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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 28.07.2006
Aktenzeichen: 10 W 57/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91 a
ZPO § 269 Abs. 3 S. 2
ZPO §§ 485 ff
ZPO § 494 a Abs. 2
Im Falle der übereinstimmenden Erledigugnserkärung in einem selbständigen Beweisverfahren ist eine Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO nicht möglich.
Oberlandesgericht Stuttgart 10. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 10 W 57/06

28. Juli 2006

In dem Rechtsstreit

wegen Brandschaden

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart an 28. Juli 2006 - nach Übertragung an den Senat nach § 568 ZPO - unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Orlowsky Richter am Oberlandesgericht Rast Richter am Landgericht Geßler

beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Ziffer II. des Beschlusses des Landgerichts Ellwangen vom 19.06.2006, mit welchem der Antrag der Parteien auf eine Kostenentscheidung im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens abgelehnt worden ist, wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: bis 1.200,00 €.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren nach übereinstimmender Erledigungserklärung in einem selbständigen Beweisverfahren eine Kostenentscheidung zu Lasten der Antragsgegnerin.

Die Antragsteller haben nach dem Brand eines Nachbargebäudes gegen ihren Gebäudeversicherer mit Antrag vom 05.10.2005 ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet, in welchem sie den Umfang von Schäden an ihrem Wohngebäude feststellen lassen wollten. Nachdem das Landgericht am 04.11.2005 einen entsprechenden Beweisbeschluss erlassen hatte - aber noch vor Begutachtung durch den Sachverständigen -, bezahlte die Brandschadensversicherung des Nachbarn den Antragstellern eine Sachdenersatzleistung von 10.020,14 €. Die Antragsteller erklärten daraufhin mit Schriftsatz vom 18.04.2006 das selbständige Beweisverfahren in der Hauptsache für erledigt und haben beantragt, die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen, weil sich diese mit der Schadensregulierung in Verzug befunden habe.

Die Antragsgegnerin schloss sich der Erledigungserklärung an, wandte sich allerdings gegen die von den Antragstellern begehrte Kostenfolge und beantragte ihrerseits, den Antragstellern die Verfahrenskosten aufzuerlegen.

Das Landgericht hat nach einem vorigen Hinweis die Kostenanträge beider Parteien mit Beschluss vom 19.06.2006 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens sei kein Raum für eine Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO.

Gegen den ihnen am 23.06.2006 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 07.07.2006 Beschwerde eingelegt; das Landgericht hat nicht abgeholfen und hat die Akten mit Beschluss vom 13.07.2006 dem Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1.

Die nach § 567 Abs. 2 Nr. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig; sie wurde insbesondere innerhalb der Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO rechtzeitig und formgerecht eingelegt.

2.

Die Beschwerde bleibt aber erfolglos, denn das Landgericht hat den Kostenantrag der Antragsteller zurecht zurückgewiesen.

a.

Die Beschwerde betrifft die in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutierte Frage, ob im Fall der übereinstimmenden Erledigungserklärung des selbständigen Beweisverfahrens eine Kostenentscheidung entsprechend § 91 a ZPO möglich ist.

(1)

Ausgangspunkt für die Diskussion ist zunächst, dass mit Ausnahme des Sonderfalles des § 494 a Abs. 2 ZPO das Gesetz im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens keine Kostenentscheidung vorsieht. Die Anordnung der Beweiserhebung bedeutet weder eine Entscheidung über ein Recht oder einen Anspruch, noch ergeht die Anordnung zum Nachteil des Antragsgegners. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens bilden vielmehr einen Teil der Kosten eines anhängigen oder künftigen Erkenntnisverfahrens zwischen den Parteien, zu dessen Vorbereitung das selbständige Beweisverfahren stattgefunden hat (BGH NJW-RR 2004, 1005).

(2)

Dennoch geht die herschende Meinung, gestützt durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (MDR 2005, 227 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung und Literatur) davon aus, dass eine Kostenentscheidung - außer im Fall des § 494 a Abs. 2 ZPO - dann möglich sein soll, wenn ein Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens als unzulässig abgelehnt oder vom Antragsteller vor Beweiserhebung zurückgenommen wird. Begründet wird dies mit einer entsprechenden Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, für die aufgrund des schutzwürdigen Interesses des Antragsgegners an einer sofortigen Entscheidung über die Kosten ein Bedürfnis bestehe, da dieser ein Hauptsacheverfahren in diesen Fällen nicht erzwingen könne.

(3)

Umgekehrt lehnt der Bundesgerichthof im Falle einer einseitigen Erledigungserklärung des Antragstellers - soweit darin keine Rücknahme des Antrags zu sehen ist - die Möglichkeit ausdrücklich ab, dem Antragsgegner ohne die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen ( vgl. BGH NJW-RR 2004, 1005).

