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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 17.02.2005
Aktenzeichen: 7 U 168/03
Rechtsgebiete: StVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

StVG a.F. § 7
StVG a.F. § 17
StVG a.F. § 18
BGB § 847
BGB § 833
ZPO § 531
1. Mindestanforderungen an die Hütesicherheit einer Pferdeweide.

2. Die einfache Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeuges tritt bei einer Kollision mit einem Großtier - hier: Pony - im öffentlichen Verkehrsraum grundsätzlich vollständig hinter die ( gesteigerte ) Tiergefahr zurück.

3. Schmerzensgeldbemessung bei Querschnittlähmung ( Teraplegie ) eines 18-jährigen Kraftfahrers.

4. Zurückweisung neuen Vorbringens im Berufungsrechtszug.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Urteil Im Namen des Volkes

7 U 168/03

verkündet am: 17. Februar 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten - das am 24. November 2003 verkündete Grund- und Teilurteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger (weitere) 230.081,34 € Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen p.a. seit dem 14. Februar 2002 zu zahlen.

Der bezifferte Klaganspruch (materielle Schäden) des Klägers wird dem Grunde nach zu 100 % für berechtigt erklärt.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 26. März 1998 auf der Landesstraße 154 Höhe Österwurth zu 100 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungs- und/oder Sozialhilfeträger übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

Der Kläger nimmt den Beklagten auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 26. März 1998, begehrt des Weiteren Feststellung der umfassenden Ersatzpflicht des Beklagten für zukünftige materielle Schäden.

Am Unfalltage befuhr der Kläger die L 154 von Wesselburen in Richtung Tiebensee als Fahrer des Pkw Opel Vectra, amtliches Kennzeichen xxx. Die Geschwindigkeit des Fahrzeuges betrug ca. 80 km/h; gegen 21.25 Uhr kollidierte das Fahrzeug mit einem auf der Straße befindlichen und dem Beklagten gehörenden Pony. Das Fahrzeug überschlug sich und blieb in einem Wassergraben liegen. Der Kläger erlitt schwerste Verletzungen und ist seit dem Unfall ab dem 5. Halswirbelkörper gelähmt (sogenannte Tetraplegie).

Kurz vor der Kollision hatte ein dem Kläger auf der im Unfallbereich gerade verlaufenden Straße entgegenkommender Fahrer, ein Herr B., die Lichthupe seines Fahrzeuges betätigt.

Der Beklagte ist Viehhändler und handelt u.a. auch mit Ponys. Zur Unfallzeit befand sich neben dem an der Kollision beteiligten Pony, das ein Stockmaß von ca. 130 cm hatte, mindestens ein weiteres Tier des Beklagten im Bereich der Fahrbahn der L 154. Die Tiere waren von einer Koppel des Beklagten, die zum Unfallzeitpunkt mit einem Stacheldrahtzaun, bestehend aus zwei in unterschiedlicher Höhe angebrachten Drähten gesichert war, entwichen. Der Weideeinlass bestand ursprünglich aus drei in unterschiedlicher Höhe angebrachten Drähten, ist jedoch im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens von dem Zeugen R., dem Bruder des Beklagten, durch ein Gatter ersetzt worden.

Vorgerichtlich hat der hinter dem Beklagten stehende Haftpflichtversicherer auf den materiellen Schaden des Klägers einen Betrag in Höhe von 400.000,00 DM (204.216,75 €) gezahlt, auf das Schmerzensgeld 200.000,00 DM (102.258,37 €).

Der Kläger hat behauptet, das Pony des Beklagten sei unmittelbar vor seinem Pkw auf die Straße gelaufen, so dass er einen Zusammenstoß nicht hätte vermeiden können. Die Koppel sei durch Draht in der Höhe von lediglich 60-80 cm umzäunt gewesen. Der Kläger war - und ist - der Auffassung, insgesamt stünde ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 650.000,00 DM zu. Im Übrigen seien seine Schadensersatzansprüche vorgerichtlich mit für den Beklagten bindender Wirkung von dem hinter dem Beklagten stehenden Haftpflichtversicherer anerkannt worden.

