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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 11.01.2000
Aktenzeichen: 14 U 14/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
1. Bei einem zu erwartenden Geburtsgewicht unter 4000 g ist eine primäre Section nicht indiziert, auch wenn es bei einer früheren Geburt zu einer Claviculafraktur kam.

2. Bei einem hohen Schultergeradstand ist ein stufenweises Vorgehen mit dem McRoberts-Manöver und danach dem Versuch einer inneren Lösung angezeigt. Der Versuch einer äußeren Lösung vor der inneren Lösung ist nicht behandlungsfehlerhaft.

3. Unter der Aufsicht des Facharztes kann der Versuch einer äußeren Lösung auch durch die Hebamme erfolgen.

4. Wenn der Kopf des Kindes bei vollständigem Muttermund in Beckenmitte steht, ist gegenüber einem Kaiserschnitt die vaginal-operative Entbindung in der Regel vorzugswürdig. Eine Aufklärung der Mutter über die Möglichkeit eines Kaiserschnitts ist dann nicht erforderlich.


Oberlandesgericht Stuttgart - 14. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 14 U 14/99 15 O 465/97 LG Stuttgart

Verkündet am: 11.01.2000

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Justizsekretärin

In Sachen

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Richters am OLG - Vorsitzender -

der Richterin am OLG

des Richters am OLG - Beisitzer -

auf die mündliche Verhandlung vom 21.12.1999

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 22. Januar 1999 - 15 O 465/97 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 15.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschwer der Klägerin und Streitwert des Berufungsverfahrens: 120.000,00 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung bei ihrer Geburt geltend.

Die am 25.07.1963 geborene Mutter der Klägerin gebar 1988 ein Mädchen mit 2.490 g Gewicht. Die Geburt erfolgte wegen einer drohenden Asphyxie durch Vakuumextraktion. 1991 gebar sie ein weiteres Mädchen mit 3.580 g Gewicht nach vorzeitigem Blasensprung aus II. Hinterhauptslage. Während dieser Schwangerschaft litt die Mutter der Klägerin an einer Glukosurie in der 27. Woche, die nach einer Diät beendet war.

Im September 1994 wurde die Schwangerschaft mit der Klägerin festgestellt, errechneter Geburtstermin war der 29.05.1995. Im Oktober 1994 wurde die Mutter der Klägerin stationär in eine Klinik aufgenommen. Dabei wurde ein Blutzucker von 180 mg/dl festgestellt. Ein Glukosetoleranztest am 10.11.1994 war ohne Befund; in der Folge wurde während der Schwangerschaft für Glukosurie jeweils "(+)" im Mutterpaß vermerkt mit Ausnahme des 24.04.1995, an dem "+" vermerkt ist.

Am 13.05.1995 um 11.30 Uhr, in der 38. Schwangerschaftswoche, wurde die Mutter der Klägerin stationär in die Klinik der Beklagten mit Wehen aufgenommen. Die Mutter hatte bei 1,62 m Größe ein Gewicht von 85,7/90,5 kg. Der Laborbefund ergab für Glukose "+++". Der Muttermund war 2 bis 3 cm weit geöffnet, der Kopf stand auf dem Beckeneingang und war schwer abschiebbar.

Das daraufhin gefertigte CTG war suspekt. Es wies eine Herzfrequenz von um die 160 bpm auf und war eingeschränkt ondulatorisch mit silenten Abschnitten. Bei der Aufnahme wurde das Gewicht der Klägerin auf 3.250 g geschätzt, palpatorisch auf 3.800 g. Um 13.30 Uhr erhielt die Mutter der Klägerin Syntocinon. Die vaginale Untersuchung um 14.00 Uhr nach Normalisierung des CTG ergab eine Muttermundsöffnung von 2 bis 4 cm; der vorangehende Teil des Kopfes war im Beckeneingang. Um 14.50 Uhr war der Muttermund bei 7 cm; um 15.00 Uhr erhielt die Mutter der Klägerin nach Periduralanästhesie auch das Antihypertonikum Nepresol. Ab 15.10 Uhr zeigte das CTG variable Dezelerationen. Um 15.30 Uhr kam es zum Blasensprung mit grünlichem Fruchtwasser. Um 16.03 Uhr wurde der Syntocinontropf abgestellt, danach war das CTG zunächst suspekt. Um 16.15 Uhr war der Muttermund vollständig geöffnet, der Kopf der Klägerin befand sich in Beckenmitte. Um 16.25 Uhr kam es zu einem Herztonabfall auf 80 bpm. Die Hebamme, die Zeugin M B informierte die Assistenzärztin, die Zeugin Dr. R die zu diesem Zeitpunkt zwischen 300 und 400 Geburten geleitet hatte und sechs Monate vor ihrer Facharztprüfung stand. Diese verordnete das wehenhemmende Mittel Partusisten und stellte fest, daß sich der Kopf der Klägerin auf der Interspinalebene befand. Um 16.30 Uhr entschloß sie sich zur Vakuumextraktion nach Geburtsstillstand, Um 16.33 Uhr legte sie in Anwesenheit des Oberarztes Dr. W die Saugglocke an. Dem Probezug um 16.40 Uhr folgte der Kopf prompt, um 16.44 Uhr war der Kopf nach drei leichten Zügen durch die Zeugin Dr. R entwickelt. Sie versuchte danach die vordere Schulter zu entwickeln, was nicht gelang. Sodann versuchte die Zeugin M B eine sog. äußere Überdrehung. Danach übernahm Oberarzt Dr. W die weitere Geburtsleitung. Das Becken der Mutter der Klägerin wurde hochgeschoben, ohne daß sich die Schulter der Klägerin löste. Nach manueller innerer Lösung der vorderen rechten Schulter durch Dr. W folgte die linke Schulter problemlos. Um 16.46 Uhr war die Klägerin aus I. Schädellage entwickelt mit einem Geburtsgewicht von 4.030 g und einem arterielien pH-Wert von 7,29. Nach der Geburt der Klägerin fiel auf, daß der Tonus des linken Arms und der linken Hand vermindert war. Nach Rücksprache mit einer Neonatologin wurde die Klägerin unter Aussparung der linken Schulter und des linken Armes auf der gesunden Seite gelagert. Am 14.05.1995 wurde die Lagerung geändert, um 21.10 Uhr wurde die Klägerin wegen Infektionsverdachts in ein Kinderkrankenhaus gebracht.

