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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 31.05.2001
Aktenzeichen: 2 W 69/01
Rechtsgebiete: BGB, EGBGB


Vorschriften:

BGB § 1741 ff
EGBGB Art. 6
Die türkische Gesetzesnorm, daß nur Kinderlose adoptieren dürfen, verstößt bei ausreichender Inlandsbeziehung des Einzelfalls gegen den deutschen "ordre public".

SchlHOLG, 2. ZS, Beschluss vom 31. Mai 2001, - 2 W 69/01 -


Beschluß

2 W 69/01 3 T 139/01 LG Kiel 5 XVI 15/99 AG Neumünster

In der Adoptionssache

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die weitere Beschwerde der Beteiligten vom 23.03.2001 gegen den Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 7.03.2001 durch die Richter und am 31.05.2001 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß und der Beschluß des Amtsgerichts vom 18.01.2001 werden aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

Die Beteiligten sind türkische Staatsangehörige und seit 1965 miteinander verheiratet. Aus ihrer Ehe gingen 2 Töchter und geb. und ein Sohn hervor. Die Betroffenen stammen aus der Ehe des Sohnes mit M K. Die Beteiligten leben seit 1970/1973 in der Bundesrepublik Deutschland und haben eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die Betroffenen wuchsen seit 1990 in deren Haushalt auf. Die Ehe der Eltern der Betroffenen wurde am 20.11.1996 geschieden. Die elterliche Sorge wurde dem Vater zugesprochen. Dieser hat aus beruflichen Gründen seinen ständigen Aufenthalt in der Türkei. Die Mutter ist seit längerem wegen drohender Abschiebung untergetaucht. Durch Beschluß vom 15.10.1997 übertrug das Amtsgericht Bad Bramstedt den Beteiligten (Großeltern) die elterliche Sorge über die Betroffenen (Enkelkinder) als Vormund.

Mit notarieller Urkunde vom 31.05.1999 haben die Beteiligten beim Amtsgericht Bad Bramstedt beantragt, auszusprechen, daß die Betroffenen von ihnen als Kinder angenommen werden, sie als Geburtsnamen ihren Familiennamen erhalten und das Gericht die nach Art. 254 türkisches ZGB erforderliche Einwilligung der Betroffenen in die Annahme als Kind erklärt bzw. ersetzt. Der Vater hat in notarieller Urkunde seine Zustimmung zur Adoption durch den Beteiligten zu 1. erklärt. Über den Antrag, die Zustimmung der Mutter zur Adoption zu ersetzen, hat das Amtsgericht nicht entschieden. Das Jugendamt hat im Bericht vom 17.03.2000 die Adoption befürwortet, weil sie dem Wohl der Kinder diene. Die Gemeinsame Zentrale Adoptionsstelle hat in ihrer Stellungnahme vom 2.06.2000 im Hinblick auf Art. 253 türkisches ZGB, wonach der Annehmende keine Kinder haben darf, die Adoption für ausgeschlossen gehalten. Das Amtsgericht hat den Adoptionsantrag abgelehnt. Das Landgericht hat die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beteiligten zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß, auf den einschließlich seiner Verweisung zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird (Bl. 77/78; 59 - 61 d.A.), richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten.

Das nach §§ 27, 29 FGG zulässige Rechtsmittel ist begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Gesetzes (§§ 27 FGG, 550 ZPO).

