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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 27.03.2003
Aktenzeichen: 2 W 10/03
Rechtsgebiete: PsychKG, FGG


Vorschriften:

PsychKG § 7
FGG § 12
Die für eine Unterbringung erforderliche erhebliche Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit des Betroffenen oder der Rechtsgüte anderer lässt sich nicht mit dem bloßen Hinweis auf die "Gefahr von Fehlhandlungen" begründen. Andere Möglichkeiten zur Gefahrenabwendung sind von Amts wegen zu ermitteln.
2 W 10/03

Beschluss

In der Unterbringungssache

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 13.1.2003 gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 17.12.2002 durch die Richter Lindemann und Schupp und die Richterin Kollorz am 27.3.2003 beschlossen: Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Beschwerdeinstanzen - an das Landgericht zurückverwiesen. Gründe:

I.

Der Betroffene wurde am 12.11.2002 in die Fachklinik H. aufgenommen. Dem lag ein Gutachten der Amtsärztin mit folgendem Wortlaut zugrunde:

"Verdachtsdiagnose: akute Psychose

Vorgeschichte: am 7.11.02 statt nach X (zuhause) mit dem Flugzeug ab HH (r) Amsterdam (r) Tel Aviv (r) Amsterdam am 11.11. den Vater in X angerufen, er möge ihn aus Amsterdam abholen, 'er sei vom Satan besessen'. Nachmittags Anruf aus Arnheim von Taxi beim Vater wegen Geldmangel, Vater wollte den Sohn mit dem Taxi nach Hause fahren lassen, darauf entschwand der Sohn. Schwester holte den Bruder nach Anruf der Polizei aus Arnheim (NL) ab THC-Cannabis-Dauerkonsument, Freitod der (?) vor 4 Jahren von Sohn miterlebt "ohne Trauer" verarbeitet

Befund: kein Realitätsbezug, keine zeitliche Orientierung zu o.a. Ereignissen

Denkzerfahren, Wahnideen wurden geäußert ('er sei jetzt Jesus')

Die Unterbringung erfolgte nach § 11 PsychKG, weil sich folgende Gefährdungssituationen nicht durch andere Maßnahmen abwenden ließen: akute Eigengefährdung"

Auf den Antrag des Beteiligten vom 12.11.2002 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 13.11.2002 die vorläufige Unterbringung des Betroffenen bis zum 25.11.2002 angeordnet und den Betroffenen am 14.11.2002 angehört. Der Richter hat folgende Erklärung zu Protokoll genommen:

"Ich bin hierher gekommen, weil ich Fehler gemacht habe. Ich denke nicht, dass ich krank bin. Mir ist klar geworden, dass ich Jesus Christus bin. In dieser Eigenschaft habe ich Versäumnisse und Fehler gemacht und Menschen enttäuscht. Deshalb erwartet mich die Höchststrafe. Die Höchststrafe ist das Fegefeuer."

Der ebenfalls anwesende Stationsarzt berichtete als Sachverständiger zusätzlich, dass der Betroffene erzählt habe, dass er in Berlin Jura studiere. Er habe bei einem Mitstudenten ein Wandbildnis gesehen und dabei sich selbst erkannt wie auch die Inschrift INRI. Ihm sei klar geworden, dass er als Jesus die Aufgabe habe, entsprechend zu wirken.

Nach der Reise nach Tel Aviv sei der Betroffene in X in eine Kirche gegangen, habe sich ausgezogen und Kerzen entzündet. Seine Schwester habe dann seine Einweisung veranlasst.

Nach neuroleptischer Behandlung beginne er sich zwar langsam von seinen Ideen zu distanzieren. Es fielen noch Denkzerfahrenheiten auf. Es bestehe die Gefahr erheblicher Fehlhandlungen. Nach den eigenen Äußerungen des Betroffenen halte er, der Sachverständige eine Unterbringung von maximal 6 Wochen für erforderlich.

Eine entsprechende Anordnung hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 14.11.2002 getroffen. Dagegen hat der Vater des Betroffenen in dessen Vollmacht sofortige Beschwerde eingelegt, darauf hingewiesen, dass der Betroffene sich freiwillig in Behandlung begeben habe und eine Selbstgefährdung auch aus den Äußerungen des Betroffenen nicht hergeleitet werden könne.

Die Berichterstatterin des Landgerichts hat am 22.11.2002 telefonisch ermittelt, dass der Betroffene sich seit 21.11.2002 auf einer offenen Station befand. Am 25.11.2002 teilte ihr der Stationsarzt telefonisch mit, dass der Unterbringungsbeschluss sich erledigt habe, da keine akute Eigen- oder Fremdgefahr mehr gegeben sei.