Der Beklagte hat behauptet, das Pony habe sich schon längere Zeit auf der Fahrbahn befunden, und der Kläger habe zu spät reagiert. Die Stacheldrahtumzäunung der Koppel sei auch zur Zeit des Unfalles durch einen Hausanschluss mit Strom versorgt worden. Die Drähte seien 0,7 m (unterer Draht) bzw. 1,30 m (oberer Draht) hoch gewesen. Die Funktionsfähigkeit des Elektrozaunes sei täglich kontrolliert worden. Nach dem Unfallgeschehen habe er - der Beklagte - festgestellt, dass im Bereich des Weideeinlasses zwei Drähte und die Isolatoren abgerissen gewesen seien, dadurch hätten die Ponys die Weide verlassen können, nachdem sie aufgeschreckt worden seien.

Der Beklagte hat gemeint, zum einen seinen Verpflichtungen als gewerblicher Tierhalter in jeder Hinsicht genügt zu haben; sein Haftpflichtversicherer habe auch kein ihn bindendes Anerkenntnis abgegeben, insbesondere seien die gezahlten Beträge ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und zur freien Verrechnung gezahlt worden.

Der auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 230.081,35 € (450.000,00 DM), materiellen Schadensersatzes in Höhe von 120.301,48 € und Feststellung der vollen Ersatzpflicht des Beklagten für zukünftige materielle Schäden gerichteten Klage hat das Landgericht nach Beweisaufnahme mit dem angefochtenen Grund- und Teilurteil teilweise stattgegeben.

Den bezifferten, nach Grund und Höhe streitigen Anspruch des Klägers auf Ersatz materieller Schäden hat es dem Grunde nach zu 80 % für gerechtfertigt erklärt, in eben diesem Umfange auch dem Feststellungsbegehren des Klägers entsprochen. Darüber hinaus hat es den Beklagten verurteilt, an den Kläger (weitere) 153.378,56 € (300.000,00 DM) Schmerzensgeld zu zahlen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, Ansprüche stünden dem Kläger gemäß §§ 833 Satz 1, 847 BGB (a.F.) zu. Der Beklagte habe sich nicht gemäß § 833 Satz 2 BGB entlasten können. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Einfriedigung der Weide zum Unfallzeitpunkt eine Höhe zwischen 60 und 90 cm gehabt habe, was ein Ausbrechen der Ponys nicht habe verhindern können. Es sei gerichtsbekannt, dass ein Pony mit einem Stockmaß von 1,30 m ohne weiteres in der Lage sei, einen Zaun mit einer derartigen Höhe zu überspringen. Dabei sei es auch unerheblich, ob der Zaun durch Strom zusätzlich gesichert gewesen sei. Die Haftung des Beklagten ergebe sich darüber hinaus auch aus einem Anerkenntnis seines Haftpflichtversicherers, das den Beklagten gemäß § 5 Nr. 7 AHB binde.

Unter Berücksichtigung eines auf die Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Klägers beschränkten Mitverursachungsanteils von 20 % stehe dem Kläger ein Schmerzensgeld von insgesamt 500.000,00 DM zu, mithin weitere 153.387,56 € (300.000,00 DM).

Entsprechend sei der Feststellungsantrag auch zu 80 % berechtigt; über die streitige Höhe der bezifferten materiellen Schadensersatzansprüche sei noch Beweis zu erheben, dem Grunde nach seien die Ansprüche aber zu 80 % berechtigt.

Gegen dieses Urteil, auf das wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, haben beide Parteien Berufung eingelegt, der Kläger beantragt,

wie vom Senat erkannt,

während der Beklagte auf Zurückweisung der Berufung des Klägers sowie Abänderung des angefochtenen Urteils und Abweisung der Klage anträgt.

Der Kläger ist der Ansicht, die einfache Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeuges habe hinter dem Verschulden des Beklagten gänzlich zurückzutreten. Ein Schmerzensgeld in der von ihm erstinstanzlich begehrten Gesamthöhe sei angemessen, das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld ermessensfehlerhaft zu niedrig bemessen.

