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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 20.05.2003
Aktenzeichen: 8 W 130/03
Rechtsgebiete: BRAGO, ZPO


Vorschriften:

BRAGO § 35
ZPO § 278 Abs. 6
Der Abschluss eines Vergleichs im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO nF löst keine fiktive Verhandlungsgebühr nach § 35 BRAGO aus.
Oberlandesgericht Stuttgart - 8. Zivilsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 130/03

vom 20.05.2003

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der Rechtspflegerin beim Landgericht Stuttgart vom 12.02.2003 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 560,48 €

Gründe:

1. Auf die Klage auf Rückzahlung eines überfälligen Darlehens zzgl. Zinsen hat der - zahlungsschwache - Beklagte nur noch die Zinsforderung bestritten. In der Terminsverfügung hat der Richter den Abschluss eines Vergleichs mit Ratenzahlung und Verfallsklausel angeregt. In der Folge haben die Parteien über ihre jeweiligen Prozessbevollmächtigten über eine vergleichsweise Regelung korrespondiert und ihre Vorstellungen dem Gericht zur Kenntnis gebracht. Durch Verfügung vom 04.04.2002 hat der Richter den Parteien den Vorschlag eines ausformulierten Vergleichs mitgeteilt. Nachdem beide Parteivertreter alsbald das Einverständnis ihrer Parteien mit diesem Vergleichsvorschlag mitgeteilt hatten, hat der Richter des Landgerichts durch Beschluss vom 12.04.2002 festgestellt, dass gemäß § 278 Abs. 6 ZPO der nachfolgend wiedergegebene Vergleich zustande gekommen ist (Bl. 31 f d. A.).

Nachdem der Rechtspfleger durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 08.05. 2002 zu Lasten des kostentragungspflichtigen Beklagten antragsgemäß eine 10/10-Prozessgebühr und eine 10/10-Vergleichsgebühr zzgl. Pauschale und MwSt. festgesetzt hatte, hat der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 16.12. 2002 ergänzend die Festsetzung einer "10/10-Gebühr gemäß § 35 BRAGO" in Höhe weiterer 483,17 € nebst MwSt. zzgl. Zinsen beantragt. Der Beklagte ist dem entgegentreten. Durch Beschluss vom 12.02.2003 hat die Rechtspflegerin (nach Einholung einer richterlichen Stellungnahme) den ergänzenden Festsetzungsantrag abgelehnt mit der Begründung, eine "Entscheidung" i.S.d. § 35 BRAGO liege nicht vor.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der sofortigen Beschwerde vom 21./26.02. 2003 mit der Begründung, der Beschluss, der einen Vergleich feststelle, sei eine Entscheidung i.S.v. § 35 BRAGO; zumindest müsse diese Vorschrift entsprechend angewandt werden. Der Beklagte hält das Rechtsmittel für unbegründet. Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen.

2. Das zulässige Kostenrechtsmittel des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

a) Eine Verhandlungs- bzw. Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 4 BRAGO ist nicht angefallen, da eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden hat.

b) Der Anfall einer solchen Gebühr lässt sich auch nicht aus § 35 BRAGO herleiten. Nach dieser Vorschrift ist der Anfall einer Gebühr "wie in einem Verfahren mit mündlicher Verhandlung" davon abhängig, dass einvernehmlich oder in konkret benannten schriftlichen Verfahren (gemäß §§ 307 Abs. 2, 331 Abs. 3 und 495a Abs. 1 ZPO) eine Entscheidung ergeht (vgl. Gerold / Schmidt / v. Eicken, BRAGO 15. Aufl., § 35 Rn 1).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. § 278 Abs. 6 ZPO ist in § 35 BRAGO nicht als eine der Verfahrenssituationen aufgeführt, die auch ohne mündliche Verhandlung eine Verhandlungs- (oder Erörterungs-)gebühr auslösen. Das - im wesentlichen am 01.01.2002 in Kraft getretene - Zivilprozessreformgesetz vom 27.06.2001, durch das der Vergleichsabschluss im schriftlichen Verfahren in die ZPO eingeführt worden ist, hat auch die BRAGO vielfältig geändert und dem neuen Verfahrensrecht angepasst. Dabei wurde auch der bisher in § 35 BRAGO enthaltene Verweis auf § 128 Abs.3 ZPO aF gestrichen (Art. 36 Abs. 2 Nr. 4 ZPO-RG).

