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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 26.06.2001
Aktenzeichen: 14 U 81/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
1. Der Arzt muss vor einem Eingriff nur über eingriffspezifische Risiken aufklären, die ihm bekannt sind oder bekannt sein müssen.

2. 1996 musste vor einer Le-Fort-I-Osteotomie nicht über das Risiko einer Erblindung aufgeklärt werden, weil damals nur in drei Fallberichten eine Erblindung im Zusammenhang mit einer Le-Fort-I-Osteotomie genannt worden war und einem Facharzt daraus die Kenntnis eines medizinischen Zusammenhangs der Operation mit der Beeinträchtigung des anatomisch entfernt liegenden Sehnervs nicht bekannt sein musste.


Oberlandesgericht Stuttgart - 14. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

14 U 81/00

Verkündet am: 26.06.2001

In Sachen

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

der Vors. Richterin am OLG des Richters am OLG des Richters am OLG

für Recht erkannt:

Tenor:

I.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 14. September 2000 (6 O 249/96) wird zurückgewiesen

II.

Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III.

Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 8.500,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Beschwer der Klägerin und Streitwert des Berufungsverfahrens: 100.000,00 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt in zweiter Instanz zuletzt noch Schmerzensgeld wegen einer Erblindung auf dem rechten Auge nach einer Operation mit dem Ziel einer Progenie-Korrektur (Frontzahnüberbiss).

Einen vor dem Landgericht mit Schriftsatz vom 21.05.1997 (Bl. 94/95 d. A.), zugestellt am 27.05.1997, angekündigten Feststellungsantrag hat die Klägerin im Termin vor dem Senat am 15.05.2001 zurückgenommen (Bl. 291 d. A.).

Die am geborene, ursprünglich aus stammende Klägerin, die seit 19. in Deutschland lebt, begab sich am 1994 nach Überweisung durch ihren Zahnarzt als Versicherte der zum Zwecke der ambulanten Behandlung in die Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie im. Der Zeuge Dr. H. beriet die Klägerin über die angestrebte Progenie-Korrektur und überwies sie zunächst zur kieferorthopädischen Behandlung zu Dr. C. mit folgender Diagnose:

Extreme Progenie mit mikrognather Komponente und gnathisch offenem Biss,

frontale Engstände im Oberkiefer,

Mesialrotation 17,

engstehende retrudierte untere Front,

Elongation 37,

Außen stand 18,

Mesialbisslage ca. 3 Prämolaren beiderseits.

Am 25.10.1994 stimmte die Klägerin einer kieferorthopädischen Behandlung der Kieferfehlstellungen "kleiner Oberkiefer, großer Unterkiefer, vorstehender Unterkiefer" durch Dr. C. schriftlich zu, wobei sich unmittelbar über der Unterschrift der Klägerin der handschriftliche Eintrag "kieferchirurgischer Eingriff (Operation) unbedingt notwendig" findet.

Nach Abschluss der kieferorthopädischen Vorbehandlungen stellte sich die Klägerin am 15.12.1995 in der mund- und kieferchirugischen Ambulanz am krankenhaus in erneut vor. Es wurde ein Termin zur Durchführung der Kieferoperation zunächst auf 24. Januar 1996 sowie Termine zu Eigenblutspenden vereinbart. Der Zahn 37 wurde extrahiert.

Die stationäre Aufnahme der Klägerin wurde schließlich auf 27.02.1996 verschoben. Noch am Tage ihrer Aufnahme wurde die Klägerin durch den Zeugen Dr. H. über Verlauf und Risiken der geplanten Operation, einer bimaxillären Umstellungsosteotomie, sagittaler Unterkieferspaltung und Le-Fort-I-Osteotomie aufgeklärt.

Hinsichtlich der Korrektur der Progenie durch Rückverlagerung und Verkleinerung des Unterkiefers wurde ein Perimedbogen, Stand Dezember 1992, verwendet, der unter bildlicher Darstellung des Operationsverfahrens auf die allgemeinen Operationsrisiken und im besonderen auf Nachblutungen, Funktionseinschränkungen des Unterkiefernervs, Schädigung des Gesichtsnervs und Lageveränderung des korrigierten Unterkiefers hinwies (Bl. 10 ff d. A.). Die Klägerin unterschrieb diesen Bogen, nachdem sie die Antwortalternative "ich habe keine weiteren Fragen und benötigte keine zusätzliche Überlegungsfrist" nach einem Gespräch mit dem Zeugen Dr. H. ankreuzte.

Bei der Le-Fort-I-Osteotomie werden Oberlippe und Nase nach oben verschoben, mit einer oszillierenden Säge wird der Oberkiefer über den Zahnwurzeln abgetrennt und in einer hier 4 mm vorverlagerten Stellung neu fixiert. Im Hinblick auf diese Operation lag ein Perimedbogen nicht vor; der Klägerin wurde im Rahmen des Aufklärungsgespräches eine von der D. maschinenschriftlich vorgefertigte Einwilligungserklärung zur Unterschrift vorgelegt (Bl. 8/9 d. A.). Dieses, von der Klägerin ebenfalls unterzeichnete Formular bezeichnet im Eingang als vorgesehene Maßnahme die bimaxilläre Umstellungsosteotomie, sagittale Unterkieferspaltung und die Le-Fort-I-Osteotomie. Unter Ziff. 1 und unter der Überschrift "Aufklärung über die Art des Eingriffes in die körperliche Unversehrtheit" ist folgender vorgedruckter Text aufgeführt:

"Am 27.02.1996 wurde ich in einem persönlichen Gespräch von SA H. über Art, Zweck und Hergang des Eingriffes (einschließlich der Maßnahmen der Betäubung) in mir verständlicher Weise aufgeklärt. Dabei wurden mir die möglichen Risiken erläutert, die einerseits mit dem Eingriff verbunden seien und die andererseits bestünden, wenn ich ihn nicht durchführen lassen wollte ..."

