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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 24.09.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 248/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 b
StGB § 56 e
Eine geänderte Rechtsprechung oder eine andere Bewertung von Rechtsfragen durch das erkennende oder ein anderes Gericht bieten keinen Grund für eine nach-trägliche Änderung von Bewährungsauflagen; dies gilt auch dann, wenn sich der Schuldumfang durch die andere Bewertung möglicherweise verändert.
Oberlandesgericht Stuttgart

- 1. Strafsenat -

Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 248/04

vom 24. September 2004

in der Strafsache gegen

wegen Betruges

Tenor:

Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 07. September 2004 wird als unbegründet

verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer (Bf.) wurde vom Landgericht Stuttgart am 30. April 2004 rechtskräftig wegen Betruges in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hatte mit drei Mittätern unberechtigt sog. Verwerterrabatte beim Kauf von PKWŽs von einer Kraftfahrzeugherstellerin erschlichen, deren Vermögen dadurch um insgesamt 50.462,- € schadensgleich gefährdet wurde.

Im Bewährungsbeschluss des Landgerichts vom selben Tag wurde dem Bf. auferlegt, 1.000,- € in monatlichen Raten zu je 50,- € an eine gemeinnützige Einrichtung zu bezahlen und er wurde angewiesen, jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht schriftlich mitzuteilen.

Der Bf. beantragte am 9. August 2004, dass alle Bewährungsauflagen und -weisungen entfallen. Er trägt im wesentlichen vor, dass der Bundesgerichtshof in einem vergleichbaren Fall mit Beschluss vom 9. Juni 2004 (5 StR 136/04) entschieden habe, dass wegen der volatilen Marktlage für diese PKWŽs ein Schaden infolge der Rabattgewährung nicht feststellbar sei und dass es wegen des Aussageverhaltens der Zeugen dieser Kraftfahrzeugherstellerin ausgeschlossen sei, Feststellungen zu treffen, die einen Schuldspruch tragen könnten. Die Verfahrensbeteiligten und das Gericht hätten sich bei der Verurteilung des Bf. hinsichtlich der Feststellung des Schadens geirrt. Dies sei ein neuer Umstand, der es rechtfertige, dass es weder einer Genugtuung durch den Bf. bedürfe noch irgendwelcher Weisungen für seine Lebensführung.

Das Landgericht Stuttgart hat diesen Antrag des Bf. abgelehnt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Beschwerde des Bf..

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet:

1. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts ist vom Senat lediglich darauf zu überprüfen, ob er sich als gesetzwidrig erweist (§ 453 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn auch die Ablehnung von nachträglichen Entscheidungen nach § 56e StGB unterliegt den gleichen Anfechtungsvoraussetzungen wie ihre Anordnung (LR-Wendisch, StPO, 25 Aufl., § 453 Rn 27 m.w.N.). Weil die Erteilung von Auflagen und damit auch deren Abänderung gem. § 56e StGB im Ermessen des (erkennenden) Gerichts steht (S/S-Stree, StGB, 26. Aufl., § 56b Rn 17), kann zwar auch ein Ermessensmissbrauch oder -fehlgebrauch durch dieses Gericht ebenso zur Gesetzwidrigkeit führen wie der Umstand, dass die aufrechterhaltene Auflage oder Weisung im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist (OLG Stuttgart, NStZ-RR 2004, 89 m.w.N.; KK-Fischer, StPO, 5.Aufl., § 453 Rn 13).

2. Dies ist hier jedoch nicht der Fall: Das Landgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass nach dem Sinn des § 56e StGB eine nachträgliche Änderung nur erfolgen kann, wenn sich entweder die objektive Situation geändert hat oder das Gericht von vorher schon bestehenden Umständen erst nachträglich erfahren hat, wofür eine bloße Änderung der rechtlichen Beurteilung der maßgeblichen Umstände, die das Gericht der Entscheidung nach § 268a StPO zugrunde gelegt hat, nicht ausreicht.

3. Die gem. § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB erteilte Auflage, 1.000.- € zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu bezahlen, dient der Genugtuung für das in der Tatbegehung zu Tage getretene Unrecht; im Gegensatz zu Weisungen gem. § 56c StGB hat sie einen repressiven, sanktionsähnlichen Charakter (S/S-Stree, StGB, 26. Aufl. § 56b Rn 2; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 56b Rn 2: "strafähnliche Maßnahme"). Die Entscheidung darüber, ob eine Auflage zu erteilen und in welcher Art sie auszugestalten ist, steht in engem Zusammenhang mit der verurteilenden Erkenntnis selbst und bildet mit dieser eine Regelungseinheit. So ist gewährleistet, dass die Rechtsfolgen der Tat insgesamt aufeinander abgestimmt sind (OLG Köln, Beschluss vom 28. September 1999 - 2 Ws 502/99 -, zit. nach juris). Die Entscheidung gemäß § 268a StPO ist daher von den bei der Urteilsfindung beteiligten Personen, d.h. unter Mitwirkung der Schöffen, in der Hauptverhandlung zu treffen.

