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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 08.12.2005
Aktenzeichen: 7 U 160/05
Rechtsgebiete: ARB, VwGO


Vorschriften:

ARB § 29
VwGO § 47
Der mögliche Wertverlust eines Grundstücks ist keine Folge der Beeinträchtigung von dinglichen Rechten im Sinne des § 29 ARB.

§ 29 ARB gewährt keinen Anspruch auf Rechtsschutz für Normenkontrollklagen nach § 47 VwGO, mit denen eine wirtschaftliche Beeinträchtigung des Eigentums geltend gemacht wird.


Oberlandesgericht Stuttgart 7. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 7 U 160/05

Verkündet am 08. Dezember 2005

In dem Rechtsstreit

wegen der Feststellung des Bestehens von Versicherungsschutz

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2005 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht XXX Richter am Oberlandesgericht XXX Richter am Oberlandesgericht XXX

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 20.07.2005 (AZ: 22 O 61/05) wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 13.000,00 €

Gründe:

Die Klägerin - eine Eigentümergemeinschaft - begehrt Rechtschutzdeckung für ein Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO.

I.

1. Zwischen den Parteien besteht ein Rechtschutzversicherungsvertrag, auf den die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 1993 (im folgenden ARB) anzuwenden sind (K 2, K 3, Blatt 8 ff.). Die Klägerin wendet sich gegen einen Bebauungsplan der Stadt XXXX, da bei einer Verwirklichung der Planung aufgrund des dann bestehenden Überangebots an Bauland ihr Grundstück einen Wertverlust erleide.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Den Schreiben vom 17.12.2004 ließe sich kein Anerkenntnis entnehmen (B 1, B 2; Blatt 76 + 79). Der begehrte Rechtsschutz sei eindeutig abgelehnt worden. § 29 ARB sei nicht einschlägig, denn die von der Klägerin geltend gemachte Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen genüge hierfür nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

2. Die Berufungsbegründung rügt eine fehlerhafte Auslegung der Schreiben vom 17.12.2004. Nach dem Empfängerhorizont sei für den Fall einer Klage die Deckung zugesagt worden. Da § 29 ARB auch Ansprüche aus Wert- oder Vermögensbeeinträchtigungen erfasse, sei Rechtsschutz für den Normenkontrollantrag zu gewähren. Die Normenkontrollklage stelle ein Abwehrrecht im Sinne des § 20 ARB gegen die vorliegende fehlerhafte Bauleitplanung dar.

Die Klägerin beantragt:

Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20.07.2005 wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, aus dem zwischen der Eigentümergemeinschaft XXXXXXXXXX sowie der Beklagten geschlossenen Rechtschutzversicherung XXXXXXXXX, beinhaltend den Grundstücks- und Mietrechtsschutz gemäß § 29 ARB, die Deckungszusage zu erteilen für einen Normenkontrollantrag der Eigentümergemeinschaft gemäß § 47 VwGO gegen den von der XXXXXXX beschlossenen und am 28.01.2005 bekannt gemachten Bebauungsplan XXXXXXXX.

Die Beklagte beantragt:

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Aus den in den Schreiben vom 17.12.2004 enthaltenen Formulierungen lasse sich keine Deckungszusage für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung entnehmen, da nur auf fehlenden Rechtsschutz für außergerichtliche Auseinandersetzungen und die Möglichkeit einer erneuten Prüfung für den Fall einer Klage hingewiesen worden sei. § 29 ARB sei nur einschlägig, wenn das versicherte Grundstück unmittelbar - etwa in seiner Bebaubarkeit - beeinträchtigt oder eingeschränkt werde. Die nicht unmittelbare Beeinträchtigung durch den Bebauungsplan genüge nicht. Insoweit liege auch kein unmittelbarer grundstücksbezogener Eingriff vor. Außerdem habe der Normenkontrollantrag keine Aussicht auf Erfolg, da das von der Klägerin geltend gemachte wirtschaftliche Interesse gerade nicht geschützt werde.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst der dazu vorgelegten Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig. Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist unabhängig von ihrer Zusammensetzung im Hinblick auf die Geltendmachung des Versicherungsschutzes rechts- und parteifähig (BGHZ 163, 154). Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagte hat in den Schreiben vom 17.12.2004 kein Anerkenntnis dahingehend abgegeben, dass Rechtschutz für ein Normenkontrollverfahren gewährt wird (1.). Das streitgegenständliche Normenkontrollverfahren gehört nicht zu den nach § 29 ARB versicherten Risiken (2.). Im Hinblick auf die von der Klägerin begehrte endgültige Klärung kann sich die Beklagte auch auf die fehlenden Erfolgsaussichten einer entsprechenden Klage berufen (3. und 4.).

1. Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Beklagte keine Deckung eines Normenkontrollverfahrens zugesagt hat.