Die Klägerin leidet an einer kompletten Plexusparese links. Dabei ist die obere Plexuslähmung ausgeprägter als die untere. Der linken Hand fehlt die Suppination, und die grobe Kraft ist herabgesetzt. Der Oberarm der Klägerin ist verschmächtigt, das Schulterrelief verflacht und die Abduktion des Schultergelenks und die Beweglichkeit des Schulterblatts eingeschränkt. Der linke Oberarm ist um 1 cm verkürzt. Die Klägerin kann, wenn auch behindert, mit der linken Hand greifen und nimmt sie zu Hilfe.

Die Klägerin hat vorgetragen, die geburtshilflichen Aktionen seien unfachmännisch gewesen. Der Arm sei einem übermäßigen Zug ausgesetzt gewesen, die linke Schulter sei nicht sachgerecht an der Symphyse vorbeirotiert worden, sondern es sei im Übermaß am linken Arm gezerrt worden. Dadurch sei es zur Armplexuslähmung gekommen. Der Klägerin stehe deshalb ein Schmerzensgeld zu in Höhe von mindestens 30.000,00 DM. Die Mutter der Klägerin sei über die Risiken des Kristellerns und der Vakuumextraktion nicht ausreichend aufgeklärt worden. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie sich für eine Schnittentbindung entschieden, bei der die Plexuslähmung vermieden worden wäre.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin wegen der vermeidbaren Erb'schen Lähmung anläßlich der Geburt vom 13.05.1995 ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, am linken Arm der Klägerin sei nicht gezogen worden. Durch die Tätigkeit der entbindenden Ärzte oder der Hebamme sei die linke Schulter der Klägerin nicht beschädigt worden. Die Aufklärung sei ordnungsgemäß und ausreichend gewesen. Die natürliche Geburt sei die Methode der Wahl gewesen. Bei dem geschätzten Geburtsgewicht von bis zu 3.800 g habe es keinen Anlaß gegeben, eine Schnittentbindung als Entbindungsmethode in Betracht zu ziehen. Eine sekundäre Sectio zur Vermeidung einer Schulterdystokie sei ebenfalls nicht angezeigt gewesen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen Dr. R, Dr. W und M B, durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und die mündliche Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen Prof. Dr. H. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 11.03.1998 (El. 17), vom 11.12.1998 (Bl. 55) und das schriftliche Gutachten (Bl. 34) verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage am 22.01.1999 abgewiesen. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein.

Die Klägerin trägt vor, das Management der Schulterdystokie hätte von Beginn an von Oberarzt Dr. W übernommen werden müssen. Es sei fehlerhaft, daß zunächst die Zeugin Dr. R und die Zeugin M B eine Lösung der Schulter versucht hätten. Die Zeugin Dr. R habe den Eltern der Klägerin noch im Kreißsaal im übrigen erklärt, daß man an dem linken Arm habe ziehen müssen und es dadurch zu einer Verletzung gekommen sei. Bei einer schulmäßigen Therapie des hohen Schultergeradstandes müsse der linke Arm der Klägerin zwangsläufig zuerst extrahiert worden sein. Durch ein Kristellern bei der Entwicklung der Schulter sei der Schaden verursacht worden. Es habe eine Indikation zu einer primären Sectio bestanden. Nach einer palpatorischen Gewichtsschätzung auf 3.300 g hätte ärztlicherseits mit einem Geburtsgewicht von über 4.000 g gerechnet werden müssen. Hinzu seien als weitere Risikofaktoren erhöhte Blutzuckerwerte gekommen sowie ein Clavicula-Fraktur bei Entbindung der älteren Schwester der Klägerin. Bei Schnittentbindung wäre die Schulterdystokie vermieden worden. Die Aufklärung sei unzureichend gewesen, weil die Mutter der Klägerin vor einer vaginal-operativen Entbindung auch über die Möglichkeit, einer Schnittentbindung als Behandlungsalternative hätte aufgeklärt werden müssen. Bereits mit den leichten bis schweren variablen Dezelerationen ab 15.10 Uhr sei das CTG suspekt gewesen. Danach sei grünes Fruchtwasser abgegangen und das CTG pathologisch geworden. Dies habe eine ernstzunehmende Gefahr für die Gesundheit der Klägerin angezeigt, so daß sich auch aus diesem Grund die Schnittentbindung als medizinisch verantwortbare Alternative dargestellt habe. Schließlich sei es unterlassen worden, den geschädigten Arm der Klägerin sofort nach Indikationsstellung richtig zu lagern und zu fixieren. Der Arm habe fixiert werden müssen, um eine Entlastung des geschädigten Plexus zu vermeiden. Eine solche Lagerung sei aber erst am Abend des 14.05.1995 und damit verspätet erfolgt. Angemessen sei deshalb ein Schmerzensgeld von 100.000,00 DM.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 22.01.1999 - 15 O 465/97 abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 100.000,00 DM, nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit,

