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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 12.05.2005
Aktenzeichen: 11 UF 307/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1610
Ein Halbwaisenrente beziehendes minderjähriges Kind hat gegenüber dem nicht betreuenden Elternteil einen Barunterhaltsbedarf in Höhe des einfachen Tabellenbetrags nach der Düsseldorfer Tabelle zuzüglich konkreter Betreuungskosten. Auf den Tabellenbetrag ist die Halbwaisenrente hälftig anzurechnen.
Oberlandesgericht Stuttgart - 11. Zivilsenat und Senat für Familiensachen - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 11 UF 307/04

In der Familiensache

wegen Kindesunterhalt

Verkündet am: 12. Mai 2005

hat der 11. Zivilsenat und Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Stuttgart durch

den Vorsitzenden Richter am OLG Fröhlich, den Richter am OLG Keinath und die Richterin am OLG Kremer

aufgrund der mündliche Verhandlung vom 21. April 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Ludwigsburg - 2 F 622/04 - vom 15.10.2004 abgeändert:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger über den in der Urkunde des Landratsamts xxx - Beurk.Reg.Nr. xxx - vom 08.06.2004 anerkannten Betrag von 141,98 € hinaus weitere 82,51 € zu bezahlen, fällig jeweils monatlich im voraus zum 1. eines jedes Monats, beginnend mit dem 01.05.2005.

2. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger einen Unterhaltsrückstand für den Zeitraum von März 2004 bis April 2005 in Höhe von 1.155,14 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 82,51 € seit 01.03.2004, 01.04.2004 usw. zu bezahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen haben zu 4/5 der Kläger und zu 1/5 der Beklagte zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert der Berufungsverfahrens:

1. Laufender Unterhalt: 12 x 449,-- € = 5.388,00 € 2. Rückstände 921,00 € zusammen 6.309,00 €

Gründe:

I.

Der minderjährige Kläger ist der Sohn des Beklagten aus dessen geschiedener Ehe mit der zwischenzeitlich verstorbenen Mutter des Klägers. Der Kläger lebt bei dem zweiten Ehemann seiner Mutter, welcher nach deren Tod zum Vormund des Klägers bestellt wurde. Der Kläger bezieht eine Halbwaisenrente in Höhe von derzeit monatlich 165,02 €. Das staatliche Kindergeld von 154,-- € monatlich wird an den Vormund des Klägers bezahlt. Der Beklagte bezahlt seit Dezember 2003 einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 141,98 € an den Kläger. Über diesen Betrag ließ er im Prozesskostenhilfeverfahren am 08.06.2004 beim Jugendamt einen vollstreckbaren Unterhaltstitel erstellen.

Der Kläger ist der Meinung, der Beklagte schulde ihm Unterhalt in Höhe des doppelten Satzes der Düsseldorfer Tabelle von 135 % des Regelbetrags der 3. Altersstufe, mithin 2 x 384,-- € = 768,-- €. Nach Abzug des vollen Kindergeldes und der gesamten Halbwaisenrente des Klägers seien noch 449,-- € monatlich zu zahlen.

Das Amtsgericht hat die Klage in Höhe des titulierten Betrags von monatlich 141,98 € als unzulässig, im Übrigen als unbegründet abgewiesen.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt, mit welcher er beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Ludwigsburg vom 15.10.2004, Az.: 2 F 622/04, zugestellt am 25.10.2004 wird abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, Kindesunterhalt an den Kläger in Höhe von monatlich 449,-- € zu bezahlen, fällig jeweils monatlich im voraus zum 1. eines jeden Monats beginnend mit dem 01.05.2004,

hilfsweise:

Der Beklagte hat an den Kläger über den in der Urkunde des Landratsamts xxx vom 08.06.2004 - Beurk.Reg.Nr. xxx titulierten Betrag von 148,98 € weitere 307,20 € zu bezahlen, fällig jeweils monatlich im voraus zum 1. eines jeden Monats, beginnend mit dem 01.05.2004.

Weiter beantragt der Kläger:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Unterhaltsrückstand in Höhe von 921,-- € zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 307,-- € seit 01.03.2004, aus weiteren 307,-- € seit 01.04.2004 und aus weiteren 307,-- € seit 01.05.2004.

Der Kläger wiederholt im wesentlichen seine erstinstanzliche Rechtsansicht und wendet sich gegen die Auffassung des Familiengerichts, wonach nur der einfache Tabellenbetrag abzüglich der vollen Halbwaisenrente und des hälftigen Kindergeldes geschuldet sei.

Der Beklagte beantragt

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil als richtig.

II.

1.

Die Berufung des Klägers ist nach der bereits bewilligten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig, aber nur im Hilfsantrag teilweise begründet.

2.

Soweit der Beklagte im Laufe des Verfahrens einen Titel in Form der Jugendamtsurkunde vom 08.06.2004 über monatlich 141,98 € ab 01.07.2004 geschaffen hat, ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Insoweit folgt der Senat dem angefochtenen Urteil.

