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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 24.05.2007
Aktenzeichen: 8 W 184/07
Rechtsgebiete: EuVTVO


Vorschriften:

EuVTVO Art. 3 Abs. 1
EuVTVO Art. 4 Nr. 1
Zur Bestätigung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses als Europäischer Vollstreckungstitel nach einem vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren aufgrund der Verordnung/EG Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen = EuVTVO.
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 184/07

24. Mai 2007

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

wegen Kostenfestsetzung;

hier: Widerruf der Bestätigung als EG-Vollstreckungstitel

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. § 568 S. 1 ZPO

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Ravensburg vom 19. März 2007, Az. 7 O 21/06 KfH 1, aufgehoben.

2. Der Antrag der Antragsgegnerin auf Widerruf der Bestätigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses der Rechtspflegerin des Landgerichts Ravensburg vom 7. November 2006, Az. 7 O 21/06 KfH 1, als Europäischer Vollstreckungstitel (6.Februar 2007) wird zurückgewiesen.

3. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Im übrigen trägt die Antragsgegnerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 6.353,80 Euro

Gründe:

1.

Die Antragstellerin erwirkte gegen die Antragsgegnerin ohne mündliche Verhandlung den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Beschluss der 7. KfH des Landgerichts Ravensburg vom 17. August 2006, Az. 7 O 21/06 KfH 1, durch den die Unterlassung von Wettbewerbsmaßnahmen angeordnet wurde; die Kosten des Verfahrens wurden der Antragsgegnerin auferlegt. Mit Beschluss vom 23. August 2006 wurde der Streitwert auf 1.000.000 € festgesetzt. Zur Stellungnahme zum Kostenfestsetzungsantrag der Antragstellerin vom 29. August 2006 wurde der Antragsgegnerin mit Verfügung vom 4. September 2006 eine Äußerungsfrist von 10 Tagen eingeräumt. Die Auslandszustellung der Schriftstücke erfolgte am 13. September 2006. Ein Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung oder den Kostenantrag ist nicht erfolgt.

Antragsgemäß erging am 7. November 2006 der Kostenfestsetzungsbeschluss über einen Erstattungsbetrag zu Lasten der Antragsgegnerin von 6.353,80 Euro. Dieser wurde am 17. November 2006 zugestellt und nicht angefochten. Am 5. Februar 2007 beantragte die Antragstellerin die Bestätigung des Festsetzungsbeschlusses als Europäischer Vollstreckungstitel, dem am 6. Februar 2007 entsprochen wurde.

Am 23. Februar 2007 beantragte die Antragsgegnerin den Widerruf der Bestätigung, weil diese eindeutig zu Unrecht erteilt worden sei. Hierauf erging der Widerrufsbeschluss vom 19. März 2007. Gegen die am 23. März 2007 dem Antragstellervertreter zugestellte Entscheidung hat dieser per Telefax am 5. April 2007 (Eingang der Urschrift am 10. April 2007) Erinnerung eingelegt.

Der Antragsgegnervertreter ist dem Rechtsmittel entgegengetreten und die Rechtspflegerin hat ohne Abhilfe die Akte dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2.

Die als sofortige Beschwerde zu behandelnde Erinnerung der Antragstellerin gegen den Widerrufsbeschluss der Rechtspflegerin vom 19. März 2007 ist zulässig (§§ 1081 Abs. 3, 319 Abs. 3, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG; Geimer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 1081 Rdnr. 8 und § 319 Rdnr. 26).

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Auf den Antrag der Antragsgegnerin gem. Art. 10 Abs. 1b) EG-VO Europäische Vollstreckungstitel (Verordnung/EG Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen = EuVTVO) i. V. m. § 1081 ZPO hat die Rechtspflegerin den Widerruf der Bestätigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses als Europäischen Vollstreckungstitel ausgesprochen, weil diese hinsichtlich der in der Verordnung festgelegten Voraussetzungen eindeutig zu Unrecht erteilt worden sei.