Das Aufklärungsgespräch beinhaltete folgende Punkte:

Operationsverfahren

Allgemeine Risiken: Gefäß-, Nervenverletzung, Blutung, Hämatom, Thrombose, Embolie, Wundheilungsstörungen, Wundinfektion.

Spezielle Risiken: Nervenläsionen: N. alveolaris inf. Gefühlsstörung Unterlippe

N. facialis Bewegungsstörung Unterlippe, Wangen

Magensonde für fünf Tage

evtl. IMF postoperativ

Eigenblutgabe/Fremdblutgabe

Rezidiv

Oberkieferverlust"

Bei den allgemeinen Risiken sind die Nervenverletzung, Blutung, Hämatom, Wundheilungsstörung und die Wundinfektion unterstrichen. Die speziellen Risiken sind handschriftlich eingetragen.

Unter Ziff. 3 unmittelbar über der Unterschrift des aufklärenden Arztes und der Klägerin befindet sich der Text:

"ich hatte ausreichend Zeit und Gelegenheit, meine Entscheidung zu überdenken und habe keine weiteren Fragen mehr, nachdem die von mir gestellten vollständig und verständlich beantwortet wurden."

Am 28.02.1996 nahmen Dr. H. und PD Dr. Dr. K. die geplante Oberkiefer- und Unterkieferoperation vor (vgl. Operationsbericht vom 28.02.1996, Bl. 18 d. A.). Bei der Abtrennung der pterygomaxillären Sutura mit dem Obwegeser-Meißel auf der linken Seite kam es zu einer relativ starken Blutung. Unter dem Verdacht einer Arteria maxillaris-Verletzung hält der Operationsbericht an dieser Stelle eine zügige "Down-Fracture" des Oberkiefers durch OA Dr. Dr. K. fest. Die Blutung kam danach mit einfacher Tamponade zum Stillstand. Die Korrektur des Oberkiefers wurde wie geplant fortgesetzt. Bei der Korrektur des Unterkiefers ergeben sich aus dem Operationsbericht außer einer Durchtrennung des N. alveolaris inf. rechts, die sofort behandelt wurde, keine Besonderheiten.

Die Operation dauerte von 11.40 Uhr bis 15.50 Uhr. Die Klägerin wurde danach intubiert und beatmet auf die Intensivstation verlegt. Im Verordnungsbogen wurde eine vierstündige Pupillenkontrolle angeordnet, die um 16.20 Uhr, 20.00 Uhr und 24.00 Uhr mit positiver Lichtreaktion dokumentiert wurde. Bis zur Extubation gegen 8.30 Uhr des folgenden Tages bei benommener Bewusstseinslage sind keine weiteren Pupillenkontrollen festgehalten. Der Aufnahmestatus im Überwachungsbogen der Intensivstation hält ein Monokelhämatom rechts fest. Nach Verlegung auf die Normalstation am 29.02.1996 erhält die Klägerin Eis; Schwesternkontrollen finden regelmäßig statt. Ein Hinweis auf Erhaltung oder Verlust des Sehvermögens der Klägerin findet sich nicht.

Nach Abnahme eines Kompressenverbandes auf dem rechten Auge am Nachmittag des 01.03.1996 teilte die Klägerin mit, dass sie mit dem rechten Auge nichts mehr sehe. Ein gegen 14.30 Uhr erstelltes CT wurde von Dr. K. dahin befundet, dass Spiegel in beiden Kieferhöhlen und den rechten Siebbeinzeilen vorhanden seien, jedoch kein Anhalt für eine retrobulbäre Blutung und für retrobulbäre Fremdkörper. Eine Erklärung für die Erblindung ließ sich zunächst nicht finden; es wurden Traumanase und Cortison verordnet. Nach erneuter Befundung der CT-Bilder am 02.03.1996 durch Prof. Dr. H. und Dr. S. konnte eine Fraktur im Bereich der Keilwandhöhle bzw. der hinteren oberen Siebbeinzellen rechts diagnostiziert werden. Es erfolgte sodann noch am 02.03.1996 eine Operation zur Entlastung des N. opticus im Bereich von Siebbein- und Keilwandhöhle durch Dr. S. bei der einige kleinere Knochenfragmente im hinteren Siebbeinbereich und im Bereich der Keilbeinhöhle entfernt wurden. Eine Verbesserung des Sehvermögens trat nicht ein.

