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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 15.05.2003
Aktenzeichen: 2 AGH 10/02
Rechtsgebiete: BRAO


Vorschriften:

BRAO § 19 I
BRAO § 20 I Nr. 2
BRAO § 266 II
Nach Wegfall der Singularzulassung gilt § 226 Absatz 2 BRAO nunmehr für alle Bundesländer mit der Folge, dass die dort vorgeschriebene fünfjährige Wartefrist für die gleichzeitige Zulassung beim Landgericht und beim übergeordneten OLG ausnahmslos gilt. Die Vorschrift des § 20 Absatz 1 Nr. 2 BRAO, wonach die Rechtsanwaltskammern nach pflichtgemäßem Ermessen einen Rechtsanwalt auch ohne vorherige fünfjährige Tätigkeit bei einem Land- oder Amtsgericht zulassen konnten, ist im Bereich des § 226 Absatz 2 BRAO nicht mehr anwendbar.
Schleswig-Holsteinischer Anwaltsgerichtshof II. Senat Beschluss

2 AGH 10/02

In der Zulassungssache

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Anwaltsgerichtshofes am 15. Mai 2003 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.

Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die weitere lokale Zulassung bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht gemäß § 19 Abs. 1 BRAO.

Er ist am 20. Januar 1936 geboren und hat nach dem Abitur am 2. März 1956 die Erste juristische Staatsprüfung am 9. Februar 1965 und die Große juristische Staatsprüfung vor dem gemeinsamen Prüfungsamt in Hamburg am 8. November 1968 mit "vollbefriedigend" (Bl. 7 Personalakte = PA) abgelegt. Vom 2. Januar 1969 bis zum 27. Januar 1969 war er als Rechtsanwalt beim AG Pinneberg und dem LG Itzehoe zugelassen (Bl. 14, 18 PA RAK Hamburg). Seit dem 28. März 1969 war er Gerichtsassessor bei dem LG Hamburg, seit dem 6. Dezember 1971 Landgerichtsrat am selben Gericht. In der Zeit vom 19. März 1979 bis 16. September 1979 war er abgeordneter Richter am Hanseatischen OLG Hamburg. Am 18. März 1980 wurde er zum Vors. Richter am LG Hamburg ernannt. Seit 1983 war er bis zu seiner Pensionierung Vorsitzender der Zivilkammer 2 des LG Hamburg, einer Zivilkammer, die zur Hälfte allgemeine Berufungskammer war und zur anderen Hälfte Spezialkammer für Internationales Recht mit erst- und zweitinstanzlicher Zuständigkeit, einer Zuständigkeit, die nunmehr auf die Oberlandesgerichte teilweise verlagert worden ist. Mit Wirkung ab dem 31. Januar 2001 wurde er nach Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand versetzt. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit war er seit dem 24. Januar 1975 Mitglied des Justizprüfungsamtes beim Hanseatischen OLG, in der Zeit vom 1. Januar 1977 bis zum 31. März 1979 war er Referent im Gemeinsamen Prüfungsamt Hamburg, ab dem 25. Mai 1981 war er Mitglied des Gemeinsamen Prüfungsamtes in Hamburg. Seit dem 24. Juni 1971 war er zunächst Berater und seit dem 1. Januar 1976 Vorsitzender der Öffentlichen Rechtsauskunfts- und Vergleichsstelle Hamburg (Bl. 5 PA). Seit dem 14. März 2001 ist er zur Rechtsanwaltschaft beim AG Pinneberg und LG Itzehoe zugelassen (Bl. 23 PA).

