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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 28.09.2005
Aktenzeichen: 3 U 135/05
Rechtsgebiete: CMR, ZPO


Vorschriften:

CMR Art. 29
ZPO § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
1. Qualifiziertes Verschulden im Sinne von Art. 29 CMR ist gegeben, wenn der Fahrer den mit wertvollem Transportgut beladenen LKW ohne betriebliche Notwendigkeit über Nacht in einem Wohngebiet von Lissabon abstellt.

2. Zu den Voraussetzungen für die Zurückweisung von Vorbringen nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO.


Oberlandesgericht Stuttgart 3. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 3 U 135/05

Verkündet am 28. September 2005

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Kober Richter am Oberlandesgericht Dr. Ottmann Richter am Landgericht Ihle

auf die mündliche Verhandlung vom 14. September 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26.04.2005 - Az.: 32 O 120/04 KfH - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 164.245,33 €

Gründe:

I.

1.

Die Klägerin macht als Transportversicherer der Firma aus übergegangenem (§ 67 VVG und Abtretung) Recht Ansprüche wegen eines Transportschadens geltend. Die Beklagte sollte Endoskope und andere medizinische Geräte, die in fünf Palettenkartons mit einem Gesamtgewicht von 387,5 kg verpackt waren, zu einem Kunden in bringen. Sie setzte zur Auslieferung vor Ort die Firma ein, deren Transportfahrer den blau lackierten und mit dem Firmenlogo des Subunternehmers versehenen 3,5 t-Lkw über Nacht vor seinem Haus in einem Vorort von parkte. Dort wurde das Fahrzeug gestohlen und sowohl Fahrzeug als auch Ladung blieben verschwunden. Die Klägerin hat der Fa. den unstreitigen Schaden abzüglich einer Eigenbeteiligung von 1.500,00 € ersetzt und 164.245,33 € bezahlt. Sie will bei der Beklagten Regress nehmen und macht deren qualifiziertes Verschulden nach Art. 29 CMR geltend. Die Beklagte verweigert jegliche Zahlung und stellt das qualifizierte Verschulden in Abrede. Das Landgericht hat der Klägerin Recht gegeben.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Ergänzend ist anzuführen, dass sich im Laderaum des gestohlenen Lkw eine weitere Sendung mit Computermaterial der Fa. im Gesamtgewicht von 463,1 kg befunden hat, die an einer Adresse in der Straße in der Innenstadt von hätte ausgeliefert werden sollen. Mit E-mail-Nachricht vom 07.05.2004 (Anlage K12) meldete die Fa. der Beklagten den Diebstahl u.a. mit folgendem Wortlaut: "we prepare yesterday end of the day and loaded this with our domestic truck to deliver today in the morning to the client".

2.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben.

In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass die Beklagte nach Art. 17 Abs.1 CMR hafte. Die Haftung sei nicht nach Art. 23ff. CMR beschränkt, weil die Beklagte sich nach Art. 29 CMR nicht auf diese Haftungsbeschränkung berufen könne. Das Verhalten des von der Beklagten eingesetzten Subunternehmers sei als grob fahrlässig im Bewusstsein eines wahrscheinlichen Schadenseintritts und damit als dem Vorsatz gleichstehend zu bezeichnen. Einen aufgrund der Beschriftung als Frachtfahrzeug erkennbaren Kleinlaster mit wertvoller Ladung über Nacht unbewacht in einem Wohngebiet in Lissabon stehen zu lassen, sei eine Aufforderung für Diebe, das Fahrzeug zu stehlen.

Das Gericht gehe aufgrund des Beladungszeitpunktes um 16.30 Uhr und der aus dem vorliegenden Lageplan ersichtlichen örtlichen Verhältnisse davon aus, dass eingeplant gewesen sei, das Fahrzeug über Nacht beladen auf der Straße stehen zu lassen.

Die Schadenshöhe sei durch die vorgelegten Unterlagen, welche einen Anscheinsbeweis begründeten, belegt, insbesondere die Rechnung und die damit übereinstimmenden Packlisten.

Wegen der Gründe der Entscheidung im Einzelnen wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.

3.