Die Klägerin hat vorgetragen,

sie sei vor dem operativen Eingriff hinsichtlich der Vorverlagerung des Oberkiefers nicht ausreichend aufgeklärt worden. Es sei ihr nicht deutlich gemacht worden, dass der Oberkiefer vollständig abzutrennen sei und das Risiko eines Sehverlustes bestehe. Die handschriftlichen Eintragungen im Einwilligungsbogen habe sie schon aus sprachlichen Gründen nicht verstanden. Ihr sei nur deutlich geworden, dass Nervschäden auftreten könnten, die wieder abklingen würden. Es sei ihr schon vor der kieferorthopädischen Behandlung und unmittelbar vor der Operation nur gesagt worden, dass man den Unterkiefer auf beiden Seiten etwas kürzer machen und den Oberkiefer nach vorne bringen müsse.

Die Operation sei fehlerhaft durchgeführt worden. Schon die Nähe des Operationsgebietes zum Ort des Schadenseintritts i.V.m. dem postoperativ aufgetretenen Monokelhämatom und der nach dem CT erkennbaren Frakturen der Keilbeinhöhle und der oberen Siebbeinzellen rechts sprächen dem ersten Anschein nach dafür, dass die Operation für die Erblindung kausal geworden sei. Das Operationsverfahren Le-Fort-I sei nicht regelgerecht angewandt worden.

Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,00 DM für angemessen gehalten, weil sie, zur Zeit der Operation Jahre alt, in ihrer Lebensführung massiv beeinträchtigt sei; sie habe durch den Verlust des rechten Auges das Vermögen räumlich zu sehen verloren. Aufgrund der stärkeren Beanspruchung des linken Auges sei mit einem Nachlassen der Sehkraft in Zukunft zu rechnen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen daraus zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Klägerin sei durch Dr. H. ordnungsgemäß und vollständig aufgeklärt worden, insbesondere auch über die Möglichkeit schwerwiegender Sehstörungen bis zum völligen Sehverlust.

Ein ärztliches Fehlverhalten lasse sich nicht feststellen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat sich nach Vernehmung des Zeugen Dr. H. und Anhörung der Klägerin davon überzeugt gesehen, dass die Klägerin ausreichend über die mit dem durchgeführten Eingriff verbundenen Risiken aufgeklärt worden sei. Zwar sei im Rahmen des Aufklärungsgespräches das Erblindungsrisiko nicht zur Sprache gekommen, was sich aus den Angaben des Zeugen Dr. H. ergibt. Sachverständig beraten aufgrund eines augenärztlichen und eines mund-kieferchirurgischen Fachgutachtens kam das Landgericht zu der Auffassung, dass es einer Aufklärung über die Gefahr der Erblindung zum Zeitpunkt des Eingriffes nicht bedurft habe, weil es sich hierbei nicht um ein bekanntes, mit der Operation verbundenes typisches Risiko gehandelt habe. Das Landgericht hat sich weiter davon überzeugt, dass es im Rahmen des Aufklärungsgesprächs nicht zu Verständigungsproblemen zwischen Dr. H. und der Klägerin gekommen war.

Einen Fehler bei der Durchführung der Operation und der postoperativen Behandlung der Klägerin hat das Landgericht als nicht bewiesen angesehen, was sich ebenfalls aus den eingeholten Gutachten ergebe.

Wegen der werteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts Ulm vom 14.09.2000 (Bl. 212-225 d. A.) Bezug genommen.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 18.09.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 12.10.2000 eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie am 10.11.2000 begründet hat.

Ihr erstinstanzliches Vorbringen, es liege ein Behandlungsfehler vor, hält die Klägerin ausdrücklich nicht mehr aufrecht. Sie wendet sich mit der Berufung allein gegen die Feststellung, sie sei ausreichend und umfassend über den Eingriff und die damit verbundenen Risiken aufgeklärt worden.

Im Rahmen der mit der Berufung weiterverfolgten Aufklärungsrüge wiederholt und vertieft sie ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Klägerin trägt vor,

sie habe wegen ihrer erst im Jahre 1991 erfolgten Übersiedlung nach Deutschland zum Zeitpunkt der mit Dr. H. geführten Gespräche allenfalls eine einfachst strukturierte Unterhaltung gebrochen in Deutsch führen können. Sie habe keinesfalls auf Deutsch Alternativen zur Kenntnis nehmen und Risiken abwägen können, um dann eine Entscheidung zu treffen. Im Jahre 1996 habe sie Fragen sicherlich bejahend oder verneinend beantwortet, wobei sie darüber hinweggetäuscht habe, ob sie die Frage letztlich verstanden hat.

Anlässlich des ersten Gespräches der Klägerin mit ihrem Prozessbevollmächtigten erster Instanz sei die gesamte Konversation auf Englisch geführt worden. Sie habe dabei die Art und den Umfang der Operation, insbesondere den chronologischen Hergang, ihre Beschwerden und das gesamte Umfeld nicht auf Deutsch schildern können. Sie habe lediglich darstellen können, dass bei der durchgeführten Operation der Unterkiefer durch Herausnahme eines Knochenstückes nach hinten versetzt und der Oberkiefer nach vorne verlegt wurde. Wie dies im Einzelnen erfolgt sei, sei ihr nicht klar gewesen. Hinsichtlich des Unterkiefers sei der Klägerin als Risiko lediglich bewusst gewesen, dass bei der gesamten Operation eine zeitlich begrenzte Störung des Gesichtsnervs und eine Gefühllosigkeit in der Lippe die Folge sein könnte. Ihr sei insbesondere nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit gesagt worden, dass der zahntragende Teil des Oberkiefers abgetrennt werde. Auf eine entsprechende Erklärung der Operationsmethode durch ihren erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten habe sie entsetzt reagiert und erklärt, sie habe dies nicht gewusst. Dem Zeugen Dr. H. habe auffallen müssen, dass seitens der Klägerin keine sachgerechten Fragen, evtl. auch über Risiken gestellt worden sind, aus denen er hätte entnehmen können, dass die Klägerin die Aufklärung nicht verarbeitet habe.