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen etwaigen, weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die fehlerhafte Behandlung im R B Krankenhaus St anläßlich ihrer Geburt vom 13.05.1995 künftig entsteht,

3. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die fehlerhafte Behandlung im R B Krankenhaus St anläßlich ihrer Geburt vorn 13.05.1995 entstanden ist und künftig entsteht, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind/übergehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, sowohl die Hebamme als auch die Zeugin Dr. R seien ausreichend qualifiziert gewesen, um einen ersten Lösungsversuch der festhängenden Schulter durchzuführen. Die Hebamme sei befugt gewesen, in Anwesenheit einer Assistenzärztin und eines Oberarztes den ersten Versuch zur Lösung der Schulterdystokie durch eine äußere Überdrehung zu versuchen. Seit dem Entschluß zur vaginal-operativen Entbindung sei Oberarzt Dr. W anwesend gewesen. Er habe nicht nur die Entwicklung des kindlichen Kopfes durch die Vakuumextraktion, sondern auch alle weiteren Schritte im Zusammenhang mit der Lösung der nach der Entwicklung des Kopfes aufgetretenen Verhakung der vorderen Schulter der Klägerin mitgetragen und schließlich die verhakte vordere Schulter gelöst. Zu einer Flexion und Extraktion des hinteren (linken) Armes der Klägerin sei es gar nicht mehr gekommen, weil bereits der vorangehende Schritt in der Therapie des Schultergeradstandes zum Erfolg geführt habe. Vor einer Extraktion des hinteren Armes sei die vordere (rechte) Schulter durch Dr. W schulmäßig gelöst worden, indem er mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand in die Achselhöhle der Klägerin hineingegangen sei und die Schulter unter der Symphyse der Mutter der Klägerin nach unten und nach außen gedreht habe. Ein Kristeller'scher Handgriff sei bei der Geburt der Klägerin nicht angewandt worden. Das geschätzte Geburtsgewicht der Klägerin von 3.800 g habe, keine Schnittentbindung indiziert, auch im Zusammenhang mit dem einmal gemessenen Blutzuckerwert der Mutter der Klägerin von 180 mg/dl. Eine bei der Geburt des zweiten Kindes der Mutter der Klägerin aufgetretene Clavicula-Fraktur gebe keine Indikation zu einer Sectio. Von diesem Umstand seien die Ärzte der Beklagten auch erst nach der Geburt der Klägerin informiert worden, obwohl die Zeugin M B bei der Anamnese ausführlich die Einzelheiten der vorangegangenen Geburten abgefragt habe. Eine solche Fraktur sei auch im Mutterpaß nicht erwähnt. Auch zum Zeitpunkt der Vakuumextraktion habe keine Alternative in der Form einer Sectio bestanden. Die Lagerung der Klägerin unmittelbar nach der Geburt sei mit einer Neonatologin abgesprochen und richtig gewesen. Ursächlich für die Behinderung der Klägerin sei die Lagerung nicht.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Das Oberlandesgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen Dr. R, Dr. W, M B und Dr. M durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und die mündliche Erläuterung des Gutachtens durch Privatdozent Dr. G.

Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.09.1999 (Bl. 193) und vom 21. Dezember 1999 (Bl. 230) sowie das schriftliche Gutachten (Bl. 155) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte. Ein Schadensersatzanspruch wegen einer Pflichtverletzung von Pflichten des Behandlungsvertrages oder nach § 823 BGB setzt voraus, daß die Mutter der Klägerin oder die Klägerin während oder nach der Geburt fehlerhaft behandelt wurde oder die Mutter der Klägerin nicht ausreichend aufgeklärt wurde Die Klägerin hat keinen Behandlungsfehler bewiesen. Die Aufklärung war nicht unzureichend. Eine Aufklärung über die Möglichkeit eines Kaiserschnitts als Behandlungsalternative war nicht erforderlich.

I.

Die Mutter der Klägerin und die Klägerin wurden nicht fehlerhaft behandelt.

1.

Eine primäre Sectio statt einer vaginalen Geburt war nicht indiziert. Wie der Sachverständige Privatdozent Dr. G in einem schriftlichen Gutachten (GA S. 11) bereits überzeugend dargelegt hat (GA S. 11 u. 14), kommt eine primäre Sectio bei einem makrosomen Kind mit einem Kindsgewicht ab 4.500 g in Betracht. Eine Makrosomie lag bei der Klägerin nach dem maximalen geschätzten Gewicht von 3.800 g nicht vor. Die Größenentwicklung des Kopfes der Klägerin befand sich immer am unteren Normbereich, die Größenentwicklung von Thorax und Abdomen zwar im oberen Normbereich, jedoch noch unterhalb der 95er Perzentile. Anhaltspunkte dafür, daß diese nach dem Sachverständigen immer mit Ungewißheit behaftete Gewichtsschätzung fehlerhaft war, bestehen nicht. Die sonographische Gewichtsschätzung ergab sogar noch ein geringeres; Gewicht. Die Ärzte der Beklagten haben bei der Aufnahme alle in diesem Zusammenhang erforderlichen Befunde erhoben. Selbst wenn man das tatsächliche spätere Geburtsgewicht mit 4.030 g zugrundegelegt hätte, hätte im Hinblick darauf, daß es sich um die dritte Geburt der Mutter der Klägerin handelte und diese bei der letzten Geburt zuvor ein Kind mit über 3.500 g spontan geboren hatte, keine Sectio-Indikation bestanden.

