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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 18.09.2006
Aktenzeichen: 16 UF 156/06
Rechtsgebiete: BGB, BSHG


Vorschriften:

BGB § 1603 Abs. 2 S. 1
BGB § 1613
BSHG § 91 Abs. 1 S. 3
BSHG § 91 Abs. 2 S. 1
Die Rechtswahrungsanzeige eines Trägers von Sozialleistungen, auf welchen ein bürgerlich rechtlicher Unterhaltsanspruch nicht übergegangen ist, begründet keine Verzugswirkungen zugunsten des Unterhaltsgläubigers.

Bei weiblichen ungelernten Arbeitssuchenden mit mangelhaften Kenntnissen der deutschen Sprache, die sich nicht ausreichend um die Erlangung einer Arbeitsstelle bemühen, kommt eine höhere Fingierung als mit einem Bruttoeinkommen von 7.-- € / Stunde in der Regel nicht in Betracht.


Oberlandesgericht Stuttgart 16. Zivilsenat - Familiensenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 16 UF 156/06

vom 18. September 2006

In der Familiensache

wegen Kindesunterhalt

hier: Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz

hat der 16. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung des Richters am OLG Kodal, des Richters am OLG Maier und des Richters am AG Witzlinger

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz wird zurückgewiesen.

Der Kläger erhält Gelegenheit, zur beabsichtigten Zurückweisung seiner Berufung durch Beschluss bis zum 09.10.2006 Stellung zu nehmen.

Gründe:

I.

Der am 00.00.1996 geborene Kläger ist das eheliche Kind seines gesetzlichen Vertreters K. A. und der Beklagten, die seit spätestens Dezember 2003 voneinander getrennt leben und durch Urteil vom 09.03.2005, rechtskräftig seit 19.04.2005, geschieden sind.

Im streitgegenständichen Zeitraum ab Dezember 2003 bezogen beide Eltern zunächst Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG und seit dem 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Am 12.12.2003 übersandte das Sozialamt der Stadt Stuttgart der Beklagten eine Rechtswahrungsanzeige, mit Schreiben vom 29.06.2005 forderte der Kläger die Beklagte zur Bezahlung von Kindesunterhalt auf.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Bezahlung von Kindesunterhalt in Höhe des Regelbetrages ab Dezember 2003 in Anspruch.

Die Beklagte beruft sich auf Leistungsunfähigkeit.

Das Familiengericht hat die Klage wegen Leistungsunfähigkeit abgewiesen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klagbegehren weiter und beantragt Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz.

II.

Der zulässige Antrag des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Kläger, der bei seinem Vater wohnt, hat gegen die Beklagte grundsätzlich einen Anspruch auf Bezahlung von Kindesunterhalt gemäß § 1601 BGB.

Sein Bedarf bemisst sich auch mindestens in Höhe des Regelbetrages von monatlich 241,-- € in der Zeit von Dezember 2003 bis Juni 2005 und von 247,-- € ab Juli 2005.

Das Familiengericht ist jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte auch unter Berücksichtigung ihrer gesteigerten Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Deckung dieses Bedarfs nicht leistungsfähig ist.

Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsverpflichteten wird nicht nur durch die tatsächlich vorhandenen, sondern auch durch solche Mittel bestimmt, die er durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit erreichen könnte. Gegenüber dem minderjährigen Kind obliegt der Beklagten gem. § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit und somit eine gesteigerte Ausnutzung ihrer Arbeitskraft, die es ihr ermöglicht, zumindest den Regelbetrag zu bezahlen. Sie muss alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt des Kindes verwenden, alle Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfen und auch einschneidende Veränderungen in ihrer eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen. Insbesondere muss sie darlegen und nachweisen, dass sie sich umfangreich auf jede ausgeschriebene bzw. offene Arbeitsstelle bewirbt, die ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten entspricht und die ihr zugänglich ist.

Die Beklagte hat bislang weder behauptet, noch gar dargelegt, dass sie dieser Obliegenheit auch nur annähernd nachgekommen ist, da es hierfür zumindest notwendig gewesen wäre, sich auf etwa 20 Arbeitsstellen im Monat zu bewerben, was für den Zeitraum von Januar 2004 bis Mitte 2006 ein Volumen von etwa 600 Bewerbungen bedeuten würde.

Wegen Verstoßes gegen diese Obliegenheit, sich nachhaltig und ernsthaft um eine Arbeitsstelle zu bemühen, ist das Familiengericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte mit einem Erwerbseinkommen zu fingieren ist, wobei die Annahme, dass es der Beklagten allenfalls möglich gewesen wäre, einen Bruttoarbeitslohn von 7,-- € pro Stunde zu erzielen, nicht zu beanstanden ist und auch der Einschätzung des Senats in vergleichbaren Fällen unter besonderer Berücksichtigung des - sicherlich privilegierten - Arbeitsmarktes im Großraum Stuttgart entspricht. Der Senat geht davon aus, dass bei einer Arbeitsplatzsuche außerhalb des Großraumes Stuttgart eher ein geringeres Einkommen erzielbar wäre.