(4)

Ob im hier gegebenen Fall einer übereinstimmenden Erledigungserklärung eine Kostenentscheidung entsprechend § 91 a ZPO möglich ist, hat der Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden, sondern dies in den genannten Entscheidungen ausdrücklich offen gelassen. Die Möglichkeit der Anwendung von § 91 a ZPO wird unter Hinweis auf die praktischen Bedürfnisse für eine solche Entscheidung teilweise vertreten (vgl. etwa OLG München, BauR 2000, 139; OLG Dresden BauR 2003, 1608; Zöller-Herget, ZPO 25. Aufl., § 494 Rz. 5; Thomas/Putzo, 27. Aufl., § 494 Rz. 5), von dem überwiegenden Teil der Rechtsprechung jedoch abgelehnt ( so etwa OLG Schleswig, BauR 2006, 870; OLG Düsseldorf, BauR 2005, 1974; KG Berlin, BauR 2001, 1951; OLG Stuttgart BauR 2000, 445; OLG Hamburg MDR 98, 242).

b.

Auch nach Ansicht des Senats scheidet eine entsprechende Anwendung des § 91 a ZPO auf das selbständige Beweisverfahren aus.

aa.

Bei einer Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO ist im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung in erster Linie auf die materielle Rechtslage zum Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses abzustellen. Diese sachliche Prüfung ist aber im selbständigen Beweisverfahren gerade nicht vorgesehen. In diesem kommt es auf die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens regelmäßig nicht an; regelmäßig ist der Sachvortrag hinsichtlich des Hauptanspruchs nicht auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen (BGH NJW 2004, 3488). Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens sind somit nicht die im Hintergrund stehenden materiell-rechtlichen Ansprüche, sondern allein einzelne Beweisfragen. Dieser Grundsatz wäre durchbrochen, wenn man über eine entsprechende Anwendung des § 91 a ZPO nunmehr eine Kostenentscheidung unter Einbeziehung der Erfolgsaussichten in einem etwaigen Hauptsacheverfahren ermöglichen würde.

Soweit von den Befürwortern der Anwendung des § 91 a ZPO dieser Argumentation teilweise damit begegnet wird, es komme im Rahmen der zu treffenden Billigkeitsentscheidung nicht auf eine materiell-rechtliche Prüfung der Erfolgsaussichten, sondern lediglich darauf an, ob der Beweisantrag bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet gewesen sei (so etwa OLG München, BauR 2000, 139), schließt sich der Senat dem nicht an. Eine solche allein an den Erfolgsaussichten des selbständigen Beweisverfahrens ausgerichtete Kostenentscheidung könnte im Einzelfall dazu führen, dass diese von der materiell-rechtlichen Kostentragungspflicht abweicht. Dies würde dem Grundsatz widersprechen, dass sich die Kostentragungspflicht grundsätzlich nach dem materiellen Ergebnis des Hauptsacheprozesses und der Notwendigkeit der Kosten für die Rechtsverfolgung beurteilt. Es ist nicht ersichtlich, warum dann, wenn es nicht zu einem solchen Verfahren kommt, plötzlich andere Maßstäbe gelten sollten, die zudem dazu führen könnten, dass eine Partei mit Kosten belegt wird, für deren Tragung es materiell-rechtlich keine Grundlage gibt (vgl. OLG Düsseldorf, BauR 2005, 1974).

Dem steht nicht entgegen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung im Fall der Antragsrücknahme oder dieser gleichgestellter Konstellationen eine Kostenentscheidung zu Lasten des Antragstellers wegen eines schützenswerten Interesses des Antragsgegners in entsprechender Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO für möglich hält. Der wesentliche Unterschied zur Regelung des § 91 a ZPO besteht darin, dass nach Rücknahme einer Klage/eines Antrags grundsätzlich gerade keine Sachprüfung stattfindet, sondern sich die Kostenfolge unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Außerdem findet diese Sichtweise einer Kostenentscheidung zu Lasten des Antragsgegners zumindest ansatzweise eine Stütze im Gesetz, denn soweit die Prozessordnung in einem selbständigen Beweisverfahren in § 494 a Abs. 2 ZPO überhaupt eine Kostenentscheidung vorsieht, ergeht diese zu Lasten des Antragsgegners. § 91 a ZPO setzt aber gerade voraus, dass im Rahmen der zu treffenen Ermessensentscheidung die Kosten je nach Sach- und Streitstand jeder der Parteien auferlegt werden können, also auch dem Antragsgegner.

bb.

Das zweifelsfrei bestehende berechtigte Interesse der Praxis an einer möglichst einfachen Handhabung allein genügt aus Sicht des Senats nicht, um die Möglichkeit einer Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO auch im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens zu begründen. Die Diskussion ist keineswegs neu; dennoch hat der Gesetzgeber es offensichtlich nicht für erforderlich gehalten, eine entsprechende Regelung - etwa eine Verweisung auf § 91 a ZPO in den Vorschriften über das selbständige Beweisverfahren - einzuführen. Auch aus den nach § 91 a ZPO zu beachtenden Billigkeitsgesichtspunkten ergibt sich nichts anderes: Den Parteien bleibt die Möglichkeit, einen etwa bestehenden materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch gesondert geltend zu machen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde mit Blick auf die in der Rechtsprechung bislang unterschiedlich beantwortete Frage der Anwendung des § 91 a ZPO bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen im selbständigen Beweisverfahren nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zu.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 3 ZPO und war am Interesse der Antragsteller an einer Kostenentscheidung im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens zu ihren Gunsten - mithin an der Höhe des aus ihrer Sicht bestehenden materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs - zu orientieren.

Ende der Entscheidung

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