Weitere Risikofaktoren, die neben oder im Zusammenhang mit dem zu erwartenden Kindesgewicht eine Sectio-Indikation gegeben hätten, bestanden nicht. In der Schwangerschaft war zwar einmal zwischen der 10. und 12. Schwangerschaftswoche eine Hyperglykämie mit 180 mg/dl Blutzucker festgestellt worden. Der Glukosetoleranztest am 10.11.1994 war dann jedoch unauffällig, so daß eine Schwangerschaftsdiabetes ausgeschlossen war. Die weiteren Glukosurien waren bis einfach positiv, was nach den überzeugenden Angaben des Sachverständigen Dr. G (GA S. 12) bei schwangeren Frauen aufgrund der vermehrten glomerulären Zuckerfiltration als normal gelten kann. Damit fand sich kein Hinweis auf eine diabetische Fetopathie und für die Ärzte der Beklagten damit kein Anhaltspunkt für eine Makrosomie der Klägerin aus diabetischer Ursache. Weitere Untersuchungen bei der Aufnahme der Mutter der Klägerin waren nicht angezeigt. Zwar fand sich bei der Aufnahme ein dreifach positiver Urinzuckerwert. Der Ausschluß einer Gestationsdiabetes hätte, wie der Sachverständige Dr. G ausgeführt hat (GA S. 13), einen Glukosetoleranztest oder ein Blutzuckertagesprofil erfordert. Beide Test hätten mehrere Stunden gedauert, so daß eine rasche Klärung nicht möglich war. Im übrigen hätte im Einblick auf das geschätzte Kindesgewicht, das sonographisch und durch Palpation erhoben worden war, eine Gestationsdiabetes keine Sectio-Indikation gegeben (GA S. 13).

Auch eine Clavicula-Fraktur bei der vorangegangenen Geburt 1991 hätte für eine Sectio-Indikation - auch im Zusammenwirken mit dem Geburtsgewicht nicht ausgereicht. Wie der Sachverständige Privatdozent Dr. G dargelegt hat (GA S. 12), entsteht die überwiegende Zahl der Clavicula-Frakturen bei völlig normal verlaufenden Geburten. Aus einer Glavicula-Fraktur, selbst wenn sie bekannt gewesen wäre, kann deshalb nicht auf eine schwere Geburt oder knappe Verhältnisse zwischen Kind und Becken gefolgert werden.

Auch das starke Übergewicht der Mutter der Klägerin war keine Sectio-Indikation (Dr. D G, Protokoll vom 21.09.1999, S. 13).

2.

Im weiteren Verlauf der Geburt gab es keinen Anlaß, vom eingeschlagenen Konzept einer vaginalen Entbindung zu einer sekundären Sectio abzuweichen. Das anfangs suspekte C G normalisierte sich im weiteren Verlauf bis 15.00 Uhr. In dieser Zeit gab es einen Geburtsfortschritt mit einer Muttermundsöffnung bis zu 7 cm.

Auffälligkeiten bestanden erst ab 15.10 Uhr mit variablen Dezelerationen und dem Abgang von grünlichem Fruchtwasser nach dem Blasensprung gegen 15.30 Uhr. Wie der Sachverständige dargelegt hat (Protokoll S. 14), waren diese Herztonveränderungen noch tolerabel und mußten die Einstellung des Geburtshelfers hinsichtlich des eingeschlagenen Entbindungsweges nicht entscheidend beeinflussen, weil nicht zwingend eine kindliche Gefährdung daraus folgte und weil ein Geburtsfortschritt feststellbar war. Einen Anlaß zur Geburtsbeschleunigung bot erst der Herztonabfall auf 80 bpm um 16.25 Uhr. Daß sich die Ärzte der Beklagten danach zur Vakuumextraktion entschieden, war regelgerecht. Der Muttermund war geöffnet, der Kopf der Klägerin befand sich in der Interspinalebene. Wie der Sachverständige dargelegt hat, bietet die vaginal-operative Entbindung durch Vakuumextraktion in dieser Situation Vorteile. Sie geht schneller von statten als eine Kaiserschnittentbindung, bei der Mutter vermeidet sie die mütterlichen Risiken der Sectio. Mit dem vollständig geöffneten Muttermund und dem Stand des Kopfes in der Interspinalebene war damit die Vakuumextraktion die Methode der Wahl, wie der Sachverständige Dr. G mehrfach deutlich gemacht hat (GA S. 14, Protokoll S. 13). Fehler bei der Durchführung der Vakuumextraktion sind nicht erkennbar und auch nicht behauptet. Nach dem Herztonabfall um 16.15 Uhr erfolgte eine Notfalltokolyse, nach dem Entschluß zur Vakuumextraktion vom 16.30 Uhr war der Kopf der Klägerin um 16.44 Uhr und damit in vertretbarer Zeit entwickelt.

Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt der Anfängeroperation kommen der Klägerin nicht zugute. Die Zeugin Dr. R führte die Vakuumextraktion unter Aufsicht von Oberarzt Dr. W, der Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe ist, durch. Im übrigen war die Zeugin nach 300 bis 400 Geburten, darunter 30 Vakuumextraktionen, sechs Monate vor der Facharztprüfung ausreichend qualifiziert.

3.

Fehler bei der Entwicklung; der Schulter der Klägerin sind nicht bewiesen.

a)

Daß die Zeugin Dr. R nach Entfernen der Glocke das Köpfchen der Klägerin senkte, diente der üblichen Entwicklung der Schulter und entsprach den Regeln der Geburtshilfe. Dazu war sie schon deshalb befugt, weil eine Schulterdygtokie oder erschwere Schulterentwicklung erst danach festgestellt werden konnte, wenn sich die Schulter nicht wie üblich entwickeln ließ. Daß sie hierbei durch zu steiles Anheben des Kopfes die linke hintere Schulter belastete und dadurch die Plexuslähmung verursachte, ist nicht bewiesen. Der Sachverständige Dr. G hat als eine der möglichen Ursachen für die Entstehung der Plexusparese eine zu starke Belastung der linken hinteren Schulter bezeichnet (GA S. 16). Die Zeugin Dr. R., aber auch die übrigen vernommenen Zeugen, Dr. W, Dr. M und die Zeugin M B haben ein zu steiles Anhaben des Kopfes nach oben nicht bekundet. Es ist damit nicht bewiesen.