Bei einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit errechnet sich daraus das folgende - fiktive - Einkommen auf Seiten der Beklagten:

 176 Arbeitsstunden x 7,-- € = brutto1.232,00 €
./. Rentenversicherung120,12 €
./. Arbeitslosenversicherung40,04 €
./. Krankenversicherung96,71 €
./. Pflegeversicherung10,47 €
./. Lohnsteuer nach Steuerklasse I/0,555,66 €
./. Kirchensteuer0,79 €
 908,21 €
./. 5 % Berufsaufwand45,41 €
 862,80 €

Eine höhere Fingierung kommt nicht in Betracht, nachdem die Beklagte über keine Berufsausbildung verfügt, Probleme mit der deutschen Sprache hat und darüber hinaus auch über keinen gesicherten ausländerrechtlichen Status verfügt, sondern aufgrund einer Aufenthaltsfiktion ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland jeweils nur für die Dauer von drei Monaten verlängert erhält. Angesichts dieser ausländerrechtlichen Situation ist nicht zu erwarten, dass sich ein Arbeitgeber bereit findet, die Beklagte außerhalb einer befristeten Aushilfstätigkeit anzustellen.

Mit dem somit erzielbaren Einkommen überschreitet die Beklagte ihren ab 01.07.2005 gültigen notwendigen Selbstbehalt von 890,-- € nicht, so dass ab diesem Zeitpunkt keine Leistungsfähigkeit zur Bezahlung von Kindesunterhalt vorliegt.

Für den Zeitraum vor dem 01.07.2005 hat der Kläger nicht nachgewiesen, dass er die Beklagte zur Bezahlung von Kindesunterhalt in Verzug gesetzt hat und er aus diesem Grund gem. § 1613 BGB Unterhalt auch für die Vergangenheit fordern kann.

Zwar ist davon auszugehen, dass die Eltern des Klägers im Dezember 2003 bereits voneinander getrennt gelebt haben, nachdem das Sozialamt der Stadt Stuttgart zwar beiden Eltern Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt hat, jedoch mit Schreiben vom 12.12.2003 der Beklagten eine Rechtswahrungsanzeige wegen der an Kind und Vater geleisteten Zahlungen übersandt hat. Eine solche Rechtswahrungsanzeige kommt nur dann in Betracht, wenn dem Sozialamt zu dieser Zeit bekannt war, dass ein Getrenntleben der Eltern vorliegt und damit auch ein Unterhaltstatbestand nach § 1601 BGB vorliegen könnte. Wie das Sozialamt durch Schreiben vom 20.01.2006 mitteilte, konnte es jedoch gegenüber der Beklagten keine Rechte geltend machen, da ein eventuell bestehender Unterhaltsanspruch nicht auf das Sozialamt übergegangen war, da die Beklagte selbst ebenfalls Sozialhilfe erhalten hatte (§§ 91 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 des im Jahre 2003 geltenden BSHG). Da das Sozialamt somit zu keinem Zeitpunkt Inhaber eines eventuellen Anspruchs auf Kindesunterhalt war, konnte es die Beklagte auch nicht rechtswirksam hinsichtlich dieses Kindesunterhalts in Verzug setzen. Eine eigene Inverzugsetzung des Klägers durch seinen gesetzlichen Vertreter hat dieser nicht nachweisen können. Zwar teilt der Kläger mit, dass er selbst durch Anwaltsschriftsatz vom 30.12.2003 Kindesunterhalt angefordert und die Beklagte auch zur Errichtung einer Jugendamtsurkunde aufgefordert habe, dieses Schreiben wurde jedoch zu keinem Zeitpunkt vorgelegt. Vielmehr wurde unter der Anlagebezeichnung K 3, welche sich auf das angebliche Schreiben des Klägers vom 30.12.2003 beziehen sollte, stets die Rechtswahrungsanzeige des Jugendsamts vom 12.12.2003 vorgelegt. Die weiteren zunächst behaupteten Aufforderungs- bzw. Mahnschreiben vom 14.04. und 13.10.2004 wurden nach dem korrigierten Sachvortrag des Klägers nicht abgeschickt, da nach Kenntnis der Prozessbevollmächtigten des Klägers die Eltern die Unterhaltspflicht der Beklagten untereinander regeln wollten. Dass dies geschehen ist, wurde nicht nachvollziehbar dargelegt. Den insoweit sehr allgemein gehaltenen Vortrag des Klägers hat die Beklagte bestritten, ohne dass daraufhin substantiierter Vortrag gehalten wurde. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die Beklagte erstmals durch Anwaltsschriftsatz vom 29.06.2005 zur Bezahlung von Kindesunterhalt aufgefordert wurde und dementsprechend eine Inverzugsetzung erst ab Juli 2006 vorliegt.

Der Kläger wird gebeten, innerhalb der gewährten Stellungnahmefrist mitzuteilen, ob die Berufung aufrechterhalten bleibt.

Ende der Entscheidung

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