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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 02.06.2006
Aktenzeichen: 2 W 80/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 281 I 1
ZPO § 36 I Nr. 6
ZPO § 35
ZPO § 38 I
Vereinbaren die Parteien eines Kaufvertrags in den AGB des Verkäufers den Sitz des Verkäufers als Gerichtsstand, so spricht weder eine Vermutung für eine Ausschließlichkeit der Zuständigkeit des prorogierten Gerichts noch gegen sie. Mangels abweichender Anhaltspunkte geht der mutmaßliche Wille in diesem Fall dahin, dass der AGB-Verwender eine Ausschließlichkeit nur für Klagen gegen sich selbst herbeiführen will, während es für Aktivprozesse bei einem fakultativen Gerichtsstand bleiben soll.

Eine Verweisung an ein nach ganz überwiegender Ansicht unzuständiges Gericht ist grundsätzlich willkürlich und deshalb nicht bindend, wenn mangels Begründung nicht erkennbar ist, ob der Verweisung tatsächlich ein Abwägungsprozess und eine bewusste Entscheidung für die Minderansicht vorausgegangen ist.


2 W 80/06

Beschluss

In dem Rechtsstreit hier: Bestimmung des zuständigen Gerichts nach den §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, 37 ZPO

hat der 2.Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die Vorlage des Amtsgerichts Eckernförde vom 15. Mai 2006 durch die Richter am 2. Juni 2006 beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Eckernförde wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

Tatbestand:

Die Klägerin mit Sitz im Bezirk des Amtsgerichts Kassel macht gegen die im Bezirk Eckernförde wohnende Beklagte den Kaufpreis für Warenlieferungen geltend. Sie hat einen Mahnbescheid gegen die Beklagte erwirkt, in welchem als Streitgericht das Amtsgericht Eckernförde angegeben war. Nach Widerspruch der Beklagten ist die Akte beim Amtsgericht Eckernförde eingegangen. Die Klägerin hat den Antrag gestellt, das Verfahren an das Amtsgerichts Kassel zu verweisen, dessen Zuständigkeit in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart sei. In der von ihr beigefügten Kopie eines Bestellzettels heisst es: "Der Gerichtsstand ist für beide Teile Kassel".Durch Beschluss vom 16.02.2006 hat sich das Amtsgericht Eckernförde nach Gewährung rechtlichen Gehörs für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Kassel verwiesen. Zur Begründung hat es angeführt: "Es liegt eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen 2 Kaufleuten i.S.d. § 38 ZPO vor". Das Amtsgericht Kassel hat die Übernahme mit Beschluss vom 28.04.2006 abgelehnt und die Akte zurückgesandt. Das Amtsgericht Eckernförde hat daraufhin unter dem 15.05.2006 die Sache dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht vorgelegt).

Gründe:

Die Vorlage ist im Rahmen eines negativen Kompetenzkonfliktes nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zulässig. Zum zuständigen Gericht war das Amtsgericht Eckernförde zu bestimmen.

Das Amtsgericht Eckernförde hat den Rechtsstreit zu Unrecht an das Amtsgericht Kassel verwiesen. Eine Verweisung kommt gemäß § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur dann in Betracht, wenn das verweisende Gericht unzuständig ist. Das Amtsgericht Eckernförde ist jedoch gemäß §§ 12, 13 ZPO für die vorliegende Klage örtlich zuständig, weil die Beklagte ihren Wohnsitz im dortigen Bezirk hat.

Ob daneben noch ein weiterer allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand bei einem anderen Gericht gegeben war, ist wegen § 35 ZPO unerheblich. Denn die Klägerin hat das ihr nach der letztgenannten Vorschrift zustehende Wahlrecht zwischen dem nach §§ 12, 13 ZPO zuständigen Amtgericht Eckernförde und einem ggfs. ebenfalls zuständigen anderen Gericht bereits dadurch unwiderruflich ausgeübt, dass sie im Mahnbescheidsantrag gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO das Amtsgericht Eckernförde als das für das Streitverfahren zuständige Gericht bezeichnet hat und der entsprechend ausgefertigte Mahnbescheid zugestellt worden ist (BGH NJW 2002, 3634, NJW 1993, 1273; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 35 Rn. 2 u. § 690 Rn. 16).

Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die Parteien Kassel als ausschließlichen Gerichtsstand vereinbart hätten, so dass es der Klägerin nicht mehr frei stand, das für den Wohnsitz der Beklagten zuständige Amtsgericht Eckernförde zu wählen. Sie hätte in diesem Fall im Mahnbescheidsantrag nicht eine Wahl zwischen mehreren zuständigen Gerichten getroffen, sondern ein unzuständiges Gericht benannt, das auf Grund des Antrags der Klägerin tatsächlich an das zuständige Gericht hätte verweisen müssen (vgl. Zöller/Vollkommer a.a.O. § 696 Rn. 7). Dass ein derartiger Sachverhalt vorliegt oder vom Amtsgericht Eckernförde bei seinem Verweisungsbeschluss zumindest angenommen worden ist, ergibt sich hier jedoch weder aus der Akte noch aus einer Begründung des Verweisungsbeschluss.

