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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 07.06.2001
Aktenzeichen: 5 Ws 4/2001
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 264
StGB § 52
StGB § 53
Zur Frage, ob die rechtskräftige Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen eine Aufenthaltsbeschränkung nach dem Asylverfahrensgesetz die Strafklage wegen gleichzeitigen unerlaubten Besitzes und Führens einer Schusswaffe verbraucht.
Geschäftsnummer: 5 Ws 4/2001 18 KLs 5 Js 27019/00-2/01 LG Stuttgart 5 Js 27019/00 StA Stuttgart

Oberlandesgericht Stuttgart - 5. Strafsenat - Beschluss

vom 7. Juni 2001

in der Strafsache gegen

wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz u. a.,

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart wird der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2001 nebst der dort getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung

aufgehoben,

soweit mit ihm die Eröffnung des Hauptverfahrens zu Punkt 2 der Anklage (Tat am 3. April 2000) abgelehnt wurde.

Auch insoweit wird die Anklage vom 18. Januar 2001 zugelassen und das Hauptverfahren vor der 18. Strafkammer -Staatsschutzkammer- des Landgerichts Stuttgart eröffnet.

Die Kosten- und Auslagentragung im Beschwerdeverfahren folgt jener in der Hauptsache.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten -- soweit die Staatsschutzkammer die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat -- zur Last, er habe, ohne im Besitz der erforderlichen Waffenbesitzkarte oder eines Waffenscheines zu sein, am 3. April 2000 gegen 23.15 Uhr bei einer polizeilichen Verkehrskontrolle auf der Rastanlage "S. ...", BAB 8 Karlsruhe -- München, eine funktionsfähige Pistole nebst Magazin und 35 Patronen bei sich geführt, und zwar versteckt im Reserveradkasten im Kofferraum des ausschließlich von ihm benutzten Pkw. Dadurch habe er tateinheitlich gegen § 53 Abs. 1 Nr. 3 a lit. a und Nr. 3 a lit. b Waffengesetz verstoßen.

Die gemäß § 74 a Abs. 1 Nr. 4 GVG zuständige Staatsschutzkammer des Landgerichts hat mit Beschluss vom 20. Februar 2001 die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Verstöße gegen das Waffengesetz abgelehnt, weil die Strafklage insoweit bereits verbraucht sei. Im übrigen hat sie wegen eines hierzu tatmehrheitlichen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

Der Entscheidung des Landgerichts liegt folgender Vorgang zugrunde:

Der Angeklagte ist Asylbewerber, seine Aufenthaltsgestattung war in den Jahren 1999/2000 auf den Landkreis T. beschränkt. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Tuttlingen vom 13. Juni 2000 -- rechtskräftig seit 5. Juli 2000 -- ist gegen den bereits zuvor einschlägig verurteilten Angeklagten wegen sechs Vergehen des wiederholten Zuwiderhandelns gegen eine Aufenthaltsbeschränkung (§§ 85 Nr. 2, 56 AsylVfG) eine Geldstrafe ausgesprochen worden. Tatzeit des letzten vom Strafbefehl umfassten Verstoßes war der 3. April 2000. Der Angeklagte war an diesem Tag gegen 18 Uhr bei einer Kontrolle der Autobahnpolizei B. im Bereich der Bundesautobahn Basel -- Karlsruhe bei A. angetroffen worden.

Das Landgericht ist der Auffassung, dass die hiermit erfolgte Ahndung der am 3. April 2000 begangenen Straftat nach § 85 Nr. 2 AsylVfG die Strafklage auch bezüglich des nunmehr angeklagten Waffendeliktes verbraucht habe. Denn der Verstoß nach dem Asylverfahrensgesetz sei auch bei der erneuten Kontrolle gut fünf Stunden später an der Autobahn Karlsruhe -- München noch nicht beendet gewesen: Er bilde deshalb "ersichtlich" mit dem Besitz und dem Führen der Schusswaffe ein und denselben Lebensvorgang, und zwar unabhängig davon, ob zwischen den beiden Delikten Tateinheit im Sinne des § 52 StGB anzunehmen sei.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde, der der Generalstaatsanwalt beigetreten ist, wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Annahme des Verfahrenshindernisses der verbrauchten Strafklage und die teilweise Nichteröffnung des Hauptverfahrens.