Das Landgericht hat unter Bezugnahme auf den Beschluß des Amtsgerichts ausgeführt: Gemäß Art. 22 Satz 2, 14 Abs. 1 EGBGB (ergänzend: in Verbindung mit Art. 4 EGBGB, Art. 18 des türkischen Gesetzes Nr. 2675 über das internationale Privat - und Zivilverfahrensrecht) unterliege die Annahme durch Ehegatten dem Recht des Staates, dem beide Ehegatten angehörten, demnach hier dem türkischen Recht. Einer Annahme der Betroffenen durch die Beteiligten stehe Art. 253 türkisches ZGB entgegen. Nach dieser Bestimmung dürfe eine Annahme an Kindes statt nicht erfolgen, wenn die Annehmenden - wie hier - eheliche Abkömmlinge hätten. Die Vorschrift widerspreche nicht dem deutschen ordre public. Art. 6 EGBGB sei eng auszulegen. Er setze voraus, daß das an sich maßgebende ausländische Recht mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sei, also im konkreten Fall zu einem Ergebnis führen würde, das den Kernbereich der inländischen Rechtsordnung antasten würde. Maßgebend für den Verstoß sei, ob das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelung und der in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stehe, daß es für untragbar gehalten werde. Das sei hier im Hinblick auf § 1745 BGB zu verneinen. Auch nach deutschem Recht dürfe unter bestimmten Voraussetzungen eine Adoption nicht ausgesprochen werden. Danach müsse der Richter die Interessen der leiblichen Kinder des Annehmenden gegen die Belange des Anzunehmenden abwägen. Nach türkischem Recht habe der Gesetzgeber diese Wertung bereits vorgenommen, indem er die Interessen der leiblichen Kinder des Annehmenden als so gewichtig bewertet habe, daß eine Annahme an Kindes statt nur bei Kinderlosigkeit zulässig sei. Ein Gegensatz zum deutschen Recht sei damit zwar gegeben, als "mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar" könne die türkische Vorschrift indessen nicht bewertet werden.

Diese Ausführungen sind rechtsfehlerhaft. Zwar wird die grundsätzlich gebotene Anwendbarkeit türkischen Rechts zutreffend bejaht, indessen werden bei der Prüfung dieses Rechts an Hand des deutschen ordre public gemäß Art. 6 EGBGB (abstrakt) der rechtliche Stellenwert des Kindeswohls des Anzunehmenden und (konkret) der vorliegende Inlandsbezug außer Acht gelassen.

Nach Art. 6 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Diese Voraussetzungen sind hier in Bezug auf das absolute Adoptionshindernis wegen ehelicher Abkömmlinge nach Art. 253 (in Kraft seit 23.11.1990) türkisches ZGB entgegen der Auffassung des Landgerichts gegeben.

Das türkische Recht schützt einseitig die Familie gegen das "Eindringen unliebsamer Konkurrenz". Dies steht im diametralen Gegensatz zum deutschen Recht und der internationalen Rechtsentwicklung, welche das Kindeswohl des Anzunehmenden zumindest gleichwertig berücksichtigt (vgl. § 1745 BGB). Nach dem Zweck des deutschen Rechts liegt heute die Bedeutung der Adoption in erster Linie in der Fürsorge für Kinder, deren Eltern sich nicht um sie kümmern wollen oder können. Sie sollen auf Grund der Adoption in einer harmonischen und lebenstüchtigen Familie als Kinder aufwachsen können (BT-Drucks 7/3061 S. 1, 7/5087 S.1; Palandt-Diederichsen, BGB, 60. Aufl., Einf. vor § 1741 Rn. 1). Eine abweichende Auffassung würde die sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs.1 GG ergebenden Anforderungen, die auch für Ausländer gelten, nicht hinreichend berücksichtigen. Danach ist das Kind ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit. Es bedarf des Schutzes und der Hilfe, um sich zu einer verantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. Die Erziehung und Betreuung eines minderjährigen Kindes durch Mutter und Vater innerhalb einer harmonischen Gemeinschaft gewährleistet dabei am ehesten, daß dieses Ziel erreicht wird. Mit der Adoption soll einem Kind, das ein gesundes Zuhause entbehren mußte, eine Familie gegeben werden. Durch eine Adoption erhält das Kind eine bessere rechtliche Stellung als ein Pflegekind, weil dadurch ein Höchstmaß an Geborgenheit gesichert wird (BVerfG 79, 51, 63, 65; BGH FamRZ 1993, 316, 317; Jarass/Pieroth, GG, 4. Aufl., Art. 2 Rn. 29). Diese verfassungsrechtlich gebotene Auffassung entspricht der Entwicklung des internationalen Rechts. So bestimmt Art. 12 des Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24.04.1967 über die Adoption von Kindern vom 25.08.1980 (BGBl. II S. 1093), daß die Rechtsordnung einer Person nicht deshalb untersagen darf, ein Kind anzunehmen, weil sie ein eheliches Kind hat oder haben könnte. Allgemein ist zumindest die türkische Verfassungsrechtsprechung um Angleichung an internationale Tendenzen bemüht (Schnabel, IPRax 1993, 169, 170). Die gegenwärtige türkische Gesetzeslage ist nach allem mit dem geltenden deutschen Verfassungsrecht und dem deutschen Adoptionsrecht nicht vereinbar, weil sie generell das Kindeswohl des Anzunehmenden außer acht läßt (vgl. VGH Kassel NJW-RR 1994, 391, 393 im Umkehrschluß; AG Siegen IPRax 1993, 184; AG Recklinghausen IPRax 1982, 205 zum Gebot der Kinderlosigkeit bei der adozione ordinaria im italienischen Recht; Jayme, StAZ 1980, 301, 304, 305 wie vor; Schnabel a.a.O.).