Dass dagegen § 278 Abs. 6 ZPO bewusst nicht in § 35 BRAGO aufgenommen worden ist, erklärt sich damit, dass diese Vorschrift einen weiteren Weg zu einem vollstreckbaren Vergleich eröffnet und damit gerade eine gerichtliche Entscheidung vermeidet. Eine "Entscheidung" ist aber gesetzliche Voraussetzung des Anfalls der verlangten Gebühr. Die Feststellung des Vergleichsschlusses durch gerichtlichen "Beschluss" (§ 278 Abs. 6 S. 2 ZPO) ist keine richterliche Entscheidung, sondern hat Protokollierungscharakter. Die Gleichsetzung des "Beschlusses" mit einer Protokollierung bringt § 278 Abs. 6 Satz 3 selbst zum Ausdruck: Für den Fall eines Fehlers im "Beschluss" gilt die Bestimmung des § 164 ZPO über die Protokollberichtigung; zugleich ist eine Anfechtung des Beschlusses ausgeschlossen worden (vgl. BT-Drs 14/4722, S. 82; Zöller / Greger, ZPO, 23. Aufl., Rn. 24; Thomas / Putzo / Reichert, ZPO, 24. Aufl., Rn. 16/18; MünchKommZPO / Prütting, 2. Aufl. AktualBd Rn. 37; Musielak / Foerste, ZPO 3. Aufl., Rn 18, je zu § 278).

Nachdem sich der Senat bereits durch Beschluss vom 11.03.2003 (8 W 87/03) in einer unveröffentlichten Entscheidung für die Unanwendbarkeit von § 35 BRAGO auf den nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Vergleich ausgesprochen hatte, hält er nach erneuter Überprüfung an dieser Auffassung fest (ebenso OLG München MDR 2003, 533).

c) Eine entsprechende Anwendung des § 35 BRAGO scheidet nach Ansicht des Senats ebenfalls aus. Die von dieser Ausnahmebestimmung genannten Fälle treffen auf andere Verfahrenslagen zu, in denen an Stelle der mündlichen Verhandlung ein schriftliches Verfahren zu einer Entscheidung führt. Auch beim schiedsrichterlichen Verfahren fällt eine "Verhandlungsgebühr" im schriftlichen Verfahren nur an, wenn es zu einem Schiedsspruch kommt (§ 67 Abs. 2 BRAGO). Beim Anwaltsvergleich (§§ 796 a - c i.V.m. § 794 Abs. 1 Nr. 4b ZPO) sind die anfallenden Gebühren im Vollstreckbarkeitserklärungsverfahren ausdrücklich in § 46 BRAGO geregelt; für die Anwendung von § 35 BRAGO ist dort kein Raum. Da § 35 BRAGO als Ausnahmevorschrift konzipiert ist, bedarf es regelmäßig einer ausdrücklichen Verweisung für eine entsprechende Anwendung (vgl. Hartmann, Kostengesetze, § 35 BRAGO, Rn. 8-12).

Auch die Stellung des gerichtlichen Vergleichs-Feststellungsverfahren in der ZPO und die Gesetzgebungsmaterialien sprechen gegen die Zubilligung einer dritten 10/10-Gebühr: Die am Beginn des gerichtlichen Verfahrens platzierte Bestimmung des § 278 ZPO zielt auf eine möglichst frühe gütliche Einigung und Beendigung des Rechtsstreits, noch vor einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 279 ZPO. Ein in diesem Frühstadium auf der Grundlage eines richterlichen Vergleichsvorschlags abgeschlossener Vergleich - der dem Prozess ein Ende macht, bevor er "richtig angefangen" hat - begründet die Vorstellung von einer kostengünstigen Streiterledigung. Das neue Verfahren "erspart einigungswilligen Rechtssuchenden und ihren Anwälten den mit der Wahrnehmung eines eigenen Protokollierungstermins verbundenen Zeit- und Kostenaufwand ..." (BT-Drs. aaO; Hervorhebung nicht im Original).

Die Bemühungen des Anwalts um das Zustandekommen dieses Vergleichs sollen damit durch die Vergleichsgebühr in angemessener Weise abgegolten sein. Dies gilt auch dann, wenn der gerichtliche Vergleichsvorschlag durch anwaltlichen Schriftwechsel schließlich einvernehmlich modifiziert und dann in dieser Form vom Gericht "beschlossen" wird. Damit haben die Anwälte die Wahl, ob sie einen (für die Partei kostengünstigeren) schriftlichen Vergleich durch "Beschluss" feststellen oder einen (für die Partei teureren) Vergleich zeitaufwendiger in mündlicher Verhandlung "aushandeln" und protokollieren lassen wollen.

d) Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Einen Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde hat der Senat nicht gesehen, weil angesichts der bislang einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich erscheint.

Ende der Entscheidung

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