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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 08.01.2009
Aktenzeichen: 16 UF 204/08
Rechtsgebiete: BGB, EGZPO


Vorschriften:

BGB a.F. § 1573 Abs. 5
BGB § § 1578 b Abs. 2
EGZPO § 36 Nr. 1
EGZPO § 36 Nr. 2
Ist bereits nach dem vor dem 1.1.2008 geltenden Recht eine Befristung des Ehegattenunterhalts möglich gewesen, insbesondere nach der Änderung der Rechtsprechung des BGH ab dem Frühjahr 2006, so sind Umstände, die in einem im Jahr 2007 entschiedenen Unterhaltsrechtsstreit bereits hätten berücksichtigt werden können, in einem nach dem 1.1.2008 eingeleiteten Abänderungsverfahren präkludiert. § 36 Nr. 2 EGZPO steht dem nicht entgegen.
Oberlandesgericht Stuttgart

16. Zivilsenat - Familiensenat -

Beschluss

Geschäftsnummer: 16 UF 204/08

08. Januar 2009

In dem Rechtsstreit

wegen Unterhalt

hat der 16. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Amelung

Richterin am Oberlandesgericht Huber

Richter am Oberlandesgericht Schindler

beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag des Klägers, ihm für seine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Saulgau - Familiengericht - vom 19.8.2008 (1 F 27/08) Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird

zurückgewiesen.

2. Der Beklagten wird für die Verteidigung gegen die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Saulgau - Familiengericht - vom 19.8.2008 (1 F 27/08) raten- und beitragsfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt XXX,

bewilligt.

Gründe:

I. zum Prozesskostenhilfegesuch des Klägers:

Dem Kläger kann für seine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Saulgau - Familiengericht - vom 19.8.2008 (1 F 27/08) keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden, weil sie nicht die gem. § 114 ZPO erforderliche Erfolgsaussicht bietet. Die Berufung ist zwar zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.

Das angefochtene Urteil ist nämlich - jedenfalls im Ergebnis - richtig.

1. Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug allein um die Frage, ob die Unterhaltsverpflichtung des Klägers zeitlich zu befristen ist oder nicht; dieser Streitpunkt lässt sich in 3 Unterpunkte gliedern, nämlich den, ob die Befristungsvoraussetzungen derzeit vorliegen (s. u. 2.), den weiteren, ob die Befristungsvoraussetzungen bereits bei Erlass des Urteils vom 27.4.2007 im Verfahren 1 F 100/05 UE (im Folgenden: "Ausgangsverfahren") vorlagen und dort hätten geltend gemacht werden können und müssen (s. u. 3.) und schließlich den, ob bei Bejahung der dem 2. Unterpunkt zu Grunde liegenden Fragestellung die Befristung jetzt noch möglich oder vielmehr gem. § 323 Abs. 2 ZPO präkludiert ist (s. u. 4.).

Außer Streit sind mittlerweile hingegen sämtliche zur Beurteilung der dargestellten Gesichtspunkte maßgeblichen Tatsachengrundlagen, dass nämlich die kinderlose Ehe bis zur Trennung der Ehegatten knapp 13 Jahre währte, die Beklagte vor der Ehe als ungelernte Arbeiterin erwerbstätig war, der Kläger weiterhin das im Urteil des Amtsgerichts Bad Saulgau vom 27.4.2007 zu Grunde gelegte Einkommen erzielt, also keine Einkommensverbesserungen erfahren hat, und die Beklagte seit Januar 2008 zwar eine Teilzeitbeschäftigung in der Gastronomie ausübt, hierbei jedoch ein Nettoeinkommen erzielt, das hinter dem zurückbleibt, das der Beklagten im Urteil vom 27.4.2007 fiktiv aufgrund der Annahme einer vollschichtigen Tätigkeit zugeschrieben wurde.