Die EG-Verordnung erstreckt sich gem. Art. 3 Abs. 1 EuVTVO auf Entscheidungen über unbestrittene Geldforderungen. Was unter "Entscheidung" bzw. "Forderung im Sinn dieser Verordnung zu verstehen ist, ergibt sich aus deren Art. 4 Nr. 1 ( der angelehnt ist an Art. 32 EG-VO Zivil- und Handelssachen = EuGVVO) bzw. Nr. 2. Unter den Begriff der "Entscheidung" fällt danach auch ein Kostenfestsetzungsbeschluss, der eine Forderung auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme tituliert. Darüber hinaus müssen gewisse "Mindeststandards" der Art. 12 ff EuVTVO erfüllt sein. Das zu dem zu vollstreckenden Titel führende Verfahren muss den verfahrensrechtlichen Erfordernissen des 3. Kapitels der Verordnung genügen, insbesondere muss sichergestellt sein, dass dem Schuldner rechtliches Gehör gewährt worden ist (vgl. Wagner in NJW 2005, 1157 und in IPRax 2005, 401; je m. w. N.).

Bei einer isolierten Betrachtung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 7. November 2006 als eigenständiger Vollstreckungstitel und "Entscheidung" im Sinne von Art. 4 Nr. 1 EuVTVO liegen die Bestätigungsvoraussetzungen nach dieser EG-Verordnung unstreitig vor. Der Kostenantrag wurde der Antragsgegnerin zur Stellungnahme binnen 10 Tagen zugestellt. Und erst nach Ablauf dieser Äußerungsfrist zur Gewährung des rechtlichen Gehörs wurde - fast zwei Monate nach der Zustellung - der Beschluss, der damit eine unbestrittene Geldforderung betraf, erlassen. Der Kostentitel wurde der Antragsgegnerin am 17. November 2006 zugestellt. Sie hat hiergegen kein Rechtsmittel eingelegt.

Eine solche isolierte Betrachtungsweise verneint die Rechtspflegerin und stützt den Widerruf auf die Akzessorietät zwischen Kostengrund- und Kostenfestsetzungsentscheidung.

Es ist zwar zutreffend, dass die Kostenfestsetzung einer Kostengrundentscheidung bedarf, da sie lediglich deren betragsmäßiger Umsetzung dient. Dies könnte den Schluss zulassen, dass die Bestätigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses als Europäischer Vollstreckungstitel nur dann in Betracht kommt, wenn der Kostenfestsetzung eine Kostengrundentscheidung zugrunde liegt, die selbst eine Entscheidung i. S. d. Art. 3 und 4 EuVTVO darstellt, d. h. auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme lautet und die zudem ihrerseits den "Mindeststandards" entspricht.

Bezüglich der ersten Anforderung bestehen schon deshalb Bedenken, weil dies bedeuten würde, dass dann Kostenfestsetzungsbeschlüsse, die auf Feststellungs- und Gestaltungsurteilen basieren, nicht bestätigt werden könnten, weil die Hauptsacheentscheidung keine unbestrittene Geldforderung betrifft (vgl. hierzu Art. 7 i. V. m. Art. 4 Nr. 1 EuVTVO; Geimer in Zöller, a. a. O., Art. 7 EuVTVO Rdnr. 1 und 2 m. w. N.). Es erscheint fraglich, ob dies gewollt war, auch im Hinblick auf Art. 8, der die Bestätigung einer Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel in Teilen zulässt, wenn nur diese die Voraussetzungen der Verordnung erfüllen.

Anders mag dies zu beurteilen sein, wenn die Kostengrundentscheidung in einem Verfahren zustande gekommen ist, das den Mindestanforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren nicht genügt. Davon geht offenbar die Rechtspflegerin aus. Das einstweilige Verfügungsverfahren stellt jedoch einen Sonderfall dar. Zwar kann sie gem. § 937 Abs. 2 ZPO ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners und ohne mündliche Verhandlung ergehen, wie dies auch im vorliegenden Fall geschehen ist. Gegen diese Eilentscheidung kann sich der Antragsgegner jedoch mit dem Widerspruch zur Wehr setzen, der eine mündliche Verhandlung nach sich zieht. Wenn er hiervon - wie vorliegend - keinen Gebrauch macht, ist davon auszugehen, dass er den Anspruch nicht in Frage stellen will. Die Situation ist damit der im Falle eines Anerkenntnisses oder der bewussten Säumnis gleichzusetzen.