Mit Schreiben vom 8. Juli 2002 (Bl. 56 PA) beantragte der Antragsteller die Zulassung zum Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht unter Hinweis darauf, dass zwar die formalen Voraussetzungen der Mindestzulassungszeit als Rechtsanwalt zum Oberlandesgericht noch nicht vorlägen, er jedoch mit Rücksicht auf seine "Ersatzzeiten als Richter am LG Hamburg" beantrage, davon abzusehen. Mit Schreiben vom 15. Juli 2002 (Bl. 60 PA) wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer nicht möglich sei - ungeachtet der unbestrittenen persönlichen Qualifikationen des Antragstellers aufgrund seiner langjährigen richterlichen Tätigkeit - diese Berufszeiten ersatzweise für die regelmäßige Wartefrist des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO heranzuziehen. Mit Schreiben vom 19. Juli 2002 (Bl. 81 PA) bat der Antragsteller um Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheides unter Hinweis darauf, dass die Antragstellerin ihren Ermessensspielraum missbraucht habe. Mit Rücksicht auf die Ausführungen der Antragsgegnerin in dem oben genannten Schreiben lege er nunmehr den Schwerpunkt auf seine Tätigkeit als "Vorsitzender der Öffentlichen Rechtsauskunfts- und Vergleichsstelle Hamburg". Seine über 30jährige Tätigkeit für diese Organisation reiche zweifelsfrei als Ersatzzeit für eine fünfjährige Anwaltstätigkeit aus.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. August 2002 (Bl. 88 PA) hat die Antragsgegnerin den Antrag auf weitere lokale Zulassung gem. §§ 20 Abs. 1 Nr. 2, 19 Abs. 3 BRAO abgelehnt. Der Gesetzeswortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO stelle auf die vorhergehende anwaltliche Tätigkeit vor Zulassung zum OLG ab. Anwaltliche Tätigkeiten dürfe nur derjenige erbringen, der formell zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sei. Der Antragsteller habe aber die von ihm vorgetragenen Tätigkeiten, die ihn seiner Auffassung nach für eine vorzeitig örtliche Zulassung prädestinierten, nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt erbracht. Es handele sich vielmehr um anderweitige qualifizierte juristische Befassung mit Gesetzgebung usw. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO sei es dem Vorstand der Antragsgegnerin im Wege einer erweiterten Auslegung nicht möglich, die von dem Antragsteller ersatzweise angegebenen Tätigkeiten für die Erfüllung der regelmäßigen Wartefrist heranzuziehen.

Gegen diesen ihm am 26. August 2002 zugestellten (Bl. 89 PA) Bescheid wendet sich der Antragsteller mit seinem am 9. September 2002 eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 3. September 2002 (Bl. 1 ff. d.A.). Er meint, die Antragsgegnerin habe mit dem angefochtenen Bescheid den rechtlichen Rahmen ihrer Entscheidungskompetenz verkannt. Die Antragsgegnerin hätte eine ermessensfehlerfreie Entscheidung treffen müssen, diesen Anforderungen sei sie nicht gerecht geworden. Sie sei nämlich zu Unrecht davon ausgegangen, dass nur vorhergehende anwaltliche Tätigkeiten die Zulassungsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO erfüllen könnten. Das sei aber nicht richtig, denn die Zulassung müsse erteilt werden, wenn der Schutzzweck des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO nicht gefährdet sei, wenn besondere Umstände vorlägen, welche die abstrakte Gefährdung des Vertrauens in die Integrität der Rechtspflege ausräumten. Ein solcher atypischer Fall sei in seinem Fall gegeben.

Er beantragt,

den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.8.2002 zu dem Az.: PA 3749 (Anlage 1) aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller gem. seinem Antrag vom 8.7.2002 als Rechtsanwalt zum Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht simultan zuzulassen,

hilfsweise, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.8.2002 zu dem Az.: PA 3749 (Anlage 1) aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden,

der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin bleibt bei ihrer Rechtsauffassung aus dem Ablehnungsbescheid und meint, dass Berücksichtigung für die Anrechnung auf die Wartezeit nur die Tätigkeit als Rechtsanwalt finden könne. Die Beratungstätigkeit für die Stadt Hamburg sei keine anwaltliche Tätigkeit gewesen. Als anwaltliche Tätigkeit für die Anrechnung auf die Wartefrist des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO könnten daher ausschließlich 19 Monate (Stand Ende Oktober 2002) berücksichtigt werden. Die langjährige richterliche Tätigkeit des Antragstellers gebiete eine vorzeitige Zulassung zum Oberlandesgericht nicht. An der Gleichwertigkeit dieser Tätigkeit mit den Aufgaben eines Rechtsanwalt bestünden allerdings keine Zweifel, allerdings sei für die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidungsfindung die Frage der inhaltlichen Gleichartigkeit der Richtertätigkeit und des Rechtsanwaltsberufs ausschlaggebend.