Im Hinblick auf das Erblindungsrisiko sieht die Klägerin nach wie vor ein Aufklärungsdefizit. Eine Aufklärung über ein derartiges Risiko sei medizinisch geboten gewesen, weil auch dann, wenn bisher keine Fälle der Erblindung nach einer Le-Fort-I-Osteotomie bekannt gewesen seien, für einen Fachmann nicht auszuschließen gewesen sei, dass gerade durch die Brückenwirkung der knöchernen Strukturen und die Sensibilität des gesamten Gesichtsbereiches Einwirkungen auf den Sehnerv möglich sind. Eine ordnungsgemäße Aufklärung hätte deshalb mit dem Hinweis erfolgen können, dass sich dieses Risiko bislang nicht verwirklicht hat und in der Literatur nicht dokumentiert ist. Die Klägerin beantragt:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts Ulm vom 14.09.2000 (6 U 249/96) abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen daraus zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Klägerin nach wie vor für ordnungsgemäß und umfassend durch den Zeugen Dr. H. über alle bekannten und erkennbaren Risiken des erfolgten Eingriffs aufgeklärt. Das Erblindungsrisiko sei zum Zeitpunkt der Operation nicht bekannt und für die Operateure auch nicht erkennbar gewesen. Zu Verständigungsschwierigkeiten zwischen der Klägerin und dem Zeugen Dr. H. sei es nicht gekommen.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die im Rechtsstreit gewechselten Schriftsätze und auf das Vorbringen der Parteien in den mündlichen Verhandlungen vor dem Landgericht vom 08.01.1997 und 10.08.2000 sowie vor dem Senat im Termin vom 15.05.2001 Bezug genommen.

Der Senat hat Dr. H. zum Verlauf und Inhalt des mit der Klägerin geführten Aufklärungsgespräches erneut als Zeugen gehört. Prof. Dr. Dr. W. Leiter der Abteilung für Kiefer-Gesichts-Chirurgie und plastische Operationen am hospital in hat im Termin vom 15.05.2001 entsprechend dem Beschluss des Senats vom 06.03.2001 (Bl. 262-265 d. A.) ein weiteres mündliches Sachverständigengutachten, insbesondere zur Erkennbarkeit des Erblindungsrisikos erstattet. Die Klägerin wurde vom Senat nochmals persönlich gehört.

Wegen des näheren Inhalts ihrer Angaben und des Ergebnisses der Vernehmung von Dr. H. und des mündlichen Gutachtens von Prof. Dr. Dr. W. wird auf die Sitzungsniederschrift vom 15.05.2001 (Bl. 281/292) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat in den am 28.02.1996 erfolgten kieferchirurgischen Eingriff wirksam eingewilligt. Der Senat ist davon überzeugt, dass sie von dem Zeugen Dr. H. rechtzeitig, umfassend und in verständlicher Form auf alle aufklärungsbedürftigen Risiken hingewiesen wurde. Der Eingriff erfolgte daher rechtmäßig.

I.

Das Landgericht hat zwar bei seinem Verfahren nicht über den von der Klägerin mit Schriftsatz vom 21.05.1997 (Bl. 94/95 d. A.), zugestellt am 27.05.1997 noch zusätzlich angekündigten Feststellungsantrag im Hinblick auf die materiellen und immateriellen zukünftigen Schäden der Klägerin aus der Operation vom 28.02.1996 entschieden. Ein entsprechender Antrag war auch nicht in der nachfolgenden mündlichen Verhandlung vom 10.08.2000 gestellt worden (Bl. 198/207 d. A.); ausdrücklich gestellt worden waren lediglich die Anträge wie im Termin vom 08.01.1997 (Bl. 56 d. A.). Da somit der lediglich angekündigte Feststellungsantrag noch immer vor dem Landgericht Ulm anhängig war, hat das Landgericht im Ergebnis ein Teilurteil erlassen, das wegen der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen unzulässig war (vgl. BGH NJW 2001, 155-157).

Dieser, an sich zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Landgericht nötigende Fehler wurde aber dadurch behoben, dass die Klägerin im Termin vor dem Senat am 15.05.2001 den Feststellungsantrag wirksam zurückgenommen hat (Bl. 291 d. A.).

Der Senat kann daher in der Sache entscheiden.

II.

Die Klägerin hat umfassend und ordnungsgemäß aufgeklärt in die Durchführung der Operation wirksam eingewilligt.

1.

Der Senat ist davon überzeugt, dass bei dem vom Zeugen Dr. H. mit der Klägerin rechtzeitig am 27.02.1996 geführten Aufklärungsgespräch keine Verständigungsschwierigkeiten aufgetreten sind. Dr. H. konnte und durfte jedenfalls aufgrund des Verhaltens der Klägerin davon ausgehen, dass das, was er der Klägerin über das Operationsverfahren und die damit zusammenhängenden Risiken erläuterte, von dieser auch verstanden wurde.