Beweiserleichterungen kommen der Klägerin nicht zugute. Sie hat als Gläubigerin für einen Schadensersatzanspruch die Beweislast. Einen Anscheinsbeweis für ein ärztliches Fehlverhalten bei einer Plexusparese nach einer Schulterdystokie gibt es nicht. Aus der Plexusparese läßt sich nicht schließen, daß eine Fehlverrichtung bei der Schulterentwicklung ihre Ursache sein muß. Wie der Sachverständige Privatdozent Dr. G (GA S. 16) dargelegt hat, kommt neben dem steilen Anheben des Kopfes oder einer Überdrehung eine Entstehung durch Druck auf die linke Schulter am Promontorium während oder vor der Geburt oder vorgeburtlich eine untypische Lage des linken Armes im Uterus in Betracht (GA S. 16). Wie er darüber hinaus dargelegt hat, gibt es zahlreiche Plexusschädigungen ohne einen erkennbaren Zusammenhang mit einer erschwerten Schulterentwicklung (GA S. 7). Plexuslähmungen kommen auch bei einer korrekten Behandlung vor (GA S. 8). Für einen Anscheinsbeweis fehlt es deshalb an einem typischen Geschehensablauf, bei dem nach der Lebenserfahrung auf die Verursachung einer bestimmten Folge durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann. Einen allgemeinen Erfahrungssatz, nachdem eine seltene Komplikation auf einen ärztlichen Fehler zurückgeht, gibt es nicht (BGH, Urteil vom 10.03.1992, NJW 1992, 1560). Für einen konkreten Erfahrungssatz, daß eine Plexusläsion auf einen Fehler bei der Schulterentwicklung zurückgeht, fehlt es nach diesen Ausführungen des Sachverständigen ebenfalls an dem typischen Geschehensablauf.

b)

Ein Behandlungsfehler durch die Zeugin M B mit dem Versuch der äußeren Überdrehung ist nicht bewiesen.

Bei der Klägerin lag eine erschwerte Schulterentwicklung oder ein hoher Schultergeradstand vor. Wie der Sachverständige dargelegt hat, ergibt sich aus der Beschreibung des Zeugen Dr. W, daß sich die Schulter im geraden Durchmesser befand, die rechte Schulter vorne, die linke Schulter hinten. Damit lag kein tiefer Schulterquerstand vor, sondern eine erschwerte Schulterentwicklung bei geradstehender Schulter (GA S. 9). Das Management der erschwerten Schulterentwicklung bei geradstehender Schulter entspricht dem des hohen Schultergeradstandes, so daß insoweit eine genaue Einordnung dahinstehen kann.

Angezeigt ist danach ein Stufenweises Vorgehen (GA S. 8) mit einer extremen Überstreckung und anschließenden Beugung der Beine (McRobert'sches Manöver), gegebenenfalls einer äußeren Überdrehung des Kopfes nach Martius, danach der sogenannten inneren Lösung, bei der der Arzt nach dem Eingehen mit der Hand zunächst versucht, die vordere Schulter zu drehen, und bei einem Mißlingen dieses Versuches den hinteren Arm aus der Kreuzbeinhöhle löst. Dabei kommt den nichtinvasiven Maßnahmen vor der inneren Lösung, die mit einer höheren Verletzungsgefahr verbunden ist, Priorität zu (GA S. 9). Der Versuch einer äußeren Lösung ist dabei nicht behandlungsfehlerhaft. Wie der Sachverständige dargelegt hat (Protokoll S. 11), wird sie zwar nicht mehr in allen Abhandlungen als Mittel zur Lösung einer Schulterdystokie angeführt, ist aber immer noch beispielsweise in dem Lehrbuch von Martius enthalten. Die äußere Überdrehung weist wie jedes der vorgeschlagenen Manöver spezifische Risiken auf, wobei dieses Risiko bei der äußeren Überdrehung darin liegt, daß es mit Zug durchgeführt wird. Da jedes Manöver ein Risiko aufweist, kann die äußere Überdrehung nicht schon deshalb als behandlungsfehlerhaft gewertet werden. Die Methode wird auch nicht als überholt bezeichnet, sondern in manchen Publikationen ohne Begründung nicht erwähnt. Es handelt sich nach dem Sachverständigen jedoch immer noch um eine in der Praxis anerkannte und gängige Methode (Protokoll S. 12).

Die Mitarbeiter der Beklagten haben sich an diese Regeln gehalten. Vor der inneren Lösung durch den Zeugen Dr. W, haben sie die äußere Überdrehung durch die Zeugin M B versucht und das McRobert'sche Manöver. Daß auch das McRobert'sche Manöver versucht wurde, ergibt sich sowohl aus den Aussagen der Zeugen Dr. W, Dr. R und M B als auch aus der Dokumentation, wo es mit "weiteres Hochdrehen des Beckens" beschrieben ist. Die Mutter der Klägerin konnte sich zwar an eine solche Lageveränderung nicht erinnern. Angesichts der Situation mitten unter der Geburt und der kurzen Zeitdauer zwischen der Entwicklung des Kopfes um 16.44 Uhr und der Entwicklung der Klägerin um 16.46 Uhr hat die Mutter der Klägerin aber u. U. nicht mehr alle Einzelheiten im Ablauf in der Erinnerung. So konnte sie auch nicht sicher erinnern, wann nach dem Beginn der Vakuumextraktion noch mitkristellert worden sein sollte. Der Senat hält die Angaben der Zeugen für glaubwürdig und glaubhaft. Die Zeugen haben von sich aus angegeben, wo sie keine Erinnerung mehr hatten, sondern sich nur auf die Dokumentation stützen konnten, In dieser Dokumentation sind schließlich die Maßnahmen im einzelnen aufgeführt.

