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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 04.04.2000
Aktenzeichen: 14 U 31/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
1. Zur Abklärung eines Thromboseverdachts war 1995 eine Duplexsonographie vor einer Phlebographie indiziert, weil es sich um eine nicht invasive und damit schonendere Methode handelte.

2. Die Entscheidung, ob bei negativem Ergebnis der Sonographie zusätzlich eine Phlebographie erfolgen soll, obliegt dem überweisenden Arzt und nicht dem Arzt, der die Sonographie durchführt.

Die Revision wurde mit Beschluß vom 20.11.2000 als unzulässig verworfen.


Oberlandesgericht Stuttgart - 14. Zivilsenat - Urteil

Geschäftsnummer: 14 U 31/99 8 O 7/97 LG Tübingen

verkündet am 04. April 2000

Urkundsbeamtin der Ceschäftstelle

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 15. Februar 2000 unter Mitwirkung

der Vors. Richterin am OLG

des Richters am OLG

der Richterin am OLG

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 24.03.99 - 8 O 7/97 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 27.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte Ziff. 2 vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Wert der Berufung 250.000,00 DM;

Beschwer des Klägers: über 60.000,00 DM.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt den Beklagten Ziff. 2 wegen einer ambulant durchgeführten Ultraschalluntersuchung auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Anspruch. Im ersten Rechtszug war noch der Träger des Kreiskrankenhauses R als Beklagter Ziff. 1 beteiligt.

Der am 03.08.66 geborene Kläger zog sich am 12.09.95 während eines Urlaubs auf den Kanarischen Inseln eine Patellaluxation des rechten Kniegelenks zu. Er wurde dort von einem ortsansässigen Arzt behandelt. Vor dem vereinbarten Ende des Urlaubs am 21.09.95 war ein Rückflug nicht möglich. Am 22.09.95 suchte der Kläger die Chirurgische Gemeinschaftspraxis Dres. R H u.a. in R auf; es waren - neben den fortbestehenden Beschwerden im Kniebereich - Schmerzen im rechten Unterschenkel hinzugetreten. Der ihn behandelnde chirurgische Facharzt Dr. F vermerkte u.a. eine "deutliche Unterschenkelumfangszunahme re." im Behandlungsblatt und stellte die Verdachtsdiagnose einer Unterschenkelvenenthrombose rechts. Er ließ eine elastische Wickelung vornehmen und überwies den Kläger an die "Innere Medizin" des Kreiskrankenhauses R zur Durchführung einer "Konsiliaruntersuchung" (angekreuzt) wegen Verdachts auf eine tiefe Beinvenenthrombose mit der Bitte um "Abklärung Diagnose/Verdacht".

Dort führte der Beklagte Ziff. 2 nach klinischer Untersuchung des Klägers in B-Bild Technik eine Beinvenensonographie, eine Sonographie des Kniegelenks und der Knieweichteile rechts durch. Zur Vorgeschichte vermerkte der Beklagte: "... jetzt seit wenigen (Tagen) zunehmend Schmerz auch im Bereich der medialen Wadenmuskulatur". Nach dem erhobenen Befund stellten sich die V. poplitea, die V. saphena parva-Einmündung und alle 3 Unterschenkelvenengruppen als offen und kompressibel dar. Die niedergelegte Beurteilung lautete:

1. Kein Nachweis einer tiefen Beinvenenthrombose re., kein Kniegelenkserguß.

2. Kein Hinweis für oberflächl. Thrombophlebitis oder Muskelvenenthrombose.

3. B-bildsonographisch Verd. auf kleines Hämatom im Bereich des medialen Gastrocnemius (ebendort umschr. Druckschmerz).

Ebenso lautete der Befund im vorläufigen Bericht.

Der Kläger suchte mit diesem Befundbericht gegen 15.00 Uhr erneut die Praxis Dr. H auf. Der behandelnde Arzt - möglicherweise nicht mehr Dr. F - ging von einem Ausschluß der Verdachtsdiagnose aus und ordnete eine konservative Behandlung der Luxation mit 10 krankengymnastische Behandlungen, einer Kniebandage sowie Lymphdrainagen an.

