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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 25.01.2002
Aktenzeichen: 2 W 17/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1906
Eine Zwangsbehandlung ist im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB nicht generell unzulässig.
2 W 17/02

Beschluss

In der Betreuungssache (Unterbringung)

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten vom 16. Januar 2002 gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichtes Kiel vom 28. Dezember 2001 durch die Richter , und am 25. Januar 2002 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligte wurde mit Beschluss des Amtsgerichtes vom 11. Juni 2001 für die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Gesundheitssorge sowie Vertretung gegenüber Behörden und Institutionen zur Betreuerin der Betroffenen bestellt. Am 27. Juli 2001 hat die Beteiligte beantragt, ihren Aufgabenkreis um die Wahrnehmung der Aufenthaltsbestimmung zu erweitern und die Unterbringung der Betroffenen zu genehmigen. Das Amtsgericht hat die beantragte Genehmigung der Unterbringung mit Beschluss vom 1. November 2001 verweigert. Dagegen hat die Beteiligte fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 3. Dezember 2001 hat das Amtsgericht den Antrag auf Erweiterung des Aufgabenkreises der Beteiligten zurückgewiesen. Diesen Beschluss hat die Beteiligte nicht angefochten. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichtes vom 1. November 2001 hat das Landgericht mit Beschluss vom 28. Dezember 2001 zurückgewiesen. Das Landgericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 BGB lägen nicht vor. Die Betroffene leide zwar an einer geistig seelischen Behinderung in Form einer chronifizierten Anorexia nervosa (Magersuchterkrankung) und sei dringend behandlungsbedürftig. Sie sei jedoch hinreichend bewusstseinsklar und werde sich der erforderlichen Behandlung auch im Rahmen einer Unterbringung widersetzen. In Betracht komme daher nur eine zwangsweise Behandlung. Eine solche Behandlung sei im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB indessen nicht zulässig. Deshalb sei eine Unterbringung der Betroffenen sinnlos. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidung des Landgerichtes wird auf den Beschluss vom 28. Dezember 2001 (Bl. 53 - 55 d.A.) Bezug genommen. Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß §§ 70 m Abs. 1, 70 g Abs. 3 Satz 1, 70 m Abs. 2, 70 d Abs. 1 Nr. 3, 27 Abs. 1, 29 FGG zulässig. Sie hat in der Sache mit der Maßgabe Erfolg, dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück zu verweisen ist. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Gesetzes (§§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO).

Das Landgericht hat zu Unrecht angenommen, dass eine Zwangsbehandlung im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB generell unzulässig ist. Entsprechende Zwangsbehandlungen sind vielmehr nach den allgemein für Behandlungen geltenden Grundsätzen dann zulässig, wenn der Betroffene einwilligungsunfähig und die Zwangsbehandlung im Hinblick auf drohende gewichtige Gesundheitsschäden verhältnismäßig ist (Bundestags-drucksache 11/4528, S. 72, 140 ff). Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Landgericht zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 11. Oktober 2000 (BGHZ 145, 297), in der sich der Bundesgerichtshof unter anderem mit der Entscheidung des OLG Zweibrücken vom 16. November 1999 (FamRZ 2000, 1114) auseinandergesetzt hat. Darin heisst es vielmehr ausdrücklich:

Da der Betroffene hier bezüglich seiner Behandlungsbedürftigkeit nach den bisherigen Feststellungen nicht einwilligungsfähig ist, verhindert seine Weigerung zwar unter weiteren Voraussetzungen nicht die Behandlung, wenn sein Betreuer zustimmt. Allerdings ist bei der Beurteilung, ob gegen den Willen des nicht einsichtsfähigen Betroffenen eine Unterbringung angeordnet werden kann, zu berücksichtigen, dass das Recht auf persönliche Freiheit auch dem psychisch Kranken in gewissen Grenzen die "Freiheit zur Krankheit" einräumt (...). Diese Freiheit lässt auch bei einem einwilligungsunfähigen Betroffenen weder eine Unterbringung noch eine Zwangsbehandlung in jedem Falle als verhältnismäßig erscheinen."

Auch der Senat hat eine Zwangsbehandlung im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB in seiner Entscheidung vom 3. November 1999 (FamRZ 2000, 1122) nicht generell als unzulässig angesehen, sondern nur dann, wenn die Zwangsbehandlung unverhältnismäßig ist.

