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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 09.10.2002
Aktenzeichen: 4 Ws 241/2002
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 454 Abs.2
Ordnet das Gericht gemäß § 454 Abs.2 Satz 1 StPO die Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen an und verzichtet der Verurteilte auf dessen mündliche Anhörung, darf hiervon gleichwohl nur abgesehen werden, wenn er Gelegenheit hatte, zumindest vom Ergebnis des Gutachtens Kenntnis zu nehmen (im Anschluss an OLG Zweibrücken, ZfStrVo 2002, 50).
Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 4 Ws 241/2002

vom 09. Oktober 2002

in der Strafvollstreckungssache

wegen gefährlicher Körperverletzung.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Tübingen vom 19. September 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen zurückverwiesen.

Gründe:

1. Das Landgericht Konstanz verurteilte den Beschwerdeführer am 28. April 2000 wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. In einem Fall verhängte es eine Einzelstrafe von zwei Jahren zehn Monaten. Außerdem wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, wobei nachträglich bestimmt wurde, dass diese Unterbringung nicht weiter zu vollziehen ist.

Als die Prüfung der Frage einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe anstand und sowohl die Justizvollzugsanstalt als auch die Staatsanwaltschaft eine vorzeitige Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug für möglich hielten, falls ein entsprechendes Sachverständigengutachten zu einer günstigen Prognose für den Beschwerdeführer kommen sollte, ordnete die Strafvollstreckungskammer die Einholung eines derartigen Sachverständigengutachtens an. Mit Verfügung vom 21. August 2002 wurde der Termin zur mündlichen Anhörung des Verurteilten auf den 12. September 2002 bestimmt, der Verurteilte hierzu geladen und eine Terminsmitteilung an die Justizvollzugsanstalt übersandt. In dieser mündlichen Anhörung, an der nur der Verurteilte teilnahm, wurden ihm die Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und der Justizvollzugsanstalt bekannt gegeben. Auf die mündliche Gutachtenerstattung beim Anhörungstermin hatte der Verurteilte zuvor schriftlich verzichtet. Am 19. September 2002 ging das kriminalprognostische Gutachten des Sachverständigen bei Gericht ein. An diesem Tag lehnte die Strafvollstreckungskammer die bedingte Entlassung des Verurteilten ab. In dem ablehnenden Beschluss heißt es u.a.: "Die Strafvollstreckungskammer Tübingen hat daher gemäß § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO ein kriminalprognostisches Gutachten eingeholt, um zu klären, ob eine vorzeitige Entlassung auch ohne vorher erfolgte Therapie verantwortet werden kann. Aufgrund der nachvollziehbaren Ausführungen des Gutachters kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass zurzeit eine vorzeitige Entlassung noch nicht verantwortet werden kann."

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde.

2. Das zulässige Rechtsmittel führt in der Sache zu einem vorläufigen Erfolg.

Die Strafvollstreckungskammer hat, wie sich aus dem dargestellten Verfahrensablauf ergibt, erwogen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB bezeichneten Art auszusetzen, weshalb sie gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten eingeholt hat. In diesem Fall ist der Sachverständige gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO mündlich zu hören. Hiervon kann das Gericht nach § 454 Abs. 2 Satz 7 StPO nur absehen, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft darauf verzichten.

Zwar hat der Verurteilte auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet. Gleichwohl durfte die Strafvollstreckungskammer - unabhängig davon, dass seitens der Staatsanwaltschaft, die nach Aktenlage das Ergebnis des Gutachtens nicht kannte, keine Verzichtserklärung vorlag - von dessen mündlicher Anhörung nicht absehen.

Die mündliche Anhörung des Sachverständigen soll Gelegenheit bieten, das Sachverständigengutachten eingehend zu diskutieren und das Votum des Sachverständigen zu hinterfragen (BT-Drucksache 13/9062 S. 14). Die Vorschrift des § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO stellt damit eine Ausprägung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Dieses wurde vorliegend dem Verurteilten nicht gewährt, da ihm weder das schriftliche Gutachten, welches im angefochtenen Beschluss verwertet wurde, bekannt gemacht, noch das Ergebnis der Begutachtung mitgeteilt worden war. Schon deshalb durfte aufgrund der dem Verurteilten gegenüber obliegenden Fürsorgepflicht von der Ausnahmevorschrift des § 454 Abs. 2 Satz 7 StPO kein Gebrauch gemacht werden (vgl. OLG Zweibrücken, ZfStrVo 2002, 50).

Der Verfahrensmangel der zu Unrecht unterbliebenen mündlichen Anhörung des Sachverständigen lässt eine Entscheidung des Senats in der Sache selbst, abweichend von der Regel des § 309 Abs. 2 StPO, nicht zu. Es bedarf der Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer (KG NStZ 1999, 319; OLG Bamberg NStZ-RR 1999, 122).

Der Senat weist für das weitere Verfahren darauf hin, dass der Verurteilte nach Mitteilung zumindest des Ergebnisses des Gutachtens erneut zu befragen ist, ob er auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtest. In künftigen Fällen dieser Art empfiehlt es sich, dem Verurteilten zumindest das Ergebnis der Begutachtung mitzuteilen, bevor wegen eines Verzichtes auf die mündliche Anhörung nachgefragt wird.

Wenn auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht von allen in § 454 Abs. 2 Satz 7 StPO genannten Beteiligten verzichtet wird, kann diese mit der Anhörung des Verurteilten nach § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO verbunden werden (vgl. Fischer in Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 454 Rdnr. 29a).

Ende der Entscheidung

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