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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 19.01.2005
Aktenzeichen: 8 W 411/04
Rechtsgebiete: EuGVVO, BGB


Vorschriften:

EuGVVO Art. 5 Nr. 1a
BGB § 269 Abs. 1
1. Die deutschen Gerichte sind gemäß Art. 5 Nr. 1a EuGVVO für einen Zahlungsanspruch einer deutschen Wohnungseigentümergemeinschaft aus dem Gemeinschaftsverhältnis gegen einen im Ausland (hier: Spanien) wohnenden Wohnungseigentümer international zuständig.

2. Die starke Ortsbezogenheit eines solchen Anspruchs rechtfertigt es, in Abweichung von den §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 4 BGB als Erfüllungsort der Zahlungsverpflichtungen eines Wohnungseigentümers an die Gemeinschaft den Ort der Wohnungsanlage anzusehen.


Oberlandesgericht Stuttgart - 8. Zivilsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 411/04

vom 19. Januar 2005

In der Wohnungseigentumssache

wegen sofortiger weiterer Beschwerde

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Bräuning, der Richterin am Oberlandesgericht Dr. Zeller-Lorenz und des Richters am Oberlandesgericht Rast

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 25.10.2004 wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsgegner trägt die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Beschwerdewert: 1.346,09 €

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist Hausverwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft H. in L.. Sie macht in Verfahrensstandschaft im eigenen Namen Zahlungsansprüche dieser Wohnungseigentümergemeinschaft geltend, in der der Antragsgegner bis zum 12.6.2002 Mitglied war.

Mit Beschluss vom 14.5.2001 genehmigte die Wohnungseigentümergemeinschaft den Wirtschaftsplan 2002, aus dem sich für den Antragsgegner eine monatliche Hausgeldzahlung von 415,-- € ab dem 1.1.2002 ergab. Tatsächlich zahlte der Antragsgegner im ersten Halbjahr 2002 pro Monat lediglich ein Hausgeld von 385,-- €. Mit Beschluss vom 6.5.2002 genehmigte die Eigentümerversammlung die Jahresabrechnung 2001, aus der sich für den Antragsgegner ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1.176,09 € ergab. Dieser Betrag sowie die Differenz zwischen der beschlossenen Hausgeldverpflichtung und den tatsächlichen Zahlungen des Antragsgegners von Januar bis Juni 2002 sind Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Der Antragsgegner ist Anfang August 2003 nach Spanien verzogen, wo ihm der Mahnbescheid des Amtsgerichts - Mahnabteilung - Stuttgart zugestellt wurde. Nach Einlegung eines Widerspruchs gab das Amtsgericht Nürtingen mit Beschluss vom 21.5.2004 dem Zahlungsantrag weitgehend statt.

Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Antragsgegners wurde vom Landgericht Stuttgart mit Beschluss vom 25.10.2004 zurückgewiesen. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte sei nach Art. 22 Nr. 1 EuGVVO gegeben, weil die Geltendmachung von Hausgeld gegen einen (ehemaligen) Miteigentümer sich letztlich auf die Teilungserklärung in Verbindung mit den Normen des WEG gründe und deshalb angesichts des Sinns und des Zwecks der Vorschrift des Art. 22 Nr. 1 EuGVVO ein ausreichender dinglicher Bezug vorhanden sei. Nachdem die Nachzahlung aus der Jahresabrechnung 2001 mit Beschluss der Eigentümergemeinschaft vom 6.5.2002 fällig geworden sei und er zu diesem Zeitpunkt noch im Grundbuch eingetragen war, schulde der Antragsgegner der Eigentümergemeinschaft den beschlossenen Betrag. Die Verpflichtung zur Zahlung der monatlichen Vorauszahlungen ergebe sich aus § 16 Abs. 2, 28 Abs. 5 WEG i.V.m. dem Beschluss der Eigentümergemeinschaft vom 14.5.2001.

Gegen diesen ihm am 2.11.2004 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 8.11.2004 die sofortige weitere Beschwerde eingelegt, mit der er die Antragsabweisung wegen einer fehlenden internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte weiter verfolgt. Grundlage der Hausgeldansprüche seien die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 14.5.2001 und 6.5.2002 und damit kein dingliches Recht.

Die Antragstellerin ist der weiteren Beschwerde entgegengetreten und der Auffassung, dass hier ein ausschließlicher Gerichtsstand gemäß Art. 22 Nr. 1 EuGVVO gegeben sei. Hilfsweise ergebe sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gericht auch aus Art. 5 Ziff. 1a EuGVVO, weil die Teilungserklärung einen dinglichen Vertrag eigener Art darstelle.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist als Rechtsbeschwerde zulässig (§ 45 Abs. 1 WEG, 27, 29 FGG). In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg, weil die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf keinem Rechtsfehler beruht.

1.

