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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 17.04.2000
Aktenzeichen: 2 Ss 47/00
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 263
StGB § 27
§§ 263, 27 StGB

Zu Fragen der Beihilfe des Arbeitnehmers zum sogenannten Beitragsbetrug seines Arbeitgebers, wenn der Arbeitnehmer die Lohnauszahlung in bar hinnimmt, insbesondere zur Abgrenzung von aktivem Tun und Unterlassen und zur Pflichtwidrigkeit vorausgegangenem Verhaltens.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. April 2000 - 2 Ss 47/2000


Geschäftsnummer: 2 Ss 47/2000 2 Ns 34 Js 23770/98 AK 71/99 LG Ulm 34 Js 23770/98 StA Ulm

Oberlandesgericht Stuttgart

Beschluss

in der Strafsache gegen

wegen Beihilfe zum Betrug

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S., den Richter am Oberlandesgericht G. und den Richter am Landgericht Dr. M. am 17. April 2000 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 09. November 1999

aufgehoben.

Der Angeklagte wird

freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Das Amtsgericht Ulm hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Betrug in 24 Fällen zu der Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 100,00 DM verurteilt.

Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Ulm verworfen, jedoch die Gesamtgeldstrafe auf 80 Tagessätze ermäßigt.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Nach den Feststellungen arbeitete der Angeklagte, ein ehemaliger Berufssoldat, nach seiner Pensionierung als Kraftfahrer bei dem Transportunternehmen M. Seinen Lohn erhielt er monatlich in bar ausbezahlt. Als geringfügig Beschäftigter eingestellt, lag sein monatliches Bruttoeinkommen in der Zeit von April 1994 bis Oktober 1995 jeweils unterhalb der Grenze von 630,00 DM, weshalb nach damals geltender gesetzlicher Regelung keine Sozialversicherungspflicht für ihn bestand. Ab dem Monat November 1995 bis Dezember 1997 überschritt sein Einkommen aber diesen Grenzwert (Bruttoeinkommen in diesem Zeitraum: 30.575,75 DM). Der Arbeitgeber M. meldete diese Veränderung - ebenso wie bei anderen Arbeitnehmern - nicht dem zuständigen Sozialversicherungsträger, weshalb Sozialversicherungsbeiträge nicht eingefordert wurden. M. ist deshalb wegen Beitragsbetrugs verurteilt worden.

Das Landgericht stellt fest, dass dem Angeklagten bewusst war, dass nunmehr Sozialversicherungsbeiträge anfielen, von seinem Arbeitgeber aber nicht abgeführt wurden. Es sieht die Unterstützungshandlung des Angeklagten zur Straftat seines Arbeitgebers darin, dass er es gleichwohl bei der von M. mit seinem Einverständnis von Anfang an gehandhabten Praxis der Lohnauszahlung in bar beließ; er habe, so führt das Landgericht in der rechtlichen Würdigung aus, die Auszahlung des Lohnes in bar auch in den Fällen hingenommen, bei denen sein Einkommen weit über der Grenze von 630,00 DM lag und dabei zumindest mit bedingtem Gehilfenvorsatz gehandelt.

Diese Bewertung hält rechtlicher Uberprüfung nicht stand.

Voraussetzung für die Annahme von Beihilfe ist, dass der Gehilfe die Tatbegehung bewusst fördert und erleichtert, sei es durch aktives Tun oder durch pflichtwidriges (unechtes) Unterlassen, wobei der Erfolg der Haupttat nicht im Sinne einer Kausalität gefördert werden muss. Das bloße Wissen um die Tat reicht selbst bei deren Billigung nicht aus.

Maßgebender Tatzeitraum ist die Zeit ab November 1995, weil zuvor - anders als bei der durch Gesetz vom 24. März 1999 eingeführten Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse - eine Beitragspflicht des Arbeitgebers für geringfügig Beschäftigte nicht bestand. Als Unterstützungshandlung kommt in dieser Zeit allein in Betracht, dass der Angeklagte, wie das Landgericht feststellt, es bei der Auszahlung des Lohnes in bar "beließ" bzw. diese von Beginn seiner Tätigkeit an bestehende Zahlungspraxis (weiter) "hinnahm". Schon die Wortwahl weist darauf hin, dass das Landgericht den maßgeblichen Tatbeitrag des Angeklagten hier nicht in einem aktiven Tun, sondern in einem Unterlassen gesehen hat, wenngleich sich das Urteil hierzu - und zur Frage der Pflichtwidrigkeit - ausdrücklich nicht näher verhält. Vorwerfbar könnte das Verhalten des Angeklagten in der Tat weniger deshalb erscheinen, weil er seinen Lohn in bar entgegennahm - mutmaßlich nicht durch den Firmeninhaber, sondern eine(n) Angestellte(n) der Buchhaltung -, sondern weil er angesichts seiner gestiegenen Einkünfte nicht eine Änderung der bisherigen, lange Zeit geübten Auszahlungspraxis verlangte. Entscheidend ist insoweit, auf welchem Verhalten der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt (BGHSt 6, 57, 59). Nach den getroffenen Feststellungen lag er ersichtlich hier nicht in der - in unverfänglicher Zeit begonnenen und lange Zeit gleichförmig praktizierten - Entgegennahme der Barauszahlung.

