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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 09.12.2003
Aktenzeichen: 2 Ws 463/03
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 f Abs. 1 Nr. 1
StGB § 248 b
StGB § 56 f Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Beschluss

In den Strafsachen

wegen Diebstahls u. a..

Auf die sofortigen Beschwerden des Verurteilten gegen die Beschlüsse der 8. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel vom 31. Oktober 2003, durch die die Strafaussetzungen zur Bewährung hinsichtlich der Reststrafen aus den Urteilen:

a) des Landgerichts Göttingen vom 12. Juni 1998, b) des Amtsgerichts Plön vom 26. Februar 2001 sowie c) des Amtsgerichts Plön vom 4. Februar 2002

widerrufen worden sind, hat der II. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig nach Anhörung der Staatsanwaltschaft am 9. Dezember 2003 beschlossen:

Tenor:

Die angefochtenen Beschlüsse werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerden einschließlich der dem Verurteilten darin erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe:

Durch Urteil des Amtsgerichts Plön vom 4. Februar 2002 ist der Verurteilte wegen Körperverletzung und Diebstahls zu 11 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Er hat in dieser Sache am 13. März 2002 die Strafhaft angetreten und bis zum 20. Oktober 2002 zwei Drittel der Strafe verbüßt.

Diese Verurteilung hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg/Niedersachsen - Außenstelle Vechta - zum Anlass genommen, um im Rahmen einer dort geführten Bewährungsaufsicht die durch Urteil des Amtsgerichts Plön vom 26. Februar 2001 bewilligte Aussetzung der Vollstreckung einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe wegen Trunkenheit im Verkehr zu widerrufen. Der Verurteilte hat vom 21. Oktober 2002 bis zum 18. Februar 2003 zwei Drittel dieser Strafe verbüßt.

Anschließend hat er bis zum 7. Juli 2003 einen Teil des restlichen Drittels einer ursprünglich auf drei Jahre Gesamtfreiheitsstrafe wegen Diebstahls u. a. lautenden Freiheitsstrafe aus einem Urteil des Landgerichts Göttingen vom 12. Juni 1998 verbüßt.

Zum 7. Juli 2003 hat die 8. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel in allen drei Sachen den Verurteilten vorzeitig aus der Strafhaft entlassen und die Vollstreckung der jeweils nicht verbüßten Reste der Strafen bis zum 7. Juli 2006 zur Bewährung ausgesetzt.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 31. Oktober 2003 hat die 8. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel in allen Sachen die bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Als Begründung hat sie angegeben, der Verurteilte sei während des Laufes der Bewährungszeit erneut straffällig geworden.

Gegen diese Beschlüsse hat der Verurteilte form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Sein Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Widerrufsbeschlüsse.

Zwar ist der grundsätzliche Ansatz der Strafvollstreckungskammer zutreffend, wonach gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB die Strafaussetzung widerrufen werden kann, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Jedoch ist spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. Oktober 2002 (StV 2003, 82 ff.) bereits umstritten, ob nach dieser Vorschrift die Strafaussetzung zur Bewährung nur noch dann widerrufen werden kann, wenn eine rechtskräftige Verurteilung wegen der neuen Straftat vorliegt. Ob die genannte Entscheidung verbindlich in diesem Sinne zu verstehen ist, erscheint zur Zeit in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte noch nicht eindeutig geklärt (vgl. hierzu etwa die Entscheidungen des Thüringischen Oberlandesgerichts Jena vom 7. Mai 2003 und des Oberlandesgerichts Celle vom 23. Juli 2003, beide StV 2003, 575). Der Senat braucht im vorliegenden Fall diese Frage nicht zu entscheiden. Denn auch nach den bisher geltenden Grundsätzen reicht im vorliegenden Fall die Tatsachengrundlage für einen Widerruf der Strafaussetzung nicht aus.

Es fehlt - jedenfalls zur Zeit - nicht nur eine rechtskräftige Verurteilung. Vielmehr liegt gar keine Verurteilung wegen einer neuen Straftat vor; nach den dem Senat vorliegenden Akten ist nicht einmal die förmliche Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Verurteilten feststellbar. Dieser selbst hat in seinem Schreiben an die Strafvollstreckungskammer vorgetragen, er sei bisher wegen des zugrunde liegenden Vorganges von der Polizei nicht als Beschuldigter vorgeladen oder vernommen worden. Zur Zeit ist lediglich feststellbar, dass der Verurteilte am 18. September 2003 im Rahmen einer polizeilichen Verkehrskontrolle ohne Fahrerlaubnis am Steuer eines nicht zugelassenen Pkw angetroffen wurde, der im Eigentum des damaligen Arbeitgebers des Verurteilten stand, welcher von der Benutzung des Pkw durch den Verurteilten nichts wusste; darüber hinaus ist in dem Polizeibericht festgehalten, dass die Polizeibeamten den Eindruck hatten, der Verurteilte habe im Zeitpunkt der Kontrolle unter Betäubungsmitteleinfluss gestanden.

