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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 16.03.2000
Aktenzeichen: 8 W 58/2000
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 850 f Abs. 2
Die Prüfungsbefugnis des Vollstreckungsgerichts, ob der Zwangsvollstreckung eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zugrundeliegt, beschränkt sich regelmäßig auf den Titel selbst (einschließlich Tatbestand und Entscheidungsgrinden). Eine Beweisaufnahme durch das Vollstreckungsgericht kommt nicht in Betracht.
Geschäftsnummer: 8 W 58/2000 5 T 298/99 LG Tübingen 21 M 5914/97 AG Reutlingen

Oberlandesgericht Stuttgart - 8. Zivilsenat -

Beschluss

vom 16. März 2000

In der Zwangsvollstreckungssache

wegen Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses,

hier: wegen Antrags gem. § 850 f Abs. 2 ZPO

Gründe:

I.

Aufgrund Teil-Anerkenntnis-Scheck-Vorbehaltsurteils des Amtsgerichts und dem im Nachverfahren nach Klagerweiterung ergangenen Versäumnis-Teil- und Schlussurteil des Landgerichts erging ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, wonach u.a. die angeblichen Ansprüche des Schuldners auf Zahlung von Arbeitseinkommen gegen die Drittschuldnerin gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen wurden. Auf Antrag des Gläubigers setzte der Rechtspfleger mit Beschluss gemäß § 850 f Abs. 2 ZPO das pfändungsfreie Arbeitseinkommen des Schuldners abweichend von § 850 c ZPO fest, da der Schuldner dem Vortrag des Gläubigers, der Schuldner habe ihm gegenüber eine vorsätzliche unerlaubte Handlung begangen, nicht widersprochen habe.

Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hob das Landgericht die Entscheidung des Rechtspflegers auf und wies den Gläubigerantrag zurück. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Gläubigers.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde des Gläubigers ist statthaft und auch ansonsten zulässig. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 568 Abs. 2 Satz 2 ZPO vor. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg, da das Landgericht zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 850 f Abs. 2 ZPO verneint hat.

1.

Im Rahmen eines Verfahrens nach § 850 f Abs. 2 ZPO hat das Vollstreckungsgericht zu prüfen, ob der Vollstreckungstitel zumindest auch auf eine vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Schuldners hin ergangen ist. Das Vollstreckungsgericht hat daher jedenfalls anhand des Tenors, des Tatbestands und der Entscheidungsgründe die Behauptung des Gläubigers zu überprüfen, ob dem Vollstreckungstitel ein deliktischer Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung i.S. von § 850 f Abs. 2 ZPO zugrundeliegt.

Handelt es sich bei dem Vollstreckungstitel um ein Versäumnisurteil, so kann der im Erkenntnisverfahren nach § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO als zugestanden geltende Sachvortrag des Klägers zugrundegelegt werden.

2.

Während Einigkeit darüber besteht, dass das Vollstreckungsgericht an die Entscheidung des Prozessgerichts gebunden ist, soweit im Erkenntnisverfahren ein Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung des Schuldners bejaht oder verneint wurde, ergeben sich im Hinblick auf § 850 f Abs. 2 ZPO dann Probleme, wenn das Prozessgericht nicht erkennbar zum Ausdruck gebracht hat, ob es eine mit der Klage geltend gemachte Forderung (auch) unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Schuldners zugesprochen hat oder nicht.

Hierzu wird in einem Teil von Rechtsprechung und Schrifttum die Auffassung vertreten, dem Vollstreckungsgericht komme in diesem Fall eine subsidiäre Prüfungskompetenz zu. Diese Meinung wird beispielsweise vertreten vom Bundesgerichtshof (BGHZ 36, 11 ff., 17), desgleichen vom OLG Hamm (OLGZ 1973, 379 ff., 381, 382) und vom OLG Celle (JB 1998, 272; vgl. auch LSG Niedersachsen NdsRPfl. 1997, 131f; ferner z.B. LG Stuttgart MDR 1985, 150; LG Bonn RPfl 1994, 264f; LG Baden-Baden JB 1995, 385f). In der Literatur haben sich in gleichem Sinne u.a. ausgesprochen Zöller/Stöber, ZPO, 21. Aufl., Rn. 9 zu § 850 f; Stöber, Forderungspfändung, 12. Aufl., Rn. 1193 a; Baumbach/Lauterbach/Albern/Hartmann, ZPO, 58. Aufl., Rn. 7 und 8 zu § 850 f; Behr, JB 1995, 8 ff., 10, 11.

