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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 28.05.2009
Aktenzeichen: 16 W 60/09
Rechtsgebiete: GVG, ArbGG, HGB


Vorschriften:

GVG § 17a
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3
ArbGG § 5 Abs. 3 S. 1
HGB § 84
Zur Frage der Arbeitnehmereigenschaft von Mitarbeitern eines großen Finanzdienstleisters, die nach dem zugrunde liegenden "Consultant Vertrag" als selbständige Gewerbetreibende i.S.v. § 84 HGB bezeichnet werden.
Beschluss

16 W 60/09

In dem Rechtsstreit

wegen Vorabentscheidung über den Rechtsweg (Arbeitsgericht)

hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter am 28. Mai 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Einzelrichters der 13. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 24. März 2009 aufgehoben.

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist zulässig.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Beschwerdewert beträgt 2.000,00 €.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt u. a. die Rückzahlung von Provisionsvorschüssen, die dem Beklagten aufgrund des im September 2003 geschlossenen ... Consultant Vertrages gezahlt wurden. Der Beklagte war aufgrund dieses Vertrages damit betraut, Privatkunden Dienstleistungen und Finanzprodukte der Klägerin zu vermitteln. Nach § 1 Nr. 1 des Vertrages war der Beklagte als selbständiger Gewerbetreibender i. S. der §§ 84 f. HGB tätig. Nach dem - bestrittenen - Vortrag der Klägerin endete das Vertragsverhältnis zum 1. Mai 2005. Ob der Beklagte nach dem Inhalt des geschlossenen Vertrages und der Handhabung der Parteien tatsächlich als selbständiger Handelsvertreter oder aber als Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen ist, ist zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin hat den Rechtsstreit beim Landgericht Kiel anhängig gemacht. Mit Beschluss vom 24. Mai 2009 hat das Landgericht Kiel sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Kiel verwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte Arbeitnehmer und nicht selbständiger Handelsvertreter sei und - hilfsweise - die Klägerin die Voraussetzungen für eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gem. § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG nicht hinreichend dargetan habe.

Gegen diesen ihr am 2. April 2009 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 16. April 2009 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte sei nicht gegeben. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist gem. den §§ 17 a Abs. 4 S. 3 GVG, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 569 ZPO).

Die Beschwerde ist auch begründet. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet. Maßgebend für die Frage, ob ein Rechtsstreit gem. § 13 GVG vor die ordentlichen Gerichte gehört, ist allein der Vortrag des Klägers einschließlich des unstreitigen Vorbringens. Es kommt nur darauf an, ob die tatsächlichen Behauptungen des Klägers, ihre Richtigkeit unterstellt, und der unstreitige Sachverhalt Rechtsbeziehungen oder Rechtsfolgen ergeben, für welche die Zuständigkeit der Zivilgerichte besteht. Abweichende Tatsachenbehauptungen des Beklagten sind in diesem Zusammenhang unbeachtlich (BGH NJW 1996, 3012; Zöller/Gummer, ZPO, 27. Aufl., § 13 GVG Rn 54).

Der Beklagte ist selbständiger Handelsvertreter und nicht Arbeitnehmer i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG (1.). Er gilt auch nicht gem. § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG als Arbeitnehmer (2.).

1. Selbständiger Handelsvertreter ist gem. § 84 HGB, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Für die Entscheidung der Frage, ob ein Vertragspartner als selbständiger Handelsvertreter tätig geworden ist oder nicht, kommt es grundsätzlich nicht so sehr auf die von den Parteien gewählte Bezeichnung, sondern vor allem auf das Gesamtbild der vertraglichen Gestaltung und die tatsächliche Handhabung an (OLG Hamm, VersR 2004, 1133).

