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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 12.01.2005
Aktenzeichen: 16 WF 184/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 114
BGB § 1600 d
Die Rechtsverteidigung des auf Feststellung der Vaterschaft verklagten Mannes, der der Kindesmutter in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat, verspricht nur dann Aussicht auf Erfolg i. S. d. § 114 ZPO, wenn er Tatsachen vorbringt, die bei verständiger Würdigung ernstzunehmende Zweifel an seiner Vaterschaft begründen können. Der Umfang der Darlegungslast richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles.

Liegt ein in diesem Sinne ordnungsgemäß begründeter Antrag auf Prozesskostenhilfe vor, bevor die Rechtsverteidigung auf Grund anderweitiger Erkenntnisse aussichtslos erscheint, ist trotz veränderter Erkenntnis nachträglich Prozesskostenhilfe zu bewilligen (entgegen OLG Köln, FamRZ 2000, 1588).


Oberlandesgericht Stuttgart - 16. Zivilsenat - Familiensenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 16 WF 184/04

vom 12. Januar 2005

in der Familiensache

wegen Feststellung der Vaterschaft

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 16. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von

Vors. Richter am OLG Amelung, Richter am OLG Kodal und Richter am AG Malinka

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Biberach vom 22.07.2004 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Die gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO zulässige, fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde gegen die Verweigerung der Prozesskostenhilfe durch das Familiengericht hat in der Sache aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung keinen Erfolg.

I.

Das Familiengericht hat dem auf Feststellung der Vaterschaft in Anspruch genommenen Beklagten unter Hinweis auf die Vaterschaftsvermutung des § 1600 d Abs. 2 S. 1 BGB Prozesskostenhilfe versagt, sodann die Kindesmutter und den Beklagten persönlich angehört und ein Sachverständigen-Gutachten eingeholt, das zum Ergebnis kam, die Vaterschaft des Beklagten sei "praktisch erwiesen". Der rechtzeitig (am 20.08.2004) eingelegten sofortigen Beschwerde des Beklagten hat es mit Beschluss vom 21.09.2004 (nach Eingang des Gutachtens) nicht abgeholfen. Der Beklagte hat seine Vaterschaft mittlerweile anerkannt, worauf die Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben.

II.

Für die Frage, ob dem Beklagten nunmehr nachträglich Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann, obwohl die Aussichtslosigkeit seiner Rechtsverteidigung inzwischen feststeht, gelten folgende Erwägungen:

1. Nach weithin einhelliger Ansicht steht es der nachträglichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen, wenn die Erfolgsaussicht zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Antragstellung bzw. Bewilligungsreife gegeben war, aber nachträglich durch ein überholendes Ereignis entfallen ist, bevor über die Prozesskostenhilfe entschieden wurde.

2. Streitig ist hingegen die davon zu unterscheidende Frage, von welchem Erkenntnisstand aus zu beurteilen ist, ob die Erfolgsaussicht zu diesem (ggf. früheren) Zeitpunkt bestanden hat (vgl. zum Meinungsstand MünchKomm/Wax, BGB, 2. Aufl., § 114 Rdnr. 157 ff.), ob es also der nachträglichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe entgegensteht, dass die (von vornherein fehlende) Erfolgsaussicht erst auf Grund nachträglicher Erkenntnisse festgestellt wird (nicht auseinandergehalten von OLG Köln, FamRZ 2000, 1588). Stellt man hierzu (entgegen Wax a.a.O.; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 2. Aufl., Rdnr. 423) generell (so OVG Bremen, Beschluss vom 14.02.2002, 1 S 469/01, veröff. bei JURIS; Hamburgisches OVG, DVBl. 2004, 844) oder doch in Fällen vorwerfbar verzögerlicher Bearbeitung durch das Gericht (so OLG Zweibrücken, JurBüro 2000, 482) auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife ab, stellt sich die weitere Frage, ob die seinerzeit positive Erfolgsprognose die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auch dann noch rechtfertigt, wenn der Prozess in der Hauptsache endgültig zum Nachteil des Antragstellers entschieden oder sonst erledigt ist (so Hamburgisches OVG a.a.O.; a.M. Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 119 Rdz. 47; MünchKomm-Wax, ZPO, 2. Aufl., § 127 Rdz. 16, je m.w.N.).

3. Schließlich ist streitig, ob für die Beantwortung beider Fragen (Wann muss die Erfolgsaussicht bestehen bzw. bestanden haben? Von welchem Kenntnisstand aus ist dies zu beurteilen?) in einem Statusprozess der vorliegenden Art insbesondere für die Rechtsverteidigung dieselben Maßstäbe gelten wie im gewöhnlichen Zivilprozess.

