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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 01.03.2001
Aktenzeichen: 8 W 352/2000
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 903
ZPO § 807
- Wiederholte Offenbarungsversicherung -

1. Selbständige sind nicht kraft der von ihnen ausgeübten Tätigkeit vom Schutzbereich des § 903 ZPO generell ausgenommen mit der Folge, dass sie alle 6 Monate eine erneute Offenbarungsversicherung abgeben müssten.

2. Die fortgesetzte Ausübung einer selbständigen Tätigkeit kann nicht der "Auflösung eines bisher bestehenden Arbeitsverhältnisses" gleichgestellt werden.

3. Der Ausnahmetatbestand "Erwerb neuen Vermögens" setzt die glaubhaft gemachte Wahrscheinlichkeit voraus, dass der Schuldner vor Ablauf der 3-Jahresfrist pfändbares Vermögen erworben hat. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls.


Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 352/2000 10 T 218/2000 LG Stuttgart 3 a M 733/2000 AG Nürtingen - VollstreckungsG -

vom 1. März 2001

In der Zwangsvollstreckungssache

wegen erneuter Abgabe der eidesstattlichen Versicherung

Gründe:

I.

Die Gläubigerin verlangt von der Schuldnerin, die Ende 1998 die eidesstattliche Versicherung nach §§ 807, 900 ZPO abgegeben hatte, mit Antrag vom Oktober 1999 die Abgabe einer erneuten eidesstattlichen Versicherung nach § 903 ZPO, weil nach der Lebenserfahrung davon auszugehen sei, dass sie - als selbständig Tätige Inhaberin eines Schreibbüros - neues Vermögen erworben habe.

Den Widerspruch der Schuldnerin hat der Rechtspfleger des Vollstreckungsgerichts "verworfen". Der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde der Schuldnerin hat das Landgericht stattgegeben und unter Aufhebung der Widerspruchsentscheidung des Amtsgerichts den Antrag der Gläubigerin auf Abnahme der eidesstattlichen Versicherung zurückgewiesen. Dagegen wendet sich nun die Gläubigerin mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Das - zulässige - Rechtsmittel der Gläubigerin hat keinen Erfolg. Der Senat teilt die Ansicht der Beschwerdekammer, dass im Hinblick auf die im vorliegenden Fall glaubhaft gemachten Umstände eine Verpflichtung der Schuldnerin zur Abgabe der erneuten Offenbarungsversicherung vor Ablauf der dreijährigen Frist nach § 903 ZPO nicht zu bejahen war.

Zwar hat der Senat (wiederholt) ausgesprochen, dass die Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Rahmen des § 903 ZPO nicht überspannt werden dürfen, um nicht den Gläubiger schutzlos zu machen (OLGZ 1979, 116 = JurBüro 1978, 1726 = Die Justiz 1978, 433 für den Fall der Arbeitslosigkeit; ebenso zB OLG Karlsruhe DGVZ 1992, 27). Daraus lässt sich jedoch nicht herleiten, dass ein Schuldner immer schon dann vor Ablauf der dreijährigen Schutzfrist zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet ist, wenn der Gläubiger eine bloße Vermutung äußert, der Schuldner habe inzwischen neues Vermögen erworben.

a) Rechtlicher Ausgangspunkt ist zunächst, dass § 903 ZPO eine allgemeine Schuldnerschutzvorschrift ist, die zwei Ausnahmetatbestände enthält. Diese beruhen zwar auf demselben Grundgedanken, nämlich der Änderung der wirtschaftlichen Gesamtlage des Schuldners in einem Umfange, dass ein vorzeitiger Gläubigerzugriff gerechtfertigt erscheint. Gleichwohl sind diese Ausnahmen, der Erwerb neuen Vermögens einerseits und die Aufgabe der bisherigen Erwerbsquelle andererseits, zu unterscheiden (deutlich Stein / Jonas / Münzberg, 21. Aufl. 1995, Rn 10ff, 15; vgl. auch MünchKommZPO / Eickmann, 2. Aufl. 1992, Rn 6ff; Wieczorek / Schütze / Storz, 3. Aufl. 1999, Rn 9 ff; Musielak / Voit, 2. Aufl. 2000, Rn 4 ff; Zöller / Stöber, 22. Aufl. 2001, Rn 7 ff, je zu § 903 ZPO).