Mit Beschluss vom 28.11.2002 hat das Amtsgericht den Beschluss vom 14.11.2002 aufgehoben. Nachdem der Betroffene, nunmehr vertreten durch seinen Verfahrensbevollmächtigten, auf Rückfrage mit Schriftsatz vom 13.12.2002 mitgeteilt hatte, dass er seine Beschwerde mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringung aufrecht erhalte, hat das Landgericht die Beschwerde mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, dass der Betroffene am akuten Schub einer Psychose gelitten habe. Das hätten die beiden ärztlichen Gutachten nachvollziehbar ergeben. Unter dem Einfluss seiner Wahnideen habe die akute Gefahr von Fehlhandlungen bestanden, die sich insbesondere gegen den Betroffenen selbst hätten richten können. Die Gefahr habe auch nicht anders abgewendet werden können. Ihn zu seinem Vater nach Hause zu entlassen, habe sich deshalb nicht angeboten, weil er seinen Vater weder der Amtsärztin gegenüber als Vertrauensperson angegeben noch in seiner richterlichen Anhörung den Wunsch geäußert habe, zu seinem Vater entlassen zu werden.

Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, mit der er vor allem geltend macht, dass keine erhebliche Gefahr für sein Leben und seine Gesundheit bestanden habe und dass sein Vater ihn auf Rückfrage ohne weiteres aufgenommen hätte. Der Beteiligte hat dazu mit Schriftsatz vom 26.2.2003 Stellung genommen. II.

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde ist im ausgesprochenen Umfang begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung (§§ 27 FGG, 546 ZPO).

Zwar ist das Landgericht nach der Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache durch die Beendigung der Unterbringung richtigerweise auf den Feststellungsantrag des Betroffenen eingegangen. Es hätte jedoch mit dem aus der Akte ersichtlichen Sachverhalt nicht alle Voraussetzungen für die Unterbringung nach § 7 PsychKG bejahen dürfen. Das gilt sowohl für die erforderliche erhebliche Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit des Betroffenen (für eine erhebliche Gefährdung von Rechtsgütern anderer gibt der Sachverhalt nichts her) als auch für die Frage, ob eine entsprechende Gefahr nicht anders abzuwenden war.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 23.3.1998 (NJW 1998, 1774) betont, dass die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut ist, dass sie nur aus besonders gewichtigem Grund angetastet werden darf. Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs 2 S.2 GG setze auch Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidung. "Es ist unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht" (BVerfG aaO.). Der Senat hat sich mit seinen Entscheidungen vom 17.6.1999 (FamRZ 2000, 247), vom 23.11.2000 (FamRZ 2001, 938) und vom 13.9.2002 (BtPrax 2003, 41 = SchlHAnz 2003, 42) an diesen Maßstäben orientiert und Entscheidungen beanstandet, denen kein hinreichend konkreter und nachvollziehbarer Sachverhalt zugrunde lag.

Auch im vorliegenden Fall rechtfertigen die dokumentierten Tatsachen nicht den Schluss auf unmittelbar bevorstehenden Selbstmord oder bevorstehende Gesundheitsgefährdung des Betroffenen im Zeitraum der Unterbringung. Der Sachverständige hat nur von "akuter Gefahr erheblicher Fehlhandlungen" gesprochen. Wenn er damit Verhaltensweisen wie die Reise nach Tel Aviv mit ihrer Motivation oder den Auftritt in der Kirche gemeint hat, reicht das nicht für eine Freiheitsentziehung. Woraus zu schließen war, dass der Betroffene auch zur körperlichen Selbstschädigung neigte, wird nicht ersichtlich. Immerhin hatte der Betroffene seine Wahnideen schon in Berlin entwickelt und die weitere Geschichte mit der "Heimkehr" nach X zeigt eigentlich eher einen deutlichen Überlebenswillen.

Unaufgeklärt sind auch die Alternativen zur geschlossenen Unterbringung geblieben. Es reicht nicht, dass der Betroffene selbst in der Krisensituation naheliegende Möglichkeiten - wie hier die Aufnahme in seinem Vaterhaus oder bei seiner Schwester - nicht erwähnt. Wenn es - wie hier - Informationen über die privaten Verhältnisse des Betroffenen gibt, sind diese von Amts wegen auf ihre Eignung zur Unterbringungsvermeidung zu erforschen (§ 12 FGG).

Dies und die Ermittlung von Umständen zur Frage der Selbstgefährdung wird das Landgericht mit den nach §§ 12, 15 FGG (vgl. Senat FamRZ 2001, 938, 939 a.E.) zur Verfügung stehenden Mitteln nachzuholen haben.

Ende der Entscheidung

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