Mit ihrer Berufung begehrt die Beklagte Abänderung des erstinstanzlichen Urteils in vollem Umfang und Abweisung der Klage mit folgender Begründung:

Die Ausführungen des Landgerichts zum qualifizierten Verschulden erschöpften sich in bloßer Polemik. Die Beurteilung werde den Umständen des vorliegenden Falles nicht gerecht. Erfordert sei ein besonders schwerer Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine Leute in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen der Vertragspartner hinwegsetzten, wobei das subjektive Erfordernis des Bewusstseins der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis sei, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen (BGH TranspR 2004, 309, 310). Das Abstellen eines beladenen Kleinlasters in einem mittelständischen Wohngebiet in einer Kleinstadt nahe Lissabon begründe einen solchen besonders schweren Pflichtenverstoß nicht. Zwar habe die höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung das Abstellen von beladenen Fahrzeugen über Nacht außerhalb eines Betriebsgeländes bisweilen als "leichtfertig" beurteilt; in den betreffenden Fällen seien aber stets besondere, andere Umstände hinzugekommen, wie z.B. das Abstellen in einer einsamen Gegend auf einem schlecht beleuchteten Parkplatz, die vorliegend nicht gegeben seien. Es habe sich bei dem Abstellort um ein Wohngebiet mit einer Vielzahl von Ein- und Mehrfamilienhäusern auf beiden Seiten der Straße gehandelt. Dementsprechend habe kein gesteigertes Diebstahlsrisiko bestanden. Für potenzielle Täter habe eine erhöhte Gefahr bestanden, entdeckt zu werden, weswegen der Frachtführer seinerseits mit dem Diebstahl nicht habe rechnen müssen. Die Erwägung des Landgerichts, die Auslieferung am selben Abend sei nicht möglich gewesen, verstoße gegen Denkgesetze und die Unterstellung seitens des Landgerichts, die Zustellung sei von vornherein erst für den nächsten Tag eingeplant gewesen, entbehre jeglicher Tatsachengrundlage. Das Betriebsgelände des Empfängers der fraglichen Sendung sei nicht einmal 20 km vom Sitz der Firma entfernt gelegen. Somit sei von einer Fahrzeit in der Größenordnung von 30 bis maximal 45 Minuten auszugehen gewesen, wobei in südlichen Ländern wie Portugal die üblichen Geschäftszeiten ohnehin erst wieder um 16.00 Uhr begönnen und häufig bis 19.00 bzw. 20.00 Uhr andauerten. Daher habe die Firma damit rechnen dürfen, dass eine Ablieferung noch am selben Abend möglich sei.

Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 05.09.2005, eingegangen am 06.09.2005, noch folgende Behauptungen aufgestellt:

Das Fax der Fa. vom 07.05.2004 meine lediglich, dass der Lkw zur Auslieferung am folgenden Tag vorgeladen worden sei. Keinesfalls sei es geplant gewesen, das beladene Fahrzeug, das über eine Wegfahrsperre verfügt habe, über Nacht in dem Wohngebiet abzustellen, das auch keine besonders gefahrträchtige Gegend darstelle. Indes sei ein Anruf des Empfängerunternehmens eingegangen, die Lieferung solle noch am selben Tage erfolgen, die daraufhin erfolglos versucht worden sei.

Die Beklagte beantragt:

1. Das am 26.04.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Stuttgart - 32 O 120/04 KFH - wird abgeändert und die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil mit folgender Begründung:

Die Sendung sei nicht eilig gewesen. Insbesondere fänden sich in den Frachtunterlagen hierzu keine Bestimmungen. Nach den Angaben des Auslieferungsfahrers sei der Lkw am 06.05.2004 um 16.30 Uhr beladen worden. Hierzu heiße es in der E-Mail der Firma vom 07.05.2004, die Sendung sei vorbereitet worden, um sie "heute morgen", also am Morgen des 07.05.2004, auszuliefern. Abgesehen davon, dass die Beklagte selbst die Haftsumme von 3.901,43 € gemäß Art. 23 CMR nicht zu zahlen bereit sei, habe das Landgericht auf dieser Tatsachengrundlage zu Recht ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten im Sinne von Art. 29 CMR angenommen. Zwar sei die Klägerin für die Voraussetzungen des groben Verschuldens darlegungs- und beweispflichtig; da jedoch die bestrittene Absicht, die Sendung noch am 06.05.2004 auszuliefern, ausschließlich den Kenntnis- bzw. Verantwortungsbereich der Beklagten beträfe, sei es Sache der Beklagten, diese Umstände nicht nur darzulegen, sondern auch zu beweisen. Die Beklagte habe für ihre Behauptungen indes erst im Schriftsatz vom 05.09.2005 und damit verspätet Beweis angeboten.

