenden Vorschrift § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG a. F., OLG Hamburg OLGR 2006, 269 f., OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 807). Der Streitwert und danach die Höhe der Gerichtsgebühren soll sich nach der besseren oder schlechteren finanziellen Situation der Parteien bemessen, die sich in der Höhe ihres Einkommens und ihres Vermögens ausdrückt (OLG Brandenburg FamRZ 2003, 1676 f.).

Staatliche Unterstützungsleistungen wie das Arbeitslosengeld II sind aber gerade nicht Zeichen der Leistungsfähigkeit der Parteien, sondern vielmehr Ausdruck ihrer Bedürftigkeit. Zum Nettoeinkommen im Rahmen der Streitwertermittlung sind demgemäß nur Einkünfte zu zählen, denen eine Erwerbsleistung der Parteien zugrunde liegt (OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 807).

Das am 01.01.2005 eingeführte Arbeitslosengeld II beruht auf einer Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe. Nach seiner Struktur stellt es eine Sozialhilfe für bedürftige, aber arbeitsfähige Personen dar (OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 807, OLG Dresden NJW-RR 2007, 1161 f.). Während das Arbeitslosengeld I an die vorangegangene Erwerbstätigkeit des Empfängers anknüpft, unabhängig von der Bedürftigkeit des Empfängers gezahlt wird und eine Gegenleistung für die vor der Arbeitslosigkeit eingezahlten Beiträge in die Arbeitslosenversicherung darstellt, wird das Arbeitslosengeld II demgegenüber nur für den Fall der Bedürftigkeit gewährt. Anspruchsvoraussetzung ist nicht eine vorangegangene Erwerbstätigkeit, sondern nur die Erwerbsfähigkeit des Empfängers. Die Höhe orientiert sich nicht an vorausgegangenen Arbeitseinkünften, sondern nur am (Grund-)Bedarf des Leistungsempfängers. Dem Arbeitslosengeld II kommt keine Lohnersatzfunktion zu; es kann als Sozialhilfe für hilfsbedürftige, arbeitsfähige Personen charakterisiert werden (OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 807). Die finanziellen Verhältnisse des Empfängers von Arbeitslosengeld II sind demgemäß dadurch gekennzeichnet, dass er nur über einen Mindestbetrag verfügt, der die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht und die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichert. Die staatlichen Zuwendungen sind damit gerade Ausdruck fehlender eigener Mittel der Empfänger.

Gegen die Auffassung, dass Arbeitslosengeld II-Leistungen als Einkommen i. S. d. § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG anzusehen seien, spricht überdies, dass bei diesem Verständnis die Festlegung eines Mindestwertes auf 2.000,00 € gemäß § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG entbehrlich wäre. Dagegen kann auch nicht angeführt werden, dass der Grund für den Bedeutungsschwund des Mindeststreitwerts nicht in einer zu weiten Fassung des Einkommensbegriffs liege, sondern darin begründet sei, dass der Mindestwert von 2.000,00 € inzwischen weit hinter dem zurückbleibe, was zwei Personen für drei Monate als Einkommensminimum benötigten (OLG Schleswig, SchlHA 2008, 319, OLG Frankfurt FamRZ 2008, 535). Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung zu § 12 Abs. 2 GKG in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung mit § 48 Abs. 3 GKG zum 01.07.2004 eine inhaltlich übereinstimmende Neuregelung getroffen. Hätte hier eine Änderung herbeigeführt werden sollen, so hätte dies in der Gesetzesnovelle seinen Niederschlag gefunden (OLG Hamburg OLGR 2006, 269 f.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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