Zwar geht auch der Senat davon aus, dass bei einem ausländischen Patienten der Arzt zum Aufklärungsgespräch eine sprachkundige Person hinzuziehen muss, wenn er nicht ohne weiteres sicher sein kann, dass der Patient die deutsche Sprache so gut beherrscht, dass er die Erläuterungen des Arztes verstehen kann; die Beweislast dafür liegt beim Arzt, der die ordnungsmäßige Aufklärung darzulegen und zu beweisen hat (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl., Rn. C 113 m.w.N. auf obergerichtliche Rechtsprechung). Dieser Beweis ist der Beklagten gelungen.

Wegen der von der Klägerin in der Berufungsbegründung vorgetragenen Sprachschwierigkeiten im Jahr 1996, aber auch deshalb, weil die Klägerin im Termin vom 08.01.1997 vor dem Landgericht (vgl. Bl. 58 d. A.) angegeben hatte, mit Dr. H. Deutsch gesprochen zu haben, andererseits in diesem Protokoll aber vermerkt ist, dass die Klägerin sich wiederholt durch englische Worte verständigte, wurde die Klägerin vom Senat im Termin vom 15.05.2001 nochmals ausführlich zum Hergang der Gespräche mit Dr. H. gehört. Sie gab zwar zunächst an, sich mit Dr. H. "auf Englisch verständigt" zu haben (vgl. Bl. 282 d. A.). Auf Vorhalt ihrer anders lautenden Erklärungen im Termin vor dem Landgericht am 08.01.1997 schwächte die Klägerin ihre Aussage nur dahingehend ab, "damals schon überwiegend Englisch gesprochen" zu haben und nicht Deutsch. Sie räumte aber ein, sie habe Dr. H. verstehen können, auch soweit dieser Deutsch gesprochen habe, ebenso, soweit er Englisch sprach. Sie habe auch den Eindruck gehabt, dass Dr. H. ihr Englisch verstanden hat und fasste dies dahingehend zusammen, schon zu glauben, "dass wir uns gegenseitig verstanden haben". Diesen eigenen Angaben der Klägerin entspricht auch im Wesentlichen das, was Dr. H. schon am 08.01.1997 bei seiner erstmaligen Einvernahme als Zeuge zu Protokoll gegeben hatte (vgl. Bl. 60 ff d. A.) und was er vor dem Senat im Termin vom 15.05.2001 im Rahmen seiner erneuten Vernehmung als Zeuge angab (vgl. Bl. 288 ff). Die Angaben der Klägerin und des Zeugen Dr. H. gehen zwar insoweit auseinander, als Dr. H. nach wie vor dabei blieb, er habe mit der Klägerin Deutsch gesprochen, während die Klägerin gerade dies, allerdings erstmals in zweiter Instanz, in Abrede stellte. Da jedoch auch der Zeuge Dr. H. keinerlei Verständigungsschwierigkeiten erinnern konnte (vgl. Bl. 288 u. d. A.), kommt es nach Auffassung des Senates nicht darauf an, in welcher Sprache das Aufklärungsgespräch geführt worden ist.

Dass Dr. H. den Eindruck haben konnte und durfte, die Klägerin habe ihn in jeder Hinsicht verstanden, Verständigungsschwierigkeiten also nicht bestanden, findet seine Bestätigung auch darin, dass die Klägerin in der Berufungsbegründung ausführen ließ, sie habe im Jahre 1996 Fragen sicherlich bejahend oder verneinend beantworten können, wobei sie aber darüber hinweggetäuscht habe, ob sie die Frage letztlich verstanden hat (vgl. Bl. 254 o. d. A.). Sie habe Defizite der Verständigung überspielt, weshalb der Zeuge H bei der Verständigung mit der Klägerin nachvollziehbar keine Probleme gehabt habe (vgl. Bl. 255 d. A.).

Weil es allein auf die tatsächliche Verständigung während des Aufklärungsgesprächs am 27.02.1996 ankommt, ist der Senat dem Beweisantritt der Klägerin auf S. 3 der Berufungsbegründung, nämlich Vernehmung des Rechtsanwaltes T als Zeugen, zum Beweis dafür, dass es ihr bei ihrem ersten Gespräch mit ihrem Prozessbevollmächtigten erster Instanz nicht möglich gewesen sei, den chronologischen Hergang, ihre Beschwerden und das gesamte Umfeld auf Deutsch zu schildern, sondern nur auf Englisch, nicht nachgegangen.

2.

Die Klägerin wurde bei dem unstreitig rechtzeitig am Morgen des 27.02.1996 geführten Aufklärungsgespräch vom Zeugen H. über alle aufklärungsbedürftigen Risiken der geplanten Operation im gebotenen Umfang informiert.

Die Klägerin hat sich zwar auch vor dem Senat dahin eingelassen, von Dr. H. sowohl bei dem ersten beratenden Gespräch im Jahr 1994 als auch am 27.02.1996 nur erfahren zu haben, dass der Unterkieferknochen "ein bisschen kürzer gemacht werde" und der Oberkiefer "nach vorne" komme. Dr. H. habe ihr aber nicht gesagt, wie dies alles bewerkstelligt werden sollte. Allerdings habe sie auch nicht nachgefragt (vgl. Bl. 282 d. A.). Weiter habe Dr. H. nur erklärt, dass sie das Gefühl in der Unterlippe verlieren könnte, dies etwa ein Jahr dauern könnte und dann das Gefühl wieder komme (vgl. Bl. 283 d. A.).