Die Beklagte hat auf die mit Schreiben des Miteigentümers XXXXXXXXX vom 14.12.2004 beantragte Deckungszusage für eine entsprechende Klage (K 3, Blatt 16 ff.) zunächst mitgeteilt, dass Versicherungsschutz nur dann gewährt werden kann, wenn es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommt. Da den vorliegenden Unterlagen zu entnehmen sei, dass dieses Stadium noch nicht erreicht sei, könne man im Augenblick noch nicht tätig werden. Wenn es zu gerichtlichen Schritten komme, werde man den Vorgang erneut überprüfen (B 2, Blatt 79). In diesem Schreiben wird eindeutig und unmissverständlich mitgeteilt, dass eine inhaltliche Prüfung nicht erfolgte und erst bei der Vorlage einer Klage geprüft werde, ob Deckung gewährt werden kann. Eine irgendwie geartete Zusage oder gar ein Anerkenntnis ist in diesem Schreiben nicht enthalten.

In einem ebenfalls am 17.12.2004 verfassten Schreiben wird ausgeführt:

"Wir nehmen Bezug auf das mit Ihnen am 17.12.04 geführte Telefongespräch. Wir haben die Angelegenheit nochmals überprüft und festgestellt, dass unsere ablehnende Haltung aus den bereits dargestellten Gründen zutreffend erfolgt ist. Wir bitten um Verständnis, dass Versicherungsschutz nicht bestätigt werden kann. Ein Normenkontrollverfahren könnte nur dann vom Kostenschutz umfasst sein, wenn der Erlass des Bebauungsplanes die Bebaubarkeit Ihres hier versicherten Grundstücks unmittelbar einschränken würde. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall."

Wortlaut und Kontext dieses Schreibens sind eindeutig. Über die formale Argumentation hinaus - Versicherungsschutz allenfalls für gerichtliche Auseinandersetzungen - wurde in der Sache darauf hingewiesen, dass kein Versicherungsschutz besteht. Auch die Zusammenschau der Schreiben führt nicht zu einer anderen Bewertung. Die Beklagte hat vielmehr unmissverständlich ausgeführt, dass kein Versicherungsschutz gewährt wird. Die auf einen bestimmten Grund gestützte Ablehnung führt nicht zu dem Ergebnis, dass damit gleichzeitig erklärt wird, es werde keine Ablehnung aus anderen Gründen erfolgen.

2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 ARB für die Gewährung von Versicherungsschutz liegen nicht vor. Die Ausführungen des Landgerichts sind richtig und werden vom Senat geteilt.

§ 29 Abs. 1 ARB in der für den Versicherungsvertrag maßgeblichen Fassung lautet auszugsweise wie folgt:

"Versicherungsschutz wird dem Versicherungsnehmer für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen .... aus dinglichen Rechten gewährt, und zwar jeweils in seiner Eigenschaft als Eigentümer .... eines im Versicherungsschein bezeichneten Grundstücks, Gebäudes oder Gebäudeteiles."

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 05.02.1992 (IV ZR 94/91, NJW 1992, 1511 f. = VersR 1992, 487) im Hinblick auf die Legaldefinition des Anspruchs in § 194 Abs. 1 BGB und dem in § 29 ARB verwandten juristischen Fachausdruck des dinglichen Rechts zutreffend und überzeugend ausgeführt, dass Versicherungsschutz für das Verfolgen und Abwehren solcher Ansprüche besteht, die aus dem dinglichen Recht entstehen können. § 29 Abs. 1 ARB bezieht sich also auf sämtliche gesetzlichen Ansprüche, die an das dingliche Recht anknüpfen (ebenso Stahl in Harbauer, Rechtschutzversicherung, ARB-Kommentar, 7. Aufl. 2004, § 29 Rn. 21a). Daraus folgt, dass bei einer Beeinträchtigung des Grundeigentums durch öffentlich-rechtliche Maßnahmen für die Geltendmachung von Ansprüchen oder die Abwehr dieser Maßnahmen grundsätzlich Versicherungsschutz zu gewähren ist. Denn auch die Rechtsbesorgung im Zusammenhang mit grundstücksbezogenen behördlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Akten ist Interessenwahrnehmung aus dem Eigentum (Stahl a.a.O., Rn. 22). Damit kann auch die nach § 47 VwGO erfolgende Anfechtung eines erlassenen Bebauungsplanes versichert sein, soweit er die Bebaubarkeit eines versicherten Grundstücks unmittelbar einschränkt und eine Anfechtbarkeit nach § 47 VwGO gegeben ist (Stahl a.a.O., Rn. 22).

