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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 22.09.2004
Aktenzeichen: 9 U 79/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1990
ZPO § 305
ZPO § 321
ZPO §§ 511 ff.
ZPO § 780
Hat das angefochtene Urteil der von dem Schuldner erhobenen Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses nicht durch Ausspruch eines entsprechenden Vorbehalts Rechnung getragen, so steht die Möglichkeit, die Aufnahme eines solchen Vorbehalts im Wege der Urteilsergänzung zu erreichen, nicht der Zulässigkeit der Berufung entgegen.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

9 U 79/03

verkündet am: 22. September 2004

hat der 9. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Anerkenntnis-Teil-Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 9. Mai 2003 teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.566,82 € nebst 4 % Zinsen seit dem 11. August 1999 zu zahlen.

Der Beklagten wird die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass des am ... verstorbenen Herrn ... vorbehalten.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt; im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Beklagte ist die Erbin des verstorbenen Herrn X. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von 7.693,83 € nebst Zinsen in Anspruch und macht hierzu eine Darlehensverbindlichkeit des Erblassers gelten. Nachdem die Beklagte den Klageanspruch in Höhe von 4.566,82 € nebst geltend gemachter Zinsen - unter Erhebung der Einrede beschränkter Erbenhaftung - anerkannt hat, ist sie vom Landgericht gemäß ihrem Anerkenntnis - allerdings vorbehaltlos - durch (tatbestandsloses und nicht begründetes) Anerkenntnis-Teil-Urteil verurteilt worden. Dagegen wendet sich die Beklagte mit dem Rechtsmittel der Berufung, mit der sie geltend macht, das Landgericht hätte der Dürftigkeitseinrede nach § 1990 BGB (zumindest) durch Aufnahme eines entsprechenden Vorbehalts in den Urteilstenor Rechnung tragen müssen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochten Teil-Anerkenntnis-Urteil mit der Maßgabe abzuändern, dass der Beklagten als Erbin die Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlass des am ... verstorbenen Herrn ... vorbehalten wird.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Er steht der Sache nach auf dem Standpunkt, die Berufung sei unzulässig. Die Beklagte hätte ihr Begehren im Wege der Urteilsergänzung nach § 321 ZPO verfolgen müssen. Das angefochtene Urteil sei nicht unrichtig, sondern lediglich unvollständig, weil es das Landgericht aufgrund eines Versehens unterlassen habe, über den Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung zu befinden.

Dem tritt die Beklagte entgegen. Von einem Versehen des Landgericht könne keine Rede sein. Es liege eine "bewusste Nichtentscheidung" vor. Solche Fälle erfasse § 321 ZPO nicht.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die in der zweiten Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

1. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

a) Die Berufung ist zulässig.

aa) Insbesondere ist die Beklagte durch das angefochtene Urteil beschwert. Sie hat mit Blick auf die nach § 1990 BGB erhobene Dürftigkeitseinrede nur ein eingeschränktes Anerkenntnis abgegeben. Gleichwohl ist sie vorbehaltlos verurteilt worden. Dass bei dieser Sachlage die Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwer erfüllt ist, bedarf keiner weiteren Begründung.

bb) Das Rechtschutzbedürfnis für das Rechtsmittel der Berufung ist gegeben. Soweit der Kläger argumentiert, das "Unterlassen des Landgerichts" eröffne nicht das Rechtsmittel der Berufung, weil das Gesetz für solche Fehler (nur) den Rechtsbehelf der Urteilsergänzung nach § 321 ZPO vorsehe, so vermag sich dem der Senat nicht anzuschließen, wobei ein Versehen des Landgerichts unterstellt werden kann. Der Bundesgerichtshof (BGH NJW 1983, 2378 <2379>) hat - allerdings ohne Problematisierung der hier in Rede stehenden Frage - auf eine vom Beklagten in den Vorinstanzen erhobene, dort aber nicht beschiedene Dürftigkeitseinrede den Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung im Revisionsverfahren ausgesprochen. Für die Frage der Nachholbarkeit im Berufungsrechtszug kann nichts anderes gelten. Die Auffassung des Bundesgerichtshofs erweist sich auch bei vertiefender Durchdringung der Problematik als überzeugend.