Dem stehen jedoch die Angaben des Zeugen Dr. H. in wesentlichen Punkten entgegen. Schon im Termin vom 08.01.1997 vor dem Landgericht hatte er erklärt, von Anfang an habe festgestanden, dass sowohl der Oberkiefer als auch der Unterkiefer korrigiert werden mussten. Er habe der Klägerin die operativen Schritte, die für den Eingriff notwendig sind, erklärt und dabei gesagt, dass eine Unterkieferspaltung durchgeführt wird und auch der Oberkiefer korrigiert wird. Er habe den Eingriff am Unterkiefer anhand eines Modells gezeigt und sie hinsichtlich des Oberkiefers informiert, was im Wesentlichen die Behandlungsschritte in der Operation sind. Dabei hat er eingeräumt, dass es für einen Laien wie die Klägerin schwer verständlich sei, wenn ihm die Behandlungsvorgänge am Oberkiefer erklärt werden. Er habe ihr immerhin aber dargestellt, dass der zahntragende Teil des Oberkiefers vom Mittelgesicht abgetrennt, die Position korrigiert und dann durch eine Osteosynthese mit Miniplatten versorgt werde. Freimütig räumte er ein, nicht mehr in Erinnerung zu haben, ob er damals schon (nämlich im Rahmen des ersten beratenden Gesprächs im Jahr 1994) die Komplikation der Blutung, eine der häufigsten Komplikationen bei der Oberkieferkorrektur, genannt habe. Jedenfalls aber habe er dies bei der definitiven Aufklärung vor der Operation, also am 27.02.1996, gesagt. Er hat dies nachvollziehbar damit erklärt, dass auch über die Eigenblutentnahme vor der Operation gesprochen worden sei. Weil die einzelnen Operationsschritte sowohl am Unter- als auch am Oberkiefer sehr kompliziert seien, habe er der Klägerin auf jeden Fall grob gesagt, was geschieht. Die allgemeinen Risiken einer jeden Operation, wie Blutung, Nachblutung und Wundheilungsstörungen habe er ebenso dargestellt wie die Verletzung des Nervus alveolaris, die zu einer Gefühlsstörung an der Unterlippe führen kann. In extremen Fällen könne es auch zu einer Schädigung des Gesichtsnerven mit motorischen Ausfällen kommen. Hinsichtlich des Oberkiefers habe er auf die Hauptkomplikation des Eintritts einer Blutung im Operationsgebiet aus dem Bereich der Arteria maxillaris hingewiesen und erklärt, dass dies eine schwerwiegende Sache sei, da die Blutung schwierig wieder zum Stillstand zu bringen ist. Er habe auch den in extrem seltenen Fällen auftretenden Verlust des zahntragenden Teils des Oberkiefers erwähnt. Zusammengefasst habe er über all diejenigen Komplikationen aufgeklärt, die er handschriftlich in die Einwilligungserklärung eingetragen hat. Er trage parallel zum Gespräch mit dem jeweiligen Patienten handschriftlich die angesprochenen Risiken ein.

Bei seiner Vernehmung durch den Senat im Termin vom 15.05.2001 gab er an, der Klägerin schon bei dem ersten beratenden Gespräch, also im Jahr 1994, grob erklärt zu haben, was an Skelettabschnitten verschoben werden muss, dass nämlich das Mittelgesicht zu verschieben ist und der Unterkiefer. Am Tag der stationären Aufnahme habe er die Art und Weise des Eingriffs besprochen, und zwar sowohl bezüglich des Unterkiefers als auch bezüglich des Oberkiefers. Die von ihm vorgenommenen handschriftlichen Eintragungen habe er sämtlich mit der Klägerin besprochen. Zur Abtrennung des Oberkiefers erkläre er beispielsweise unter Vermeidung medizinischer Fachbegriffe, dass oberhalb der Zähne bzw. Zahnwurzeln der Kiefer komplett vom Mittelgesicht abgetrennt wird. An dieser Stelle kämen meistens Nachfragen. Ob dies im konkreten Fall auch gewesen sei, wisse er nicht mehr. Er erkläre aber auch, dass der Oberkiefer mit kleinen Platten wieder befestigt werden müsse.

Der Senat ist davon überzeugt, dass die Angaben des Zeugen Dr. H glaubwürdig sind und den Inhalt der mit der Klägerin geführten Gespräche zutreffend wiedergeben. Dass seine Angaben im Termin vom 08.01.1997 insgesamt gesehen etwas detaillierter waren als im Termin vor dem Senat am 15.05.2001, lässt sich nachvollziehbar mit der seither verstrichenen Zeit und damit erklären, dass am 08.01.1997 das für den Zeugen Dr. H. ganz offensichtlich bleibend in Erinnerung gebliebene Geschehen, insbesondere die postoperativ aufgetretene Erblindung, noch nachdrücklich vor Augen stand. Seinen Angaben zufolge war er am Freitag nach der Operation diensthabender Arzt, was in seinen Worten "wohl hinreichend seine genaue Erinnerung an die Vorgänge" erkläre. Die Klägerin und das, was bei dieser postoperativ eintrat, hob sich damit nachvollziehbar von der sicher nicht unbeträchtlichen Anzahl aller Patienten deutlich ab.

