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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 08.04.2008
Aktenzeichen: 2 VollzWs 123/08
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 7
StVollzG § 111
StVollzG § 113
StVollzG § 114 Abs. 2
StVollzG § 116
1. Die Verpflichtung zur Neubescheidung eines zuvor abgelehnten Antrags auf Vollzugslockerungen kann die Justizvollzugsanstalt nicht schon durch (ablehnende) Fortschreibung des Vollzugsplanes erfüllen.

2. Kommt die Justizvollzugsanstalt einer gerichtlich angeordneten Bescheidungsverpflichtung nicht nach, ist hiergegen - erforderlichenfalls erneut - ein Vornahmeantrag (§ 113 StVollzG) statthaft.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht II. Strafsenat Beschluss

2 Vollz Ws 123/08 (77/08)

in der Strafvollzugssache

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 3. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel vom 31. Januar 2008 - 44 Vollz 1/08 -, mit welchem sein Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, seinen Antrag vom 22. April 2007 unter Berücksichtigung der in dem Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 4. Oktober 2007 - 2 Vollz Ws 392/07 - dargelegten Rechtsauffassung erneut zu bescheiden und hierbei die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm einen begleiteten Ausgang von mindestens 90 Minuten innerhalb des Stadtgebietes von N. zu bewilligen, zurückgewiesen worden ist, hat der II. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig nach Anhörung des Ministeriums für Justiz, Arbeit und Europa des Landes Schleswig-Holstein am 8. April 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Kiel - 3. kleine Strafvollstreckungskammer - vom 22. Februar 2008 einschließlich der zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird an die Strafvollstreckungskammer zur erneuten Entscheidung - auch zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - zurückverweisen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 300 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller verbüßt u. a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs seiner Tochter in Tateinheit mit Vergewaltigung eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Das Strafende wird zum 17. Juni 2008 eintreten. In der Hauptverhandlung hatte der Antragsteller bestritten, die ihm vorgeworfenen Taten begangen zu haben und hat sich auch im Strafvollzug auf diesen Standpunkt gestellt. Therapieversuche waren deshalb nicht erfolgreich.

Einen am 22. April 2007 gestellten Antrag auf Gewährung eines 90-minütigen unbegleiteten Ausgangs innerhalb von N. wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10. Mai 2007 zurück. Das nach Durchführung des Vollzugsbeschwerdeverfahrens durchgeführte gerichtliche Verfahren endete mit durch Beschluss des Senats vom 4. Oktober 2007 - 2 Vollz Ws 392/07 - ausgesprochener Aufhebung des erwähnten Bescheides und der Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

Dieser Verpflichtung kam die Antragsgegnerin bisher nicht im Sinne einer ausdrücklichen und förmlichen Bescheidung nach. Allerdings erstellte die Antragsgegnerin am 30. Oktober 2007 für den Antragsteller einen neuen Vollzugsplan, in dem es u. a. hieß:

"Nach Auswertung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein vom 04.10.2007:

Weiterhin Gewährung von Ausführungen zweckbezogen zur Entlassungsvorbereitung und aus sozialen Gründen.

Bei beanstandungsfreiem Verlauf einer weiteren Ausführung und nach vorheriger Einholung der Zustimmung der Staatsanwaltschaft Itzehoe gemäß VV Nr. 7 Abs. 4 zu § 11 StVollzG Prüfung der Gewährung von Ausgängen mit der Weisung "in Begleitung"...".

Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer wurde eine Wiedervorlagefrist von 3 Monaten notiert. Ausweislich eines nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens zur Akte gelangten Schriftsatzes des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vom 4. März 2008 habe die Antragsgegnerin - dies ergibt sich jedenfalls aus einer beigefügten Anlage - am 25. Februar 2008 den Vollzugsplan erneut fortgeschrieben mit dem Text "Weiterhin Gewährung von Ausgängen mit der Weisung "in Begleitung".

Die Gewährung weitergehender Vollzugslockerungen kommt vorerst nicht in Betracht.

...

Wvl zur Überprüfung nach 2 Monaten (Entlassung)".

Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 22. Februar 2008 das als solches ausgelegte Begehren des Antragstellers auf Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats und auf Gewährung eines unbegleiteten Ausgangs von mindestens 90 Minuten innerhalb des Stadtgebietes von Neumünster zurückgewiesen. Ersichtlich gehe es dem Antragsteller um einen Vornahmeantrag wegen Untätigkeit der Antragsgegnerin i. S. d. § 113 StVollzG, also um die Rechtmäßigkeit des "Liegenlassens" des ursprünglich fehlerhaft abgelehnten Antrags vom 22. April 2007. Von einem "Liegenlassen" könne jedoch nicht die Rede sein, da die Antragsgegnerin den Antragsteller zwar nicht förmlich beschieden, aber doch den Vollzugsplan fortgeschrieben habe. Hiergegen hätte der Antragsteller sich nach Durchführung des vorgeschriebenen Vorschaltbeschwerdeverfahrens im Wege einer Anfechtung gesondert wenden können, was nicht erfolgt sei.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit fristgerecht durch seinen Verfahrensbevollmächtigten eingelegter Rechtsbeschwerde, mit welcher er die Missachtung des Senatsbeschlusses vom 4. Oktober 2007 - 2 Vollz Ws 392/07 - durch die Antragsgegnerin rügt.