Die Beschwerde ist begründet.

Die rechtskräftige Aburteilung des am 3. April 2000 begangenen Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz mit Strafbefehl des Amtsgerichts Tuttlingen vom 13. Juni 2000 hat die Strafklage hinsichtlich der nunmehr angeklagten Waffendelikte nicht verbraucht. Diese fallen zwar in den vom Amtsgericht abgeurteilten Zeitraum. Sie gehören jedoch nicht zu derselben Tat im verfahrensrechtlichen Sinne (§ 264 StPO), wegen der der Angeklagte verurteilt worden ist.

Die Verstöße gegen das Waffengesetz einerseits und der Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz andererseits stellen sich in sachlichrechtlicher Hinsicht als selbständige Handlungen im Sinne von 53 StGB dar. Es handelt sich jeweils um sogenannte Dauerdelikte, die sich nur in zeitlicher Hinsicht überschneiden. Dagegen decken sich die den jeweiligen objektiven Tatbestand ausfüllenden Handlungen -- Verlassen des zugewiesenen Aufenthaltsbereiches und Verwahren sowie Führen einer Schusswaffe -- nicht einmal teilweise. Auch dafür, dass beide Handlungen auf einen einheitlich gefassten Tatentschluss zurückzuführen sind, bietet der Akteninhalt keine Anhaltspunkte. Es liegen vielmehr bei natürlicher Betrachtungsweise zwei verschiedene Handlungen vor, die lediglich gleichzeitig begangen worden sind. Dies allein rechtfertigt die Annahme sachlichrechtlicher Tateinheit nicht (vgl. die Entscheidung des BGH vom 13. März 1975 -- 4 StR 50/75 --, dort hat der Bundesgerichtshof zwischen den gleichzeitig begangenen Dauerstraftaten der Trunkenheit im Verkehr und des Führens einer Schusswaffe Tatmehrheit angenommen, weil die den jeweiligen Tatbestand ausfüllenden Handlungen, nämlich das "In-Bewegung-Setzen, Lenken, Bremsen" usw. des Kraftfahrzeuges einerseits und das "An-sich-Nehmen, In-die-Tasche stecken und Bei-sich-Behalten" der Schusswaffe andererseits -- abgesehen von der Gleichzeitigkeit -- miteinander "überhaupt nichts gemein" hätten).

Sachlichrechtlich selbständige Taten sind in der Regel auch verfahrensrechtlich selbständig (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., Rdnr. 6 zu § 264; BGHSt 36, 151, 154). Unter besonderen Umständen können sie sich aber auch als eine verfahrensrechtlich einheitliche Tat im Sinne des § 264 StPO darstellen (siehe insbesondere die Beispiele aus der Rechtsprechung bei KK-Engelhardt, 4. Aufl., Rdnr. 7 zu § 264 StPO). Dies beruht auf den verschiedenen Funktionen der Tatbegriffe der §§ 52, 53 StGB einerseits und des § 264 StPO andererseits, die eine Gleichsetzung verbieten. Dient die sachlichrechtliche Regelung als Voraussetzung für ein funktionierendes Strafrahmensystem, so ist der verfahrensrechtliche Tatbegriff das Instrument, durch den der Anklagevorwurf umrissen und damit der Lebensvorgang bestimmt wird, mit dem sich das Gericht zu befassen und über den es im Urteil zu befinden hat (BGHSt 43, 252, 256). Da der verfahrensrechtliche Tatbegriff mit demjenigen des Art. 103 Abs. 3 GG identisch ist (BVerfG in NJW 1981, 1433, 1434) ist er allein für die Frage des Strafklageverbrauchs maßgebend.