Nachdem der Senat in mündlicher Verhandlung am 19. Dezember 2002 darauf hingewiesen hat, dass die Frage der Anwendbarkeit von § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO nach Erweiterung des § 226 Abs. 2 BRAO auf alle Bundesländer durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zweifelhaft sei, haben beide Parteien auch zu dieser Frage umfangreich Stellung genommen und die Antragsgegnerin insbesondere hingewiesen auf eine zwischenzeitliche Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 4. März 2003 (Bl. 145 ff. d.A.).

Wegen des weiteren Vorbringens beider Parteien wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und fristgerecht bei dem zur Entscheidung angerufenen Anwaltsgerichtshof eingelegt worden (§ 21 Abs. 2 BRAO). Er ist jedoch unbegründet.

1. Nach dem in diesem Fall ausschließlich geltenden § 226 Abs. 2 BRAO kann ein bei einem Landgericht zugelassener Anwalt auf Antrag zugleich bei dem übergeordneten Oberlandesgericht zugelassen werden, wenn er fünf Jahre lang bei einem Gericht des ersten Rechtszuges zugelassen war. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Antragsteller unstreitig nicht vor, da er (abgesehen von einer kurzen Zulassung in 1969) erst seit dem 14. März 2001 als Rechtsanwalt beim Landgericht Itzehoe zugelassen ist.

a) § 226 Abs. 2 BRAO regelte ursprünglich für Bundesländer mit Simultanzulassung Ausnahmen von § 25 BRAO, wonach der bei einem Oberlandesgericht zugelassene Rechtsanwalt nicht zugleich bei einem anderen Gericht zugelassen sein durfte (Feuerich/Braun, BRAO, 5. Aufl., § 226 Rdn. 1). Dies gilt nunmehr für alle Bundesländer. § 226 Abs. 2 BRAO ist nämlich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2000 - 1 BvR 335/97 - (BVerfGE Bd. 103, Seite 1 ff. = BVerfG NJW 2001, 353 ff.) zu der Verfassungswidrigkeit des § 25 BRAO ab dem 1. Juli 2002 nunmehr wie folgt zu lesen: "Die bei den Landgerichten in den deutschen Ländern zugelassenen Rechtsanwälte können auf Antrag zugleich bei den übergeordneten Oberlandesgerichten zugelassen werden, wenn sie fünf Jahre lang bei einem Gericht des ersten Rechtszuges zugelassen waren" (vgl. auch Anwaltsgerichtshof Stuttgart, BRAK-Mitt. 2001, 231). In einer weiteren Entscheidung vom 8. Januar 2001 hat das BVerfG daran festgehalten, dass § 226 Abs. 2 BRAO verfassungsgemäß ist (BVerfG NJW 2001, 1561). Danach ist die Fünf-Jahres-Frist des § 226 Abs. 2 BRAO insbesondere mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Das BVerfG hat a.a.O. auch bestätigt, dass die in § 226 Abs. 2 BRAO enthaltene Schematisierung, eine "pauschale Regelung" (vgl. Feuerich/Braun, a.a.O., § 226 Rdn. 18 ff. m.w.N.), ein zulässiges Mittel gesetzgeberischer Generalisierung sei und es damit für zulässig angesehen, dass der Gesetzgeber, indem er auf die Dauer der Zulassung, nicht aber auf die Dauer einer im Einzelnen zu belegenden Tätigkeit abstellt, aus Gründen der Verwaltungsvereinbarung von einer Einzelfallprüfung abgesehen hat. An dieser zulässigen pauschalierten Betrachtungsweise ist danach festzuhalten. Der Antragsteller kann sich somit nicht darauf berufen, dass er durch anderweitige Tätigkeiten die berufliche Erfahrung erworben habe, die das Erfordernis fünfjähriger Tätigkeit bei einem Gericht des ersten Rechtszuges sichern soll.