Die Beklagte und die Fa. hätten anhand der Handelsrechnung, welche der Ladung beigegeben worden sei, deren hohen Wert erkennen können. Außerdem hätten sich im Lkw noch 37 Pakete mit Computern bzw. Computerteilen befunden, die bekanntermaßen außerordentlich wertvoll seien. Da jedermann wisse, dass Kraftfahrzeuge in Sekundenschnelle geöffnet und kurzgeschlossen werden könnten, und zusätzliche Sicherungen wie Wegfahrsperre u.ä. in derartigen Stadt-Lkw üblicherweise nicht eingebaut seien, wobei die im Schriftsatz vom 05.09.2005 aufgestellte gegenteilige Behauptung bestritten werde und wegen Verspätung zurückzuweisen sei, habe die Beklagte bzw. deren Subunternehmer leichtfertig gehandelt, indem sie veranlasst, jedenfalls aber hingenommen habe, dass der Fahrer den beladenen Lkw über Nacht auf der Straße abgestellt habe. Es sei nicht richtig, dass in Portugal mit solchen Diebstählen nicht gerechnet werden müsse; das gelte mittlerweile für kein europäisches Land mehr.

II.

Das Rechtsmittel erweist sich als nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht der Klage stattgegeben.

1.

Hinsichtlich eines Betrages von 3.853,50 € ist das Berufungsvorbringen nicht erheblich, weil die Beklagte in dieser Höhe nach Art. 23 Nr. 3 CMR ohne Rücksicht auf das qualifizierte Verschulden haftet. Der Betrag des Sonderziehungsrechtes zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am 14.09.2005 beläuft sich auf 1,193820 €, der mit dem Faktor 8,33 und dem Gewicht der Ladung (387,5 kg) multipliziert die genannte Summe ergibt.

2.

Die Haftung im Übrigen ergibt sich aus Art. 17, 29, 3 CMR, § 67 VVG, § 398 BGB. Das Verhalten der Firma , das die Beklagte sich gemäß Art. 3 CMR zurechnen lassen muss, steht nach deutschem Recht dem Vorsatz gleich.

a)

Zum qualifizierten Verschulden nach Art. 29 CMR.

aa)

Dieses setzt nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. TranspR 2004, 309) einen besonders schweren Pflichtenverstoß voraus, bei dem sich der Frachtführer oder seine Leute in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen der Vertragspartner hinwegsetzen. Das weiter erforderte Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts meint eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Dabei reicht allerdings die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Leichtfertigkeit für sich allein nicht aus, um auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen zu können. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt. Es bleibt der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten, ob das Handeln nach dem äußeren Ablauf des zu beurteilenden Geschehens vom Bewusstsein getragen wurde, dass der Eintritt eines Schadens mit Wahrscheinlichkeit drohe. Im Rahmen der gebotenen Abwägung sind in erster Linie Erfahrungssätze heranzuziehen. Zudem kann der Schluss auf das Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts auch im Rahmen typischer Geschehensabläufe nahe liegen. Weiter muss sich das Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit des Schadens nicht auf den konkret eingetretenen Schaden erstrecken. Es genügt die allgemeine Vorhersehbarkeit eines schädigenden Erfolges (BGH VersR 1985, 1060 f). Die konkrete Schadensentstehung braucht in ihren Einzelheiten nicht vorhersehbar gewesen zu sein.

bb)