Der Zustand des Beines am Untersuchungstag und die weitere Entwicklung sind zwischen den Parteien streitig. Am 25.09.95 erlitt der Kläger gegen 22.00 Uhr einen Erstickungsanfall. Unter der Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie wurde er kurz vor Mitternacht in das Kreiskrankenhaus B eingeliefert. Wegen einer "fulminanten" Lungenembolie nahmen die Ärzte eine Lysetherapie vor. Diese führte zunächst zu einer Besserung des Gesundheitszustands. Eine orientierende Ultraschalluntersuchung der Venen im Bereich zwischen Becken und Kniekehle war ohne Befund geblieben. Am Morgen des 26.09.95 wurde aufgrund neurologischer Auffälligkeiten eine sehr ausgedehnte Hirnmassenblutung festgestellt, worauf die Heparininfusion gestoppt und eine gegenläufige medikamentöse Behandlung mit Protamin eingeleitet wurde. Noch am selben Tag wurde der Kläger in die Universitätsklinik T verlegt, wo er sich bis zum 06.11.95 auf der Intensivstation befand. Am 27.09.95 erfolgte nach Trepanation und Temporallappenresekticn die Ausräumung des Hämatoms. Wegen Verdachts auf einen erneuten Embolieschub erfolgte dort am 01.10.95 eine farbkodierte Dopplersonographie, die ebenfalls ohne thrombotischen Befund blieb. Die am 02.10.95 in der Abteilung für radiologische Diagnostik der Universitätsklinik durchgeführte Phlebographie ergab im Bereich der V. fibularis des rechten Unterschenkels z.T. frische, umflossene, z.T. wandadhärente Thromben und einen atypischen Thrombus aus einem Seitenast.

Der Kläger ist körperlich schwer behindert und auf Pflege Dritter angewiesen. Er leidet unter einer armbetonten spastischen Hemiparese rechts und einer Störung der Augenbeweglichkeit mit vertikaler Blickparese; er verfügt nur noch über eine reduzierte Sprechfähigkeit bei gut erhaltenem Sprachverständnis. Im Januar 1996 erfolgte die Anlage eines VP-Shunts wegen Hydrocephalus aresorptivus. Im August 1996 traten Krampfanfälle auf, wobei er sich Wirbelkörperfrakturen zuzog. Der Kläger muß deshalb ein Stützkorsett tragen.

Diese Entwicklung führt der Kläger auf einen groben Diagnosefehler des Beklagten Ziff. 2 zurück. Er hat geltend gemacht: Die Untersuchung sei nicht sachgemäß durchgeführt worden. Es fehle eine kontinuierliche Dokumentation des Untersuchungsablaufs. Im übrigen verfüge der Zweitbeklagte nicht über ausreichende Erfahrung bei der Beurteilung von Sonographien. Der Beklagte habe zum Ausschluß einer tiefen Beinvenenthrombose eine Phlebographie durchführen müssen. Jedenfalls dann, wenn eine Sonographie den Thromboseverdacht nicht bestätige, sei eine weitere phlebographische Untersuchung zwingend und gehöre bei Thromboseverdacht zu den elementaren Behandlungsregeln, deren Unterlassung einen schweren Behandlungsfehler begründe. Bei Beachtung der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebographie und Durchführung dieser Untersuchung wäre die bestehende Thrombose nicht verkannt und die Lungenembolie vermieden worden. Aufgrund der schwerwiegenden Dauerschädigung sei ein Schmerzensgeld von mindestens DM 250.000,-- angemessen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger wegen der fehlerhaften Diagnostik vom 22.09.95 im Kreiskrankenhaus R ein Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 4% Zinsen ab Rechtshängigkeit.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat der Erstbeklagte vortragen lassen, er sei nicht passiv legitimiert.