b) Soweit der Antragsteller sich auf die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO beruft, die der Justizverwaltung ein Ermessen einräume, greifen diese Erwägungen nicht mehr, denn diese Vorschrift ist nunmehr im Bereich des § 226 Abs. 2 BRAO unanwendbar (Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl., § 20 Rdn. 40 ff., § 226, Rdn. 28 ff., 32; AGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 4.3.2003, 1 AGH 1/03, dort Seite 4). Es hat vielmehr bei der bisherigen Auslegung des § 226 Abs. 2 BRAO zu verbleiben, wonach vor Wegfall der Singularzulassung galt, dass die dort vorgeschriebene fünfjährige Wartefrist für die gleichzeitige Zulassung beim Landgericht und dem übergeordneten Oberlandesgericht eine generelle und abschließende Regelung war und Ausnahmen von der Wartefrist nicht zulässig waren (BGH BRAK-Mitt. 1999, 186; BGH NJW-RR 1999, 640; BGH AnwBl. 1998, 663; BGHZ 82, 333). Was das Verhältnis von § 226 Abs. 2 BRAO zu § 20 Abs. 1 Nr. 2 (ehemals § 20 Abs. 1 Nr. 4) BRAO anbelangt, so hat der Bundesgerichtshof (in BGHZ 82, 333 ff.) ausgeführt, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers, die dem § 226 Abs. 2 BRAO zugrunde liege, beim Oberlandesgericht nur Anwälte tätig werden sollen, welche durch eine mindestens fünfjährige anwaltliche Berufserfahrung bereits eine gewisse Erfahrung gesammelt hätten. Von diesem Grundsatz, der auch für die Singularzulassung gelte, lasse das Gesetz durch die Bestimmung des § 20 Abs. 1 Nr. 4 BRAO a. F. zwar Ausnahmen zu; für ihre Anwendung bestehe aber in den Bezirken mit Simultanzulassung keine Notwendigkeit. Wo die Zulassung beim Oberlandesgericht nach § 25 BRAO zwangsläufig den Verlust der Zulassung beim Landgericht und Amtsgericht nach sich ziehe, bestehe das Bedürfnis nach einer flexiblen Regelung. Dies könne aber nicht auftreten, wo die Rechtsanwälte - wie in den Bezirken mit Simultanzulassung - ihre bisherige Praxis beim Landgericht und Amtsgericht auch nach der Zulassung am Oberlandesgericht weiterführen dürften. Daran zeige sich, dass § 226 Abs. 2 BRAO keine Regelungslücke enthalte und in seinem Bereich die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 4 BRAO a. F., der allein in Zusammenhang mit § 25 BRAO stehe, ausgeschlossen sei.