Dr. H. räumte sowohl vor dem Landgericht als auch vor dem Senat freimütig ein, über das Erblindungsrisiko nicht aufgeklärt zu haben, obgleich dies noch schriftsätzlich von der Beklagten in erster Instanz vor seiner ersten Vernehmung so behauptet worden war. Dass Dr. H. nichts der Wahrheit zuwider beschönigte, wird auch daraus deutlich, dass er eingestand, englische Texte zwar lesen zu können, sich in Englisch aber nicht flüssig unterhalten zu können.

Seine Angaben blieben auch in den Kernpunkten seiner Aussage im Wesentlichen konstant.

Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass der Zeuge Dr. H. die Wahrheit sagt.

Damit steht weiter zur Überzeugung des Senates fest, dass die Klägerin über alle aufklärungsbedürftigen Risiken informiert war.

Nicht zu den im Februar 1996 aufklärungsbedürftigen Risiken zählt nach Auffassung des Senats aber das Risiko der Erblindung. Die Erblindung war 1996 kein eingriffsspezifisches Risiko, das den behandelnden Ärzten bekannt war oder hätte bekannt sein müssen. Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil unter Ziff. 1 a (Urteilsgründe S. 8-10) in vollem Umfang an. Das Landgericht hat die von ihm eingeholten Sachverständigengutachten auch in diesem Zusammenhang zutreffend ausgewertet.

Im schriftlichen Gutachten von Prof. Dr. Dr. E. vom 15.04.1999 (Bl. 133 d. A., S. 13 des GA) wird ausgeführt, dass einem Perimed-Aufklärungsbogen aus dem Jahr 1994 ein spezieller Hinweis auf Komplikationsmöglichkeiten im Augenbereich fehlte. Eine Aufnahme dieses Risikos in einen entsprechenden Aufklärungsbogen sei erst im Jahr 1997 erfolgt. Allerdings sei schon in einem Artikel von Lanigan et al. Aus dem Jahre 1993 auf die ophtalmologischen Komplikationen verbunden mit orthognather Chirurgie eingegangen worden (vgl. Gutachten Prof. Dr. Dr. E. vom 15.4.1999, Seite 16, Blatt 136 d.A.).

Das augenärztliche Gutachten von Prof. Dr. K. vom 06.04.2000 (Bl. 169 d. A., S. 15 des GA) bezeichnet das Auftreten einer Erblindung nach Le-Fort-I-Fraktur im Rahmen eines mund-/kieferchirurgischen Eingriffes als extrem selten und bezieht sich hierauf auf Girotto et al., 1998, der von drei Einzelfällen von Erblindung nach derartigen operativen Eingriffen berichtete. Die Erblindung wird dort als eine der seltensten Komplikationen bei solchen Eingriffen überhaupt bezeichnet. Prof. Dr. K. zitiert sodann ebenfalls Lanigan et al., allerdings aus dem Jahr 1998, wo von zwei Fällen von Erblindung mit einer Inzidenz von 0,25 % berichtet wird. Weiter wird darauf verwiesen, dass ein Fall einer Erblindung nach Le-Fort-I-Osteotomie von B-S et al., 1995, berichtet wurde.

Im Rahmen der mündlichen Erläuterung der schriftlichen Gutachten hat Dr. M. im Termin vom 10.08.2000 (Bl. 200 d. A., S. 2 des Protokolls) ausgeführt, dass zwar schon in der ersten Hälfte der 90-er Jahre Experimente durchgeführt, aber erst 1997 beschrieben und 1998 veröffentlicht worden seien. Zwar habe es schon 1997 Einzelfallberichte zu möglichen Augenschäden infolge einer solchen kieferchirurgischen Operation gegeben; die Veröffentlichung solcher Einzelfallberichte sei aber nicht zwingend jedem kieferorthopädischen Chirurgen zur Kenntnis gekommen und gebe auch ihm selbst nicht zwingend den Anlass, über den damals verwendeten Perimedbogen hinaus über weitergehende Risiken aufzuklären.

Der vom Senat insbesondere zu der Frage des Erblindungsrisikos beauftragte Sachverständige Prof. Dr. Dr. W. hat nochmals eine Literaturrecherche betrieben und sich mit den Vorgutachten beschäftigt. Er ist auf drei Arbeiten aus dem Zeitraum vor der Operation im Februar 1996 gestoßen. Dabei handelt es sich einmal um die Arbeit von Lanigan aus dem Jahre 1993, ferner um eine Arbeit von K. K. Lee aus dem Jahre 1995 sowie um einen Fallbericht aus dem Jahre 1995 von B-S. Diese Arbeiten sind nach der Darstellung des gerichtlichen Sachverständigen in einer der größten amerikanischen Zeitschriften über die Kieferchirurgie bzw. einem populären Standardwerk aus dem Bereich der plastischen Chirurgie veröffentlicht.