Der Beklagte Ziff. 2 hat vorgetragen, die von ihm gestellte Diagnose sei zutreffend gewesen; eine Thrombose habe nicht vorgelegen. Eine Phlebographie habe nicht veranlaßt werden müssen. Die in älteren Entscheidungen der Obergerichte als Standard bezeichnete Phlebographie sei durch Fortschritte in der Sonographie überholt. Diese bedeute eine weit geringere Belastung des Patienten durch den Verzicht auf die für die Phlebographie notwendige Kontrastmittelgabe. Er verfüge über die für die Untersuchung notwendige Erfahrung; seit 1991 sei er selbständig mit dieser Untersuchungsmethode betraut und habe allein im Zeitraum von 1989 bis 1995 weit über 1000 derartiger Venenuntersuchungen vorgenommen. Eine Verlaufsdokumentation der Untersuchung sei nur mit Videoband möglich und bei dem in Rede stehenden Körperbereich nicht medizinischer Standard.

Das Landgericht hat u.a. die Krankenunterlagen der Kreiskrankenhäuser R und Böblingen sowie der Universitätsklinik T beigezogen. Die Krankenunterlagen der Gemeinschaftspraxis Dres. H R wurden in Kopie übersandt. Es hat ein schriftliches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben und sich dieses - nach Anhörung der Parteien sowie Vernehmung des Zeugen Prof. B. - im Termin am 10.03.99 von Dr. H erläutern lassen.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.03.99 abgewiesen. Es hat den Einsatz der Sonographie für ausreichend erachtet und Fehler in der Durchführung der Untersuchung nicht feststellen können. Gegen dieses dem Kläger am 26.03.99 zugestellte Urteil hat er - soweit - die Klage gegen den Beklagten Ziff. 2 abgewiesen worden ist - am 23.04.99 Berufung eingelegt und am 21.07.99 - innerhalb verlängerter Frist - begründet.

Der Kläger wiederholt seine Auffassung, wonach es nicht mit ausreichender Sicherheit möglich sei, mittels sonographischer Untersuchung eine Unterschenkelvenenthrombose auszuschließen. Es habe bei ihm eine mittlere bis hohe Thromboseneigung vorgelegen. Er hätte deshalb eine Phlebographie veranlassen oder darauf hinweisen müssen, daß er eine tiefe Beinvenenthrombose zwar nicht habe feststellen, aber auch nicht habe ausschließen können. Er hätte dann eine weiterführende Diagnostik verlangt. Eine Phlebographie sei ferner auch deshalb veranlaßt gewesen, weil das rechte Bein nicht nur stark geschwollen, sondern weil die Haut glänzend rosarot, bzw. rot oder lila-bläulich gefärbt gewesen sei. Dies sei auch der Befund an den folgenden Tagen gewesen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten Ziff. 2 zu verurteilen, an den Kläger wegen der am 22.09.95 im Kreiskrankenhaus R durchgeführten fehlerhaften Behandlung ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Der Beklagte Ziff. 2 hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des Landgerichts für richtig. Er sei ausreichend qualifiziert gewesen und habe die Untersuchung sorgfältig durchgeführt. Im Fall des Klägers sei eine Phlebographie nicht angezeigt gewesen. Bei der Untersuchung des Klägers sei die Haut nicht speckig glänzend oder farblich auffällig verändert gewesen. Dies sei auch bei Dr. F und dem nachbehandelnden Arzt nicht feststellbar gewesen. Eine etwa erforderliche Wiederholung der Sonographie hätte der behandelnde Arzt anordnen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens des PD Dr. O. Dieser hat sein Gutachten in den Sitzungen vom 02.11.99 und 15.02.00 näher erläutert. Der Senat hat ferner als Zeugen Frau P und Dr. F vernommen. Wegen ihrer Angaben wird auf die Niederschrift der jeweiligen Sitzungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Dem Beklagten Ziff. 2 ist im Rahmen der ihm übertragenen Aufgabe ein diagnostisches Verschulden nicht nachzuweisen. Der Beklagte Ziff. 2 durfte sich im Rahmen der ihm übertragenen Untersuchung auf die Durchführung und Auswertung einer Sonographie der Beinvenen beschränken. Eine etwa in Betracht kommende weiterführende Diagnostik oblag nicht ihm, sondern dem behandelnden Arzt. Nicht erweislich ist in diesem Zusammenhang, daß der rechte Unterschenkel über die Schmerzhaftigkeit und eine deutliche Umfangsvermehrung hinaus farblich oder in der Hautbeschaffenheit verändert war. Das Landgericht hat die Klage deshalb zurecht abgewiesen.