Das beteiligte Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa des Landes Schleswig-Holstein hat in seiner Stellungnahme vom 2. April 2008 den Umstand zwischenzeitlich beanstandungsfrei durchgeführter Ausgänge in Begleitung dargestellt und - insoweit dem erwähnten Schriftsatz des Antragstellers vom 4. März 2008 entsprechend - den per 25. Februar aktualisierten Stand der Vollzugsplanung.

II.

Die in rechter Frist und rechter Form angebrachte Rechtsbeschwerde ist im Sinne des § 116 StVollzG statthaft und hat auch in der Sache insoweit - vorläufigen - Erfolg, wie die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen war.

1. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde im Sinne des § 116 Abs. 1 StVollzG folgt bereits daraus, dass die Fallgestaltung die - vom Senat bisher nicht beschiedene - verallgemeinerbare Rechtsfrage aufwirft, ob die Antragsgegnerin der mit Senatsbeschluss vom 4. Oktober 2007 - 2 Vollz Ws 392/07 - ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats schon durch die bisherige Fortschreibung des Vollzugsplanes nachgekommen ist.

2. Aber auch in der Sache hat die Rechtsbeschwerde jedenfalls dem Grunde nach - vorläufigen - Erfolg, weil diese Rechtsfrage in dem angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer nach Auffassung des Senats unzutreffend zu Lasten des Antragstellers beantwortet worden ist.

a) Beizupflichten ist der Strafvollstreckungskammer allerdings zunächst darin, dass sie angesichts der bisher erfolgten förmlichen Nichtbescheidung des Antragstellers in der von diesem erhobenen Untätigkeitsbeschwerde i. S. d. § 113 StVollzG einen geeigneten Weg zur Verfolgung des Bescheidungsinteresses des Antragstellers gesehen hat. Dieser - u. a. auch bereits vom OLG Celle in NStZ 1990, 207 f. grundsätzlich für zulässig erachtete - Weg trägt dem Umstand Rechnung, dass das Strafvollzugsgesetz zur Vollstreckung gerichtlicher Vornahmeverpflichtungen kein gesondertes Vollstreckungsinstrumentarium bereit hält. Denn offensichtlich ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die Strafvollzugsbehörden Gerichtsentscheidungen respektieren werden oder diese Respektierung jedenfalls durch die im Rechtsbeschwerdeverfahren gemäß § 111 Abs. 2 StVollzG zu beteiligende Aufsichtsbehörde im Wege der Dienstaufsicht durchgesetzt werden kann (ebenso im Ergebnis Kamann/Volckart in Feest (Hrsg), Kommentar zum StrafVollzugsgesetz, 5. Aufl., Rn. 81 zu § 115 StVollzG). Der Senat hält diese Erwartung angesichts der im Strafvollzug strikten aufsichtsrechtlichen Gegebenheiten als keinesfalls für unberechtigt und daher in Übereinstimmung mit der schon bisher ergangenen Rechtsprechung (OLG Frankfurt, NStZ 1983, 335; OLG Karlsruhe ZfStrVO 2004, 315) auch nicht etwa § 172 VwGO (Anordnung eines Zwangsgeldes) für entsprechend anwendbar.

Anderes folgt auch nicht aus der gemäß Artikel 19 Abs. 4 GG zu gewährleistenden Effektivität gerichtlichen Rechtsschutzes. Denn kommt eine Behörde ihrer Verpflichtung zur Neubescheidung ohne Angaben nachvollziehbarer Gründe nicht nach, ist dieser Umstand im durch § 113 StVollzG erneut eröffneten Verfahren der freien Würdigung des Gerichts zugänglich. Stellt sich danach die Verweigerung der begehrten Maßnahme immer noch als Überschreitung von Beurteilungsspielraum oder Ermessensgrenzen dar und sind auch keine anderweitigen Gründe ersichtlich, die der begehrten Maßnahme entgegen stehen, kann das Gericht nach Lage des Einzelfalles durchaus von einer Reduzierung des Einschätzungs- sowie Entscheidungsermessens ausgehen und selbst die Verpflichtung der Behörde zur Gewährung der begehrten Maßnahme aussprechen. Falls das Begehren eines Antragstellers sich durch Zeitablauf zu erledigen droht, kann insoweit gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG diese Entscheidung auch im Wege einer einstweiligen Anordnung getroffen werden.

b) Nicht zu teilen vermag der Senat indessen die Auffassung der Strafvollstreckungskammer, dass ein Fall unzulässigen "Liegenlassens" schon wegen der unstreitig erfolgten Fortschreibung des Vollzugsplanes nicht vorliege.