Der Beklagte hingegen meint, fehlerhaft sei das Landgericht davon ausgegangen, er habe den Entlastungsbeweis im Sinne von § 833 Satz 2 BGB nicht geführt. Die Sorgfaltspflichten des Tierhalters seien auf zumutbare Anstrengungen begrenzt. Diese habe er ergriffen. Ein vom Landgericht einzuholendes Sachverständigengutachten hätte bestätigt, dass eine Zaunhöhe von 90 cm ausreichend sei. Im Übrigen könnten sowohl der Zeuge O., der am 15.07.1998 entsprechende Fotos gefertigt habe als auch seine Ehefrau, die Zeugin Antje R., die bei Beginn des Verfahrens die Zaunhöhe nachgemessen hätte, bestätigen, dass der obere Draht eine Höhe von über 90 cm gehabt habe, die Messung durch seine Ehefrau habe eine Mindesthöhe von 1,30 m ergeben. Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei auch insoweit unzutreffend, als es der Aussage seines Bruders, des Zeugen Peter R. nicht gefolgt sei.

Weiter ist der Beklagte der Auffassung, der hinter ihm stehende Haftpflichtversicherer habe kein ihn bindendes Anerkenntnis abgegeben. Zudem müsse sich der Kläger aufgrund der Verletzung des Sichtfahrgebots und des nach Behauptung des Beklagten nicht angelegten Gurtes mindestens ein 50%iges Mitverschulden entgegenhalten lassen. Letztlich sei das ausgeurteilte Schmerzensgeld mit insgesamt 500.000,00 DM übersetzt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens der Sachverständigen W.-J., wobei diese zuvor bereits eine schriftliche Ausarbeitung zum Beweisthema zur Akte gereicht hat. Darüber hinaus wurden die Parteien persönlich gemäß § 141 ZPO angehört. Wegen des Inhalts der Beweiserhebung und der Anhörung der Parteien wird auf den Berichterstattervermerk über den Termin vom 27. Januar 2005 sowie auf die schriftliche Ausarbeitung der Sachverständigen vom 30. Dezember 2004 Bezug genommen.

Die Berufung des Klägers ist begründet, diejenige des Beklagten hingegen ist ohne Erfolg.

Auf das Rechtsverhältnis der Parteien sind gemäß Art. 229 § 8 EGBGB die bis zum 31. Juli 2002 geltenden schadensersatzrechtlichen Vorschriften anzuwenden.

Dem Grunde nach haftet der Beklagte dem Kläger gemäß §§ 833 Satz 1, 847 BGB a.F. auf vollen Ersatz seiner Schäden aufgrund des Unfalles vom 26. März 1998.

Der Beklagte hat den ihm gemäß § 833 Satz 2 BGB als gewerblichen Halter des unfallbeteiligten Ponys offenstehenden Entlastungsbeweis nicht geführt.

Die Umzäunung der Koppel, aus der das Pony entwichen ist, entsprach in keiner Hinsicht den Anforderungen, die an eine hütesichere Umzäunung zu stellen sind.

Selbst wenn man zugunsten des Beklagten unterstellt, die Stromzufuhr für die zum Unfallzeitpunkt vorhandene Umzäunung sei intakt gewesen, entsprach sie gleichwohl nicht dem Mindeststandard zur Gewährleistung der Hütesicherheit für die Einzäunung von Pferdeweiden. Wie die Sachverständige W.-J. überzeugend sowohl in ihrer schriftlichen Stellungnahme als auch in ihrem mündlichen Gutachten erläutert hat, muss eine hütesichere Umzäunung für Pferdeweiden stabil, verletzungs- und ausbruchssicher, gut sichtbar und für die Pferde respekteinflößend sein. Bei der Verwendung von Drahtzäunen - wie hier - ist hütesicher für Kleinpferde, worunter Ponys fallen, eine aus drei Drähten bestehende Einzäunung mit einer Mindesthöhe für den oberen Draht von 120 cm. Die Sachverständige: " ... Für ein Pony mit einem Stockmaß von 127 cm ist das Überspringen eines 60-90 cm hohen Zaunes kein Problem. Grundsätzlich gilt, je kleiner das Pferd, desto geringer die Springhöhe. Das Mindestmaß der Zaunhöhe beträgt aber auch für Kleinpferde 120 cm. ... Der Zaun soll auch optische Barriere sein, daher gilt auch für Kleinpferde das Mindestmaß von 120 cm ...". Diese Mindesthöhe gilt nach den Erläuterungen der Sachverständigen unabhängig von den sogenannten "Risikobereichen", die sich nach den schriftlichen und mündlichen Erläuterungen aus der Lage und der Nutzung des Umfeldes der Pferdeweide ergeben. Hinzu kommt - quasi selbstverständlich - dass es sich zur Gewährleistung der Hütesicherheit um elektrisch geladene Drähte mit einer an allen Stellen der Umzäunung einzuhaltenden Mindestspannung von 2.000 Volt handeln muss.