1.

Der Untersuchungsauftrag des behandelnden Arztes bezog sich auf die Durchführung einer Kompressionssonographie. Diesen Auftrag mußte der Beklagte Ziff. 2 nicht in Frage stellen. Er war in dieser Untersuchung ausreichend erfahren. Fehler in Durchführung und Auswertung der Untersuchung sind nicht ersichtlich, jedenfalls nicht nachgewiesen. Deshalb ist ihm nicht anzulasten, daß er eine etwa zum Untersuchungszeitpunkt schon vorhandene Beinvenenthrombose nicht entdeckt hat.

a) Der Beklagte Ziff. 2 war vom behandelnden Facharzt, dem Zeugen Dr. F, zur Durchführung einer Ultraschalluntersuchung beauftragt worden. Dies ergibt sich aus dem Überweisungsformular, mit welchem der Kläger zur Abklärung des Verdachts auf eine tiefe Beinvenenthrombose an die "Innere Medizin" des Kreiskrankenhauses R. überwiesen worden war, die auf die Durchführung gefäßdiagnostischer Ultraschalluntersuchungen spezialisiert war (vgl. die Angaben des Beklagten im Termin vor dem Landgericht Bl. 168 f., 172); andere Untersuchungstechniken zur Abklärung des beschriebenen Verdachts standen auf der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses nicht zur Verfügung. Es handelte sich, wie sich aus dem Überweisungsformular ergibt, um eine Konsiliaruntersuchung, nicht um eine Überweisung zur Mitbehandlung. Der erteilte Auftrag beschränkte sich somit auf die fachgerechte Durchführung der erbetenen Untersuchung. Im übrigen oblag die ärztliche Behandlung weiterhin dem überweisenden Facharzt Dr. F..

b) Der Beklagte Ziff. 2 hatte keinen Anlaß, den erteilten Auftrag in Frage zu stellen. Grundsätzlich darf der übernehmende Arzt darauf vertrauen, daß der überweisende Arzt die Indikation für die Durchführung der erbetenen Untersuchung geprüft hat (OLG Düsseldorf VersR 1984, 643; OLG Stuttgart VersR 1991, 1060). Dies gilt nicht nur im Hinblick auf etwaige Risiken der in Auftrag gegebene Untersuchung, sondern auch für die hier maßgebliche Frage, welcher Stellenwert der erbetenen Untersuchung im Rahmen der ärztlichen Fragestellung zukommt. Insoweit muß der übernehmende Facharzt prüfen, ob der Auftrag richtig gestellt ist und dem Krankheitsbild entspricht (vgl. BGH vom 05.10.93 VI ZR 237/92 = VersR 1994, 102). Etwaigen Zweifeln an der Richtigkeit der ihm übermittelten Diagnose hätte er ebenso nachzugehen (vgl. BGH. v. 14.07.92 - VI ZR 214/91 = VersR 1992, 1263, 1264) wie etwaigen Bedenken zum Stellenwert der von ihm erbetenen Untersuchung. Eine Verpflichtung zur Äußerung von Bedenken wäre in Betracht gekommen, wenn durch die angestrebte Ultraschalluntersuchung der beabsichtigte Zweck - Abklärung des Verdachts einer tiefen Beinvenenthrombose - nicht hätte erreicht werden können, etwa weil aus medizinischer Sicht eine Phlebographie vorrangig indiziert gewesen wäre.

