Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 03.06.2005
Aktenzeichen: 2 W 86/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 37
ZPO § 281 Abs. 2 Nr. 4
BGB § 269 Abs. 1
1. Ein Verweisungsbeschluss ist objektiv willkürlich, wenn er zu einem vorangegangenen Hinweis des Gerichts im Widerspruch steht und ohne weitere Anhörung und Begründung ergeht.

2. Bei Klagen auf Schadensersatz wegen Verletzung vertraglicher Pflichten ist "streitige Verpflichtung" im Sinne des § 29 Abs. 1 ZPO diejenige Vertragspflicht, für deren Schlechterfüllung Ersatz begehrt wird. Findet die Beratung des Käufers einer Eigentumswohnung im Rahmen eines Anlagemodells durch "Repräsentanten" des Verkäufers in der Wohnung des Käufers statt, so ist Erfüllungsort nach § 269 Abs. 1 BGB für die Beratungspflicht jedenfalls bei Vorliegen eines Beratungsvertrages der Wohnsitz des Käufers.


2 W 86/05

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hier: Bestimmung des zuständigen Gerichts nach §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, 37 ZPO,

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die Aktenvorlage des Landgerichts Bochum vom 27.04. ./17.05.2005 durch die Richter am 3.06.2005 beschlossen:

Tenor:

Zum zuständigen Gericht wird das Landgericht Bochum bestimmt.

Gründe:

Mit der am 23.12.2004 beim Landgericht eingegangenen Klage hat der Kläger von den Beklagten aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen fehlerhafter Beratung Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung der ihm und seiner Ehefrau zum Zwecke der Geldanlage von der Beklagten zu 1. verkauften Eigentumswohnung, eingetragen im Wohnungsgrundbuch von Neumünster, verlangt. Dem Vertragsschluss vor dem Notar in Gütersloh gingen zwei Beratungsgespräche zwischen zwei "Repräsentanten" der Beklagten zu 1. und den Käufern in deren Wohnung in Bochum voraus. Auf die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit durch die Beklagten hat sich das Landgericht Kiel durch Beschluss vom 19.01.2005 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf den Hilfsantrag des Klägers an das Landgericht Bochum verwiesen. Dieses hat sich seinerseits durch Beschluss vom 27.04.2005 für unzuständig erklärt und die Sache dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

Die Vorlage ist nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO im Rahmen eines negativen Kompetenzkonfliktes zulässig. Zum örtlich zuständigen Gericht war das Landgericht Bochum zu bestimmen (§ 37 ZPO).

Diese Bestimmung beruht allerdings nicht auf dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts Kiel vom 19.01.2005. Dieser ist ausnahmsweise nicht nach § 281 Abs. 2 Nr. 4 ZPO bindend, weil er objektiv willkürlich ist (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 281 Rn. 17). In seiner Verfügung vom 10.01.2005 hat das Landgericht Kiel den Kläger darauf hingewiesen, es sehe sich "aus den von den Beklagten genannten Gründen (siehe insbesondere BayObLG NJW 2002, 2888") als örtlich unzuständig an. Dem Verweisungsantrag werde binnen 8 Tagen entgegengesehen. Die Beklagten hatten zuvor zur Begründung ihrer Zuständigkeitsrüge unter Bezugnahme u.a. auf die genannte Entscheidung ausgeführt, für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch wegen Verletzung eines Beratervertrages sei Erfüllungsort nicht der Ort des belegenen Grundstücks (Neumünster im Landgerichtsbezirk Kiel,) sondern der Sitz des Beraters, hier der Sitz der Erstbeklagten (Harsewinkel im Landgerichtsbezirk Bielefeld). Der Kläger hat auf die Verfügung des Landgerichts unter Hinweis auf § 29 c ZPO hilfsweise die Verweisung an das Landgericht Bochum (Ort der Beratung) beantragt, ganz hilfsweise an das Landgericht Bielefeld. Im Widerspruch zu seiner Verfügung und ohne weitere Anhörung sowie Begründung hat das Landgericht Kiel den Rechtsstreit nicht an das Landgericht Bielefeld, sondern an das Landgericht Bochum verwiesen. Der Hinweis auf die genannte Entscheidung allein vermag die Begründung schon deshalb nicht zu ersetzen, weil die Entscheidung hinsichtlich des Bedeutungsgehalts des "Ortes der Beratung" nicht eindeutig ist. Die Beratung fand beim "Repräsentanten" des Vertragspartners statt (vgl. BGH NJW 2003, 1190). Die Verweisung lässt nach allem eine Rechtsgrundlage, die überdies angesichts des ausführlichen Meinungsstreits der Parteien einer näheren Begründung bedurft hätte, nicht erkennen und ist deshalb willkürlich.