Die Ausweitung dieser Ausnahmetatbestände auf angeblich wirtschaftlich gleichgelagerte Sachverhalte erfordert Behutsamkeit. Da selbständige (gewerbliche oder freiberufliche) Tätigkeit bereits bei Erlass der einschlägigen Bestimmungen der ZPO eine übliche Erwerbsquelle war, bestehen berechtigte Bedenken dagegen, Selbständige kraft der von ihnen ausgeübten Tätigkeit vom Schutzbereich des § 903 ZPO generell auszunehmen (so zutreffend OLG Bamberg, Jur.Büro 1988, 1422; Zöller/Stöber, aaO, Rn. 8/9; Musielak / Voit, aaO, Rn 4; Münzberg aaO Rn 11, 12). Der vom Gläubigervertreter verfochtenen - und auch vom Amtsgericht ansatzweise für richtig erachteten - Ansicht (Anm. zu AG Hamburg, DGVZ 1999, 158 f; vgl. auch Franz Zimmermann, RPfl 1996, 441 ff), ein selbständig Tätiger sei bei Fortführung seines Betriebes allgemein nach § 903 ZPO verpflichtet, seine Vermögensverhältnisse "eben alle 6 Monate erneut" zu offenbaren, weil er nach der Lebenserfahrung neue Vermögensgegenstände erworben habe, teilt der Senat nicht. Vielmehr bedarf es einer am Gesetz orientierten Zuordnung zu einem der beiden Ausnahmetatbestände.

b) Dem 2. Ausnahmetatbestand "Auflösung eines bisher bestehenden Arbeitsverhältnisses" kann die fortgesetzte Ausübung einer selbständigen Tätigkeit nicht gleichgestellt werden, sondern allenfalls die Aufgabe - oder auch der Beginn - einer solchen Tätigkeit (OLG Bamberg aaO; LG Frankfurt RPfl 1998, 167; LG Münster DGVZ 2000, 27; AG Pirna DGVZ 2000, 142). Denn durch die Angabe der - fortbestehenden - Erwerbsquelle in der ersten Offenbarung hat der Gläubiger die Informationen, die der Gesetzgeber für die Durchführung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen innerhalb des 3-Jahreszeitraums für ausreichend erachtet hat. Die ausdehnende Auslegung dieser 2. Ausnahme, die die Rechtsprechung für den Fall der Arbeitslosigkeit angenommen hat (Senat aaO; Münzberg aaO Rn 12a, 13; Eickmann aaO Rn 7 mwNw), lässt sich jedoch nicht allgemein auf die Fortführung einer selbständigen Tätigkeit übertragen, denn es fehlt an einer nach der Lebenserfahrung zu erwartenden Veränderung der vermögensrelevanten Situation. Anhaltspunkte dafür, dass selbständige Tätigkeit nur vorgetäuscht wird, um tatsächliche Arbeitslosigkeit zu verdecken, sind nicht erkennbar.

Deshalb kann im vorliegenden Fall die 2. Ausnahme nicht zum Zuge kommen. Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Schuldnerin ergänzende Unterstützung von "Verwandten und Angehörigen" erhält, zumal der Senat - in Abweichung zum Amtsgericht - eine allgemeine Lebenserfahrung des Inhalts, dass solche Unterstützungen nur kurzfristig gewährt würden, jedenfalls für "Angehörige" nicht bestätigen kann.