Aus den Urteilsgründen ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der Angeklagte sonst aktiv die Tat des Haupttäters gefördert hätte, wofür das bloße "Dabeisein" nicht genügte (BGH, NStZ 96, 563). Im Gegenteil ist den Ausführungen in der Beweiswürdigung zu entnehmen, dass der Angeklagte aus welchen Gründen auch immer aufgekommene Bedenken bzw. Zweifel wegen der Frage der Notwendigkeit der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen an seinen Arbeitgeber herangetragen hatte, von diesem aber mit der Bemerkung beschwichtigt wurde, dass dies "schon in Ordnung" gehe (UA S. 7); der Angeklagte habe sich damit "schließlich ... zufrieden gegeben". Das Interesse des Angeklagten an der Nichtabführung von Versicherungsbeiträgen war im Vergleich zu seinem Arbeitgeber auch verhältnismäßig gering, da er als pensionierter Berufssoldat selbst von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung befreit war; hohe Lohnabzüge brauchte er deshalb nicht zu befürchten.

Eine Förderung der Haupttat durch unechtes Unterlassen, wie sie nach den Feststellungen demzufolge allenfalls in Betracht kommt, setzte auf Seiten des Angeklagten aber eine Garantenstellung voraus, worauf der Revisionsführer zu Recht hinweist. Eine solche besaß der Angeklagte nicht. Aus den Regelungen des SGB lässt sich eine Verpflichtung zur Schadensabwendung im Sinne des § 13 StGB nicht herleiten; denn gegenüber dem Sozialversicherungsträger bzw. der zuständigen Einzugsstelle verpflichtet ist nach der gesetzlichen Regelung allein der Arbeitgeber: Ihm sind Meldepflichten auferlegt; er ist gegenüber der Einzugsstelle allein zahlungspflichtig und haftet für die Abführung der Beiträge (IV §§ 28 a, 28 e SGB). Dementsprechend weist auch die - gegenüber dem sogenannten Beitragsbetrug subsidiäre - Vorschrift des § 266 a StGB die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung allein dem Arbeitgeber zu.

Auch aus dem Gesichtspunkt des vorangegangenen Verhaltens (Ingerenz) hatte der Angeklagte nicht rechtlich dafür einzustehen, dass sein Arbeitgeber die Beiträge an den Sozialversicherungsträger bzw. die Solidargemeinschaft tatsächlich abführt. Zwar mag die zu Beginn der Tätigkeit im April 1994 "in stillschweigendem Einvernehmen" eingeführte Praxis der Lohnauszahlung in bar dem sehr viel später erfolgten Tatentschluss des Arbeitgebers förderlich gewesen sein, weil sich dadurch die Gefahr der Aufdeckung seiner Straftat verringerte. Indessen war diese Zahlungspraxis nicht pflichtwidrig, mag sie auch nach den heutigen Verhältnissen unüblich sein. Dieses in unverfänglicher Zeit begonnene Vorverhalten hat für sich allein auch noch nicht die nahe Gefahr des späteren Erfolgseintritts herbeigeführt, vielmehr allenfalls mittelbar zu dem Schaden beigetragen, den der eigenverantwortlich handelnde Arbeitgeber sehr viel später aus eigenem Entschluss schließlich herbeigeführt hat. Eine Garantenstellung aus vorangegangenem Verhalten wird nach der Rechtsprechung des BGH aber nur dann begründet, wenn ein pflichtwidriges Vorverhalten vorliegt und dadurch die nahe Gefahr des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht wird (vgl. BGH NStZ 98, 83 f.).

Eine weitere Sachaufklärung ist, wie sicher erscheint, nicht zu erwarten. Der Angeklagte war deshalb auf Kosten der Staatskasse freizusprechen.

Ende der Entscheidung

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