Diesen Mindestanforderungen an eine hütesichere Pferdeweide genügte die Umzäunung der Koppel, aus der das unfallbeteiligte Pony entwichen ist, in keiner Weise.

Nach den vom Beklagten zwar angegriffenen, für den Senat gleichwohl bindenden Feststellungen des Landgerichts betrug die maximale Höhe der Einzäunung 90 cm.

Diese Feststellungen binden den Senat, denn gemäß § 529 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, wobei neue Tatsachen nur Berücksichtigung finden können, soweit deren Berücksichtigung gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zulässig ist.

Das Landgericht hat im Hinblick auf die - ersichtlich - entscheidungserhebliche Frage der Höhe der Umzäunung umfänglich Zeugenbeweis erhoben; die erhobenen Beweise hat es unter Berücksichtigung des Vortrages der Parteien in den Gründen des angefochtenen Urteils umfänglich und erschöpfend gewürdigt. Das Berufungsvorbringen des Beklagten zeigt keine im Sinne von §§ 513 Abs. 1, 529 ZPO erheblichen Gründe auf, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen könnten. Die angebotenen Beweise hat das Landgericht erhoben; der angeordnete Ortstermin wurde, da sich die örtlichen Verhältnisse mittlerweile geändert hatten, aufgehoben, die aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ersichtliche Beweiswürdigung ist in sich schlüssig, widerspruchsfrei und verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze. Der Senat hat die Beweiswürdigung durch das Landgericht daher nicht nur hinzunehmen, vielmehr teilt er diese vollen Umfangs. Dies gilt insbesondere auch für die Würdigung der Bekundungen des Zeugen Peter R., des Bruders des Beklagten, der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 04. November 2002 eine Zaunhöhe von 1,20 m bis 1,30 m zum Unfallzeitpunkt bekundet hat, zugleich auch angegeben hat, im Wesentlichen sei die Umzäunung vom Unfallzeitpunkt bis zum Zeitpunkt der seinerzeitigen mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht unverändert geblieben, was offensichtlich unrichtig war.

Hingegen braucht der Senat den Beweisanträgen des Beklagten auf Vernehmung seiner Ehefrau und des Zeugen O. zur Höhe der Umzäunung nicht nachzugehen. Es handelt sich dabei nämlich um neuen Vortrag im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO, der gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zurückzuweisen ist. Der Beklagte hätte den in das Wissen dieser Zeugen gestellten Vortrag zur vermeintlichen "tatsächlichen" Höhe der Umzäunung bereits in erster Instanz halten können und müssen. Er hatte nach seinem eigenen Vorbringen Kenntnis von den Vorgängen, so dass die Nichtgeltendmachung dieses Vortrages bereits in erster Instanz auf (grober) Nachlässigkeit beruhte. Zugleich gilt, dass neue, nicht zuzulassende Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO zu begründen, da ansonsten der vom Gesetzgeber gewollte Effekt der ZPO-Reform konterkariert würde.