Angesichts des Wohnorts des Antragsgegners in Spanien unterfällt das vorliegende Wohnungseigentümerverfahren dem Regelungsbereich der EuGVVO.

Es kann dahinstehen, ob der Anspruch einer Wohnungseigentümergemeinschaft auf die Zahlung von Hausgeld gegen einen einzelnen Wohnungseigentümer unter Artikel 22 Nr. 1 EuGVVO fällt und dadurch ein ausschließlicher internationaler Gerichtsstand in Deutschland begründet wird (vgl. OLG Düsseldorf OLGR 2004, 24; Weitnauer-Mansel WEG 9. Aufl., § 43 RN 33a (jeweils bejahend); BayObLG FGPrax 2003, 159; Geimer / Schütze EuZVR 2. Aufl. A 1 - Art. 22 EuGVVO RZ 96; Zöller-Geimer ZPO 25. Aufl., Art. 22 EuGVVO RN 1 u. 2; Wenzel in Bub (u.a.), WEG Vorbem. zu § 43 ff. WEG RN 20 (teilweise zu Art. 16 EuGVÜ, jeweils ablehnend); zum dinglichen Recht im Sinn des Art. 16 EuGVÜ / Art. 22 Nr. 1 EuGVVO vgl. auch BGH, Urteil vom 4.8.2004, AZ: XII ZR 28/01). Denn jedenfalls sind die deutschen Gerichte gemäß Art. 5 Nr. 1a EuGVVO für den geltend gemachten Zahlungsanspruch international zuständig.

2.

Zahlungsansprüche gegen einen Wohnungseigentümer aus dem Wohnungseigentümergemeinschaftsverhältnis, deren Rechtsgrundlage in der Beschlussfassung der Wohnungseigentümer in Verbindung mit der Teilungserklärung und dem WEG besteht, sind vertragliche Ansprüche im Sinn des Art. 5 Nr. 1a EuGVVO.

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der Begriff "Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" autonom auszulegen, um die einheitliche Anwendung des Übereinkommens in allen Vertragsstaaten zu gewährleisten, wobei die Systematik und die Zielsetzung des Übereinkommens berücksichtigt werden müssen; dieser Begriff lässt sich deshalb nicht als Verweisung auf die Qualifizierung des dem nationalen Gericht unterbreiteten Rechtsverhältnisses nach dem anwendbaren nationalen Recht verstehen (EuGH NJW-RR 2004, 1291 unter Nr. 22 m.w.N.). Als vertraglich qualifiziert der EuGH auch Klagen, durch die ein Verein oder eine Gesellschaft gegen ihre Mitglieder (Gesellschafter) Ansprüche auf Beitragsleistungen (Einzahlungen) geltend macht (Geimer / Schütze a.a.O. A 1 - Art. 5 EuGVVO RZ 29 m.w.N.; EuGH IPRax 1984, 85, 87; 1993, 32, 33). Bezüglich der gegen die einzelnen Mitglieder / Gesellschafter geltend gemachten Zahlungsansprüche ist nicht zwischen den unmittelbar aus dem Beitritt fließenden Verpflichtungen und den Verpflichtungen aus Beschlüssen der Organe zu unterscheiden (Geimer / Schütze a.a.O. RN 30).

Der EuGH hat dies damit begründet, dass der Beitritt zu einem Verein zwischen den Vereinsmitgliedern enge Bindungen gleicher Art schaffe, wie sie zwischen Vertragsparteien bestünden; es sei daher gerechtfertigt, für die Anwendung von Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens die Zahlungsansprüche aus der Mitgliedschaft als vertragliche Ansprüche anzusehen (EuGH IPRax 1984 a.a.O.). Im übrigen könne das Gericht des Ortes, an dem sich der Sitz des Vereins befindet, in der Regel die Vereinssatzung, -bestimmungen und -beschlüsse sowie die Umstände, die mit der Entstehung des Rechtsstreits zusammen hängen, am besten verstehen (EuGH a.a.O.).

Auch die Bindungen zwischen Aktionär und einer Gesellschaft seien mit denjenigen vergleichbar, die zwischen Vertragsparteien bestünden. Zur Erreichung des Gesellschaftszwecks habe jeder Aktionär gegenüber den anderen Aktionären und den Organen der Gesellschaft Rechte und Pflichten, die in der Satzung der Gesellschaft niedergelegt sind. Für die Zwecke der Anwendung des Übereinkommens sei die Satzung der Gesellschaft daher als Vertrag anzusehen, der sowohl die Beziehungen zwischen den Aktionären als auch die Beziehungen zwischen diesen und der von ihnen gegründeten Gesellschaft regele (EuGH IPRax 1993 a.a.O.).

In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung wurde auch eine auf § 171 HGB gestützte Klageforderung als vertraglicher Erfüllungsanspruch im Sinn von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ behandelt (BGH NJW 2003, 2609).