Aus diesen Gründen ist für die Verhängung von Auflagen die Sicht der Hauptverhandlung maßgeblich. Daher wird teilweise im Schrifttum die nachträgliche Abänderung von Auflagen unter rechtsstaatlichen und kriminalpolitischen Gründen als unzulässig angesehen, soweit diese nicht die Schadenswiedergutmachung zum Inhalt haben oder einer der Sonderfälle des § 56b Abs. 3 StGB oder § 56f Abs. 2 StGB vorliegt. Denn es erscheine nicht legitim, dem Gericht die Befugnis zuzuerkennen, das Genugtuungsbedürfnis während der Bewährungszeit anders zu beurteilen, als dies bei Erlass des Urteils geschehen sei (S/S-Stree, StGB, 26. Aufl., § 56e Rn. 3 m.w.N.).

Überwiegend wird zwar die nachträgliche Änderung von Auflagen, auch zuungunsten des Verurteilten, für zulässig gehalten. Dies ist aber nur möglich, um das Genugtuungsbedürfnis der sich innerhalb der Bewährungszeit verändernden Bewährungssituation anzupassen, so etwa, wenn sich die Vermögensverhältnisse oder die Wiedergutmachungsvoraussetzungen (zu diesem Sonderfall LG Zweibrücken, NJW 1991, 1084 m.w.N.) wesentlich geändert haben, oder um den Behandlungsplan dem späteren Verhalten des Verurteilten, seinem Bewährungsfortschritt oder den Rückschlägen anzupassen (OLG Stuttgart, NStZ-RR 2004, 89 und NJW 1969, 1220; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19. November 1990 - 1 Ws 582/90 -, zit. nach juris; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 56e Rn. 1; Horn, MDR 1981, 13). Soweit ersichtlich besteht Einigkeit darin, dass allein aufgrund einer anderen Beurteilung des Genugtuungsbedürfnisses anhand neuer Bewertungsmaßstäbe nachträglich eine Auflage nicht geändert werden darf (OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 30. Mai 1996 - 3 Ws 153/96 -, zit. nach juris; Tröndle/Fischer, a.a.O. Rn. 2; LK-Gribbohm, StGB, 11.Aufl., § 56e Rn 3). Denn es kann nicht darum gehen, dass die nachträglich entscheidenden Richter neue Genugtuungsmaßstäbe setzen, sondern nur darum, dass die Auflage an eine veränderte Tatsachenlage in der Weise angepasst wird, dass mit ihr auch jetzt noch erreicht wird, was vorher gewollt gewesen ist (Horn, MDR 1981, 13, 15).

4. Im vorliegenden Fall gilt nichts anderes: Das Verhalten oder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bf. haben sich nachträglich nicht verändert. Das Genugtuungsbedürfnis soll nach dem Vorbringen des Bf. vielmehr deshalb entfallen, weil sich das Gericht bei der rechtlichen Bewertung bzw. bei der Beweiswürdigung geirrt habe.

Diese Argumentation steht zum einen in einem Spannungsverhältnis zur Rechtskraft des Urteils des Landgerichts. Denn der Schuldspruch und die Festsetzung der - schuldangemessenen - Strafhöhe können durch das Behaupten derartiger Irrtümer, die keinen Wiederaufnahmegrund nach § 359 StGB darstellen, nicht in Frage gestellt werden. Würde das Gericht nachträglich das Genugtuungsbedürfnis anders bewerten, weil dem Verurteilten gar kein Schuldvorwurf gemacht werden könne, würde damit zugleich die Grundlage des rechtskräftigen Schuld- und Strafausspruchs in Frage gestellt.

Zum anderen kann es auch nicht die Aufgabe des Gerichts sein, im Verfahren nach § 453 StPO nachträglich die rechtliche Würdigung und die Beweiswürdigung des Urteils zu korrigieren. Denn diese Würdigung ist ebenso wie der Beschluss, in dem gemäß § 268a StPO die Bewährungsauflagen festgesetzt werden, von den bei der Urteilsfindung beteiligten Personen, d.h. unter Mitwirkung der Schöffen, in der Hauptverhandlung zu treffen. Einen Beschluss über Nachtragsentscheidungen im Verfahren nach § 453 StPO erlässt das Schöffen- und das Landgericht notwendigerweise in anderer Besetzung, nämlich nur durch die Berufsrichter, die zudem selbst an der Hauptverhandlung nicht mitgewirkt haben müssen und tatsächlich im vorliegenden Fall auch nicht alle an der Hauptverhandlung mitgewirkt haben. Abgesehen von der faktischen Schwierigkeit, auf diese Weise Bewertungen, die in der Hauptverhandlungen vorzunehmen sind, nachzuholen, kann es nicht ins Belieben der später entscheidenden Richter gestellt werden, die festgesetzten Bewährungsauflagen jederzeit zu ändern, wenn sie ihnen als zu scharf oder als zu milde erscheinen (OLG Stuttgart, NJW 1969, 1220), weil sie anderenfalls in die Kompetenz des erkennenden Gerichts, den Schuldumfang und das Genugtuungsbedürfnis umfassend zu bestimmen, ohne ausreichende Rechtfertigung eingreifen würden. Erst recht kann eine andere rechtliche Bewertung oder gar eine andere Beweiswürdigung durch ein anderes (Revisions-) Gericht in einem anderen, wenngleich vergleichbaren Verfahren keine Grundlage sein, um den vom Landgericht in der Hauptverhandlung festgestellten Schuldumfang und das Genugtuungsbedürfnis zu korrigieren und sich nachträglich über die Entscheidungsfindung unter Mitwirkung der Schöffen hinwegzusetzen.