Nach diesem verfahrensrechtlichen Tatbegriff bilden mehrere selbständige Handlungen nur dann eine einheitliche Tat im Sinne von § 264 StPO, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern sie unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges empfunden wird (BGH in NJW 1981, 997; KK-Engelhardt, 4. Aufl., Rdnr. 5 zu § 264 StPO m.w.N. zur Rechtsprechung). Es reicht somit nicht aus, dass der Täter im Zuge der Verwirklichung eines Gesamtplanes oder aus einer einheitlichen Grundhaltung heraus tätig geworden ist, dasselbe Rechtsgut verletzt hat und die Vorgänge zeitlich und örtlich aufeinanderfolgen oder zusammentreffen. Entscheidend hinzukommen muss eine innere Verknüpfung der Handlungen, und zwar in ihrer strafrechtlichen Bedeutung (BGH in NJW 1981, 997 und In NStZ 1988, 77, 78 gleich BGHSt 35, 14; Hanseatisches OLG Hamburg in NStZ 1999, 247).

Diese erforderliche innere Verknüpfung hat die Rechtsprechung zum Beispiel in den Fällen schuldhafter Unfallverursachung mit nachfolgender Unfallflucht darin gesehen, dass eine Verurteilung wegen Unfallflucht voraussetze, dass es zu einem Unfall gekommen ist, den der Täter verursacht haben kann. Eine solche Feststellung, aber auch die Beurteilung des Unrechts- und Schuldgehaltes der Unfallflucht erfordere regelmäßig die Untersuchung der zum Unfall führenden Umstände, weshalb eine Aufteilung der Herbeiführung des Unfalls und der anschließenden Unfallflucht auf verschiedene Verfahren der natürlichen Betrachtung widersprechen würde (BGH in NJW 1970, 1427, 1428 m.w.N.). Bei einer als Banküberfall begangenen schweren räuberischen Erpressung gehöre die anschließende Fluchtfahrt ohne Fahrerlaubnis zu derselben prozessualen Tat, weil für die Würdigung einer solchen räuberischen Erpressung -- anders als etwa nach einfachen Diebstählen -- der Art der Flucht eine wesentliche Rolle zukomme (BGH in BGHR Strafsachen, § 264 Abs. 1 StPO, Tatidentität 26).

Eine solche Innere Verknüpfung der Handlungen, die über den bloßen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang hinausginge, ist in vorliegender Sache nicht zu erkennen. Bereits eingangs -- bei der Erörterung der sachlichrechtlichen Selbständigkeit der Handlungen -- ist ausgeführt worden, dass die Verstöße gegen das Asylverfahrensgesetz und gegen das Waffengesetz quasi zusammenhanglos nebeneinander stehen. Tatbild und geschütztes Rechtsgut sind völlig verschieden. Keine der Handlungen ist durch die andere inhaltlich bedingt. Dem steht nicht entgegen, dass denklogisch jede Straftat, die ein Asylbewerber während des möglicherweise Wochen oder Monate andauernden unerlaubten Aufenthaltes außerhalb des ihm, zugewiesenen Bereiches begeht, mit dem Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz einhergeht. Allein dieser stets gegebene Zusammenhang begründet nicht die hier geforderte innere Verknüpfung (anders OLG Stuttgart -- 1. Strafsenat -- in NStZ -- RR 1996, 173, dagegen Hanseatisches OLG Hamburg in NStZ 1999, 247). Eine andere Bewertung wäre mit dem Gebot materieller Gerechtigkeit nur schwer zu vereinbaren (eine punktuelle Aburteilung des Dauerdeliktes würde die Strafklage hinsichtlich im selben Zeitraum begangener, zumindest nicht deutlich schwerer wiegender Straftaten verbrauchen) und würde zu einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Unschärfe des verfahrensrechtlichen Tatbegriffes führen, und zwar sowohl in seiner Bedeutung für die Frage des Strafklageverbrauchs als auch für die Frage der gerichtlichen Kognitionspflicht (hinsichtlich der erst in einer Hauptverhandlung bekannt werdenden Straftaten, die während des allein angeklagten Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz begangen wurden).