Bei Diebstahlsschäden hängt der Umfang der Sicherheitsvorkehrungen, welche der Transportunternehmer zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung ergreifen muss, das ihm anvertraute Transportgut während der Beförderung vor Diebstahl oder Raub zu bewahren, von den Umständen des Einzelfalles ab. Entscheidend kommt es darauf an, ob die getroffenen Maßnahmen den aktuell erforderlichen Sicherheitsanforderungen genügen. Die angeforderten Sicherheitsvorkehrungen müssen zuverlässig ineinander greifen, verlässlich funktionieren und eine geschlossene Sicherheitsplanung darstellen. Je größer die mit der Güterbeförderung verbundenen Risiken sind, desto höhere Anforderungen sind an die zu treffenden Sicherheitsmaßnahmen zu stellen. Von erheblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob das transportierte Gut leicht verwertbar und damit besonders diebstahlsgefährdet ist, welchen Wert es hat, ob dem Frachtführer die besondere Gefahrenlage bekannt sein musste und welche konkreten Möglichkeiten zur Gefahrenvorsorge gegeben waren (BGH NJW-RR 1999, 254).

cc)

Die obergerichtliche Rechtsprechung hat sich in zahlreichen Entscheidungen mit der Frage auseinander gesetzt, unter welchen Umständen beim Abstellen beladener Fahrzeuge außerhalb geschätzter Betriebsgrundstücke das qualifizierte Verschulden anzunehmen ist. Hierzu wird auf die bei Koller, Transportrecht, 5. Aufl. 2004, Art. 29 CMR, Rn.4 und 4a im Einzelnen aufgeführten Entscheidungen Bezug genommen.

b)

Für die Beurteilung des qualifizierten Verschuldens ist das Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 05.09.2005 nicht zu berücksichtigen, wonach das Fahrzeug mit Wegfahrsperre ausgerüstet und es nicht geplant gewesen sei, das beladene Fahrzeug über Nacht in dem Wohngebiet abzustellen, vielmehr der Empfänger der Sendung auf eine sofortige Lieferung gedrängt habe. Das Vorbringen ist gem. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zurückzuweisen.

aa)

Die Zurückweisung nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO setzt voraus, dass bei Fehlen der in § 531 Abs.2 Satz 1 ZPO weiter normierten Zulassungsgründe tatsächliche Umstände in zweiter Instanz erstmals vorgetragen werden, obwohl ihre Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits der betreffenden Partei bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem erstinstanzlichen Gericht bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen (BGH NJW 2004, 2152) und das Vorbringen nicht unstreitig ist (BGH NJW 2005, 291).

bb)

Die Voraussetzungen der Zurückweisung sind vorliegend erfüllt. Das angesprochene Vorbringen der Beklagten einschließlich der Benennung von Beweismitteln ist neu und beinhaltet ein Verteidigungsmittel. Die Klägerin hat die Behauptungen bestritten. Die Unterlassung, den Vortrag bereits in erster Instanz zu halten, beruht auf Nachlässigkeit. Auch der Beklagten musste sich aufdrängen, dass die Eilbedürftigkeit der Sendung und am Fahrzeug vorhandene Diebstahlsicherungen bei der Abwägung der Verschuldensfrage Bedeutung erlangen konnten. Die Klägerin hat auf die - aus ihrer Sicht - fehlende Eilbedürftigkeit und grundlose Parkierung in dem Wohngebiet bereits in der Klageschrift maßgeblich abgehoben und diesen Vortrag im Schriftsatz vom 07.02.2005 vertieft, ohne dass die Beklagte entsprechend reagiert hätte. Die Parteien haben in erster Instanz die Frage des Vorliegens qualifizierten Verschuldens als für den Prozessausgang ausschlaggebend erkannt, hierum durch Austausch von Sachargumenten geradezu gerungen. Den Parteien war demzufolge bewusst, dass sie die für die eigene Position günstigen Umstände ermitteln und anführen mussten. Insofern war auch ein Hinweis des Landgerichts nach § 139 ZPO zur Bedeutung der Eilbedürftigkeit mit dem Ziel, die Parteien zu weitergehendem Vortrag zu veranlassen, nicht veranlasst. Dass die Beklagte den Vortrag zum Einbau einer Wegfahrsperre im gestohlenen Fahrzeug in erster Instanz Vortrag nicht gehalten hat, geht ebenfalls zu ihren Lasten. Denn gerade das Vorhandensein oder Fehlen derartiger Sicherungseinrichtungen waren auch für die Beklagte erkennbar von hoher Bedeutung für die Beurteilung, ob er als Transporteur seine Sicherungspflicht für die Ladung erfüllt hatte oder nicht.