Dabei kann vorliegend offen bleiben, ob die Anordnung dieser Untersuchung durch den überweisenden oder den konsiliarisch tätigen Arzt hätte erfolgen müssen. Denn ein solcher Fall hat hier nicht vorgelegen, da die Durchführung einer Ultraschalluntersuchung zur Abklärung des hier bestehenden Thromboseverdachts bereits 1995 vorrangig indiziert war.

Die Phlebographie - obwohl Referenzuntersuchung oder "Goldstandard" - war nicht an die erste Stelle zu setzen. Bei ihr handelt es sich um ein invasives Verfahren, das wegen des Einsatzes eines jodhaltigen Kontrastmittels mit Risiken für den Patienten verbunden ist (vgl. das Gutachten des erstinstanzlichen Sachverständigen Dr. H Bl. 71). Da unter den Patienten mit dem Verdacht auf eine tiefe Beinvenenthrombose nur wenige tatsächlich eine Thrombose haben, kommt den Verfahren, die nicht mit Nebenwirkungen verbunden sind, der Vorrang zu (Dr. H a.a.O., Bl. 81; im Termin vor dem Landgericht Bl. 176). Die Sonographie nimmt danach bei den diagnostischen Verfahren den ersten Rang ein (Dr. H im Termin Bl. 176). Das sehen auch die vom Kläger herangezogenen Leitlinien zur Diagnostik der tiefen Bein-/Beckenvenenthrombose nicht anders (Bl. 230 ff.), die seit Juni 1996 gelten (vgl. Bl. 237; vgl. auch schriftl. Gutachten PD Dr. O Bl. 297). Danach ist in jedem Fall zunächst eine ("Duplex"-) Sonographie zu machen (aktualisierter Stand Februar 1998, Bl. 238). Die Phlebographie dient erst in einem zweiten Schritt bei geringer klinischer Thrombosewahrscheinlichkeit der Absicherung einer positiven Ultraschalldiagnose, bei mittlerer und hoher klinischer Thrombosewahrscheinlichkeit der Absicherung einer negativen Diagnose.

Dabei war die Durchführung einer "Duplex-" Sonographie, also einer kombinierten B-Bild- und dopplersonographischen Untersuchung, 1995 noch nicht Standard (PD Dr. O, im ersten Termin vor dem Senat Bl. 322). Die B-Bild-Sonographie war aber schon damals als Mittel der Gefäßdiagnostik eingeführt und hatte - im Wege des bereits beschriebenen stufenweisen Vorgehens - den primären Einsatz der Phiebographie zum Ausschluß oder Nachweis eines Thromboseverdachts abgelöst (ausdrücklich der Sachverständige Dr. H im Termin vor dem Landgericht Bl. 176 f.). Das gilt auch für den Verdacht einer Beinvenenthrombose im Bereich der Unterschenkelvenen, wenngleich hierbei Erfahrung und Geschick des untersuchenden Arztes besonderes Gewicht haben. Das haben die Sachverständigen klar und eindeutig ausgeführt. Der Sachverständige Dr. H hält die Kompressionssonographie auch im Bereich der Unterschenkelvenen jedenfalls in der Hand des erfahrenen Untersuchers der Phlebographie für gleichwertig, zumal auch die Phlebographie keine mit 100 %iger Sicherheit ausgestattete Diagnose erlaubt (Bl. 82, 86; zustimmend PD Dr. O in seinem schriftl. Gutachten Bl. 301 f.). Somit waren gegenteilige Erkenntnisse der Rechtsprechung, die zeitlich früher liegende Fällen betreffen (vgl. OLG Hamm VersR 1990, 660 und VersR 1990, 1120; OLG Karlsruhe VersR 1993, 190 = NJW-RR 1992, 728), damals schon überholt. Dementsprechend wird in einer neueren Entscheidung die Haftung wegen unterlassener Abklärung eines bestehenden Thromboseverdachts auf die Nichterhebung einer Sonographie und/oder Phlebographie gestützt (OLG Oldenburg VersR 1999, 318 = MedR 1998, 268 zu einen Sachverhalt aus 1994; ebenso Bergmann/Kienzle, VersR 1999, 283, 285 zum Verhältnis von Sonographie und Phlebographie mit Hervorhebung der farbcodierten Duplexsonographie).