Zwar durfte das Landgericht nicht ohne Darlegung der eigenen Sachkunde bzw. ohne Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachten feststellen, dass die verfahrensfehlerfrei festgestellte maximale Umzäunungshöhe von 90 cm nicht geeignet war, Ponys vom Überspringen der Umzäunung abzuhalten; das Landgericht hat nicht darlegt und die Parteien auch nicht zuvor darauf hingewiesen, woraus es diese eigene Sachkunde bezogen hat.

Allein diesen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens musste der Senat durch Einholung des Gutachtens der Sachverständigen W.- J. beseitigen.

Die gesamten, auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhobenen Einwendungen des Beklagten zur Beweiswürdigung des Landgerichts, die zur Feststellung einer maximalen Höhe der Umzäunung von 90 cm geführt haben, sind hingegen unerheblich.

Abgesehen einmal davon, dass weder ersichtlich noch dargetan ist, warum die Zeugen B., H. und auch Wi., deren Angaben das Landgericht gefolgt ist, allesamt die Unwahrheit gesagt haben sollen, allein der Zeuge Peter R., der Bruder des Beklagten, wahrheitsgemäß ausgesagt haben soll, hat sich das Landgericht umfassend mit der Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugen R. und der Glaubhaftigkeit seiner Angaben auseinandergesetzt. Diesen Ausführungen des Landgerichts ist aus Sicht des Senats nichts hinzuzufügen.

Wenn der Beklagte darüber hinaus meint, maßgeblich sei die Zaunhöhe im Bereich des Hecktores, dann müsste er im Rahmen des § 833 Satz 2 BGB beweisen, dass das unfallbeteiligte Pony genau dort aus der Weide entwichen ist. Derartigen Beweis hat der Beklagte nicht angetreten, nachvollziehbarerweise kann er dies auch gar nicht, denn niemand weiß, wo genau die Tiere aus der Koppel entwichen sind. Genau daher rührt auch die Verpflichtung des Beklagten, im Rahmen des Entlastungsbeweises gemäß § 833 Satz 2 BGB die Hütesicherheit der gesamten Weideumzäunung darzulegen und ggf. zu beweisen, was ihm - wie ausgeführt - in keiner Weise gelungen ist. Auf die vermeintliche Geländeerhöhung im Bereich des Hecktores kommt es daher nicht an, denn es steht lediglich fest, dass die Tiere aus der Koppel entwichen sind, nicht hingegen, an welcher Stelle dies geschehen ist, was letztlich zu Lasten des Beklagten geht. Schließlich kann der Beklagte zu seinen Gunsten auch nichts aus den Ausführungen der Sachverständigen herleiten, dass Pferde bei Panik durch einen Zaun nur schwer am Fluchtverhalten zu hindern sind. Denn der Grund für das Verlassen der Weide steht nicht fest, so dass von einem panikartigen Ausbrechen nicht ausgegangen werden kann. Die Nichterweislichkeit des Anlasses für das Verlassen der Weide geht zu Lasten des Beklagten.

Andererseits kann auch der Kläger nicht den ihm gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG a.F. obliegenden Entlastungsbeweis führen. Zwar behauptet er, das Pony sei ihm in der Dunkelheit unvermittelt vor das Fahrzeug auf die Straße gelaufen, diese Behauptung ist aber bestritten und nicht unter Beweis gestellt. Die Unaufklärbarkeit des Unfallherganges im einzelnen geht - zumindest insoweit - zu Lasten des Klägers.

Die danach vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge (§§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 2 und Abs. 1 StVG a.F.), in die nur unbestrittene, bewiesene oder zugestandene Tatsachen einzustellen sind, ergibt gleichwohl eine volle Haftung des Beklagten für die dem Kläger entstandenen Schäden dem Grunde nach.