c)

Ausgehend hiervon führt die Würdigung im vorliegenden Fall zur Bejahung des qualifizierten Verschuldens. Die Abwägung geht letztlich dahin, ob es einem Transporteur gestattet sein kann, die Straße gewissermaßen vorübergehend "zum Lagerhaus" zu machen. Dies verneint der Senat mit folgenden Erwägungen:

aa)

Der überaus hohe Wert des Transportgutes auf dem Lkw bedingte besondere Sicherungsmaßnahmen. Die streitgegenständliche Sendung hatte mit mehr als 160.000,00 € einen überaus hohen Wert. Dieser Wert war anhand der Begleitpapiere ersichtlich. Die Ladung war leicht absetzbar, da es sich bei den abhanden gekommenen medizinischen Geräten um nicht verderbliche Ware handelt, die weltweit zum Einsatz kommen kann. Entsprechendes gilt für das übrige Transportgut im Laderaum des LKW, dessen allgemeine Beschreibung als Computer oder Computerteile ebenfalls einen hohen Wert bei guter Verwertbarkeit erwarten lassen.

bb)

Die Abstellsituation war geeignet, potentielle Diebe anzulocken. Das Transportfahrzeug war aufgrund seines Typs - Klein-Lkw mit Hebebühne - und seiner Beschriftung - - leicht als solches erkennbar. In dem Wohngebiet musste der Transport-Lkw auch auffallen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Weiter ist der Umstand, dass in solchen Fahrzeugen oft hochwertige Paketsendungen zu Endabnehmern gebracht werden, zumindest in interessierten Kreisen ebenso bekannt wie es diesen möglich ist, den Beladungszustand des Fahrzeugs, in dessen Laderaum sich Waren im Gesamtgewicht von immerhin mehr als 800 kg befanden, anhand der Beanspruchung der Federung abzuschätzen.

cc)

Die Abstellsituation bot zudem einen hohen Diebstahlsanreiz. Entgegen der Auffassung der Berufung musste ein Dieb gerade nicht mit der Entdeckung rechnen bzw. auch im übrigen kein hohes Risiko eingehen. Dabei kann offen bleiben, ob es sich um Portugal um ein besonders sicheres Land und das fragliche Gebiet um ein besonders sicheres handelt oder nicht. Es ist nicht nachvollziehbar, dass gerade die Wohnsituation des Fahrers eine Gewähr für eine bessere Überwachung bieten sollte als dies anderswo der Fall gewesen sein würde. Überwachungsmaßnahmen wurden nicht ergriffen. Der Fahrer hat den Diebstahl nach den Feststellungen des Landgerichts, welche die Parteien nicht angegriffen haben, um 7.00 Uhr morgens entdeckt, als er mit dem Fahrzeug hat wegfahren wollen. Demnach hat er den Diebstahlsvorgang selbst nicht bemerkt. Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass der Fahrer während der Nacht auch nur ein Mal nach dem Fahrzeug geschaut hätte. Von besonderen Sicherungsmaßnahmen am Fahrzeug, wie z.B. Wegfahrsperre, zusätzlichen Schlössern oder Alarmanlage, ist nach den obigen Ausführungen ebenfalls nicht auszugehen. Die Diebe hatten daher die ganze Nacht Zeit, sich ungestört an dem relativ ungesicherten Fahrzeug zu schaffen zu machen.

dd)

Für das Abstellen des beladenen Fahrzeugs auf offener Straße gab es keine betriebliche Notwendigkeit. Anders als bei internationalen Transporten, bei denen der Fahrer schon zur Einhaltung der vorgeschriebenen Pausen sein Fahrzeug abstellen und unter Umständen für notwendige Besorgungen verlassen muss, ist ein solcher hinreichender Grund im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Darin sieht der Senat die gerade von der Beklagten für die Annahme des qualifizierten Verschuldens postulierten besonderen Umstände des vorliegenden Falles. Nach der Überzeugung des Senats ist die Behauptung der Beklagten unzutreffend, die Sendung habe noch am Abend des 06.05.2003 ausgeliefert werden sollen. Vielmehr war von Anfang an das Abstellen des beladenen Lkw auf offener Straße beabsichtigt.