2. Die Frage, ob die Befristungsvoraussetzungen im Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen, bemisst sich im Grundsatz nach dem seit dem 1.1.2008 geltenden Recht, allerdings nach Maßgabe des Übergangsrechts gem. § 36 Nr. 1 und 2 EGZPO.

a. Voraussetzung einer Befristung gem. § 1578 b Abs. 2 BGB n. F. ist in jedem Falle, dass die Tatsachengrundlage für die in diesem Zusammenhang anzustellende Billigkeitsprüfung hinreichend gesichert ist. Da anerkannt ist, dass hierfür den Einkommensmöglichkeiten, die sich dem Unterhaltsberechtigten aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit eröffnen, zentrale Bedeutung zukommt, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob dem Unterhaltsberechtigten nach Wiedereintritt ins Berufsleben nach beendeter Ehe Nachteile verbleiben, die ihren Grund in der Ehe selbst haben und die innere Rechtfertigung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs darstellen, kommt eine Befristung nur dann in Betracht, wenn das Einkommen, das der Unterhaltsberechtigte nach voller Wiedereingliederung ins Erwerbsleben gesichert erzielen kann, bereits beziffert werden kann. Der Bundesgerichtshof hält dies in seiner Entscheidung FamRZ 2007, 793 bereits dann für möglich, wenn alle hierfür maßgeblichen Umstände bei Schluss der mündlichen Verhandlung zuverlässig voraussehbar sind (vgl. Rdnr. 60 der genannten Entscheidung).

b. Folgt man der Auffassung von Gerhardt in Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 6. A., 6. Kapitel Rdnr. 420 a, der aus der Entscheidung BGH FamRZ 2007, 793 ableitet, das aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit gesichert erzielbare Einkommen sei erst nach (realer) Aufnahme einer Ganztagsarbeit zuverlässig feststellbar, so wäre eine für jede Befristung unerlässliche sichere und zuverlässige Prognose, dass dem Unterhaltsberechtigten durch Unterhaltsleistungen auszugleichende ehebedingte Nachteile nicht verbleiben, erst ab dem Zeitpunkt möglich, ab dem der Unterhaltsberechtigte tatsächlich vollschichtig erwerbstätig ist. Im vorliegenden Fall würde diese Auffassung dazu führen, dass weder im Ausgangsverfahren noch im vorliegenden Berufungsverfahren die Voraussetzungen einer Befristung gem. § 1578 b Abs. 2 BGB n. F. gegeben wären, weil die Beklagte - entgegen der Fiktion im Urteil des Amtsgerichts Bad Saulgau vom 27.4.2007 - bis zum heutigen Tage nicht vollschichtig arbeitet. Auf der Grundlage dieser Auffassung könnte die vorliegende Klage somit schon deshalb keinen Erfolg haben, weil selbst dann, wenn es sich vorliegend nicht um ein Abänderungsverfahren, sondern um ein Erstverfahren handeln würde, eine Befristung der Unterhaltsverpflichtung nicht möglich wäre.

c. Hält man entgegen Gerhardt für möglich, das gesichert erzielbare Einkommen aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit auch dann zuverlässig vorherzusehen, wenn der Unterhaltsberechtigte eine solche Tätigkeit noch nicht aufgenommen hat, so wäre eine Befristungsentscheidung bereits ab dem Zeitpunkt möglich, ab dem alle für die im Rahmen des § 1578 b Abs. 2 BGB n. F. anzustellende Billigkeitsabwägung maßgeblichen Gesichtspunkte hinreichend sicher prognostizierbar sind. Damit könnte auch das Einkommen aus fingierter vollschichtiger Erwerbstätigkeit hinreichende Grundlage einer Billigkeitsabwägung gem. § 1578 b Abs. 2 BGB sein, wenn nur die Grundlagen der Fiktion hinreichend gesichert sind.

Auf der Grundlage einer solchen Auffassung kommt im vorliegenden Fall anhand der derzeit festzustellenden Gegebenheiten eine Befristung gem. § 1578 b Abs. 2 BGB n. F. in Betracht, weil die Beklagte zu jeder vollschichtigen Tätigkeit als ungelernte Arbeiterin in der Lage ist, die mit nur geringen körperlichen Belastungen einhergeht. Sie kann damit an eine Erwerbstätigkeit anknüpfen, die sie vor ihrer Ehe bereits ausgeübt hat. Soweit sie keine Tätigkeiten ausüben kann, die über nur gelegentlich mittelschwere körperliche Belastungen hinausgehen, beruht diese Einschränkung ihres beruflichen Fortkommens auf ihren gesundheitlichen Beeinträchtigungen; dass diese wiederum ihren Grund in der Ehe mit dem Kläger haben, ist bislang weder dargetan noch sonst ausreichend ersichtlich. Da die Ehe kinderlos war, kommt dem Gesichtspunkt der kindererziehungsbedingten Nachteile im beruflichen Fortkommen der Beklagten keine Bedeutung zu. Die Ehe war bis zum Zeitpunkt der Trennung auch nicht von derart langer Dauer, dass allein dieser Umstand für sich genommen einen beruflichen Nachteil nahelegt, zumal unbekannt ist, ob die Beklagte während der Ehe - abgesehen von der Zeit ihrer vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit mit anschließender Arbeitslosigkeit - ehebedingt von einer Erwerbstätigkeit abgesehen hat.