Unstreitig ist, dass der Kläger vor dem Unfall mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/h gefahren ist, dies war auch in erster Instanz unstreitig, so dass schon von daher die Rüge, das Landgericht hätte über die gefahrene Geschwindigkeit des Klägers Sachverständigenbeweis erheben müssen, nicht greift. Diese Geschwindigkeit ist außerorts auf einer Landstraße auch bei Dunkelheit und Nässe an sich nicht zu beanstanden. Soweit der Beklagte meint, der Kläger hätte im Hinblick auf die im Bereich der Unfallstelle vorhandenen Warnzeichen "Kinder" und "Schulweg" vorsichtiger und damit langsamer fahren müssen, ist dies angesichts der Tageszeit, zu der sich der Unfall ereignete, unerheblich. Ebenso wenig steht ein Verstoß des Klägers gegen das Sichtfahrgebot aus § 3 StVO fest. Ein solcher Verstoß ergäbe sich nur dann mit der Folge der Erhöhung der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges, wenn feststünde, dass das unfallbeteiligte Pony schon vor dem Unfall sich auf der Fahrbahn aufgehalten hätte. Dies steht aber nicht fest, auch wenn der Beklagte dies mit seiner Berufungsbegründung behauptet und in das Zeugnis des Herrn B. gestellt hat, dass die beiden Ponys bereits vor der Kollision des einen Tieres mit dem Fahrzeug des Klägers ein Stück auf der Landstraße gelaufen seien. Denn insoweit handelt es sich um neuen Vortrag des Beklagten im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO, den er in erster Instanz schon hätte halten können und müssen, war doch - wie die von den Parteien erstinstanzlich zur Akte gereichten Zeitungsauszüge belegen - die "Beteiligung" des Herrn B. bekannt. Ebenso wenig braucht der Senat dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber nachzugehen, dass die Verletzungen des Klägers auch darauf beruhten, dass er nicht angegurtet gewesen sei. Auch dieser Vortrag mit den entsprechenden Beweisantritten hätte bereits in erster Instanz erfolgen können und müssen, zumal auch der Bericht von Dr. E. dem Beklagten und dem hinter ihm stehenden Haftpflichtversicherer seit langem bekannt war.

Letztlich ist die Betriebsgefahr des Fahrzeuges auch nicht dadurch erhöht, dass der Kläger nicht auf das Betätigen der Lichthupe durch den ihm entgegen kommenden Herrn B. reagiert hätte. Der Kläger konnte und musste aus diesem Lichtzeichen nicht entnehmen, dass sich auf oder neben der Fahrbahn freilaufende Ponys bewegten bzw. schließen, dass ihn Herr B. auf irgendeine unmittelbar drohende Gefahr hinweisen wollte. Das Betätigen der Lichthupe kann verschiedenste Gründe haben; zwar kann es auch eine Warnung vor einer Gefahrenstelle sein, genauso gut kann die Lichthupe aber auch versehentlich betätigt werden, einen Hinweis auf eine Polizeikontrolle darstellen oder lediglich als "Gruß" gedacht sein. Jedenfalls hatte der Kläger keine Veranlassung, die von ihm gefahrene Geschwindigkeit von ca. 80 km/h allein wegen der Betätigung der Lichthupe durch ein entgegenkommendes Fahrzeug herabzusetzen.

Die danach allein zu berücksichtigende "schlichte" Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges, die der Senat wie auch das Landgericht mit 20 % ansetzt, tritt nach ständiger Rechtsprechung des Senats in Fällen wie dem vorliegenden vollständig hinter die - hier noch schuldhaft erhöhte - Tiergefahr zurück. Eine schuldhafte Erhöhung der Tiergefahr resultiert hier daraus, dass die Einzäunung der Koppel nicht nur in keiner Weise hütesicher war, vielmehr musste sich die mangelnde Hütesicherheit der Weide dem Beklagten als Viehhändler und gewerblichem Tierhalter geradezu aufdrängen. Schon die allgemein zugängliche, vom Senat beigezogene und den Parteien bekannt gemachte Broschüre "Sichere Weidezäune", herausgegeben vom Auswertungs- und Informationsdienst für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten e.V. weist für die Hütesicherheit von Pferdeweiden als Mindestvoraussetzung das aus, was auch die Sachverständige W.- J. in ihrer schriftlichen Stellungnahme und ihrem mündlichen Gutachten ausgeführt hat. Dass der Beklagte sich an diese Mindeststandards, nämlich drei stromführende Leiter mit einer Mindesthöhe des obersten Drahtes von 1,20 m in keiner Weise gehalten hat, obwohl sie ihm hätten bekannt sein müssen, führt nach Auffassung des Senats zu einer Erhöhung der Tiergefahr.