Die Zuständigkeit des Landgerichts Bochum folgt jedoch daraus, dass im Ergebnis der Erfüllungsort im Sinne der §§ 29 Abs. 1 ZPO, 269 Abs. 1 BGB nach Auffassung des Senats in seinem Bezirk liegt. Bei Klagen auf Schadensersatz wegen Verletzung vertraglicher Pflichten ist "streitige Verpflichtung" im Sinne des § 29 Abs. 1 ZPO diejenige Vertragspflicht, für deren Schlechterfüllung Ersatz begehrt wird (Zöller/Vollkommer, § 29 Rn. 25 "Schadensersatz"). Das ist hier die Beratungspflicht der Beklagten zu 1. Der Kläger trägt als Rechtsgrundlage seines Schadensersatzbegehrens die Verletzung eines Beratungsvertrages vor, der neben dem Kaufvertrag über das Wohnungseigentum zustande gekommen sein soll (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31.10.2003 - V ZR 423/02 (NJW 2004, 64, 65; vom 14.01.2005 - V ZR 260/03 - BeckRS 2005 01669). Danach beschränkt sich das Geschäftsmodell der Beklagten zu 1. nicht auf einen einmaligen Leistungsaustausch. Es bezieht vielmehr die künftige wirtschaftliche Nutzung des Objekts mit ein. Die Beklagte zu 1. bietet "Eigenheimberatung" zum Zwecke der Geldanlage - insbesondere zur Altersvorsorge - unter Ausnutzung der Vorteile des Vermögensbildungsgesetzes kombiniert mit Steuerersparnis und sicheren Mieteinnahmen (Mietpool) durch Verwaltung des Wohnungseigentums. Kernstück der Beratung ist die Ermittlung des monatlichen Eigenaufwandes. Sie soll den Käufer von der Möglichkeit überzeugen, das Objekt mit seinen Mitteln erwerben und halten zu können (BGH a.a.O. S. 65, 66). Es mag sein, dass grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhanges bei der Rückabwicklung eines Grundstückskaufvertrages wegen eines Mangels des Grundstücks der Ort der belegenen Sache als Erfüllungsort anzusehen ist. Nach Auffassung des Senats tritt entgegen der Meinung des Landgerichts Bochum hier jedoch wegen der eigenständigen Bedeutung der Beratungspflicht der Ort der belegenen Sache als Erfüllungsort bei der Rückabwicklung des Kaufvertrages in den Hintergrund. Zwar trifft es zu, dass Mängel der Kaufsache bei der Verletzung der Beratungspflicht eine Rolle spielen können, dies ist jedoch nur ein Gesichtspunkt unter anderen.

Der Ort der verletzten Beratungspflicht als Erfüllungsort ist hier entgegen der Auffassung der Beklagten nicht am Sitz der Beklagten zu 1., sondern am Wohnsitz des Klägers anzunehmen. Sämtliche Beratungsgespräche haben in seiner Wohnung stattgefunden. Der Sitz der Beklagten zu 1. war in diesem Zusammenhang unerheblich. Dieses methodische Vorgehen der Beklagten war üblich und diente zumindest auch ihren Interessen. Nur gestützt auf Werbung - etwas in Zeitungsanzeigen - ohne intensive "Betreuung" durch "Repräsentanten" der Beklagten zu 1. im häuslichen Bereich der Kunden wäre es kaum zu Vertragsabschlüssen gekommen. Demnach spielt auch der Sitz des Notars in diesem Zusammenhang keine Rolle. Denn zum Zeitpunkt der notariellen Beurkundung war die maßgebliche "Überzeugungsarbeit" bereits geleistet. Nach allem ist Erfüllungsort für die Beratungspflicht Bochum.

Andere höchstrichterliche Entscheidungen - insbesondere die von den Parteien und vom Landgericht Bochum zitierten - stehen dieser Auffassung nicht entgegen. Eine Vorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO war nicht geboten. In RGZ 70, 198 ging es um Wandlung, nicht um die Verletzung der Pflichten aus einem eigenständigen Beratungsvertrag. In BayOblG MDR 1998, 737 handelte es sich um einen Anspruch aus § 463 BGB a.F. und um Dienste eines Maklers am Ort seines Wohnsitzes oder Geschäftslokals. BGH NJW 2002, 2703 führt aus, dass die Beklage ihre Verpflichtungen aus dem Depotvertrag gemäß § 269 BGB grundsätzlich an ihrem Geschäftssitz zu erfüllen habe, dies gelte im Zweifel auch für ihre Nebenpflichten, insbesondere Auskunftspflichten. Dort waren diese Nebenpflichten aber nicht von Repräsentanten beim Kunden zu erfüllen. In OLG Hamm MDR 1989, 63 ging es um die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Kraftfahrzeug wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft, nicht um die Verletzung von Pflichten aus einem Beratungsvertrag. BayObLG NJW-RR 2002, 1502 legt sich nicht fest, sondern hält für einem Rückgewähranspruch aus CiC auch den Sitz des Verkäufers als Erfüllungsort für möglich. Auf die Frage, ob vorliegend der besondere Gerichtsstand für Haustürgeschäfte nach § 29 c ZPO gegeben ist, kam es nicht an.

Ende der Entscheidung

Zurück