3. Tritt man der oben zu Ziffer 2. c. umschriebenen Auffassung bei, so hätte die Befristung der Unterhaltsverpflichtung bereits im Ausgangsverfahren erfolgen können.

a. Wie sich aus dem Urteil des Amtsgerichts Bad Saulgau vom 27.4.2007 ergibt, handelte es sich bei dem zugesprochenen nachehelichen Unterhalt ausschließlich um Aufstockungsunterhalt gem. § 1573 Abs. 2 BGB a. F., der auch nach der vor dem 1.1.2008 geltenden Gesetzeslage grundsätzlich befristbar war (vgl. § 1573 Abs. 5 BGB a. F.)

b. Die Möglichkeiten zur Befristung des Aufstockungsunterhalts nach dieser Vorschrift waren und sind seit der Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 12.4.2006 (FamRZ 2006, 1006) identisch mit denjenigen im neu formulierten § 1578 b BGB, soweit diese den Aufstockungsunterhalt betreffen. Dem Amtsgericht ist darin beizupflichten, dass der Bundesgerichtshof mit der erwähnten Rechtsprechungsänderung die Regelungen des § 1578 b BGB n. F. für den Bereich des Aufstockungsunterhalts vorweggenommen hat (vgl. Palandt - Brudermüller, BGB, 68. A., Einf. II vor § 1569 Rdnr. 15; Dose; FamRZ 2007, 1289, 1296; Gerhardt, aaO, Rdnr. 420). Die gesetzgeberische Neuerung durch das UÄndG gegenüber der seit 12.4.2006 geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung besteht deshalb nur darin, dass § 1578 b BGB n. F. die Möglichkeiten zur Befristung der Unterhaltsverpflichtung auf andere Unterhaltstatbestände ausdehnt, die vorliegend jedoch nicht in Betracht zu ziehen sind.

c. Da die Tatsachengrundlagen im vorliegenden Berufungsverfahren keine anderen sind als die, die das Amtsgericht im Urteil des Ausgangsverfahrens vom 27.4.2007 festgestellt hat, hätte eine Befristung aus den oben dargelegten Gründen und vor dem Hintergrund der seit dem 12.4.2006 geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits im Ausgangsverfahren erfolgen können, wie dies das Amtsgericht im angefochtenen Urteil auch angenommen hat.

4. In Folge einer bereits im Ausgangsverfahren bestehenden Möglichkeit zur Befristung der Unterhaltsverpflichtung stellt sich dann die Frage der Präklusion gem. § 323 Abs. 2 ZPO. Von dieser Prämisse ausgehend hat das Amtsgericht die Anwendbarkeit der Präklusionsvorschrift des § 323 Abs. 2 ZPO zutreffend bejaht.

a. § 36 Abs. 1 Nr. 2 EGZPO steht dem nicht entgegen, weil nicht bereits vor dem 1.1.2008 bestehende Umstände i. S. v. § 36 Abs. 1 Nr. 1 EGZPO in Rede stehen, die (erst) durch das "Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts" vom 21.12.2007 erheblich geworden sind.

aa. Ziffer 1 der genannten Vorschrift ermöglicht es, unter Durchbrechung des Vertrauensschutzes auf den Fortbestand eines bereits vor dem 1.1.2008 geschaffenen Unterhaltstitels Änderungen der Unterhaltsverpflichtung nach Maßgabe des seit 1.1.2008 geltenden Unterhaltsrechts herbeizuführen, auch wenn diese nicht auf Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse beruhen. Die Grenzen für die Durchbrechung des Vertrauensschutzes in den Fortbestand des bisherigen Unterhaltstitels sind dort gezogen, wo das neue Unterhaltsrecht zu keiner wesentlichen Änderung der Unterhaltsverpflichtung führt oder eine Änderung des bisherigen Unterhaltstitels nach Maßgabe des neuen Rechts dem Unterhaltsberechtigten nicht zuzumuten ist.