c) Der Beklagte war, wie vom Landgericht zutreffend festgestellt worden ist und von der Berufung nicht mehr angegriffen wird, in der gewählten Untersuchungstechnik ausreichend erfahren.

d) Der Beklagte Ziff. 2 hat die Untersuchung - unter Zugrundelegung der dokumentierten Angaben und seiner Schilderung vor dem Landgericht im Termin vom 10.03.99 - auch fachgerecht und sorgfältig durchgeführt. Das haben beide Sachverständige bestätigt. Auf das Urteil des Landgerichts wird Bezug genommen. Eine Fehlinterpretation der von ihm erhobenen Befunde - das Bestehen einer Thrombose unterstellt - ist somit zumindest nicht erweislich. Danach durfte der Beklagte Ziff. 2 das Bestehen einer tiefen Beinvenenthrombose - nach der von ihm durchgeführten Untersuchung und mit der damit verbundenen Aussagekraft ausschließen. Diese Bezeichnung ist, wie PD Dr. O ausgeführt hat, zutreffend, da sie sich nur auf das angewendete Verfahren bezieht (erster Termin Bl. 325). Deshalb läßt sich aus ihr nicht der Vorwurf ableiten, der Beklagte Ziff. 2 habe den behandelnden Arzt damit in falscher Sicherheit gewogen (vgl. OLG Hamm MedR 1991, 261 zum Fall des Ausschlusses einer Erkrankung ohne Durchführung der angeforderten Untersuchung).

Da er nach der von ihm durchgeführten Untersuchung auch keine Zweifel daran haben mußte, tatsächlich in alle Gefäßbereiche Einblick gehabt und alle zuverlässig auf Komprimierbarkeit geprüft zu haben, war er aus diesem Grund nicht gehalten, den Kläger zu einer erneuten Untersuchung einzubestellen oder ihm dies anzuraten. Jedenfalls ist ihm nicht nachzuweisen, daß er anhand einzelner Befunde Zweifel an der Zuverlässigkeit des Untersuchungsergebnisses hätte haben müssen.

e) Nach allem kann auch offen bleiben, ob zum Zeitpunkt der Untersuchung eine Thrombose schon vorhanden war oder diese erst später hinzugetreten ist. Denn es gibt seltene Fälle, in denen auch bei sorgfältiger Durchführung der Untersuchung eine Thrombose nicht festgestellt werden kann.

2.

Die Frage, ob trotz des negativen Ausgangs der Ultraschalluntersuchung wegen klinischer Hinweiszeichen auf das Bestehen einer Thrombose eine weiterführende Diagnostik durch Phlebographie oder jedenfalls durch eine kurzfristige Wiederholung der Untersuchung geboten war, kann offen bleiben; denn diese Entscheidung oblag vorrangig dem behandelnden Arzt, nicht dem Beklagten Ziff. 2. Dazu gehörte auch die Beurteilung der Frage, ob das vom Beklagten Ziff. 2 beschriebene Hämatom im Bereich des medialen Gastrocnemius die Unterschenkelschwellung hinreichend erklären konnte. Zusätzliche, den Verdacht einer Beinvenenthrombose erhärtende Indizien wie eine speckig glänzenden Haut und/oder ein auffällig verändertes Hautkolorit, die eine umgehende Abklärung durch Phlebographie in der Radiologische Abteilung des Kreiskrankenhauses nahegelegt hätten, sind nicht erweislich.