3.

Richtig ist das angefochtene Urteil auch insoweit, als nur der einfache Tabellensatz mit monatlich 384,-- € (unstreitig 135 % des Regelbetrags) als Kindesunterhalt geschuldet wird. Der Senat hält insoweit an seiner bislang vertretenen Ansicht (FamRZ 2001, 1241) fest (ebenso OLG Hamm, 11. FamS, NJW-RR 2004, 152; Kuhnigk, Die Bedarfsberechnung beim Kindesunterhalt durch Verdoppelung der Tabellenbeträge, FamRZ 2002, 923). Der durchaus verbreiteten Gegenansicht (OLG Dresden NJW-RR 2003, 364; OLG Hamm, 12. FamS, FamRZ 2001, 1023, 8. FamS., FamRZ 1991, 107; OLG Köln FamRZ 1992, 1219; AG München FamRZ 1989, 532; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl., Rdnr. 538; Palandt/Diederichsen, BGB, 64. Aufl., Einf. v. § 1601 Rdnr. 25), wonach für den Bar- und Betreuungsunterhalt des Kindes der doppelte Tabellensatz anzusetzen ist, kann nicht gefolgt werden.

Der Senat ist nach wie vor der Auffassung, dass eine sogenannte Monetarisierung der Betreuungsleistung nicht vorzunehmen ist. Nur wenn konkrete Betreuungsaufwendungen dargelegt werden (was hier nicht der Fall ist), erhöht sich der Barunterhalt.

- Es wäre auch widersinnig, für Kinder in einem Alter, in dem die höchste Betreuung erforderlich ist, nämlich in der Altersstufe 1 (1 bis 5 Jahre), einen deutlich niedrigeren monetarisierten Betreuungsunterhalt zuzusprechen als in der Altersstufe 3 (12 bis 17 Jahre) mit dem geringsten Betreuungsaufwand.

- Folgt man dem Kläger, hätte dieser mit monatlich 768,-- € einen höheren Bedarf als einem nicht berufstätigen Erwachsenen mit eigenem Haushalt zusteht (notwendiger Eigenbedarf /Selbstbehalt monatlich 730,-- €).

- Die Verhältnisse stimmen auch dann nicht mehr, wenn dem Kläger jetzt monatlich 768,-- €, ab Volljährigkeit im August dieses Jahres jedoch nur noch 442,-- € als Bedarf (in der 4. Altersstufe) zugesprochen würden.

Dies alles spricht gegen eine Monetarisierung des Betreuungsunterhalts durch Verdoppelung der Tabellenbeträge.

4.

Entgegen der Ansicht des Familiengerichts ist vom Tabellenbetrag nur die hälftige Halbwaisenrente mit monatlich 82,51 € als Bedarfsdeckung abzuziehen.

- Der Senat knüpft hier an die Ansicht des Bundesgerichtshofs (FamRZ 1980, 1199) an, wonach die Waisenrente nach dem Tod eines Stiefelternteils den betreuenden und den barunterhaltspflichtigen Elternteil je hälftig entlastet.

- Auch sonst wird Einkommen minderjähriger Kinder hälftig zur Entlastung des betreuenden und des barunterhaltspflichtigen Elternteils verwendet (Ziff. 12.2 SüdL).

- Im vorliegenden Fall wird der von der verstorbenen Mutter früher erbrachte Betreuungsunterhalt nunmehr vom Vormund des Klägers geleistet. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, dass ihm auch die Hälfte der Halbwaisenrente zugutekommt.

Nach Abzug von 82,51 € vom Tabellenbetrag von 384,-- € ist der Kläger noch in Höhe von 301,49 € unterhaltsbedürftig.

5.

Auch das Kindergeld ist hier wie im angefochtenen Urteil hälftig anzurechnen. Bei der Kindergeldanrechnung nach § 1612 b Abs. 5 BGB ist entscheidend, ob das Kind mit dem Zahlbetrag des Unterhalts und dem anzurechnenden Teil der Halbwaisenrente das Existenzminimum von 135 % des Regelbetrags erhält (Wendl/Scholz, Unterhaltsrecht, 6. Aufl., § 2 Rdnr. 510 a). Das ist vorliegend der Fall. Nach Abzug von 77,-- € vom offenen Bedarf von 301,49 € verbleibt ein Zahlbetrag von 224,49 €. Davon abzuziehen sind die bezahlten bzw. titulierten 141,98 €. Danach sind durch das Urteil noch 82,51 € zu titulieren.

6.

Im Rückstandszeitraum von März 2004 bis zum Senatstermin im April 2005 schuldet der Beklagte über das Anerkenntnis hinaus 14 x 82,51 € = 1.155,14 €.

7.

Die Kostenentscheidung begründet sich aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Da die Unterhaltsberechnung bei Halbwaisen in der Rechtsprechung der Instanzgerichte hoch streitig und bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist, wird nach § 543 Abs. 2 die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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