(1) § 321 Abs. 1 ZPO ist unmittelbar schon nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift kommt eine Urteilsergänzung in Betracht, wenn ein Haupt- oder Nebenanspruch oder der Kostenpunkt ganz oder teilweise übergangen worden ist. Vorausgesetzt wird mithin, dass ein aktives Rechtsschutzbegehren in einem Haupt- oder Nebenpunkt nicht beschieden worden ist (BGH NJW 2003, 1463). Darum geht es bei dem von der Beklagten schon im ersten Rechtszug im Wege der Einrede geltend gemachten Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung indessen nicht.

(2) Allerdings lässt das Gesetz eine Urteilsergänzung auch in bestimmten Sonderfällen zu, in denen es nicht um das Übergehen prozessualer Ansprüche geht. So ist § 321 ZPO kraft Verweisung anwendbar bei übergangenem Vorbehalt für einen noch nicht entscheidungsreifen Aufrechnungseinwand (§ 302 Abs. 2 ZPO) oder für die Ausführung der Rechte in einem dem Urkundenprozess folgenden Nachverfahren (§ 599 Abs. 2 ZPO) sowie ferner in Fällen, in denen über die vorläufige Vollstreckbarkeit oder einen Antrag auf Gewährung einer Räumungsfrist nicht entschieden worden ist (§§ 716, 721 Abs. 1 Satz 3 ZPO).

Nun mag es die Rechtsähnlichkeit des nicht in den Tenor aufgenommenen Vorbehalts beschränkter Erbenhaftung (§§ 305, 780 ZPO) mit den Konstellationen der §§ 302 Abs. 2 und 599 Abs. 2 ZPO nahe legen, das Vorliegen einer durch Analogie zu schließenden planwidrigen Gesetzeslücke zu bejahen (für analoge Anwendung von § 321 ZPO etwa OLG Koblenz NJW-RR 1997, 1160; Stein/Jonas/Leipold, 21. Auflage, § 321 ZPO Rdnr. 10; für Analogie, wenn die Beschränkung der Einstandspflicht des Haftpflichtversicherers auf die Versicherungssumme im Tenor eines Feststellungsurteils nicht ausgesprochen wurde, auch BGH NJW-RR 1996, 1328 f.; zurückhaltend bei Einreden und Einwendungen im Übrigen dagegen BGH NJW 2003, 1463). Nur muss bedacht werden, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerade in den Fällen unterbliebenen Vorbehalts nach §§ 302 Abs. 2, 599 Abs. 2 ZPO neben der Urteilsergänzung auch die Anfechtung im Wege der Berufung möglich ist, weil das Urteil sowohl unvollständig als auch inhaltlich falsch ist (vgl. BGH NJW 2003, 1463 <1464> m.w.N.; ferner Stein/Jonas/Leipold a.a.O. Rdnr. 15). Nichts anders kann dann aber für den Vorbehalt eingeschränkter Erbenhaftung gelten. Hinzu kommt, dass die Annahme einer die Berufung ausschließenden Spezialität des Rechtsbehelfs nach § 321 ZPO jedenfalls bei analoger Anwendung mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip unter dem Blickwinkel der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns herzuleitenden Gebot der Rechtsmittelklarheit (siehe dazu die Plenarentscheidung BVerfG NJW 2003, 1924 <1928>; vgl. auch BVerfG NJW 2004, 1371 <1372>; BGH NJW 2003, 3137 <3138>; 2004, 292 <293>) kollidierte, weil danach Rechtsbehelfe "in der geschriebenen Rechtsordnung" geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger klar erkennbar sein müssen (BVerfG NJW 2003, 1924 <1928>).

b) Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Da der Erbe die Beschränkung seiner Haftung nach § 780 Abs. 1 ZPO nur geltend machen kann, wenn sie ihm im Urteil vorbehalten worden ist, muss das Prozessgericht bei erhobener Dürftigkeitseinrede - so es die Frage des Haftungsumfanges nicht sachlich aufklären will - den Vorbehalt der Haftungsbeschränkung aussprechen (BGH NJW 1983, 2378 <2379>). Der Tenor des angefochtenen Urteils ist daher entsprechend zu ergänzen.

2. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10 und 713 ZPO. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die hier zugrunde gelegte Rechtsauffassung lässt sich ohne weiteres aus der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung ableiten. Dem entgegen stehende Judikate sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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