Unabhängig davon entspricht es ständiger Rechtsprechung des Senats, der Spezialsenat u.a. für Fragen der Tierhalterhaftung ist, dass bei einem Zusammenstoß zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Großtier auf der Fahrbahn stets die reine Betriebsgefahr des Fahrzeuges - sofern wie hier keine die Betriebsgefahr des Fahrzeuges erhöhende Umstände festgestellt sind - hinter der Tiergefahr vollständig zurücktritt. Dahinter steht u.a. der Gedanke, dass sich Unfälle wie der vorliegende in einem Verkehrsraum ereignen, in dem sich ein Fahrzeug bestimmungsgemäß aufhält, während ein Großtier zumal zur Nachtzeit dort schlechterdings nichts zu suchen hat.

Der Kläger hat danach Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld ohne mindernde Berücksichtigung eines Mitverursachungsanteils. Dieses beläuft sich auch nach Auffassung des Senats, der die Schmerzensgeldvorstellungen des Klägers teilt, auf insgesamt rund 650.000,00 DM (ca. 332.340,00 €). Abgesehen einmal davon, dass diese Schmerzensgeldhöhe dem entspricht, was der Senat in anderen, vergleichbaren Fällen an Schmerzensgeldbeträgen bereits ausgeurteilt hat, ist bei der Bemessung zu berücksichtigen, dass der Kläger schuldlos im Alter von 18 Jahren denkbar schwerste Verletzungen bei dem Unfall erlitten hat, die irreparabel sind und sein gesamtes Leben bestimmen werden. Dem Kläger ist durch den Unfall unwiderruflich all das genommen, was sowohl im beruflichen als auch im persönlichen Bereich das "normale" Leben eines gerade erst Erwachsenen kennzeichnet. Diese schwersten Beeinträchtigungen sind durch ein noch so hohes Schmerzensgeld allenfalls finanziell zu lindern, auszugleichen sind sie hingegen dadurch nicht.

Auf den ausgeurteilten Betrag stehen dem Kläger wie beantragt und zuerkannt Zinsen gemäß §§ 284, 288 BGB a.F. zu.

Aus dem Vorstehenden rechtfertigt sich auch der Feststellungsausspruch für die zukünftigen materiellen Schäden des Klägers.

Über die bereits erstinstanzlich beziffert geltend gemachten, im einzelnen bestrittenen materiellen Schadensersatzansprüche wird das Landgericht Beweis zu erheben haben.

Nicht folgen kann der Senat dem angefochtenen Urteil insoweit, als es die Schadensersatzpflicht des Beklagten dem Grunde nach auch auf ein vermeintliches Anerkenntnis des hinter ihm stehenden Haftpflichtversicherers gestützt hat. Zwar kann (vgl. BGH ZfS 2005, S. 10 f.) die Zahlung des Haftpflichtversicherers grundsätzlich ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis zu Lasten des Versicherungsnehmers auch für den Teil der Ansprüche darstellen, für den der Versicherer nicht einzustehen hat, weil er die Deckungssumme übersteigt. Ein den Beklagten bindendes Anerkenntnis seines Haftpflichtversicherers im Sinne von § 5 Nr. 7 AHB kann den Zahlungen und Erklärungen des Haftpflichtversicherers des Beklagten bei der gebotenen objektiven Auslegung der Erklärungen des Versicherers nicht entnommen werden.

Zwar hat der hinter dem Beklagten stehende Versicherer Zahlungen in nicht unerheblichem Umfange erbracht, aus den jeweiligen Schreiben (Bl. 23, 116 und 117 der Akte) heißt es in diesem Zusammenhang aber stets, dass die erfolgten Zahlungen ohne Präjudiz für die Haftungsquote geleistet würden. Diese Einschränkung steht bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise aus Sicht des Klägers der Annahme eines Anerkenntnisvertrages im Sinne der §§ 780, 781 BGB entgegen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.



Ende der Entscheidung

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