Fehler bei der Durchführung des McRobert'schen Manövers oder der äußeren Überdrehung des Kopfes sind nicht bewiesen. Bei der Durchführung des Manövers nach McRoberts haben die Mitarbeiter der Beklagten zwar die Beine nicht zunächst in eine gestreckte Stellung geschlagen, bevor sie sie hochhoben. Das ist jedoch nicht Fehlerhaft. Wie der Sachverständige dargelegt hat, dient die Streckung der Vorbereitung und Erleichterung des McRoberts-Manövers, bei dem die verstärkte Beugung in der Hüfte wesentlich ist, um eine Lageveränderung der Symphyse zu erreichen (Protokoll S. 12). Diese verstärkte Beugung der Hüfte wurde aber durchgeführt. Fehler bei der Durchführung des McRoberts-Manövers sind im übrigen auch nicht geeignet, eine Plexusläsion herbeizuführen (Protokoll S. 12). Daß die Zeugin M B beim Versuch der äußeren Überdrehung übermäßig zog und dadurch eine Plexusschädigung verursachte, ebenfalls nicht bewiesen. Die Zeugen Dr. W, Dr. R und M B haben keinen übermäßigen Zug bekundet. Aus der Plexusläsion läßt sich aus den unter 3 a) dargelegten Gründen nicht auf die Entstehung schließen, für die auch Umstände vor der Geburt wie eine ungewöhnliche Lage im Uterus in Betracht kommen. Aus diesem Grund fehlt es auch am Nachweis der Kausalität zwischen einem übermäßigem Zug bei der äußeren Überdrehung und der Schadensentstehung durch die Klägerin. Beweiserleichterungen kommen der Klägerin nicht zugute. Ein Anscheinsbeweis scheidet auch hier aus den unter 3 a) genannten Gründen aus. Die Leitung der Schulterentwicklung hatte nach Feststellung durch Dr. R, daß sich die Schulter nicht normal entwickeln ließ, der Facharzt, der Zeuge Dr. W. Das ergibt sich nicht nur aus dem Aussagen der Zeugen Dr. W, Dr. R und M B, sondern auch aus der Dokumentation. Die Behauptung der Klägerin, die Zeugin Dr. R habe ihrer Mutter erklärt, sie hätten am Arm oder an der Schulter des Kindes gezogen und der Ellenbogen oder die Schulter sei verrenkt, ist nicht bewiesen. Weder die Zeugin Dr. R noch die Zeugin Dr. W, M B und Dr. M haben eine solche Äußerung bestätigt.

Unter der Leitung des Facharztes Dr. W durfte der Versuch der äußeren Überdrehung der Zeugin M B als Hebamme überlassen werden. Die Beklagte hat damit den geschuldeten Facharztstandard gewahrt. Der Facharzt Dr. W war nicht nur beständig anwesend, sondern hat die Schulterentwicklung geleitet und griff, nachdem weder der Versuch einer äußeren Überdrehung noch das Manöver nach Roberts Erfolg hatten, sofort ein. Die Gewährleistung des Facharzt standardes bedeutet nicht, daß der Facharzt jeden Handgriff persönlich vornehmen muß, sondern nur, daß er ärztliches und nichtärztliches Personal anleitet und jederzeit eingriffsbereit und eingriffsfähig ist (Geiß-Greiner, RN B 3). Daß die Kompetenz der Hebamme beim Auftreten einer Schulterdystokie enc et (OLG Stuttgart VersR 1994; 1114), bedeutet, daß in diesem Fall der Fachart zugezogen werden muß, aber nicht, daß er zwingend sämtliche Handgriffe, persönlich vornehmen muß. Der Zeuge Dr. W durfte der Zeugin M B unter seiner Aufsicht deshalb den Versuch der äußeren Überdrehung überlassen. Wie der Sachverständige (GA S. 9) dargelegt hat, besitzen erfahrene Hebammen in der Regel die meiste Erfahrung mit der Schulterentwicklung, weil sie die Schulterentwicklungen in der Regel durchführen.

c)

Ein Behandlungsfehler bei der inneren Lösung durch den Zeugen Dr. W ist ebenfalls nicht bewiesen. Wie der Sachverständige dargelegt hat, war die innere Lösung angezeigt, nachdem die nichtinvasiven Maßnahmen nicht zur Entwicklung der Schulter geführt hatten (GA S. 9). Dabei war es richtig, zunächst eine Lösung der vorderen rechten Schulter, zu versuchen, die dann auch Erfolg hatte. Daß der Zeuge Dr. W im konkreten Fall fehlerhaft vorging, ist nicht bewiesen. Er hat, wie der Sachverständige bestätigte, eine Lösung der vorderen Schulter entsprechend den Regeln beschrieben. An der geschädigten linken Schuster der Klägerin wurde dabei nicht gezogen. Dafür bestand, nachdem bereits der erste Schritt, nämlich der Versuch einer Lösung der vorderen rechten Schulter, zum Erfolg führte, keine Veranlassung. Daß bereits das Lösen der vorderen Schulter zum Erfolg führte, ergibt sich aus den Aussagen der Zeugen Dr. W und Dr. R sowie der Dokumentation. Daß die Zeugin Dr. R von einem Zug an der linken Schulter unmittelbar nach der Geburt berichtet habe, ist nicht bewiesen (oben 3 b). Die zwischen der Kopfentwicklung und der Geburt der Schulter verstrichene Zeit von 2 Minuten war nicht zu lang (GA 33. 10).