Soweit die Verteidigung die erforderliche Verknüpfung in der Benutzung des Pkws sieht, mit dem der Angeklagte den Landkreis T. verlassen und in dem die Pistole sich befunden habe, ist dieser Umstand rechtlich ohne Belang. Wie bereits ausgeführt, muss sich die Verknüpfung aus der strafrechtlichen Bedeutung der fraglichen Handlungen auch im Hinblick auf die verletzten Strafbestimmungen ergeben. Die mehr oder weniger zufällige Benutzung des Pkw als Fortbewegungs- und zugleich Transportmittel ist für die Erfüllung der objektiven Tatbestände hier ohne Bedeutung.

Gerade auch in diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt wesentlich von den Sachlagen, die den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 23. August 1988 (NJW 1989, 725) und vom 20. Januar 1995 (BGHR Strafsachen, § 264 Abs. 1 StPO, Tatidentität 25) zu Grunde lagen, die das Landgericht für seine Auffassung, die Strafklage sei verbraucht, anführt. Bei der Entscheidung aus dem Jahre 1988 ging es um die gleichzeitige Einfuhr von Heroin und einer Schusswaffe beim selben Grenzübertritt im selben Pkw verborgen. Bei derjenigen aus dem Jahre 1995 um den gemeinsamen Transport von fünf Schusswaffen und Aufklebern mit nationalsozialistischen Parolen (vorrätig halten zur Verbreitung) in derselben Sporttasche, wobei der Bundesgerichtshof darüber hinaus noch ausführt, dass sich aufgedrängt habe, dass alle "verbotenen Gegenstände" im Sinne einer "einheitlichen Bergungsaktion" vor dem Zugriff der Ermittlungsbehörden in Sicherheit gebracht werden sollten. In diesen vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen liegt wegen der zusammenfallenden Tathandlungen, die sich nur nach der Art der jeweiligen "verbotenen Gegenstände" unterscheiden, durchaus auch sachlichrechtliche Tatidentität im Sinne natürlicher Handlungseinheit (§ 52 StGB) nähe. Jedenfalls ist der innere Zusammenhang der jeweiligen Vorgänge, der ihre Aufspaltung und getrennte Würdigung verbietet, evident.

Demgegenüber lässt sich in vorliegender Sache der Unrechts- und Schuldgehalt der Tatbestandsverwirklichungen unabhängig voneinander erfassen und würdigen.

Schließlich führt auch der Gedanke des Vertrauensschutzes, der als Überprüfungsmaßstab für die im Einzelfall vorgenommene Wertung in Betracht kommt (BGH in NStZ 1988, 77, 78 und BGHSt 43, 252, 255), hierzu keinem anderen Ergebnis. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die nunmehr von der Staatsanwaltschaft Stuttgart angeklagten Waffendelikte Gegenstand gerichtlicher Feststellungen oder gerichtlicher Feststellungsversuche im Zusammenhang mit dem Strafbefehl des Amtsgerichts Tuttlingen vom 13. Juni 2000 waren.

Das Verfahrenshindernis der verbrauchten Strafklage liegt somit nicht vor. Auch im Übrigen ist der Angeklagte -- über die bereits erfolgte Teileröffnung des Hauptverfahrens hinaus -- des unerlaubten Besitzes und Führens einer halbautomatischen Selbstladewaffe hinreichend verdächtig. Dazu wird im Einzelnen auf die Anklage insbesondere auf die im Wesentlichen Ermittlungsergebnis nachvollziehbar erörterten Beweisumstände Bezug genommen. Die Anklage ist deshalb insgesamt zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren vor der Staatsschutzkammer zu eröffnen. Von der Möglichkeit des § 210 Abs. 3 Satz 1 StPO Gebrauch zu machen, hat der Senat keinen Anlass gesehen.

Ende der Entscheidung

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