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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 30.01.2007
Aktenzeichen: 6 U 55/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 513 Abs. 2
ZPO § 514 Abs. 2
ZPO § 700 Abs. 4
1. Die Berufung kann im Fall des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch darauf gestützt werden, dass das Landgericht wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit das 2. Versäumnisurteil nicht hätte erlassen dürfen. § 513 Abs. 2 ZPO steht mangels Sacharbeit des erstinstanzlichen Gerichtes nach Sinn und Zweck dieser Norm nicht entgegen.

2. Ein Verstoß der Vorinstanz gegen § 700 Abs. 4 S. 2 ZPO ist im Berufungsverfahren auch ohne Rüge in der Berufungsbegründung zu berücksichtigen.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

6 U 55/06

verkündet am: 30. Januar 2007

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig im Wege des schriftlichen Verfahrens mit Schriftsatzfrist bis zum 12. Januar 2007 durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11. August 2006 zugestellte Versäumnisurteil des Landgerichts Kiel - Kammer für Handelssachen II - aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Kiel - Kammer für Handelssachen II - zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Landgericht vorbehalten.

Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Gemäß § 538 Abs.2 Satz 1 Nr. 6 ZPO ist das angegriffene Versäumnisurteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

I.

Auf den Antrag der Klägerin hat das Amtsgericht Euskirchen am 15. Mai 2006 einen Mahnbescheid über 699,90 €, Kosten in Höhe von 139,50€ und Zinsen von 8 % über dem jeweiligen Basiszinssatz erlassen. Auf den weiteren Antrag ist am 8. Juni 2006 ein entsprechender Vollstreckungsbescheid ergangen.

Die Beklagte hat am 26. Juni 2006 beim Mahngericht eingehend Widerspruch eingelegt.

Nach antragsgemäßer Abgabe der Sache an das Landgericht Kiel - Kammer für Handelssachen - ist dort nach Eingang der Anspruchsbegründung der Klägerin vom 17. Juli 2006 das schriftliche Vorverfahren gemäß § 276 ZPO angeordnet worden.

Die Anspruchsbegründung und die Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens sind der Beklagten am 24. Juli 2007 zugestellt worden. Das angegriffene Versäumnisurteil, durch das der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Euskirchen aufrechterhalten bleibt, ist der Beklagten am 11. August 2006 zugestellt worden. Die Beklagte hat hiergegen zunächst Einspruch eingelegt und diesen in der Folgezeit zurückgenommen.

Mit ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, sie treffe kein Fall der Säumnis, zudem stehe der Klägerin kein Zahlungsanspruch ihr gegenüber zu. Es sei ihr, der Beklagten, kein wettbewerbsrechtlicher Vorwurf zu machen.

Die Beklagte beantragt,

das zweite Versäumnisurteil des Landgerichts aufzuheben und den Rechtsstreit zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Meinung, die Beklagte sei im ersten Rechtszug säumig gewesen. Ferner stehe ihr der geltend gemachte Zahlungsanspruch zu.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterliegt ein Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, der Berufung insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Ein Fall der schuldhaften Versäumung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einer Berufung gegen ein nach Erlass eines Vollstreckungsbescheids ergangenes zweites Versäumnisurteil dann nicht vor, wenn das zweite Versäumnisurteil - aus welchen Gründen auch immer - nicht (oder nicht so) ergehen durfte (vgl. BGHZ 112, 367, 372 ff.; BGHZ 141, 351, 353; BGHZ 73, 87, 90 f.; OLG Celle, OLR-Report Celle 1995, 299; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 514 Rn.8a; Musielack/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 514 Rn. 10). Dies beruht auf der Vorstellung einer Parallelität von Prüfungspflicht des Einspruchsrichters und Berufungsmöglichkeit (vgl. BGHZ 112, 367, 372). Das am 11. August 2006 zugestellte zweite Versäumnisurteil hätte wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit des Landgerichts und damit wegen Fehlens einer Sachentscheidungsvoraussetzung nicht ergehen dürfen.

§ 513 Abs. 2 ZPO steht demnach der bezeichneten Rechtsprechung und auch bereits nach seinem Wortlaut nicht entgegen. Die Vorschrift bestimmt, dass die Berufung nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Die Beklagte stützt ihre Berufung nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO aber nicht darauf, dass das Landgericht seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat, sondern neben Angriffen in der Sache darauf, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe, weil das zweite Versäumnisurteil mangels einer Sachentscheidungsvoraussetzung nicht hätte ergehen dürfen.