Der Senat hatte nämlich in seinem schon erwähnten Beschluss vom 4. Oktober 2007 - 2 VollzWs 392/07 - die Antragsgegnerin nicht zu irgendeiner in näherem oder weiterem Zusammenhang zur begehrten Entscheidung stehenden Aktivität verpflichtet, sondern nach Aufhebung der als ermessensfehlerhaft erachteten Bescheide der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2007 sowie des entsprechenden Beschwerdebescheides vom 5. Juli 2007 zur exakt sich mit dem zugrunde liegenden Begehren des Antragstellers befassenden Neubescheidung. Dieser Verpflichtung ist die Antragsgegnerin nicht schon durch die bloße Fortschreibung des Vollzugsplanes nachgekommen.

Zwar soll nicht verkannt werden, dass der Gefangene grundsätzlich ein Recht auf Erstellung und ggf. Fortschreibung eines Vollzugsplanes in schriftlicher Form unter Beteiligung der Vollzugsplankonferenz hat (§ 7 Abs. 1 StVollzG) und dieser Vollzugsplan dem Gefangenen und den Vollzugsbediensteten als Orientierungsrahmen für den Ablauf des Vollzuges sowie für die Ausgestaltung der einzelnen Behandlungsmaßnahmen dient. Aufgrund dieser Vorwirkung des Vollzugsplanes sind dessen Aufstellung bzw. Fortschreibung als solche auch grundsätzlich gesondert anfechtbar (zutreffend OLG Karlsruhe, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 1 Ws 64/07 L - StraFO 2007, 519 ff.). Allerdings ändert dies nichts daran, dass Vollzugsplan und Einzelmaßnahme des Vollzuges zueinander im Verhältnis von Grundsatz und Einzelakt stehen. Trotz der eine Maßnahmenart grundsätzlich befürwortenden oder ablehnenden Planung vermag im Einzelfall eine begehrte Maßnahme gleichwohl verweigert oder gewährt zu werden. Die Existenz des Vollzugsplanes beeinflusst insoweit die Begründungslast dahin, dass Abweichungen von der generellen Planung im Einzelfall gesondert zu begründen sind (s. nur OLG Frankfurt ZfStrVO 1985, 170 f.).

Selbst wenn die Antragsgegnerin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise bisher auf die Aufnahme der Planung von Lockerungen in Gestalt unbegleiteter Ausgänge in die generelle Vollzugsplanung verzichtet haben sollte, enthebt sie dies folglich nicht der Pflicht, einen konkreten Lockerungswunsch auch konkret zu bescheiden. Dies muss um so mehr gelten, wenn sie - wie hier - diesen Weg auch eingeleitet hatte und die zunächst ergangene Bescheidung lediglich als ermessensfehlerhaft aufgehoben worden war. Liegt es derart und folgte - wie vorliegend - die Abänderung der Vollzugsplanung zeitlich nach, wird zudem die Antragsgegnerin ihre Verpflichtung zur Offenlegung der konkreten Gründe ihrer Ausübung von Beurteilungsspielraum und Entscheidungsermessen nicht dadurch verkürzen können, dass sie sich pauschal auf eine zwischenzeitlich erfolgte Änderung der Vollzugsplanung zurückzieht. Denn bei pflichtgemäßen Handeln hätte die Antragsgegnerin den Antragsteller nämlich schon zuvor oder allenfalls zeitgleich mit der Fortschreibung der Vollzugsplanung bescheiden müssen.

c) Als Rechtsbeschwerdegericht vermag der Senat nicht festzustellen, welches Stadium die Vollzugsplanung inzwischen erreicht hat, wie die begleiteten Ausführungen verlaufen sind ob und auf welche Weise und mit welchen Gründen zwischenzeitlich vielleicht die Antragsgegnerin den Antragsteller doch beschieden haben könnte. Auch vermag allein das erstinstanzliche Gericht eine etwa nach Aussetzung im Sinne des § 113 Abs. 2 Satz 1 StVollzG erfolgte Bescheidung als Erweiterung des bisherigen Sachverhalts festzustellen und im ersten Zugriff gerichtlich zu überprüfen. Von daher ist die Sache nicht entscheidungsreif (§ 119 Abs. 4 Satz 2 und 3 StVollzG) und zur erneuten Befassung der Strafvollstreckungskammer an diese zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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