c) Eine vorzeitige Offenbarungspflicht auf Grund des 1. Ausnahmetatbestands - Erwerb neuen Vermögens - setzt voraus, dass es sich um pfändbares Vermögen handelt (h.M.; Baumbach / Hartmann, ZPO 59. Aufl. 2001, Rn 7 zu § 903; a.A. Eickmann aaO Rn 6). Denn die 3-Jahres-Schonfrist kann nicht zur Folge haben, den Schuldner in dieser Zeit völlig vom Rechtsverkehr auszuschließen. Der Gläubiger muss deshalb glaubhaft machen, dass sich die Vermögenslage des Schuldners durch Erwerb pfändbaren Vermögens vorzeitig erheblich verbessert hat. Für die Zulässigkeit eines Antrags nach § 903 ZPO sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung auch hier nicht zu überspannen, denn der Schuldner hat im Widerspruchsverfahren nach § 900 Abs. 4 ZPO die Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit, der Vermögenserwerb überschreite die Grenze der Pfändbarkeit, zu entkräften (vgl. Münzberg, aaO, Rn 11; Zöller / Stöber, aaO, Rn 7). Die Beantwortung der Frage, ob tatsächlich dem Gläubigerzugriff offenstehendes Vermögen vorhanden ist, ist dann Gegenstand der erneuten, nicht auf einzelne Fragen begrenzten Offenbarungsversicherung (tw. abweichend LG Koblenz JurBüro 1997, 272).

Zwar kommt im Rahmen der dem Gläubiger obliegenden Glaubhaftmachung von Vermögenserwerb der - von Amts wegen zu berücksichtigenden - allgemeinen Lebenserfahrung durchaus Bedeutung zu. Indes genügt nicht die Lebenserfahrung, dass ein selbständig Tätiger nach Abgabe der ersten Versicherung überhaupt neue Vermögensgegenstände erworben hat; vielmehr muss sich - wenn keine konkrete Glaubhaftmachung möglich ist - die Lebenserfahrung auch darauf erstrecken, dass der Vermögenserwerb naheliegenderweise eine Größenordnung erreicht, die einen erfolgreichen Pfändungszugriff wahrscheinlich erscheinen lässt. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an; eine allgemein gültige Regel im Sinne allgemein verkürzter Fristen für Selbständige lässt sich nicht aufstellen. Allein die Erfahrungsregel lässt sich nutzbar machen, dass typischerweise ein größerer Abstand zur letzten Offenbarungsversicherung die Wahrscheinlichkeit, die Grenze des pfändbaren Vermögens sei überschritten, steigen lässt.

Das Landgericht Heilbronn (DGVZ 2000, 38 = JurBüro 2000, 154) hat zwar mit guten Gründen ausgeführt, dass ein Inhaber eines Geschäfts für Farben, Tapeten und Bodenbeläge jedenfalls nicht vor Ablauf von 6 Monaten zur erneuten Offenbarung verpflichtet ist. Der vom Gläubigervertreter daraus gezogene Umkehrschluss, die Schutzfrist eines Selbständigen betrage allgemein höchstens 6 Monate, wird vom Senat nicht gebilligt. Die Art der ausgeübten selbständigen Tätigkeit und der äußere Zuschnitt des Geschäftsbetriebs (Größe und Lage des Geschäftslokals) sind von zentraler Bedeutung und rechtfertigen je nach Lage des konkreten Falles eine unterschiedliche Entscheidung. Ein Ingenieurbüro (LG Koblenz aaO), ein Vermittler von Kücheneinrichtungen (AG Hamburg aaO), ein Zahnarzt oder ein Einzelhändler (vgl. LG Heilbronn aaO) oder - wie hier - ein Schreibbüro können folglich ganz unterschiedlich beurteilt werden.

Nach der Lebenserfahrung fallen in einem kleinen, in der Wohnung geführten Schreibbüro in der Regel keine Honorarforderungen in pfändungsfähiger und pfändungsgeeigneter Form an, sondern gleichsam Bargeschäfte, mit Hilfe derer die Schuldnerin "von der Hand in den Mund" lebt. Ein solch geringfügiger Umschlag an Vermögen genügt anerkanntermaßen nicht, den Erwerb von pfändbarem Vermögen als glaubhaft gemacht anzusehen (vgl. Münzberg aaO Rn 11; Eickmann aaO Rn 7, 13). Soweit nicht von Gläubigerseite andere Gesichtspunkte in glaubhafter Form vorgetragen werden, erscheint es hier rechtlich geboten, der Schuldnerin die volle Schutzfrist des § 903 ZPO zugute kommen zu lassen und sie nicht fortgesetzt kurzfristigen Wiederholungsversicherungen auszusetzen, wie es das Amtsgericht unter Anwendung eines 6-Monats-Rhythmus getan hat.

Ende der Entscheidung

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