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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 06.06.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 65/09
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 67 h
Der Anordnung einer Krisenintevention gemäß § 67 h StGB steht nicht entgegen, dass die Unterbringung von Anfang an außer Vollzug gesetzt und bisher noch nicht vollstreckt worden ist.
Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 2 Ws 65/09

vom 6. Juni 2009

in der Unterbringungssache

wegen Bedrohung,

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Unterzubringenden wird der Beschluss des Landgerichts - 17. große Strafkammer - Stuttgart vom 19. März 2009, mit welchem die bewährungsweise Aussetzung der Unterbringung aus dem Urteil vom 30. September 2008 widerrufen wurde, aufgehoben.

2. Die durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. September 2008 ausgesetzte Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus wird für die Dauer von drei Monaten in Vollzug gesetzt.

3. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Durch Urteil vom 30. September 2008 wurde der Beschwerdeführer vom Vorwurf der Bedrohung freigesprochen, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Dieses Urteil ist seit dem 23. Dezember 2008 rechtskräftig. Mit Bewährungsbeschluss vom 30. September 2008 wurde dem Beschwerdeführer unter anderem aufgegeben, monatlich einmal - gegebenenfalls auf ärztliche Anordnung auch öfter - die Ärztin Frau Dr. B. in Stuttgart aufzusuchen und die von der Ärztin verschriebenen Medikamente, namentlich Depotspritzen, einzunehmen. Außerdem erhielt er die Weisung, die Praxis von Dr. I. aus Stuttgart regelmäßig zur Einnahme von Methadon aufzusuchen. Dem Urteil lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 3. Juni 2007 die Bedienung einer Gaststätte damit bedroht hatte, ihr ein Messer in den Bauch zu "stecken" und sie umzubringen, wobei er zeitgleich in seine Hosentasche griff, in welcher sich ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 6,9 cm befand. Zur Tatzeit war der Beschwerdeführer aufgrund einer paranoid halluzinatorischen Psychose im Zusammenwirken mit Alkoholgenuss zumindest vermindert schuldfähig; seine Steuerungsfähigkeit war nicht ausschließbar aufgehoben.

Im März 2009 wurde bekannt, dass der Beschwerdeführer sich die Depotspritzen schon längere Zeit nicht mehr hatte verabreichen lassen, weil er sich gesund fühlte. Infolgedessen war er in einen hoch aggressiven Zustand geraten. Die Strafkammer erließ deshalb am 18. März 2009 einen Sicherungsunterbringungsbefehl gegen den Beschwerdeführer und widerrief mit der angefochtenen Entscheidung die bewährungsweise Aussetzung der Unterbringung aus dem Urteil vom 30. September 2008. Seit dem 19. März 2009 ist der Beschwerdeführer aufgrund des Sicherungsunterbringungsbefehls in der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie W. des ZfP S. untergebracht.

Mit der sofortigen Beschwerde begehrt J. H. die Aufhebung des Widerrufsbeschlusses; gleichzeitig strebt er seine Unterbringung in dem psychiatrischen Krankenhaus im Wege einer Krisenintervention an.

II.

Das zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegt Rechtsmittel hat Erfolg. Eine Krisenintervention ist gegenüber dem Widerruf als milderes Mittel vorzuziehen, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen. Dies ist der Fall. Der Beschwerdeführer leidet nach wie vor an der chronisch paranoiden Schizophrenie und der Polytoxikomanie, welche bei ihm bereits im Ausgangsverfahren diagnostiziert worden waren. Darüber hinaus haben die behandelnden Ärzte des Zentrums für Psychiatrie S., Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie W., bei dem Beschwerdeführer eine Persönlichkeitsstörung mit impulsiven und dissozialen Anteilen diagnostiziert. Weil der Beschwerdeführer spätestens seit Februar 2009 die dringend erforderliche Depotmedikation verweigert hatte, hat sich sein Zustand akut verschlechtert. Aufgrund der unbehandelten chronischen paranoiden Schizophrenie ist er in einen äußerst aggressiven Zustand geraten, weshalb von ihm die Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Straftaten ausgegangen ist. Grundsätzlich lag somit ein Widerrufsgrund nach § 67 g Abs. 2 StGB vor.

Der Widerruf kann jedoch unter Anwendung der durch das Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht vom 13. April 2007 eingeführten Vorschrift des § 67 h StGB im Wege einer Krisenintervention jedenfalls zunächst vermieden werden. Der forensisch-psychiatrischen Stellungnahme der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie W. vom 12. Mai 2009 zufolge besteht die nicht unrealistische Chance, innerhalb der von § 67 h StGB zur Verfügung gestellten Zeit von maximal 6 Monaten eine ausreichende Stabilisierung des psychischen Zustandes des Beschwerdeführers herbeizuführen und für ihn einen sozialen Empfangsraum zu organisieren, in welchem er ausreichend gestützt und kontrolliert wird, so dass danach von ihm nicht mehr die Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten ausgeht. Deshalb ist seine Unterbringung zur Krisenintervention anzuordnen, die aus Gründen der Verhältnismäßigkeit dem Widerruf nach § 67 g StGB vorzuziehen ist. Nach der gesetzlichen Vorgabe, ist sie zunächst auf drei Monate zu befristen. Rechtzeitig vor Ablauf dieser Frist wird die Strafkammer zu prüfen haben, ob ihre Verlängerung anzuordnen ist.

Der Anordnung einer Krisenintervention steht vorliegend nicht entgegen, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus vor Erlass des Sicherungsunterbringungsbefehls noch nicht vollstreckt worden ist.

Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise gefordert, dass der Krisenintervention nach § 67 h StGB ein vorheriger Vollzug der Unterbringung vorangegangen sein muss (vgl. Landgericht Landau, NStZ-RR 2008, 326). Diese sich am Wortlaut der Vorschrift des § 67 h StGB orientierende Auslegung entspricht jedoch nicht dem Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber geschaffenen Möglichkeit, aus Verhältnismäßigkeitsgründen mit einer Krisenintervention den drohenden Widerruf der Aussetzung einer Unterbringung abzuwenden. Wille des Gesetzgebers bei der Einführung von § 67 h StGB war, eine Flexibilisierung in den Fällen zu erreichen, in denen nach Aussetzung einer Unterbringung zur Bewährung zwar der Gesundheitszustand der betroffenen Person sich verschlechtert hat, jedoch eine Besserung absehbar ist. Bei dieser Konstellation soll ein sonst nach bisherigem Recht gebotener Widerruf der bewährungsweisen Aussetzung vermieden werden. Der Wortlaut steht dieser Auslegung des Gesetzes nicht entgegen (ebenso: Ruth Rissing-van Saan/Jens Peglau in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage, 2008, § 67 h, Rdnr. 7 und 9; Landgericht Saarbrücken, Beschluss vom 10. Dezember 2008, 1 BRs 4/08, und Landgericht Wuppertal, Beschluss vom 18. April 2009, 22 KLs 21/06, jeweils zitiert nach <juris> und Landgericht Marburg, Beschluss vom 1. Juni 2007, 7 StVK 230/07, NStZ-RR 2007,356).

Durch die (sofort zu vollziehende) Krisenintervention hat sich der Sicherungsunterbringungsbefehl erledigt.

Ende der Entscheidung

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