d)

Daß noch während der Schulterentwicklung kristellert wurde, hat die Klägerin nicht bewiesen. Wie der Sachverständige dargelegt hat, kommt zur Unterstützung der vaginal-operativen Entbindung Kristellern durch Druck auf den Fundus in Betracht. Bei der Schulterentwicklung ist es jedoch absolut kontraindiziert und damit fehlerhaft (GA S. 10). Daß noch nach der vaginal-operativen Entbindung während der Schulterentwicklung kristellert wurde, hat die Klägerin nicht bewiesen. Schon aus den Angaben ihrer Eltern ergibt sich dies nicht. Der Vater der Klägerin verlieft bereits vor der vaginal-operativen Entbindung den Kreißsaal, also noch zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Kristellern zur Unterstützung der Entbindung erlaubt war. Sein Bericht über einen Arzt, der auf den Bauch der Mutter der Klägerin drückte, kann sich deshalb nur auf diesen Zeitraum vor der Vakuumextraktion beziehen. Die Mutter der Klägerin, die vor dem Senat zunächst nur von einem einmaligen Drücken auf ihren Bauch gesprochen hatte, hat danach zwar angegeben, daß auch, nachdem ihr Mann den Kreißsaal verlassen habe, ein zweites Mal gedrückt worden sei. Sie konnte aber selbst nicht angeben, ob dies während der Kopfentwicklung oder der Schulterentwicklung war. Die Angaben der Mutter der Klägerin sind bereits deshalb zweifelhaft, weil sie erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von einem zweiten Drücken auf ihren Bauch sprach. Aber selbst wenn man sie zugrundelegt, ergibt sich daraus nicht, daß während der Schulterentwicklung und nicht nur erlaubterweise während der Vakuumextraktion kristellert wurde. Mit den Angaben der Zeugen Dr. W, Dr. R, Dr. M und M B ist ein Kristellern während der Schulterentwicklung ebenfalls nicht bewiesen. Alle vier Zeugen gaben an, sich an ein Kristellern nicht erinnern zu können. Die Zeugen Dr. W, Dr. R und M B erklärten darüber hinaus, daß ein Kristellern allenfalls in der Zeit vor der Schulterentwicklung erfolgt sein könnte. Aus der ausführlichen Dokumentation des Geburtsverlaufes ergibt sich dazu ebenfalls nichts.

e)

Ein Behandlungsfehler durch die Lagerung des Armes der Klägerin nach der Geburt ist nicht bewiesen. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, wird für die obere Plexusläsion gelegentlich eine Lagerung mit einer Abduktion des Oberarmes um 90° und Flotation der Schulter empfohlen, allerdings ohne Fixierung mit Schienen. Abduktion und Schienung können jedoch auch eine untere Plexusschädigung verschlechtern. Teilweise wird deshalb insgesamt nur eine Schonung des linken armes empfohlen. Bei der kompletten Armplexusparese mit einer oberen und unteren Plexusläsion entspricht es deshalb dem Behandlungsstandard, wenn der linke Arm im Hinblick auf die Gefährdung für die untere Plexusläsion nur geschont wird (GA S. 17). Die Lagerung der Klägerin mit einer Schonung des linken Armes nach Rücksprache mit der Pädiaterin war somit regelgerecht. Eine sofortige pädiatrische Untersuchung war nicht erforderlich, die Klägerin mußte innerhalb der ersten ein bis zwei Lebenstage einem Pädiater vorgestellt werden (GA S. 17). Dies ist mit der Verlegung am 14.05.1995 in die Kinderklinik geschehen. Die Behandlung der Klägerin unmittelbar nach der Geburt war darüber hinaus für die verbliebene Schädigung der Klägerin nicht ursächlich. Wie der Sachverständige Dr. G dargelegt hat, ist die Prognose der Lähmung im wesentlichen vom primären Schweregrad abhängig, so daß auch die Defektheilung der Klägerin auf die schwere primäre Schädigung der Plexusanteile zurückzuführen ist (GA S. 17).

II.

Die Beklagte haftet auch nicht wegen unzureichender Aufklärung über Behandlungsalternativen.

1.

Eine Aufklärung über eine primäre Sectio als Behandlungsalternative gegenüber der vaginalen Geburt im Zusammenhang mit der Aufnahme der Mutter der Klägerin bei der Beklagten war nicht geschuldet. Die Sectio war zur vaginalen Geburt keine echtes Behandlungsalternative. Der Arzt darf sich nicht eigenmächtig für eine vaginale Geburt entscheiden, wenn für den Fall, daß die Geburt vaginal erfolgt, für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Kaiserschnittentbindung sprechen und diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution und des Befindens der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt (BGH. Urteil vom 19.01.1993, VI ZR 60/92, VersR 1993, 935). Eine solche Situation kann vorliegen, wenn ein makrosomes Kind zu erwarten ist (vgl. den Fall BGH, Urteil vom 19.01.1993, VI ZR 60/92, VersR 1993, 935 mit einem erwarteten Geburtsgewicht von 4.200 g; OLG Hamm VersR 1997, 1403 mit einem erwarteten Geburtsgewicht von 4.400 g; OLG Köln VersR 1998, 1156: erwartetes Gewicht von mehr als 4.000 g und makrosomes Geschwisterkind mit Schulterdystokie). Ein makrosomes Kind war jedoch aufgrund der Gewichtsschätzung von bis zu 3.800 g nicht zu erwarten, weitere Risikofaktoren bestanden bei der Aufnahme der Mutter der Klägerin nicht (oben I 1). Wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat, war deshalb grundsätzlich eine vaginale Entbindung angezeigt (Protokoll S. 13), eine primäre Sectio auch nicht relativ indiziert.