Allerdings führt nicht jede Anwendung ausländischen Rechts, die bei einem Inlandsfall grundrechtswidrig oder sonst rechtswidrig wäre, bereits zu einer offensichtlichen Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts. Vielmehr bedarf es einer ausreichenden Inlandsbeziehung des Einzelfalls, um einen Verstoß gegen den ordre public anzunehmen (BGH a.a.O., Sonnenberger in Münchener-Kommentar, EGBGB, 3. Aufl., Art. 6 Rn 47). Diese Inlandsbeziehung ist vorliegend zweifelsfrei zu bejahen. Da der Sachverhalt insoweit geklärt ist, kann das Rechtsbeschwerdegericht diese Prüfung selbst vornehmen. Die Beteiligten halten sich seit ca. 30 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf und waren hier beruflich tätig. Die Betroffenen befinden sich seit ca. 10 Jahren in deren Haushalt und besuchen deutsche Schulen. Sie sprechen nur die deutsche Sprache. Für alle befindet sich der Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland und kommt eine Rückkehr in die Türkei nicht in Betracht. Nach allem führt die Gesamtwürdigung - auch in Anbetracht enger Auslegung des Art. 6 EGBGB - zur Annahme, daß das Ergebnis der Anwendung türkischen Rechts im konkreten Fall in untragbarem Widerpruch zu grundlegenden deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen stünde und deshalb Art. 253 türkisches Zivilgesetzbuch insoweit nicht eingreift.

Das Amtsgericht wird deshalb die Voraussetzungen einer Adoption im übrigen zu prüfen haben. Soweit das türkische Recht Bestand hat, wird dieses anzuwenden sein. Soweit durch seine Ausschaltung Lücken bestehen, wird mangels passender Vorschriften deutsches Recht als Ersatzrecht heranzuziehen sein (Palandt-Heldrich, EGBGB Art. 6 Rn. 13). Das wird vor allem für § 1745 BGB gelten. Ferner werden die Betroffenen (§§ 55 c in Verbindung mit § 50 b FGG) und - weil ihre Rechtsstellung tangiert ist - auch die beide in Deutschland lebenden Töchter der Beteiligten zur Annahme anzuhören sein. Nach der bei den Akten befindlichen Urkunde vom 8.10.1998 hat der Vater der Betroffenen bisher seine Zustimmung nur zur Annahme durch den Beteiligten zu 1., nicht hingegen auch durch die Beteiligte zu 2. erklärt. Wegen der Zustimmungserklärung der Mutter wird auf Art. 254 a türkisches ZGB hingewiesen, der grundsätzlich über Art. 23 Satz 1 (eingeschränkt durch Satz 2) EGBGB anwendbar ist.



Ende der Entscheidung

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