Nur die letztere Frage steht zur Entscheidung an. Nach Auffassung des Senats folgt aus dem Verfassungsgebot der Rechtsschutzgleichheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG), das hinter der einfach-gesetzlichen Regelung in §§ 114 ff. ZPO steht (BVerfG FamRZ 1993, 664; NJW-RR 2003, 1216), sowie aus den Besonderheiten des Statusverfahrens, dass die Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung eines auf Feststellung der Vaterschaft in Anspruch genommenen Mannes nicht, insbesondere nicht rückschauend nach durchgeführter Beweisaufnahme, gleichsam "aus der Vogelperspektive" beurteilt werden darf, wenn er selbst bei verständiger Würdigung der ihm bekannten Tatsachen zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Antragstellung Zweifel an seiner Vaterschaft hegen konnte und diese Tatsachen in prozessual erheblicher Form rechtzeitig - d.h., bevor der Zweifel auf Grund besserer Erkenntnis widerlegt ist - ins Verfahren eingeführt hat. Deshalb scheitert die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht bereits daran, dass die Vaterschaft des Beklagten mittlerweile feststeht (a.M. OLG Köln, FamRZ 2000, 1588). Die Besonderheit des Statusverfahrens besteht darin, dass ein Mann, der mit der Kindesmutter in der gesetzlichen Empfängniszeit sexuell verkehrt, sie aber (was in der Lebenswirklichkeit kaum vorstellbar ist) nicht auf Schritt und Tritt überwacht hat, sich abgesehen von seltenen Ausnahmefällen (nachgewiesene Zeugungsunfähigkeit) weder seiner Vaterschaft noch seiner Nichtvaterschaft sicher sein kann. In dieser Situation würde angesichts der großen Bedeutung von Statusverfahren auch eine vermögende Partei das Risiko der Prozessführung auf sich nehmen, wenn sie tatsächliche Hinweise auf die Möglichkeit eines Mehrverkehrs der Kindesmutter hat. Dass diese Möglichkeit rein abstrakt immer besteht, reicht andererseits nicht aus, sonst könnte man auf eine Erfolgsprüfung ganz verzichten (so in der Tat - jedenfalls im Ergebnis - Wax a.a.O. Rdnrn. 98, 115). Dies widerspräche dem Gesetz, das mit diesem Erfordernis in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (BVerfG a.a.O. - beide Entscheidungen) das Interesse des Hilfesuchenden an gleichem Zugang zum Recht mit dem Interesse der Allgemeinheit, keine aussichtslosen oder mutwilligen Prozesse finanzieren zu müssen, in Einklang zu bringen sucht.

III.

1. Zu Recht hat das Familiengericht bei der Prüfung der Frage, ob das Gegenvorbringen des Beklagten erheblich ist, auf den Regelungszusammenhang des § 1600 d Abs. 2 S. 1 und 2 BGB abgestellt. Das Gesetz knüpft an die Beiwohnung während der gesetzlichen Empfängniszeit die Vermutung der Vaterschaft des Sexualpartners, lässt aber den Gegenbeweis nicht nur zu, sondern ordnet darüber hinaus die Aufklärung von Amts wegen an (§§ 640 Abs. 1, 616 Abs. 1 ZPO). Hiernach muss der Beklagte im Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft, wenn er Prozesskostenhilfe bewilligt bekommen will, über die bloß abstrakte Möglichkeit seiner Nichtvaterschaft hinaus Tatsachen vortragen, die seine Zweifel zumindest verständlich erscheinen lassen.

Der Umfang der Darlegungslast hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Ein Beklagter, der mit der Kindesmutter nur eine flüchtige Bekanntschaft gepflogen hat, kann und muss weniger bringen als einer, der mit ihr dauerhaft liiert war oder sogar zusammengelebt hat, zum einen, weil er mangels Einblick in ihre Lebensverhältnisse gar nichts Näheres vortragen kann, zum anderen, weil im Falle einer nur flüchtigen Beziehung die Erwartung weniger gerechtfertigt ist, dass sich die Kindesmutter durch Liebe oder moralische Rücksichtnahme an der Aufnahme anderweitiger sexueller Kontakte gehindert sieht als bei einem "echten" Liebespaar. Von einem Beklagten, der, wie vorliegend, mit der Kindesmutter in Wohngemeinschaft gelebt hat, ist eine weitergehende Substantiierung zu verlangen.

2. Hieran fehlt es vorliegend, wie das Familiengericht zutreffend gesehen hat, jedenfalls bis zum Eingang des Gutachtens am 17.09.2004, das jeden vernünftigen Zweifel an der Vaterschaft des Beklagten zum Schweigen gebracht hat. Sowohl im Schriftsatz vom 19.07.2004 wie in der Beschwerdebegründung begründet der Beklagte seine Zweifel mit dem abweisenden Verhalten der Kindesmutter kurz vor und nach der Geburt. Der von ihm daraus gezogene Schluss, das Kind stamme von einem anderen, ist aber nicht nachvollziehbar. Dasselbe gilt den Hinweis auf das nicht abgesprochene Absetzen empfängnisverhütender Mittel durch die Kindesmutter. Dies bietet eine logische Erklärung dafür, dass sie schwanger wurde, aber nicht, von wem. Der Hinweis auf Informationen von dritter Seite (von wem?) über das Liebesleben der Kindesmutter entbehrt jeder Substanz, insbesondere vor dem Hintergrund der seinerzeit bestehenden Wohngemeinschaft zwischen ihr und dem Beklagten. Der weitere Vortrag im Beschwerdeverfahren, der auf die Hinweisverfügung des Einzelrichters gehalten wurde, verhilft der Beschwerde nicht mehr zum Erfolg, weil zu diesem Zeitpunkt die Vaterschaft des Beklagten bereits feststand.

3. Dass das Familiengericht nach Ablehnung der Prozesskostenhilfe noch (zu Recht) Anlass zu einer Beweisaufnahme gesehen hat, macht die Ablehnung nicht fehlerhaft. Denn dieser Anlass bestand nicht deshalb, weil das Vorbringen des Beklagten erheblich, die Rechtsverteidigung also aussichtsreich erschienen wäre, sondern weil das Gesetz, wie oben 1. dargelegt, die Klärung der Vaterschaft von Amts wegen anordnet. Das unterscheidet den vorliegenden Fall von den vom BVerfG a.a.O. entschiedenen.

IV.

Die Entscheidung über die Verweigerung der Prozesskostenhilfe beruht auf einer Auslegung des § 114 ZPO (also nicht des materiellen Rechts), die, wie oben II. 2. und 3. dargestellt, umstritten, von grundsätzlicher Bedeutung und, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch ungeklärt ist (zumindest was die Erfolgsprüfung der Rechtsverteidigung im Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft betrifft). Daher ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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