5. Diese Einschränkung der Möglichkeit, nachträglich Bewährungsauflagen zu ändern, ist auch ein Gebot der Rechtssicherheit: Der Verurteilte und andere Verfahrensbeteiligte müssen zwar damit rechnen, dass das Gericht nachträglich ein geändertes Verhalten oder geänderte Verhältnisse des Verurteilten oder sonst neu hervorgetretene Tatsachen berücksichtigen kann, sie müssen sich aber darauf verlassen können, dass allein eine geänderte Bewertung des Gerichts zu Rechtsfragen oder zu bereits bekannten Tatsachen zu keiner Änderung von sanktionsähnlichen Auflagen führt.

Dabei wird nicht verkannt, dass diese Einschränkung - jedenfalls aus der Sicht des Verurteilten - in Widerspruch zur Forderung nach materieller Gerechtigkeit treten kann. Das Prinzip der Rechtssicherheit liegt jedoch mit der Forderung nach materieller Gerechtigkeit häufig im Widerstreit. Beide Prinzipien lassen sich gleichermaßen aus dem Rechtsstaatsgedanken ableiten. Es ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, einen solchen Widerstreit nach der Seite der Rechtssicherheit oder nach der Seite der materiellen Gerechtigkeit hin zu entscheiden (BVerfGE 3, 225 (237); 15, 313 (319)).

Für den Fall der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens hat der Gesetzgeber diese Entscheidung in den §§ 359 ff. StPO detailliert getroffen. In diesem Rechtsinstitut wird um des Grundsatzes der materiellen Gerechtigkeit willen das Prinzip der Rechtssicherheit durchbrochen. Dabei wirkt sich jedoch dieses Prinzip dahin aus, dass die Durchbrechung an eine eng begrenzte Anzahl besonderer Ausnahmetatbestände gebunden ist (BVerfGE 22, 222). Insbesondere ist allein eine geänderte Rechtsprechung oder eine andere Bewertung von Rechtsfragen oder von Beweisergebnissen durch das erkennende oder durch ein anderes Gericht gem. § 359 StPO kein Grund, um einen rechtskräftigen Schuldspruch zu beseitigen. Diese Wertung des Gesetzgebers rechtfertigt es, auch für die Frage, ob aus den genannten Gründen eine nachträgliche Änderung von Bewährungsauflagen wegen einer geänderten Bewertung des Schuldumfangs möglich ist, dem Prinzip der Rechtssicherheit den Vorrang einzuräumen.

6. Ob die Formulierung in dem Bewährungsbeschluss vom 30. April 2004, dass der Angeklagte jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich der Strafkammer schriftlich mitzuteilen habe, eine Weisung i.S.d. § 56c StGB darstellt (so LG Koblenz, Beschluss vom 3. April 2003, - 10 Qs 31/03 -, zit. nach juris; dagegen OLG Köln, NStZ 1994, 509; SK-Horn, StGB, § 56c Rn 5; S/S-Stree, StGB, 26. Aufl., § 56c Rn 6, weil dies nicht der Einwirkung auf die zukünftige Lebensführung des Verurteilten mit dem Ziel einer Resozialisierung diene), deren Aufhebung der Bf. beantragt hat, oder ob sie lediglich einen Hinweis auf eine Obliegenheit des Bf. enthält, damit er Nachteile infolge seiner Nichterreichbarkeit für das Gericht und öffentliche Zustellungen von Schriftstücken vermeiden kann, kann hier dahin gestellt bleiben. Denn selbst wenn es sich dabei um eine Weisung handelt, enthält sie gegenüber den gesetzlichen Beispielsfällen des § 56c Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StGB einen minder schweren Eingriff in die Lebensführung des Beschuldigten und stellt keine unzumutbare Anforderung an ihn (vgl. OLG Stuttgart, Die Justiz 1987, 234).

Insbesondere liegt die Erreichbarkeit des Bf. in seinem eigenen Interesse, um etwa die Gründe für den bisher nicht erfolgten Zahlungsbeginn auf die Auflage klären zu können. Zudem kann nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB allein darauf, dass der Bf. einen Wohnsitzwechsel nicht mitteilt, ein Bewährungswiderruf nicht gestützt werden, wenn der Bf. nicht zugleich Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen werde (ebenso LG Koblenz, a.a.O.). Die Mitteilung eines Wohnsitzwechsels ist daher - unabhängig vom Schuldumfang - zur erfolgreichen Durchführung der Bewährung erforderlich und der Bf. wird dadurch nicht unverhältnismäßig beschwert.



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