Die Klägerin kann jedoch keinen Versicherungsschutz verlangen, denn schon nach ihrem eigenen Vortrag fehlt es an einer unmittelbaren Beeinträchtigung und einer Anfechtbarkeit nach § 47 VwGO. Gegenstand der Normenkontrolle nach § 47 VwGO können nur in Kraft getretene Bebauungspläne sein (das ist hier der Fall). Antragsbefugt ist jede natürliche oder juristische Person, die geltend machen kann, durch den Bebauungsplan oder seine Anwendung unmittelbar in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit in ihren Rechten verletzt zu werden. Da das Bundesverwaltungsgericht aus dem Abwägungsgebot in § 1 Abs. 6 BauGB ein subjektives Recht auf die fehlerfreie Abwägung privater Belange herleitet (BVerwG NJW 1999, 592 [593 f.] = ZfBR 1999, 39 = BauR 1999, 134), kann grundsätzlich jeder, dessen rechtlich geschützte Interessen bei der Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB zu berücksichtigen sind, eine Normenkontrollklage erheben. Wenn ein Bebauungsplan dazu führt, dass Nachbargrundstücke nicht mehr wie bisher genutzt werden können oder in ihrer Bebaubarkeit eingeschränkt werden, gehören die Interessen des Nachbarn an der Beibehaltung des bisherigen Zustands zu den bei einer Abwägung zu berücksichtigenden Belangen. Allerdings begründen bloße wirtschaftliche Interessen noch keine Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 VwGO. Das wirtschaftliche Interesse des Eigentümers an der Verbesserung von Marktchancen oder eine Minderung des Verkehrswertes seines Grundstücks wegen der baurechtlichen Festsetzungen für ein Nachbargrundstück genügen deshalb nicht - es handelt sich nicht um für die Abwägung erhebliche Belange (BVerwG NVwZ 1997, 683 f. = ZfBR 1997, 214 = BauR 1997, 435 = DÖV 1997, 509; BVerwG NJW 1995, 3335 (LS) = NVwZ 1995, 895 [896] = BauR 1995, 499 = DÖV 1995, 823; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 47 Rn. 54). Bei der Geltendmachung von Eigentumsverletzungen ist eine unmittelbare Betroffenheit erforderlich (BVerwG NVwZ 1998, 732 [733]).

Die Klägerin macht einen Wertverlust der eigenen Immobilie infolge des nach dem Bebbauungsplan bestehenden Überangebots an Bauland geltend, also eine unmittelbare Beeinträchtigung der eigenen wirtschaftlichen Interessen. Anhaltspunkte oder Anknüpfungstatsachen für eine unmittelbare Verletzung eigener Rechtsgüter - ein Eingriff in das Rechtsgut Eigentum, etwa eine Einschränkung hinsichtlich der Nutzbarkeit oder Bebaubarkeit - werden nicht vorgetragen. Der mittelbar durch eine Veränderung der Umgebung, Umgebungsbebauung eintretende Wertverlust eines Grundstücks wird nicht durch § 823 Abs. 1 BGB oder Art 14 GG erfasst. § 47 Abs. 2 VwGO (und dem folgend § 29 ARB) schützt aber nicht vor jeglichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, verlangt wird vielmehr eine rechtliche Beeinträchtigung. Der (mögliche) Wertverlust ist keine Folge der Beeinträchtigung von dinglichen Rechten.

3. Das beabsichtige Normenkontrollverfahren hat aus den unter 2. dargestellten Gründen in der Sache keine Aussicht auf Erfolg, denn es fehlt an einer unmittelbaren rechtlichen Beeinträchtigung der Klägerin.

4. Die Beklagte kann sich trotz der Regelung in § 158n VVG auf die fehlenden Erfolgsaussichten berufen. Gemäß § 158n Satz 3 VVG muss der Rechtsschutzversicherer den Versicherungsnehmer bei Verneinung seiner Leistungsverpflichtung darauf hinweisen, dass er keine hinreichenden Erfolgsaussichten sieht, andernfalls gilt das Rechtsschutzbedürfnis als anerkannt (Prölss/Martin-Armbrüster, VVG, 27. Aufl. 2004, § 158n Rdnr. 4; Römer/Langheid-Römer, VVG, 2. Aufl. 2003, § 158n Rn. 6). Die Beklagte hat im zweiten Schreiben vom 17.12.2004 (B 3, Blatt 80) auch in der Sache mitgeteilt, dass kein Kostenschutz gewährt werden kann, weil es an einer unmittelbaren Beeinträchtigung fehlt, gleichzeitig wurde aber auch nochmals auf das erste Ablehnungsschreiben Bezug genommen. Es blieb also auch bei der formalen Ablehnung des noch nicht anhängigen gerichtlichen Verfahrens. Da es daran bis heute fehlt, die Klägerin aber andererseits ohne Vorlage einer Klageschrift bereits jetzt eine endgültige Klärung herbeiführen will, muss der Beklagten zugebilligt werden, die fehlenden Erfolgsaussichten im Prozess geltend zu machen. Dafür spricht auch, dass die Parteien gerade kein Stichentscheidsverfahren nach § 18 ARB gewählt haben. Wenn ohne Stichentscheid eine gerichtliche Klärung über die Frage des Bestehens von Rechtsschutz geführt wird, kann sich die Versicherung auf die fehlenden Erfolgsaussichten berufen.

III.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97 Abs. 1, 100, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, denn die maßgeblichen Fragen des vorliegenden Falles sind höchstrichterlich geklärt. Zudem war über einen Einzelfall zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

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