Es fehlt insoweit zum einen schon an einer ausreichenden Darlegung von Tatsachen, um überhaupt eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des § 38 Abs. 1 ZPO annehmen zu können. Die Klägerin hat keine Anspruchsbegründung für das streitige Verfahren eingereicht. Sie schreibt lediglich, die Zuständigkeit des Amtsgerichts Kassel sei in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart. Jeglicher diese Behauptung ausfüllender Vortrag zu dem für § 38 Abs. 1 ZPO erforderlichen Vertragsschluss, zu einer Einbeziehung der entsprechenden AGB in den Vertrag oder zu einer Kaufmannseigenschaft der Beklagten ist aber unterblieben.

Zum anderen ergibt sich selbst dann, wenn man im Hinblick auf den für die Zuständigkeit geltenden Amtsprüfungsgrundsatz auf Sachvortrag verzichtet und sich mit der von der Klägerin eingereichten Anlage, einer Bestellliste, begnügt, aus der dortigen Formulierung zum Gerichtsstand nicht, dass hiermit ein ausschließlicher Gerichtsstand gemeint sein soll. Nach herrschender Meinung (RGZ 159, 254, 256; BGHZ 59, 116, 119; Zöller/Vollkommer, a.a.O. § 38 Rn. 14; OLG Hamburg, TranspR 2002, 111) spricht zunächst weder eine Vermutung für eine Ausschließlichkeit der Zuständigkeit eines prorogierten Gerichtes noch gegen sie. Die von der Klägerin gestellte allgemeine Geschäftsbedingung muss somit ausgelegt werden. Die Parteien selbst haben nicht vorgetragen, welche übereinstimmende Bedeutung sie der Klausel zugemessen haben; auch die Klägerin selbst als deren Verwenderin trägt nicht vor, welchen Regelungsgehalt die Klausel ihrer Ansicht nach habe. Nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur geht der mutmaßlicher Wille im Falle der Bestimmung des eigenen Firmensitzes zum Gerichtsstand dahin, dass der AGB-Verwender eine Ausschließlichkeit nur für Klagen gegen sich selbst herbeiführen will, während es für Aktiv-Prozesse wie dem vorliegenden bei einem fakultativen Gerichtsstand bleiben soll, damit die Möglichkeit der Gerichtsstandswahl nach § 35 ZPO weiterhin eröffnet ist (vgl. BGHZ 59, 116, 119; OLG Bamberg, MDR 1989, 360; OLG Hamburg NJW 1952, 1020; Graf v. Westphalen, Vertragsrecht u. AGB-Klauselwerke Bd. 3, S. 146).

Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man zugunsten der Beklagten die Unklarheitenregelung des § 305c BGB anwendet, wonach Zweifel am Inhalt der Klausel zu Lasten des AGB-Verwenders gehen müssen (OLG Düsseldorf, BauR 2002, 1601; LG Wuppertal, BauR 2002, 1286; Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl. § 9 Rn. G 138).

Das Amtsgericht Kassel ist auch nicht dadurch zuständig geworden, dass das Amtsgericht Eckernförde den Rechtsstreit mit Beschluss vom 16. Februar 2006 dorthin verwiesen hat. Ein Verweisungsbeschluss ist zwar gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO in der Regel für das Gericht, an das verwiesen worden ist, bindend und diese Bindungswirkung wirkt in dem Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach den §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO grundsätzlich fort (vgl. Zöller/Vollkommer aaO, § 36 Rn. 28). Etwas anderes gilt jedoch ausnahmsweise dann, wenn der Verweisungsbeschluss jeder Rechtsgrundlage entbehrt und daher willkürlich ist (BGH NJW 1993, 1273; BayObLG NJW-RR 1994, 891, 892). Eine solcher Ausnahmefall ist insbesondere dann gegeben, wenn ein als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands unzweifelhaft örtlich zuständiges Gericht sich darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt (BGH a.a.O.; BGH NJW 2002, 3634; BayObLGZ 1993, 317; KG Report 2002, 296; OLG Schleswig NJW-RR 2001, 646) oder eine nach § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO bindende Gerichtsstandswahl des Klägers nicht berücksichtigt hat (BGH aaO; BayObLG NJW-RR 1994, 891, 892).

In derartigen Fällen kann eine Verweisung allenfalls dann als bindend angesehen werden, wenn sie darauf zurückzuführen ist, dass das verweisende Gericht in einer Rechtsfrage von einer als herrschenden bezeichneten Auffassung abweichen will (Zöller, a.a.O., § 281 Rn. 17; BGH MDR 2002, 1450), da eine Präjuduzienbindung dem deutschen Recht grundsätzlich fremd ist. Erforderlich ist dann jedoch, dass der Verweisung an das nach ganz überwiegender Ansicht unzuständige Gericht tatsächlich ein Abwägungs- und Entscheidungsprozess vorausgegangen ist und die Entscheidung für die Minderansicht bewusst erfolgte.

Im vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich aber weder aus dem Verweisungsbeschluss noch aus dem weiteren Akteninhalt, dass sich das Amtsgericht Eckernförde mit der herrschenden Auffassung auseinandergesetzt und sie aus bestimmten Gründen nicht für zutreffend gehalten hat. Der Verweisungsbeschluss vom 16. Februar 2006 ist daher ausnahmsweise nicht bindend. Das Amtsgericht Eckernförde ist zuständig geblieben.

Ende der Entscheidung

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