Nur dort, wo das Prinzip der Singularzulassung galt, konnte nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO die Landesjustizverwaltung (später die Rechtsanwaltskammern) nach pflichtgemäßem Ermessen ohne vorherige fünfjährige Tätigkeit bei einem Land- oder Amtsgericht einen Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht zulassen. Die Ausnahmeregelung in § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO sollte dem Bedürfnis nach einer flexiblen Regelung Rechnung tragen, um den singular bei dem Oberlandesgericht tätigen Rechtsanwälten die Möglichkeit zu eröffnen, auch auf Bewerber zurückgreifen zu können, die noch nicht so lange als Rechtsanwälte tätig waren und mithin nicht durch die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Oberlandesgericht auf die Früchte ihrer bisherigen Tätigkeit als Rechtsanwalt mit einer amts- und landgerichtlichen Praxis verzichten mussten. Dieses Bedürfnis konnte naturgemäß im Bezirk mit Simultanzulassung nicht auftreten (vgl. AGH Rheinland-Pfalz, a.a.O., Seite 5). Der Gesetzgeber hat daher die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 4 BRAO a. F. seinerzeit in den Ländern mit Simultanzulassung bewusst ausschließen wollen, wie aus der ursprünglich unterschiedlichen Fassung der Absätze 2 und 3 des § 226 BRAO abzuleiten ist (AGH Rheinland-Pfalz a.a.O., Seite 6). Da die Voraussetzungen für die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO im Sinne eines Regel-Ausnahmeverhältnisses nicht mehr gegeben sind, ist daher ein Anwendungsfall für diese Vorschrift in keinem Fall mehr denkbar (Feuerich/Weyland, a.a.O., 6. Aufl., § 20 Rdn. 42). Daran hat sich auch im Lichte der vorgenannten Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen nichts geändert. Das BVerfG hat lediglich die Singularzulassung zugunsten der Simultanzulassung abgeschafft, um insoweit Ungleichbehandlungen zu vermeiden. Das bedeutet aber nicht, dass damit die nach der BRAO geforderten Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim Oberlandesgericht gegenüber dem bisherigen Rechtszustand erleichtert werden sollten. Die Voraussetzungen des § 226 Abs. 2 BRAO werden durch diese Entscheidungen nicht berührt, denn nicht die Simultanzulassung, sondern die Zulassung zum Oberlandesgericht als solche ist in § 226 Abs. 2 an die fünfjährige Wartezeit gebunden (Feuerich/Weyland, a.a.O.). Würde man also der Ansicht des Antragstellers folgen, könnte nach dem Fortfall der Singularzulassung entgegen der Vorschrift des § 226 Abs. 2 BRAO der Antragsteller unter erleichterten Voraussetzungen zugelassen werden. Für diesen Fall aber müsste § 226 Abs. 2 BRAO insgesamt anders interpretiert werden, d.h. insbesondere im Wege teleologischer Interpretation nunmehr ein Regelausnahmeverhältnis zwischen § 226 Abs. 2 BRAO und § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO dahingehend angenommen werden, dass nur regelmäßig die Wartezeit fünf Jahre betrage, aber davon Ausnahmen entsprechend § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO möglich sein sollten. Diese Interpretation müsste dann für alle Bundesländer gelten, also auch für diejenigen mit bisheriger Simultanzulassung, um insoweit eine erneute ungleiche Behandlung zu vermeiden. Solches aber lässt sich nicht ansatzweise aus den vorgenannten Entscheidungen des BVerfG ablesen.

Ist somit § 226 Abs. 2 BRAO mit seinem bisherigen Geltungsumfang und -inhalt auf den Antragsteller anzuwenden, dann kann ihm die Zulassung beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht derzeit noch nicht erteilt werden.

2.

Wollte man entgegen vorstehenden Ausführungen § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO nicht als obsolet ansehen, würde auch das dem Antragsteller nicht zum Erfolg verhelfen. Der AGH Rheinland-Pfalz ist zwar davon ausgegangen, dass die Sollvorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO den Rechtsanwaltskammern noch einen allerdings eng begrenzten Ermessensspielraum belässt. Dies wird damit begründet, dass § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO auch nach der Änderung des § 20 Abs. 1 durch Art. 3 § 14 des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001 (BGBl. I Seite 226) beibehalten worden ist. Diese Gesetzesänderung, durch die aus der bisherigen Nr. 4,die Nr. 2 in § 20 Abs. 1 BRAO wurde, erfolgte zu einem Zeitpunkt, als die Entscheidung des BVerfG zu § 25 BRAO schon ergangen war. Sie mag zwar, da zeitlich der Verkündung des vorgenannten Gesetzes naheliegend, den zuständigen Gesetzgebungsorgan bei der vorgenannten Gesetzesänderung nicht so recht im Bewusstsein gewesen sein, sie war aber immerhin in der Welt. Die zweite und dritte Lesung der Gesetzesentwürfe im Deutschen Bundestag zum Lebenspartnerschaftsgesetz fand am 10. November 2000 statt, der Bundesrat befasste sich am 1. Dezember 2000 mit den Gesetzesbeschlüssen, der Bundespräsident fertigte das Gesetz am 16. Februar 2001 aus und verkündete es im Bundesgesetzblatt (vgl. Das Lebenspartnerschaftsgesetz, kommentierende Darstellung anhand der Materialien, Bundesanzeiger 2001, Seite 22). Auch ist nunmehr § 78 Abs. 1 Satz 2 ZPO neu gefasst worden durch Art. 1 des OLGVertrÄndG vom 23. Juli 2002 (BGBl. I 2850). Auch diese Gesetzesänderung, durch die die Postulationsfähigkeit der OLG-Anwälte erweitert worden ist, hat den Gesetzgeber nicht bewogen, die vorgenannte Vorschrift der BRAO für gegenstandslos zu erklären. Wenn insoweit von ihrer grundsätzlichen Weitergeltung ausgegangen werden müsste, so hat sie doch für diesen Fall keinen entscheidungserheblichen Inhalt mehr. Nach der Entscheidung des AGH Rheinland-Pfalz könnte die Zulassung nur erteilt werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Versagung der Zulassung als dem Antragsteller unzumutbar erscheinen zu lassen. Im vorgenannten Fall hat der AGH Rheinland-Pfalz jedoch die dort ins Feld geführte berufliche Qualifikation des Antragstellers nicht als die Annahme eines atypischen Falles, bei dem die Versagung der Zulassung unzumutbar erscheinen könnte, rechtfertigend angesehen.