Die personelle Verbundenheit der Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft schafft zwischen den Wohnungseigentümern eine so enge Verbindung, dass die vom EuGH entwickelten Grundsätze zur Aktiengesellschaft und zum Verein auf Wohnungseigentümergemeinschaften und die sich aus der Wohnungseigentümergemeinschaft ergebenden Zahlungspflichten der einzelnen Mitglieder zu übertragen sind. Aufgrund seines (rechtsgeschäftlichen) Beitritts ist ein Wohnungseigentümer gemäß § 16 Abs. 2 WEG im Verhältnis zu den anderen Wohnungseigentümern verpflichtet, Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums entsprechend seinem Anteil mit zu tragen. Unstrittig ist in der Gemeinschaftsordnung der Wohnungseigentümergemeinschaft der auf den Antragsgegner als (früheren) Wohnungseigentümer entfallende Anteil bestimmt. Durch den Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung werden im Rahmen dieser allgemeinen Beitragspflicht die Verbindlichkeiten jedes einzelnen Wohnungseigentümers gegenüber den anderen begründet (BGH NJW 1988, 1910, 1911 = BGHZ 104, 197, 202 f.; Bärmann / Pick / Merle WEG 9. Aufl., § 28 RN 3; 134; Weitnauer-Gottschalg a.a.O. § 28 RN 1 m.w.N.). Durch die in der Gemeinschaftsordnung geregelte anteilige Beitragspflicht des einzelnen Wohnungseigentümers und die Beschlussfassung der Wohnungseigentümerversammlung vom 14.5.2001 und 6.5.2002 wurden damit hier vertragliche Ansprüche im Sinn des Art. 5 Nr. 1a EuGVVO geschaffen.

3.

Erfüllungsort im Sinn des Art. 5 Nr. 1a EuGVVO für die verfahrensgegenständlichen Zahlungsansprüche ist der Ort der Wohnungsanlage. Damit ist die Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet.

Der Ort, an dem die den Gegenstand des Verfahrens bildende Verpflichtung im Sinn von Art. 5 Nr. 1a EuGVVO zu erfüllen wäre, ist nach den Kollisionsnormen des angerufenen Gerichts (EuGH 19.2.2002 C - 256/2000 - Besix SA RN 33; 5.10.1999 C - 420/97 Leathertex RN 33; 28.9.1999 C - 440/97 GIE Groupe Concorde u.a. RN 29; Geimer / Schütze a.a.O. A 1 - Art. 5 RN 93 m.w.N.; RN 114) und damit hier nach dem deutschen internationalen Privatrecht zu ermitteln. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EGBGB ist auf die geltend gemachten Forderungen deutsches Recht anzuwenden.

Soweit es das deutsche Recht zulässt, kann das Gericht den Erfüllungsort in der Weise bestimmen, dass es nach der Art des Schuldverhältnisses und den Umständen des Einzelfalles den Ort ermittelt, an dem die Leistung tatsächlich erbracht worden ist oder werden sollte (EuGH, 28.9.1999 a.a.O. RN 31). Die vom Miteigentümer der Gemeinschaft geschuldeten Beiträge zu den Lasten und Kosten, um die es hier geht, sind eng grundstücksbezogen: Sie sollen den Betrieb und die Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ermöglichen, das ohne diese Beiträge auf Dauer auch keine Nutzungen mehr abwerfen würde. Diese starke Ortsbezogenheit der Leistung rechtfertigt es, in Abweichung von den §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 4 BGB als Erfüllungsort der Zahlungsverpflichtungen eines Wohnungseigentümers an die Gemeinschaft den Ort der Wohnungsanlage anzusehen (Senat Die Justiz 2000, 85 = ZMR 2000, 336 = OLGR Stuttgart 2000, 191).

Die streitgegenständlichen, aus einem Vertrag im Sinn des Art. 5 Nr. 1a EuGVVO entspringenden Verbindlichkeiten des Antragsgegners sind damit in Deutschland zu erfüllen, so dass hier ein besonderer internationaler Gerichtsstand begründet ist. Das Beschwerdegericht hat deshalb im Ergebnis zu Recht die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bejaht.

4.

Die Ausführungen des Beschwerdegerichts zur Zahlungspflicht des Antragsgegners lassen Rechtsfehler nicht erkennen; solche werden im übrigen auch von der weiteren Beschwerde nicht gerügt.

5.

Die Entscheidung zu den Gerichtskosten beruht auf § 47 Satz 1 WEG. Nachdem zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für Beitragsforderungen gegen Wohnungseigentümer eine gesicherte Rechtsprechung fehlt, gibt es keine Veranlassung, bezüglich der außergerichtlichen Kosten vom Grundsatz des § 47 Satz 2 WEG abzuweichen.

Ende der Entscheidung

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