a) Die Beurteilung der Thrombosewahrscheinlichkeit und damit der aus einem positiven oder - wie hier - negativen Ultraschallbefund abzuleitenden weiteren diagnostischen oder therapeutischen Konsequenzen lag in der Hand des überweisenden Arztes. Ferner gehörte es zur Aufgabe des behandelnden Arztes, im Fall des negativen Befundes zu prüfen, ob eine Alternativdiagnose gegeben ist, also der klinische Befund auch ohne Annahme einer Thrombose erklärbar ist (hierzu vgl. PD Dr. O im Termin vor dem Senat Bl. 324). Aufgabe des Beklagten Ziff. 2 war es nach dem bereits beschriebenen Untersuchungsauftrag lediglich, die im ersten Schritt anstehende Ultraschalluntersuchung vorzunehmen und seine Befunde auszuwerten. Daran ändert sich auch nichts durch das sonographisch festgestellte Hämatom, das der Beklagte Ziff. 2 in einem Zusammenhang mit dem vom Kläger angegebenen Druckschmerz gesehen hat. Die anschließende Frage, ob der Bluterguß durch die Patellaluxation bedingt ist und die Umfangsvermehrung des Beines mit Trauma und/oder Hämatom ausreichend erklärt ist, betrifft das Fachgebiet des behandelnden Arztes, nicht das Gebiet des auf die sonographische Darstellung der Blutgefäße spezialisierten Arztes, hier des Beklagten Ziff. 2. Diese Aufgabenverteilung gilt auch für die Ausgangsfrage, welche Thrombosewahrscheinlichkeit beim Kläger vorgelegen hat und ob deshalb eine weiterführende Gefäßdiagnostik erforderlich war. Davon geht auch der Sachverständige PD Dr. O aus, der im Hinblick auf diese Fragen zur Überzeugung des Senats ausgeführt hat, daß er - bei gleicher diagnostischer Sicherheit, wie sie der Beklagte geschildert hat - den Patienten zum Chirurgen zurückgeschickt hätte, weil die weitere Behandlung in der Hand des überweisenden Arztes lag, der nunmehr die Schwellung zu behandeln hatte (Bl. 325).

b) Selbst wenn die Frage der weiterführende Diagnostik dem Beklagten Ziff. 2 oblegen hätte und die Leitlinien zur Diagnostik der tiefen Bein-/Beckenvenenthrombose oder die ihr zugrundeliegenden Grundsätze im Behandlungszeitpunkt bereits Geltung gehabt hätten, wäre allein deshalb keine weitere Abklärung erforderlich gewesen, da die klinische Wahrscheinlichkeit einer Thrombose in Anknüpfung an die in den Leitlinien abgehandelten Kriterien nach Auffassung beider gerichtlicher Sachverständiger lediglich als niedrig einzustufen war. Beide Sachverständige sind - unter ausdrücklichem Widerspruch gegen die Beurteilung des Privatsachverständigen Dr. K - von einer geringen Thromboseneigung ausgegangen (Dr. H in seinem mündlichen Gutachten Bl. 180; PD Dr. O in seinem schriftliches Gutachten Bl. 297 ff., im Termin vor dem Senat Bl.). Danach waren im Fall des Klägers lediglich ein Hauptpunkt - Unterschenkelschwellung - und als Nebenpunkt ein Trauma am symptomatischen Bein gegeben. Danach ergibt sich - selbst ein fraglich bestehendes Ödem hinzugerechnet - lediglich eine geringe Thrombosewahrscheinlichkeit. Dieser Einschätzung folgt der Senat.