Wollte man die nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs im einstweiligen Verfügungsverfahren bezüglich der dem nachfolgenden Festsetzungsverfahren zu Grunde liegenden Kostengrundentscheidung nicht ausreichen lassen, würde dies dazu führen, dass der Schuldner durch seine Untätigkeit und damit "Säumnis" die Vollstreckung der gegen ihn in einem gesonderten Titel festgesetzten Kosten - sofern überhaupt von einer Akzessorietät ausgegangen wird - in dem gerade zur Beschleunigung und Vereinfachung eingeführten Verfahren nach der EuVTVO verhindern könnte. Dass die Beschleunigung einen wesentlichen Gesichtspunkt für den Erlass der EuVTVO darstellte, ergibt sich auch aus den "Erwägungen" zu den Gründen für ihren Erlass (abgedruckt in Zöller/Gmeiner a. a. O. Anhang II S. 2938).

Soweit die Antragsgegnerin meint, mit der Bestätigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses werde gegen Entscheidungen des EuGH (Urteil vom 21. Mai 1980, C-125/79, und vom 14. Oktober 2004, C-39/02) verstoßen, so übersieht sie, dass diese nicht die Vollstreckung von Kostenfestsetzungsbeschlüssen betreffen, die sowohl in der EuVTVO als auch bereits in den ihr vorausgehenden Verordnungen (EuGVÜ und EuGVVO) als eigenständige Vollstreckungstitel aufgeführt sind, sondern die Grundentscheidung selbst, die in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen war (hinzu kamen im ersten Fall Zustellungsprobleme). Zudem führt der EuGH in der neueren Entscheidung aus dem Jahr 2004 aus:

"Denn zum einen umfasst nach dem Wortlaut dieser Bestimmung der Begriff Entscheidung jede von einem Gericht eines Vertragsstaates erlassene Entscheidung ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung. Zum anderen betrifft die Bestimmung nicht nur Entscheidungen, die eine Instanz beenden, sondern auch einstweilige Anordnungen der Gerichte einschließlich Sicherungsmaßnahmen. Dass die betreffende Entscheidung nach einem nicht kontradiktorischen Verfahren getroffen wird, ist insoweit ohne Bedeutung, da die Entscheidung auch dann, wenn sie am Ende eines nicht kontradiktorischen ersten Abschnitts des Verfahrens ergeht, durchaus Gegenstand einer kontradiktorischen Erörterung sein kann, bevor sich die Frage ihrer Anerkennung oder Vollstreckung gemäß dem Übereinkommen stellt."

Die einstweilige Verfügung wurde hier am Ende eines nicht kontradiktorischen ersten Verfahrensabschnitts erlassen. Die Gewährung rechtlichen Gehörs war aber dadurch gegeben, dass sich nach Zustellung der Entscheidung an die Antragsgegnerin auf deren Widerspruch eine kontradiktorische Erörterung anschließen konnte. Von dieser Möglichkeit hat sie jedoch keinen Gebrauch gemacht.

Damit stünden auch dann, wenn man mit der Rechtspflegerin davon ausgehen wollte, dass eine Bestätigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses als Europäischer Vollstreckungstitel entgegen dem Wortlaut der Verordnung nicht in Betracht kommt, wenn die Kostengrundentscheidung nicht in einem Verfahren unter Einhaltung der "Mindeststandards" zustande gekommen ist, der Bestätigung kein Hindernis entgegen. Denn im vorliegenden Fall sind diese Mindestanforderungen jedenfalls gewahrt. Und da der auf dieser - die Rechte der Antragsgegnerin nicht verletzenden - Entscheidung beruhende Kostenfestsetzungsbeschluss - wie oben ausgeführt - auch selbst als eigenständiger Vollstreckungstitel alle Voraussetzungen für seine Bestätigung nach der EuVTVO erfüllt, war die zunächst ausgesprochene Bestätigung zutreffend und ist zu Unrecht widerrufen worden.

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin war deshalb die angefochtene Widerrufsentscheidung aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und Nr. 1521 GKG-KV.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus der Hauptforderung des Vollstreckungstitels - hier des Kostenfestsetzungsbeschlusses - (Herget in Zöller, a. a. O., § 3 Rdnr. 16 "Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schuldtitels" mit Rspr.nachw., die auf den vorliegenden Fall entsprechend zutreffen).

Ende der Entscheidung

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