Von diesen Vorgängen hat die Strafvollstreckungskammer durch einen Bericht des Bewährungshelfers des Verurteilten Kenntnis erhalten, in dem jener mitteilt, der Verurteilte habe ihm gegenüber eingeräumt, bei einer Verkehrskontrolle ohne die erforderliche Fahrerlaubnis am Steuer eines Pkw angetroffen worden zu sein.

Der Verurteilte selbst bestreitet, Betäubungsmittel eingenommen zu haben. Nach dem Inhalt der dem Senat vorliegenden Akten ist der bloße Eindruck der Polizeibeamten durch Beweismittel (Drogenschnelltest, Besitz von Betäubungsmitteln o. ä.) nicht objektiviert worden. Ob dieser Vorwurf gegen den Verurteilten im Rahmen eines möglichen Ermittlungsverfahrens aufrecht erhalten werden soll, ist nicht ersichtlich.

Hinsichtlich des offenbar jedenfalls zunächst auch gegen den Verurteilten erhobenen Vorwurfs des unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs trägt dieser vor, er habe sich nach dem Vorfall mit seinem damaligen Arbeitgeber ausgesprochen und sich bei ihm entschuldigt. Sein Arbeitgeber habe Verständnis für seine Situation gezeigt und habe daraufhin den ursprünglich gestellten Strafantrag zurück genommen. Träfe dies zu, so wäre, da § 248 b StGB ein Antragsdelikt ist, nach Rücknahme des Strafantrages (§ 77 d StGB) insoweit ein Verfahrenshindernis eingetreten und der Verurteilte könnte wegen dieses Vorwurfs nicht mehr belangt werden.

Damit verbliebe zur Zeit allenfalls der Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Auch insoweit liegt ein in einem rechtsstaatlichen Verfahren abgegebenes "Geständnis" des Verurteilten nicht vor. Richtig ist jedoch, dass der Verurteilte den Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gegenüber seinem Bewährungshelfer und gegenüber der Strafvollstreckungskammer eingeräumt hat, so dass davon auszugehen ist, dass er ihn voraussichtlich in einem möglichen Ermittlungsverfahren gegen ihn auch nicht bestreiten werden wird.

Dennoch reicht dieser Umstand allein nicht aus, um hierauf den Widerruf der Strafaussetzung zu gründen. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint nicht sicher, zu welcher Entscheidung der Staatsanwaltschaft die weiteren Ermittlungen führen werden. Für den Fall einer Anklage und einer Verurteilung bliebe abzuwarten, welches Gewicht das dann erkennende Gericht dieser Tat beimisst und zu welcher Sanktion ein mögliches Urteil gelangt. Auf der dann vorliegenden Tatsachengrundlage wäre die Strafvollstreckungskammer berufen, die Entscheidung zu treffen, ob die neuen Feststellungen den Widerruf der Strafaussetzung erfordern, oder ob andere Sanktionen hierauf (§ 56 f Abs. 2 StGB) ausreichen.

Sollte die Strafvollstreckungskammer in einem erneuten Verfahren zu gegebener Zeit zu der Auffassung gelangen, die Strafaussetzung zur Bewährung sei in allen drei Sachen zu widerrufen, so weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:

Nach den dem Senat vorliegenden Akten ist der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Plön vom 26. Februar 2001 durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer Oldenburg/Niedersachsen - Außenstelle Vechta - vom 19. April 2002 erfolgt. Aus dem zugehörigen Bewährungsheft II des Amtsgerichts Vechta ist ersichtlich, dass dem Verurteilten in dieser Sache ursprünglich durch Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts Plön vom 26. Februar 2001 die Auflage erteilt worden war, eine Geldbuße von 1.800 DM in 36 Monatsraten zu je 50 DM an die Landeskasse Schleswig-Holstein zu zahlen. Zugleich enthält diese Akte Einzahlungsbelege, die erkennen lassen, dass der Verurteilte 300 DM gezahlt hat (soweit auf dem rückwärtigen Aktendeckel der Eingang von lediglich 250 DM vermerkt ist, dürfte es sich in Anbetracht der in der Akte befindlichen Zahlungsmitteilungen der Landesbezirkskasse um einen Rechenfehler handeln). Diese Leistungen des Verurteilten werden nach § 56 f Abs. 3 Satz 1 StGB grundsätzlich im Fall des Widerrufs der Bewährung nicht erstattet. Nach Satz 2 der genannten Vorschrift kann jedoch das Gericht solche Leistungen (§ 56 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StGB) auf die Strafe anrechnen. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg hat sich zu dieser Frage in ihrem Widerrufsbeschluss vom 19. April 2002 nicht verhalten. Sollte die Strafvollstreckungskammer Kiel erneut zum Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung auch in dieser Sache gelangen, so bestünde nunmehr Anlass, zugleich über die Frage einer eventuellen Anrechnung der vom Verurteilten erbrachten Leistungen zu befinden.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von §§ 467, 473 Abs. 1 StPO.



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