Entsprechendes würde hier gelten. Zwar hat im Gegensatz zu jenem Fall der Senat mit den Parteien erörtert, dass im Falle der Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO im Lichte seiner früheren Bedeutung und der dazu ergangenen Rechtsprechung der Antragsteller zweifellos die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise vorzeitige Zulassung erfüllen würde, soweit die entscheidungserheblichen Tatsachen dem Senat unterbreitet worden sind. In Bezirken mit bisherigen Singularzulassung kamen nämlich für besonders qualifizierte Anwälte Ausnahmen von der Regel des § 20 Abs. 1 Nr. 4 BRAO a. F. in Betracht. Solche atypischen Gegebenheiten konnten zu sehen sein in einer besonderen fachlichen Qualifikation eines Bewerbers. Diese konnte geeignet sein, einen gewissen Mangel an anwaltlicher Tätigkeit und Erfahrung gegenüber dem Regelfall auszugleichen. Hatte der Antragsteller vor allem im zweiten Staatsexamen deutlich überdurchschnittliche Leistungen erbracht, bestand grundsätzlich Anlass zu überprüfen, ob eine Ausnahme in Betracht kam. Das insbesondere dann, wenn der Anwalt darüber hinaus auf zusätzliche Leistungen verweisen konnte, die ihn für die Tätigkeit als Berufungsanwalt im Zivilrecht besonders qualifizierten (Feuerich/Braun, a.a.O., 5. Aufl., Rdn. 37, 38 m.w.N.; BGH BRAK-Mitt. 1997, 126). Diese Voraussetzungen wären beim Antragsteller zu bejahen gewesen: Der Antragsteller hat im entscheidenden zweiten Staatsexamen (die Note des ersten ist nicht bekannt) eine überdurchschnittliche Leistung erbracht, nämlich das Examen mit "vollbefriedigend" abgelegt. Er ist berufslebenslang juristisch, wenn auch nicht als Rechtsanwalt, so doch als Richter tätig gewesen. Von 1983 bis 2001 war er Vorsitzender einer Berufungszivilkammer. Ende der 70er Jahre hat er im Wege der Abordnung Erfahrungen als Richter am OLG sammeln können. Schon die damalige Beurteilung (Bl. 47 PA) sowie die anderen vorgenannten Umstände zeigen, dass es sich bei dem Antragsteller um einen besonders tüchtigen, qualifizierten Juristen handelt, dem schon nach gut 2jähriger erstinstanzlicher anwaltlicher Tätigkeit zugetraut werden kann, die Aufgabe eines OLG-Anwaltes wahrnehmen zu können, ohne den hohen Leistungsstandard unter den beim OLG tätigen Rechtsanwälten zu gefährden. Wenn auch der Antragsteller nicht über die in 5 Jahren gesammelte vielfältige, breite und reichhaltige Erfahrung eines erstinstanzlichen Anwalts, insbesondere auf dessen Tätigkeitsgebiet, verfügen kann oder mag, so bieten die von ihm ausgeübten Tätigkeiten doch einen vollwertigen Ersatz, zumal er sich über nahezu 20 Jahre intensiv mit dem Berufungsrecht und demzufolge auch mit den Anforderungen hat auseinandersetzen müssen, denen auch ein Anwalt gerecht werden muss, wenn er mit Aussicht auf Erfolg das Rechtsmittel der Berufung durchführen will. Hinzu kommt die Tätigkeit des Antragstellers für die Öffentliche Rechtsauskunfts- und Vergleichsstelle in Hamburg über mehrere Jahrzehnte. Der Streit zwischen den Parteien, ob dies eine "anwaltliche Tätigkeit" sei oder nicht, ist müßig. Jedenfalls hat der Antragsteller (eidesstattlich) versichert, dass er bei allen Ratsuchenden schriftlich mit dem Gegner in Kontakt getreten sei, für sie Klagentwürfe und/oder Klagerwiderungen, Beschwerden und/oder PKH-Anträge für Berufungen gefertigt habe. Dies sind Aufgaben, die auch zum originären und wesentlichen Tätigkeitsbereich des OLG-Anwalts gehören, so dass der Antragsteller auch hier reichhaltige Erfahrungen hat sammeln können. Was seine juristische Qualifikation im Übrigen anbelangt, kann u.a. ferner auf langjährige Tätigkeiten in zwei Prüfungsämtern verwiesen werden.