§ 513 Abs. 2 ZPO will verhindern, dass die Sacharbeit eines erstinstanzlichen Gerichts nur deshalb hinfällig wird, weil das Gericht lediglich örtlich nicht zuständig war (vgl. OLG Celle, a.a.O.; Zöller/Gummer/Heßler, a.a.O., § 513 Rn. 6). Bei der Verwerfung eines Einspruchs gegen einen Vollstreckungsbescheid durch ein örtlich unzuständiges Gericht ist es zu einer solchen "Sacharbeit" zu Unrecht aber noch nicht gekommen.

Das zweite Versäumnisurteil hätte ferner deshalb nicht ergehen dürfen, weil nach § 700 Abs. 4 Satz 2 ZPO die Bestimmung des § 276 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht anzuwenden war und das Landgericht auf den Einspruch der Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid Termin zur mündlichen Verhandlung hätte bestimmen müssen. Die Berufungserwiderung weist zwar zutreffend darauf hin, dass diese Umstände, aus denen sich eine weitere Rechtsverletzung ergibt, entgegen § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht in der Berufungsbegründung bezeichnet sind. Das Berufungsgericht ist aber nach § 529 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich nicht an die geltend gemachten Berufungsgründe gebunden. Lediglich auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Um einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, handelt es sich bei dem Verstoß gegen § 700 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht. Verfahrensvorschriften, deren Beachtung von Amts wegen zu prüfen ist, sind solche, die für das Funktionieren des Rechtsschutzes unerlässlich sind (vgl. Zöller, Gummer/Heßler aao. § 529 Rn 13). Die Regelung in § 700 Abs. 4 Satz 2 ZPO bewirkt bei einem Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid in diesem Sinne die Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) durch die zwingende Anordnung einer mündlichen Verhandlung. Damit soll die beklagte Partei vor den schwer wiegenden Folgen eines zweiten Versäumnisurteils nach § 345 ZPO, gegen das kein weiterer Einspruch, sondern nur die eingeschränkte Berufung nach § 514 Abs.2 ZPO möglich ist, in der Weise geschützt werden, dass jedenfalls die Möglichkeit einzuräumen ist, ihre Recht in einer mündlichen Verhandlung geltend zu machen. Erst aufgrund einer mündlichen Verhandlung kann dann ein zweites Versäumnisurteil ergehen (vgl. OLG Nürnberg, MDR 1996, 311). Mithin stellt die Regelung in § 700 Abs.4 Satz 2 ZPO eine für das Funktionieren des Rechtsschutzes unerlässliche Bestimmung dar, deren Verletzung von Amts wegen zu beachten ist.

Gemäß § 538 Abs.2 Nr. 6 ZPO ist der Rechtsstreit - unter Aufhebung des angegriffenen Versäumnisurteils - zur erneuten Verhandlung antragsgemäß an das Landgericht zurückzuverweisen. Eine Prüfung in der Sache ist unter Beachtung des umstrittenen Sachvortrages und der beiderseitigen Beweisangebote zu den Geschehnissen auf der Messe "Freizeit, Garten und Touristik" in Nürnberg am 3. März 2006 vorzunehmen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen des Berufungsverfahrens bleibt der Entscheidung des Landgerichts vorbehalten.

Die Verletzung des Grundsatzes der mündlichen Verhandlung gemäß § 700 Abs. 4 Satz 2 ZPO stellt eine unrichtige Sachbehandlung nach § 21 GKG dar, der zufolge Gerichtskosten für die Berufung nicht erhoben werden.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO. Zwar fehlt einem aufhebenden und zurückweisenden Urteil ein vollstreckungsfähiger Inhalt im eigentlichen Sinne. Nach § 717 Abs.1 ZPO entfällt bereits mit der Verkündung des Berufungsurteils die vorläufige Vollstreckbarkeit des aufgehobenen Urteils. Gleichwohl darf das Vollstreckungsorgan die Vollstreckung aus dem Urteil erster Instanz erst einstellen und bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen erst aufheben, wenn ihm die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich die Aufhebung des Ersturteils ergibt (vgl. Zöller Herget, aaO. § 708 Rn 12).

Ende der Entscheidung

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