c) Aufgrund der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin P, der damaligen Lebensgefährtin des Klägers, kann allenfalls erwogen werden, ob eine kurzfristige Wiederholung der Ultraschalluntersuchung geboten war, weil der Hämatombefund (oder das vorausgegangene Trauma) die vorliegende Schwellung nicht ausreichend zu erklären vermochte. Der Sachverständige PD Dr. O hat ausgeführt, daß der sonographische Ausschluß einer Thrombose dann keinen Anlaß zu weiteren Befunderhebungen geboten hat, wenn das Ausmaß der Beinschwellung mit dem erlittenen Trauma bzw. dem Hämatombefund plausibel erklärbar war. Eine Schwellung, die nur den Wadenmuskel betroffen hat, wäre mit diesem Befund noch vereinbar. Dagegen hatte er Zweifel, wenn die Schwellung den gesamten Unterschenkel umfaßt hätte (der Sachverständige im Termin Bl. 322 f.). Die Zeugin hat hierzu nicht ganz klare Angaben gemacht. Nach Aussage des Zeugen Dr. F umfaßte die Schwellung nur den proximalen Wadenbereich, wäre also mit dem Hämatombefund ohne weiteres vereinbar gewesen. Welche Angabe zutrifft und welche Bedeutung dem dazu von Dr. F schriftlich niedergelegten Befund zukommt, kann aber offenbleiben, da diese Beurteilung wie schon ausgeführt - dem behandelnden Arzt oblag, den der Kläger nach der Untersuchung erneut aufgesucht hat. Dabei spielt keine Rolle, ob dies Dr. F oder - wie er anhand des Namenskürzels vermutet hat - sein Praxiskollege Dr. H war. Auch dieser hätte sich - trotz des negativen Ultraschallbefundes mit der Frage befassen müssen, ob der fortbestehende klinische Befund mit den in Betracht kommenden Ursachen (Patellaluxation, Hämatom) noch vereinbar ist.

d) Dagegen ist nicht erwiesen, daß bereits zum Zeitpunkt der Untersuchung des Beklagten Ziff. 2 zu der bekannten Schwellung eine Verfärbung - lila bis rötlich und eine Veränderung der Oberflächenbeschaffenheit - speckig glänzend - eingetreten ist. Nur im letztgenannten Fall könnte erwogen werden, daß auch der konsiliarisch tätige Arzt nach sonographischem Ausschluß einer Beinvenenthrombose eine weitere Abklärung durch Phlebographie hätte empfehlen oder - nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt - durch Überweisung des Klägers in die Radiologische Abteilung hätte veranlassen müssen.

Zwar hat die Zeugin P bei ihrer Vernehmung angegeben, daß das Bein schon vor dem Besuch der chirurgischen Praxis anders geworden sei, nämlich speckig glänzend geworden sei und eine lila bis rötliche Farbe angenommen habe. Indes sind Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Angabe schon deshalb angebracht, weil verwunderlich wäre, daß solche eindeutigen, auf eine Thrombose hinweisenden Befunde dem behandelnden Arzt entgangen wären und dieser nur die Umfangsvermehrung beschreibt. Der Zeuge Dr. F hat das Vorliegen entsprechender Veränderungen bestritten. Bei dieser Sachlage kann der erforderliche Beweis nicht als geführt angesehen werden.

Aus dem Umstand, welches Aussehen der Unterschenkel des Klägers am darauf folgenden Tag hatte, kann nicht geschlossen werden, wie er am Tag der Untersuchung durch den Kläger ausgesehen hat (PD Dr. O Bl. 370). Der Beweisantritt des Klägers zum Zustand seines Beines am Tag nach der Untersuchung ist daher für die Entscheidung des Rechtsstreits ebenso unerheblich wie die Frage, welchem Arzt sich der Kläger nach der sonographischen Untersuchung durch den Beklagten Ziff. 2 vorgestellt hat.

Nachdem somit die in Betracht kommenden Haftungsanknüpfungen nicht den Beklagten Ziff. 2 betreffen, kann dahin gestellt bleiben, welche diagnostischen und therapeutischen Konsequenzen eine etwa gebotene Wiedervorstellung des Klägers zur Durchführung einer Kontrollsonographie gehabt hätte, insbesondere ob sich eine Beinvenenthrombose gezeigt und etwa deshalb gebotene Maßnahmen die am Abend des 25.09.95 aufgetretene Lungenembolie verhindert hätten.

II.

Die im Schriftsatz vom 30.03.2000 vom Kläger nachgereichte Stellungnahme von Prof. Dr. R gibt keinen Anlaß, die Verhandlung wieder zu eröffnen. Die Frage, ob die Sonolgaphie in einem etwa gegebenen Zweifelsfall durch eine Phlebographie zu ergänzen ist, richtet sich an den behandelnden Arzt, nicht an den Beklagten Ziff. 2.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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