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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 10.11.2005
Aktenzeichen: 2 W 187/05
Rechtsgebiete: GG, VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003, AufenthG, FEVG, FGG


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 Art. 19 Abs. 4
AufenthG § 57
AufenthG § 62
FEVG § 3
FEVG § 7
FGG § 20
FGG § 22
FGG § 27
FGG § 29
1. Die Zurückschiebungshaft (§§ 57 Abs. 3, 62 AufenthG) soll lediglich sicher stellen, dass der unerlaubt eingereiste Ausländer die Bundesrepublik Deutschland verlässt und in das Land zurückkehrt, in das er zurückgeschoben werden darf.

2. An einem Zurückschiebungsgrund fehlt es daher, wenn der Ausländer freiwillig und auf direktem Wege in das Land ausreisen will, in das er zurückgeschoben werden soll. Es ist nicht Sinn und Zweck der Zurückschiebungshaft, die freiwillige Ausreise - sei sie nun legal oder illegal - in genau dieses Land zu verhindern.


2 W 187/05

Beschluss

In der Abschiebungshaftsache

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 13./14. September 2005 gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichtes Lübeck vom 5. September 2005 am 10. November 2005 beschlossen:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Inhaftierung des Betroffenen in der Zeit vom 24. August 2005 bis zu seiner Zurückschiebung nach Schweden am 20. September 2005 rechtswidrig war.

Die Beteiligte trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen im Erst- und Rechtsbeschwerdeverfahren nach einem Geschäftswert von 3.000,00 €.

Gründe:

I.

Der Beteiligte ist serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben erstmals am 1. Juni 1998 mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellt hier am 4. Juni 1998 einen Asylantrag. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im Folgenden: BAFL) mit Bescheid vom 5. August 2002 ab, forderte den Betroffenen zur Ausreise aus dem Bundesgebiet auf und drohte ihm die Abschiebung an. Der Bescheid ist seit dem 23. April 2003 rechtskräftig. Es ist ungeklärt, ob der Betroffene danach zunächst in sein Heimatland zurückkehrte. Nach eigenen Angaben lebte er in der Folgezeit jedenfalls etwa zwei Jahre mit seiner Familie in Schweden. Dort stellte er erneut einen Asylantrag. Auf ein Übernahmeersuchen der schwedischen Behörden vom 23. Januar 2004 erklärte sich das BAFL mit Schreiben vom 11. August 2004 zur Übernahme des Betroffenen und seiner Familie nach der VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II, Amtsblatt der EU vom 25. Februar 2003 L 50/1) bereit. Am 23. August 2005 wurde der Betroffene bei einer Pkw-Kontrolle in Puttgarden festgestellt. Er war nicht im Besitze des erforderlichen Passes und eines Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland. Auf Antrag des Beteiligten hat das Amtsgericht Oldenburg (in Holstein) mit Beschluss vom 24. August 2005 angeordnet, dass der Betroffene längstens bis zum 23. November 2005 in Abschiebungshaft zu nehmen sei. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 5. September 2005 zurückgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungen der Vorinstanzen wird auf die Beschlüsse vom 24. August 2005 (Bl. 31 f d. A.) und 5. September 2005 (Bl. 50 - 54 d.A.) Bezug genommen. Gegen den Beschluss des Landgerichts hat der Betroffene form- und fristgerecht sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Am 20. September 2005 wurde der Betroffene nach Schweden zurückgeschoben. Mit Schriftsatz vom 30. September 2005 begehrt der Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft bzw. der Haftfortdauer.

II.

Die gemäß §§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, 3, 7 FEVG, 22, 27, 29, 20 FGG, Art. 19 Abs. 4 GG nach dem Vollzug der Zurückschiebung und der vorangegangenen Haft mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung zulässige (BVerfG NJW 2002, 2456; OLG Hamm FGPrax 2004, 53) sofortige weitere Beschwerde ist begründet.

Die Inhaftierung des Betroffenen für den in den Beschlussformel bezeichneten Zeitraum ist rechtswidrig gewesen. Es hat weder ein Grund für eine Abschiebungshaft nach § 62 AufenthG noch ein Grund für eine Zurückschiebungshaft gemäß §§ 57 Abs. 3, 62 AufenthG bestanden.

Eine Abschiebungshaft des Betroffenen ist schon deshalb nicht zulässig gewesen, weil die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr für seinen Aufenthalt bzw. für die Abschiebung in sein Heimatland zuständig war. Die Zuständigkeit ist nach Art. 19 Abs. 4 der VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (im Folgenden: VO Dublin II) auf Schweden übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 VO Dublin II geht die Zuständigkeit für den Aufenthalt des Asylbewerbers auf den EG-Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung in den bislang zuständigen Mitgliedstaat nicht innerhalb von sechs Monaten nach Annahme des Antrags auf Übernahme erfolgt ist (vgl. Art. 19 Abs. 3 VO Dublin II). Das BAFL hat die Bereitschaft zur Übernahme des Betroffenen mit Schreiben vom 11. August 2004 erklärt. Eine Überstellung des Betroffenen in die Bundesrepublik Deutschland ist zu keiner Zeit erfolgt.

Die angeordnete Abschiebungshaft konnte auch nicht als Zurückschiebungshaft nach §§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG aufrecht erhalten werden. Es kann an dieser Stelle offen bleiben, ob es sich bei der Zurückschiebungshaft um einen speziellen Fall der Abschiebungshaft handelt, wofür die Verweisung in § 57 Abs. 3 AufenthG spricht (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2004 - 2 W 26/04). Nach der Rechtsprechung des Senats fehlt es jedenfalls an einem Zurückschiebungsgrund, wenn der Betroffene freiwillig und auf direktem Wege in das Land ausreisen will, in das er zurückgeschoben werden soll (Senatsbeschluss vom 12. Januar 2004 - 2 W 311/04). Es ist nicht Sinn und Zweck der Zurückschiebungshaft, die freiwillige Ausreise - sei sie nun legal oder illegal - in genau dieses Land zu verhindern. Durch die Zurückschiebungshaft soll vielmehr nur sicher gestellt werden, dass der Betroffene die Bundesrepublik Deutschland verlässt und in das Land zurückkehrt, in das er zurückgeschoben werden darf. Dieses Ziel wird indessen auch dann erreicht, wenn der Betroffene - sei es nun legal oder illegal - freiwillig in dieses Land ausreist. Unerheblich ist das Vorbringen der beteiligten Ausländerbehörde, die nach Feststellung des Betroffenen kontaktierten schwedischen Behörden hätten eine Übernahme des Betroffenen derzeit abgelehnt. Die Besorgnis der freiwilligen illegalen Ausreise reicht deshalb allein nicht aus, um eine Inhaftierung zu rechtfertigen. Das ergibt sich mittelbar auch aus § 62 AufenthG, der eine Sicherungshaft selbst bei einem ausdrücklichen Ausreiseverbot gerade nicht vorsieht.

Ist Schweden für den Aufenthalt des Betroffenen zuständig, so hatte die Zurückschiebung dorthin zu erfolgen. Nach den für den Senat grundsätzlich bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, hat der Betroffene aufgrund der in Schweden befindlichen Familie eine starke Motivation dorthin zurückzukehren. Es bestand lediglich die Besorgnis, dass er seine Zurückschiebung nicht abwarten und schon vorher (illegal) nach Schweden ausreisen würde. Bei dieser Sachlage war die Inhaftierung des Betroffenen nicht zur Sicherung der Zurückschiebung erforderlich und damit rechtswidrig.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 16 FEVG, 30 f. KostO.

Ende der Entscheidung

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