Eine Recherche in Textbüchern der orthognathen Literatur ergab, dass in einem Werk aus dem Jahr 1997 ein einziger Satz über den Bericht einer Erblindung nach einer solchen Operation gefunden werden konnte, wobei wiederum Lanigan und Lee zitiert wurden. In einem weiteren Werk aus dem Jahr 1999 habe er wiederum lediglich einen Satz zu diesem Thema gefunden, wobei wieder Lanigan und Lee zitiert wurden. In einem großen Werk amerikanischer Kollegen aus dem Jahr 2000 findet dagegen das Risiko bzw. das Auftreten der Erblindung nach einer solchen Operation gar keine Erwähnung.

Zudem habe erst eine Arbeit aus dem Jahre 1998 (Erstautor Girotto) dargelegt, wie es zu einem solchen Verletzungsmechanismus kommen kann, der die Erblindung schließlich herbeiführt.

Da auch von einem Arzt nicht in jedem Fall verlangt werden kann, dass er alle medizinischen Veröffentlichungen alsbald kennt und beachtet (vgl. BGH NJW 1991, 1535, 1537), das krankenhaus, in welchem die Operation vorgenommen wurde, aber Facharztstandard vorhalten muss, hat der Senat mit dem Sachverständigen auch die Frage erörtert, ob die aus dem Zeitraum 1993 bis 1995 zitierten Veröffentlichungen zur Kenntnis eines auf diesem Gebiet chirurgisch tätigen Operateurs an einem Krankenhaus eines gehobenen Zuschnitts wie dem des krankenhauses gehöre. Der Sachverständige hat hierzu erklärt, dass die Kenntnis möglich gewesen sei, aber nicht erwartet werden müsse. Es müsse berücksichtigt werden, dass es eine große Vielzahl solcher Veröffentlichungen gebe und die genannten dabei in keiner Weise im Vordergrund standen. Der Sachverständige ergänzte diese Ausführungen damit, dass ihm keine Klinik bekannt sei, die schon im damaligen Zeitpunkt das Risiko der Erblindung erkannt und für eingriffstypisch erachtet hätte. Im Jahre 1997 sei zudem nur das Risiko von Sehstörungen, nicht etwa einer Erblindung in den von den Vorgutachtern erwähnten Aufklärungsbogen aufgenommen worden. Der von ihm selbst an seiner Klinik verwendete Aufklärungsbogen enthalte bis heute nicht den Hinweis auf Sehstörungen oder gar Erblindung als Risiko einer Operation, wie sie bei der Klägerin vorgenommen wurde.

Dem Sachverständigen selbst sei es bis zum Jahre 1998 und der Publikation aus diesem Jahr nicht anatomisch vorstellbar gewesen, wie es überhaupt zu einem solchen Schaden des eher entfernt liegenden Sehnervs kommen könnte. Dem Sachverständigen, der selbst in seiner Klinik im Schnitt zweimal in der Woche orthognathe Eingriffe vornimmt und der dem Senat als ausgewiesener Fachmann auch für Operationen, wie sie bei der Klägerin durchgeführt wurde, bekannt ist, war ein Ereignis, wie es bei der Klägerin eintrat, weder aus eigener Erfahrung noch aus Gesprächen mit Kollegen bekannt. Die Erfahrungen des gerichtlichen Sachverständigen beziehen sich immerhin auf Universitätskliniken in F. M. und nunmehr auf das hospital.

Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass jedenfalls im Februar 1996 das Erblindungsrisiko nicht zu dem Kreis der aufklärungspflichtigen Risiken bei Operationen gehörte, wie sie bei der Klägerin durchgeführt wurde.

Der hier zu beurteilende Sachverhalt entspricht auch nicht demjenigen, wie er vom BGH am 2.11.1993 (NJW 1994, 793) zu entscheiden war. Schon Dr. M hatte vor dem Landgericht bekundet, dass bei operativen Vorgehen im Nebenhöhlenbereich, verschärft durch endoskopisches Vorgehen, ein sehr viel häufigeres Risiko für Folgeschäden im Bereich der Sehfähigkeit besteht als bei der hier fraglichen kieferorthopädischen Operation. In dem vom BGH entschiedenen Sachverhalt hatte der dort in den Tatsacheninstanzen gehörte Sachverständige angegeben gehabt, dass von allen Operationen am Siebbein der endonasale Eingriff der gefährlichste in Bezug auf mögliche Komplikationen, insbesondere im Blick auf das Sehvermögen sei. Der Sachverständige hat im dortigen Verfahren darauf hingewiesen, dass an seiner Klinik vor jedem endonasalen Siebbeineingriff auf die Möglichkeit von Sehstörungen bis zur Blindheit hingewiesen werde. Gerade ein solches Risikopotential ist hier nicht gegeben.

Zusammengefasst ist daher davon auszugehen, dass die Klägerin über eine Vielzahl möglicher Komplikationen und Risiken aufgeklärt wurde, bis hin zum Oberkieferverlust. Verwirklicht hat sich bei ihr zudem ein ebenfalls aufgeklärtes Risiko, nämlich das der Blutung aus dem Bereich der Arteria maxillaris. In Kenntnis dieses Risikos hat die Klägerin in die geplante Operation eingewilligt. Dass sich darüber hinaus ein Risiko verwirklicht hat, über welches nicht aufzuklären war, macht den an ihr vorgenommenen Eingriff vom 28.02.1996 nicht rechtswidrig.

IV.

Die Berufung der Klägerin hat demzufolge keinen Erfolg. Sie ist mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 und der Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aufgrund der §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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