bb. § 36 Abs. 1 Nr. 2 EGZPO stellt demgegenüber nur klar, dass eine nach Ziffer 1 der genannten Vorschrift mögliche Durchbrechung des Vertrauensschutzes in den Fortbestand des Unterhaltstitels nicht an den Sperren der §§ 323 Abs. 2, 767 Abs. 2 ZPO scheitert.

b. Entscheidend ist demzufolge, ob eine Durchbrechung des Vertrauensschutzes gem. § 36 Abs. 1 Nr. 1 EGZPO möglich ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Dass der Aufstockungsunterhaltsanspruch der Beklagten hätte befristet werden müssen, ist kein Ausfluss der Rechtsänderung durch das "Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts" vom 21.12.2007, sondern der bereits ab dem 12.4.2006 geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Anwendungsbereich des § 1573 Abs. 5 BGB a. F. Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Ausgangsverfahren am 3.4.2007 war die Änderung der BGH-Rechtsprechung in der Fachwelt hinreichend bekannt und hätte vom Amtsgerichts bei seiner Entscheidung im Frühjahr 2007 beachtet werden müssen. Da - wie oben bereits ausgeführt - schon auf der Grundlage des damals festgestellten Sachverhalts sicher absehbar war, dass der Beklagten durch Aufnahme einer zumutbaren, körperlich nur wenig belastenden vollschichtigen Erwerbstätigkeit als ungelernte Arbeiterin keine ehebedingten Nachteile verbleiben würden, die eines Ausgleichs durch Gewährung von unbefristetem Geschiedenenunterhalt bedurft hätten, wäre schon damals die Befristung des Geschiedenenunterhalts nicht nur möglich, sondern auch geboten gewesen. Eines besonderen Hinweises oder gar eines entsprechenden Antrags, den Unterhaltsanspruch zu befristen, bedurfte es nicht, weil es sich bei der Befristung gem. § 1573 Abs. 5 BGB a. F. - wie bei der Befristungsmöglichkeit gem. § 1578 b BGB seit dem 1.1.2008 - um eine von Amts wegen zu beachtende Einwendung handelte.

c. Dass das Amtsgericht in seinem Urteil vom 27.4.2007 eine solche Befristung nicht vorgenommen hat, beruhte ausweislich der Entscheidungsgründe jenes Urteils nicht darauf, dass es die Prognosebasis für nicht ausreichend erachtete, sondern ersichtlich allein auf einer anderweitigen rechtlichen Würdigung des festgestellten Lebenssachverhalts. Es handelte sich damit um einen Rechtsanwendungsfehler, den der Kläger im Rechtsmittelwege hätte rügen und angreifen müssen. Dass er dieses unterlassen hat, führt gem. § 323 Abs. 2 ZPO zum Ausschluss der entsprechenden Rüge im nachfolgenden Abänderungsverfahren.

5. Die obigen Erwägungen zeigen, dass die eingangs dargestellten unterschiedlichen Auffassungen, die zur Frage der hinreichend sicheren Tatsachengrundlage zur Beurteilung der Befristungsmöglichkeit vertreten werden, vorliegend nicht ergebnisrelevant sind. Somit kommt auch nicht in Betracht, die Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug deshalb zu bewilligen, weil zu dem in Rede stehenden Problem unterschiedliche Rechtsauffassung vertretbar erscheinen; denn alle vertretenen Meinungen führen zum selben Ergebnis, nämlich mangelnder Erfolgsaussicht der Berufung.

6. Der Senat regt vor diesem Hintergrund an, die Berufungsrücknahme zu erwägen.

II. zum Prozesskostenhilfegesuch der Beklagten:

Der Beklagten ist Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Berufung nach Maßgabe des § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO zu bewilligen, entsprechend ihren wirtschaftlichen Verhältnissen ohne Raten- und Beitragsverpflichtung.



Ende der Entscheidung

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