Insoweit wäre nach § 41 Abs. 3 Satz 2 2. HS BRAO zu entscheiden, nämlich der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Verpflichtung der Anwaltskammer auszusprechen gewesen, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

Dass bei Anwendung der bisherigen Auslegungsgrundsätze des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO der Antragsteller mit seinem Begehren im Wesentlichen Erfolg gehabt hätte, reicht jedoch nicht aus, um unter der Geltung neuen Rechts eine Unzumutbarkeit der Versagung der Zulassung i.S.V. § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO zu bejahen. Wenn nach früherem Recht besondere Gründe es rechtfertigten, Antragsteller mit besonderer beruflicher Qualifikation vorzeitig zuzulassen, dann kann nach Wegfall dieser Gründe die berufliche Qualifikation allein kein Grund mehr für eine vorzeitige Zulassung sein. Würde man dies anders sehen wollen, hätte das zur Folge, dass entgegen oben stehenden Ausführungen nunmehr doch ein Regelausnahmeverhältnis zwischen § 226 Abs. 2 BRAO und § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO begründet würde.

Soweit ferner der Antragsteller in der letzten mündlichen Verhandlung als Gründe für eine Unzumutbarkeit vorgetragen hat, die sofortige Zulassung zum OLG sei für ihn von großer Bedeutung im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen einer Nichtzulassung und im Hinblick auf sein schon fortgeschrittenes Alter, so kann dem nicht gefolgt werden. Diese nicht näher begründeten Umstände können jedenfalls nicht ein etwaiges ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit erfüllen. Dass der Antragsteller, der nach seiner Pensionierung über entsprechende Versorgungsbezüge verfügt, aus wirtschaftlich nachvollziehbaren und erwägenswerten Gründen auf weitere Einkünfte angewiesen sein sollte, ist nicht ersichtlich. Dass der Antragsteller, der aus welchen Gründen auch immer, sich auch nach seiner Pensionierung weiterhin beruflich betätigen möchte, daran nicht gehindert ist, liegt auf der Hand. Schließlich kann er als zugelassener Rechtsanwalt tätig sein, dies lediglich nicht beim Oberlandesgericht. Wieso er einen Anspruch darauf haben sollte, auch noch beim OLG tätig sein zu dürfen, so lange er dazu alters- und gesundheitsmäßig noch in der Lage ist, erschließt sich dem Senat ebenfalls nicht. Dass der Antragsteller erstinstanzlich begonnene Mandate nicht in zweiter Instanz weiterführen kann, ist ebenfalls kein Grund, gilt dies doch für alle Rechtsanwälte, die die 5-jährige Wartezeit noch nicht erfüllt haben.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 201 Abs. 1 BRAO. Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf 30 KostO.

Einer gesonderten Zulassung der sofortigen Beschwerde bedurfte es nicht, da dem Antragsteller gegen diese Entscheidung die sofortige Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 4 BRAO zusteht.

Ende der Entscheidung

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