(1)

Der Vortrag der Beklagten, der Fahrer habe das Fahrziel entgegen seinem Vorhaben infolge unerwartet schlechter Verkehrsbedingungen nicht rechtzeitig erreichen können, ist bereits in sich nicht konsequent und bewirkt keinesfalls die Notwendigkeit, das Fahrzeug über Nacht auf offener Straße abzustellen. Denn wenn die Erreichbarkeit des Fahrziels - entgegen der Erwartung - nicht gegeben gewesen sein würde, dann hätte der Fahrer das Fahrzeug nach Erkennen der Situation, also nicht erst bei verspätetem Erreichen des Fahrziels, zumindest aber dann, genauso zurück zum Ausgangsort steuern können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Argumentation, es habe sich um eine relativ kurze Fahrstrecke bei allgemein guter Erreichbarkeit des Fahrzieles gehandelt. Das gilt natürlich auch für den Rückweg.

(2)

Weiter berücksichtigt die Beklagtenseite lediglich die streitgegenständliche Sendung. Völlig vernachlässigt wird die aus Computern bzw. Computerteilen bestehende Restladung. Die Beklagte trägt nicht vor, dass es beabsichtigt, möglich und versucht worden sei, an diesem Abend beide Aufträge zu erfüllen. Die Lieferadresse für die zweite Sendung an der " " liegt allgemein bekanntermaßen - worauf der Senat im Termin hingewiesen hat - im Stadtzentrum von Lissabon. Der Fahrer hätte damit die portugiesische Metropole zur Berufsverkehrzeit vollständig durchqueren müssen, um beide Lieferadressen zu erreichen, wenn nicht von vorneherein eingeplant gewesen sein würde, die Ablieferung erst am nächsten Tag vorzunehmen. Damit ist offensichtlich, dass es jedenfalls einkalkuliert war, die Auslieferung nicht vollständig durchzuführen.

(3)

Gegen die Version der Beklagten spricht eindeutig die erste Stellungnahme der nach dem Schadensfall, nämlich im Fax-Schreiben vom 07.05.2004 (Anlage K12), dass die Auslieferung an diesem Tag, also am 07.05.2004, habe erfolgen sollen. Dort findet sich kein Hinweis auf ein Ersuchen des Empfängers, die Lieferung noch am Vortrag durchzuführen. Ein Hinweis würde aber zu erwarten sein, da dieser Umstand zu wichtig wäre, um ihn zu verschweigen.

ee)

Hiervon ausgehend wertet es der Senat als in hohem Maße sorgfaltspflichtwidrig, dass es die Fa. als Subunternehmerin der Beklagten geduldet hat, dass der Fahrer das mit wertvollem Transportgut beladene Fahrzeug über Nacht vorsätzlich außerhalb eines gesicherten Betriebsgrundstücks parkte. Dieses leichtfertige, die Schutzinteressen der Versicherungsnehmerin grob missachtende Verhalten der Fa. und deren Bediensteten muss die Beklagte sich zurechnen lassen. Es ist bereits nicht vorstellbar, dass ein solches Verhalten eines Fahrers den Verantwortlichen der Fa. hätte verborgen bleiben können. Unabhängig davon ergibt sich die Duldung aber bereits daraus, dass die Beklagte nicht etwa eine Anweisung an den Fahrer behauptet, das Fahrzeug samt Ladung im Falle eines fehlgeschlagenen Lieferversuchs wieder zurück zum Sitz der Fa. zu bringen. Vielmehr verteidigt sie das Verhalten des Auslieferungsfahrers noch.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr.10, 711, 713 ZPO.

3.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Zulassung nach § 543 ZPO ist nicht geboten. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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