Demgemäß wäre eine Unterbringung der Betroffenen zum Zwecke der Heilbehandlung im vorliegenden Fall gemäß § 1906 Abs. 1 BGB zulässig, wenn die Betroffene einwilligungsunfähig und ihre Zwangsbehandlung im Rahmen einer Unterbringung erforderlich und im Hinblick auf drohende gewichtige Gesundheitsschäden verhältnismäßig wäre. Der bisherige Akteninhalt rechtfertigt indessen nicht die Annahme, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt wären. So hat das Landgericht nicht hinreichend aufgeklärt, ob die Betroffene im Dezember 2001 noch einwilligungsfähig war - insbesondere über die notwendige Steuerungsfähigkeit verfügte. Der Vortrag der Beteiligten in ihren Schreiben vom 18. Oktober 2001 (Bl. 24 d.A.) und 10. November 2001 (Bl. 36 ff d.A.) und das Ergebnis der richterlichen Anhörung der Betroffenen am 26. Oktober 2001 (Bl. 26 d.A.) lassen dies als zweifelhaft erscheinen. Damit hat sich das Landgericht nicht auseinander gesetzt. Es hat sich insbesondere weder den erforderlichen persönlichen Eindruck von der Betroffenen (§§ 70 m Abs. 3, 69 g Abs. 5, 68 FGG) verschafft noch ein ergänzendes Sachverständigengutachten zu dieser Frage eingeholt, obwohl nach den Gutachten des Sachverständigen Endrikat vom 11. April 2001 (Bl. 2 ff d.A.) und 2. August 2001 (Bl. 16 ff d.A.) und dem Vortrag der Beteiligten die Möglichkeit besteht, dass sich der körperliche und geistige Zustand der Betroffenen seit der letzten Begutachtung am 2. August 2001 verschlechtert hat. Das Landgericht hat ferner nicht hinreichend geklärt, ob sich der Gesundheitszustand der Betroffenen - wie von der Beteiligten bereits mit der Erstbeschwerde geltend gemacht - inzwischen so verschlechtert hat, dass die Gefahr einer gewichtigen dauerhaften Schädigung ihres Magen-Darm-Traktes und ihrer Knochensubstanz droht. Nach dem Akteninhalt bleibt insbesondere unklar, ob die Betroffene tatsächlich nur noch künstlich ernährt wird und welche Auswirkungen das gegebenenfalls auf ihren Gesundheitszustand hatte und noch haben kann. Das bedarf der weiteren Aufklärung, zumal die Betroffene nach dem Gutachten des Sachverständigen Endrikat vom 2. August 2001 durchaus in eine lebensbedrohende Situation geraten kann.

Die noch erforderlichen Ermittlungen kann der Senat im Rechtsbeschwerdever-fahren nicht selbst vornehmen. Deshalb war die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Entscheidung des Landgerichtes erweist sich insbesondere nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 BGB liegen zurzeit zwar deshalb nicht vor, weil der Aufgabenkreis der Beteiligten nicht Angelegenheiten der Aufenthaltsbestimmung und Unterbringung nach § 1906 BGB umfasst. Eine entsprechende Erweiterung ihres Aufgabenkreises hat die Beteiligte jedoch beantragt. Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 1. November 2001 ebenfalls zurückgewiesen, auch wenn er in der Beschlussformel nicht ausdrücklich erwähnt ist. Der Antrag diente nach dem Akteninhalt (Bl. 14 - 15 R.d.A.) ersichtlich nur dem Zweck, die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 1906 BGB zu schaffen. Er war daher ein notwendiger Teil des Antrages auf Genehmigung der Unterbringung, und über diesen Teil konnte im Hinblick auf den inneren Zusammenhang nur gemeinsam mit dem Genehmigungsantrag diesem entschieden werden. Anderenfalls hätte das Amtsgericht seine Entscheidung über die Genehmigung der Unterbringung schon allein darauf stützen können, dass die Unterbringung nicht zum Aufgabenkreis der Beteiligten gehörte. Das hat es jedoch gerade nicht getan. Deshalb ist es gerechtfertigt den Beschluss des Amtsgerichtes vom 1. November 2001 dahin auszulegen, dass damit zugleich der Antrag der Beteiligten auf Erweiterung ihres Aufgabenkreises zurückgewiesen worden ist. Dem steht nicht entgegen, dass das Amtsgericht die Erweiterung des Aufgabenkreises noch einmal ausdrücklich mit Beschluss vom 3. Dezember 2001 abgelehnt hat. Denn diesen Beschluss hat das Amtsgericht offenbar nur deshalb erlassen, weil das Landgericht die Akten mit dem Hinweis zurückgesandt hatte, über den Antrag auf Erweiterung der Betreuung müsse noch entschieden werden (Bl. 45 d.A.). Bei dieser Sachlage kann dem Beschluss vom 3. Dezember 2001 allenfalls klarstellende Bedeutung beigemessen werden. Einer gesonderten Anfechtung dieser Entscheidung durch die Beteiligte bedurfte es daher nicht. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 1. November 2001 reichte vielmehr aus, um auch die ablehnende Entscheidung über die Erweiterung des Aufgabenkreises anzufechten.

Die Erstbeschwerde war auch insoweit zulässig. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten folgt aus § 69 g Abs. 2 FGG, weil die Unterbringung der Betroffenen zum Zwecke der Heilbehandlung und die dafür erforderliche Erweiterung der Betreuung den der Beteiligten übertragenen Aufgabenkreis Gesundheitssorge zumindest auch betrifft (vgl. dazu grds. Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Auflage, § 69 g Rn. 23; Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Auflage, § 69 g Rn. 29).

Die Voraussetzungen des § 1896 BGB für eine Erweiterung der Betreuung liegen vor, wenn die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 BGB erfüllt sind.

Ende der Entscheidung

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