Nach der vertraglichen Gestaltung konnte der Beklagte seine Tätigkeit im Wesentlichen frei bestimmen i. S. von § 84 Abs. 1 S. 2 HGB. Dem steht nicht entgegen, dass er nach den Vorschriften des Consultant Vertrages durch die Klägerin bei seiner Tätigkeit unterstützt wurde und einer festen Geschäftsstelle zugeordnet war. Dies entspricht den Pflichten der Klägerin als Unternehmerin gem. § 86 a HGB und ist hinsichtlich der Zuordnung zu einer festen Geschäftsstelle eine vom Beklagten zu akzeptierende unternehmerische Entscheidung im Rahmen der Kundenbetreuung. Das in § 9 geregelte Verbot, Hilfspersonen außerhalb von Hilfstätigkeiten im Rahmen der eigenen persönlichen Organisation zu beschäftigen, ist bei Einfirmenvertreter i. S. von § 92 a HGB nicht ungewöhnlich. Für einen Einfirmenvertreter ist es geradezu typisch, dass er entsprechend einem bestimmten Gestaltungsmodell des Unternehmens tätig und von diesem auch hinsichtlich der Büroorganisation unterstützt wird. Vorgaben der Klägerin zur "corporate identity" und zum "corporate design" sind deshalb für einen Einfirmenvertreter nicht ungewöhnlich. Nach dem für die Bestimmung des Rechtswegs allein maßgebenden Vortrag der Klägerin war es dem Beklagten überdies weitgehend freigestellt, die ihm angebotenen Arbeitsmöglichkeiten und Werbemittel zu nutzen oder nicht. Dass der Beklagte hauptberuflich nur für die Klägerin tätig sein durfte, spricht nicht entscheidend gegen seine Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter, weil dies beim sog. Einfirmenvertreter i. S. von § 92 a HGB gerade vorausgesetzt wird. Die tatsächliche Gestaltung des Vertragsverhältnisses würde allerdings in einem wesentlichen Punkt, nämlich der freien Bestimmung der Arbeitszeit, vom gesetzlichen Bild des Handelsvertreters gem. § 84 Abs. 1 HGB abweichen, wenn der Beklagte, wie er behauptet, feste Bürozeiten in den Räumen der Klägerin einzuhalten hätte. Nach dem insoweit maßgebenden Vortrag der Klägerin ist dem Beklagten die Benutzung seines Büros in der Geschäftsstelle in Kiel jedoch gerade freigestellt. Er kann seiner Tätigkeit auch an anderer Stelle nachgehen. Auch die für Einfirmenvertreter nicht ungewöhnliche Schulung zur Produktpalette des Unternehmens hält sich nach dem Vortrag der Klägerin im üblichen Rahmen. Für eine Stellung als selbständiger Handelsvertreter spricht im Übrigen der in § 7 des Vertrages in Anlehnung an § 89 b HGB geregelte Ausgleichsanspruch des Beklagten.

Der Beklagte ist nach alledem nach dem Gesamtbild der vertraglichen Gestaltung und der tatsächlichen Handhabung selbständiger Gewerbetreibender i. S. der §§ 84 f. HGB. Für einen Vorläufervertrag des ... Consultant Vertrages ("Mitarbeitervertrag") hat der Senat die Handelsvertretereigenschaft des dortigen Beklagten ebenfalls bejaht (Beschluss vom 3. Mai 2005, 16 W 119/04; ebenso für einen Mitarbeitervertrag im Bereich der Klägerin: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Dezember 2006, 16 W 109/06, bestätigt durch BGH VersR 2008, 641).

2. Die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts ist auch nicht gem. § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG gegeben. Danach ist ein Handelsvertreter, der wie der Beklagte Einfirmenvertreter i. S. von § 92 a HGB ist, Arbeitnehmer, wenn er während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 1.000,00 € aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen bezogen hat. Nach dem auch insoweit für die Frage des Rechtsweges maßgebenden Klägervortrag ist das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien zum 1. Mai 2005 beendet worden. Entscheidend sind also die Einkünfte vom 1. November 2004 bis zum 30. April (1. Mai) 2005. In diesen sechs Monaten hat der Beklagte nach den von der Klägerin eingereichten Unterlagen folgende Provisionen verdient:

 2.880,08 €01. - 30.11.2004
2.006,73 €01. - 31.12.2004
+ 615,79 €01. - 31.01.2005
+ 392,80 €01. - 28.02.2005
+ 456,20 €01. - 31.03.2005
+ 253,70 €01. - 30.04.2005
6.605,30 € : 6 = 1.100,88 €.

Der Beklagte hat danach in den letzten sechs Monaten seiner Tätigkeit für die Klägerin im Durchschnitt mehr als 1.000,00 € an Provisionen verdient. Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen hat er nach dem Vortrag der Klägerin nicht erhalten, er musste vielmehr, etwa für die Miete des Laptops, monatliche Beträge an die Klägerin zahlen. Dieser Abzug für im Betrieb des Handelsvertreters entstandene Aufwendungen ist bei der Bestimmung der monatlichen Durchschnittseinkünfte nach § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG nicht vorgesehen. Danach sind vielmehr laufende Aufwendungen, welche von dem Unternehmer erstattet werden, in den Verdienst einzuberechnen. Damit ist die gesetzgeberische Wertung verbunden, dass Aufwendungen von dem Handelsvertreter zu tragen sind. Es ist daher ohne Bedeutung, welche Mittel dem Handelsvertreter nach Abzug von Aufwendungen und Kosten verbleiben. Entscheidend ist sein Bruttoverdienst (BGH VersR 2008, 533 Rn 11 nach juris). Bei der Ermittlung der nach § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG anzusetzenden Beträge sind nur unbedingt entstandene Ansprüche des Handelsvertreters zu berücksichtigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und auf welche Weise sie von dem Unternehmer erfüllt worden sind (vgl. BGH VersR 2008, 641 Rn 14 nach juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Zwar ist bei einem Verweisungsbeschluss nicht über die Kosten zu entscheiden. Wird ein ergangener Verweisungsbeschluss jedoch im Beschwerdeweg angefochten, ist über die Kosten des Rechtsmittels nach den allgemeinen für die Beschwerde geltenden Grundsätzen zu entscheiden. Den Beschwerdewert hat der Senat vorsorglich für die außergerichtlichen Kosten der Parteien mit etwa einem Drittel der Hauptsache bemessen.



Ende der Entscheidung

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