2.

Die Beklagte hat es auch nicht unterlassen, im weiteren Verlauf der Geburt der Klägerin deren Mutter über die Alternative einer sekundären Sectio aufzuklären. Wenn bei einer vaginalen Geburt dem Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, deshalb in seinem Interesse gewichtige Gründe für eine Kaiserschnittentbindung sprechen und diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution und des Befindens der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt, hat der Arzt auch während des Verlaufs der Geburt die Mutter über die Alternative einer Sectio aufzuklären. Da das Recht jeder Frau, selbst darüber, zu bestimmen zu dürfen, möglichst umfassend gewährleistet sein muß, andererseits aber die werdende Mutter während des Geburtsvorganges nicht ohne Grund mit Hinweisen über die unterschiedlichen Gefahren und Risiken der verschiedenen Entbindungsmethoden belastet werden soll und ihr nicht Entscheidungen für ein eine dieser Methoden abverlangt werden sollen, so lange es noch ungewiß ist, ob eine solche Entscheidung überhaupt getroffen werden muß, ist zwar nicht bei jeder Geburt eine vorgezogene Aufklärung über die unterschiedlichen Risiken der verschiedenen Entbindungsmethoden erforderlich. Andererseits kann mit dieser Aufklärung auch nicht gewartet werden, bis die Mutter im weiteren Verlauf der Geburt u. U. nicht mehr in der Lage ist, einer Aufklärung zu folgen und eine Entscheidung zu treffen. Eine Aufklärung über die unterschiedlichen Risiken der verschiedenen Entbindungsmethoden ist deshalb nicht schon dann erforderlich, wenn nur die theoretische Möglichkeit besteht, daß im weiteren Verlauf eine Konstellation eintreten kann, die als relative Indikation für eine Schnittentbindung zu werten ist. Die Aufklärung ist aber immer dann erforderlich und muß dann bereits vorgenommen werden, wenn deutliche Anzeichen dafür bestehen, daß sich der Geburtsvorgang in Richtung auf eine solche Entscheidungssituation entwickeln kann, in der die Schnittentbindung notwendig oder zumindest zu einer echten Alternative zur vaginalen Entbindung wird (BGH, Urteil vom 16.02.1993, VI ZR 300/91, VersR 1993, 703). Eine solche Situation zeichnete sich bei der Klägerin jedoch vor dem Herztonabfall um 16.25 Uhr auf 80 Schläge pro Minute nicht ab. Die Geburt verlief hinsichtlich des Tempos und des Geburtsfortschrittes im erwartbaren Rahmen, der Muttermund war um 14.50 Uhr auf 7 cm, 15.15 Uhr auf 8 cm und um 16.15 Uhr vollständig eröffnet. Das bis 15.10 Uhr gebesserte CTG zeigte ab diesem Zeitpunkt variable Dezelerationen, die nach den Überzeugenden Angaben des Sachverständigen de Gregorio es suspekt erscheinen ließen (GA S. 4). Die Herztonveränderungen waren aber noch als tolerabel anzusehen und gaben im Hinblick auf den erreichten Geburtsfortschritt keinen Anlaß, vom eingeschlagenen Entbindungskonzept abzugehen, sie waren schließlich kein Anlaß, mit dem Erfordernis einer beschleunigten Geburtsbeendigung zu rechnen (Protokoll S. 14).

Als um 16.25 Uhr nach einer breiten variablen Dezeleration mit einem Absinken der Herzschlagfrequenz auf 80 Schläge pro Minute eine Beschleunigung der Geburt angezeigt war, war der Kaiserschnitt keine ernsthaft in Betracht kommende Behandlungsalternative. Zu diesem Zeitpunkt war der Muttermund vollständig, der Kopf stand in der Interspinalebene und damit in Beckenmitte. Auch im Hinblick auf die Gefährdung für die Klägerin war damit die vaginaloperative Entbindung vorzugswürdig und der Kaiserschnitt keine ernsthafte Behandlungsalternative. Zwar ist mit der Vakuumextraktion eine höhere Gefahr einer Schulterdystokie, die ihrerseits eine höhere Gefahr für eine Armplexusläsion aufweist, verbunden. Wie der Sachverständige Dr. G ausgeführt hat, hat die Vakuumextraktion in dieser Situation aber auch Vorteile für das gefährdete Kind, weil sie schneller von statten geht als eine Sectio. Hinzu kommt, daß in der dann gegebenen Situation ein Notfallkaiserschnitt anstünde, der insgesamt höhere Risiken als ein geplanter Kaiserschnitt aufweist (Protokoll S. 13 u. 14). Wegen der Vorteile ist die Sectio dann, wenn aufgrund der erwarteten Kindesgröße und dem Geburtsfortschritt mit geöffnetem Muttermund und dem kindlichen Kopf in der Interspinalebene eine vaginal-operative Entbindung Vorteile gegenüber der Sectio in zeitlicher Hinsicht und hinsichtlich der Gefährdung der Mutter aufweist, keine echte Behandlungsalternative (OLG Zweibrücken VersR 1997, 1103; OLG Schleswig, VersR 1997, 831).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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