Die Befürworter dieser subsidiären Prüfungsbefugnis des Vollstreckungsgerichts sind jedoch unterschiedlicher Auffassung hinsichtlich der Grenzen und Beschränkungen dieser Prüfungskompetenz. Weitgehend wird - allerdings entgegen den anerkannten Regeln für die Auslegung von Vollstreckungstiteln der Rückgriff auf den gesamten Inhalt der Prozessakten des Erkenntnisverfahrens für zulässig erachtet (vgl. z.B. LG Darmstadt RPfl 1985, 155), zum Teil wird jedenfalls die Zugrundelegung unstreitiger Umstände bzw. die Verwendung von Urkunden als zulässig angesehen (vgl. z.B. LG Bonn RPfl 1994, 264 f). Anderer Meinung zufolge wird die Prüfungsbefugnis des Vollstreckungsgerichts auf den Urkundenbeweis (vgl. Schneider MDR 1970, 769 f., 770) oder sogar lediglich auf den Beweis mit öffentlichen Urkunden beschränkt, wenn sich aus ihnen die eine Anwendung von § 850 f Abs. 2 ZPO rechtfertigenden Umstände zweifelsfrei ergeben (vgl. LG Stuttgart MDR 1985, 150). Im Gegensatz zu der teilweise sogar angenommenen unbeschränkten Prüfungsbefugnis des Vollstreckungsgerichts (so z.B. OLG Hamm OLGZ 1973, 379 ff, 381/382, ebenso wohl auch OLG Celle JB 1998, 272 f. und Behr JB 1975, 8 ff., 11) wird von anderen Befürwortern der subsidiären Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts einschränkend die Auffassung vertreten, jedenfalls könne eine streitige Verhandlung mit Beweisaufnahme zur Feststellung des Vorliegens einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht in Betracht kommen (vgl. z.B. Zöller/Stöber aaO). Von einer auf die "Feststellungen zur Schuldform" bzw. auf vorsätzliches Handeln des Schuldners beschränkte (sich also offenbar nicht auf die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit eines behaupteten Vorgehens des Schuldners erstreckende) Prüfungsbefugnis des Vollstreckungsgerichts geht offenbar Hartmann (in Baumbach/Lauterbach aaO Rn. 8) und ihm folgend die Entscheidung des LSG Niedersachsen (NdsRpfl. 1997, 131 f) aus.

3.

Während die Befürworter einer subsidiären Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts die Auffassung vertreten, das Vollstreckungsgericht habe die haftungserweiternden Voraussetzungen des § 850 f Abs. 2 ZPO selbst zu prüfen, da es sich hierbei um keine materiell-rechtliche Anspruchsprüfung handle, berufen sich die Vertreter der gegenteiligen Auffassung, die eine Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts grundsätzlich verneinen, auf die grundlegende Trennung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren. Hierzu ist insbesondere hinzuweisen auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs (BGHZ 109, 275 ff., 279/280) ebenso wohl auch OLG Zweibrücken (JB 1988, 933 ff., 934; vgl. ferner z. B. LG Augsburg RPfI 1995, 122; LG Landshut RPfl 1996, 470 f., desgl. LG Stuttgart, JB 1997, 548). Diese Auffassung wird ferner insbesondere vertreten von Smid (in Münchener Kommentar, ZPO, Rn 16 und 17), von Brehm (in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., Rn 10) und von Thomas/Putzo (ZPO, 22. Aufl., Rn 8 - je zu § 850 f). Bedenken werden hierbei z.T. auch daraus hergeleitet, dass es (im Hinblick auf Art. 92 GG) nicht Sache des Rechtspflegers (§ 20 Nr. 17 RPflG) sei, im Wege der Titelergänzung (sei es auch lediglich aufgrund liquider Beweismittel) über das Vorliegen einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zu befinden (vgl. Münchener Kommentar/Smid, ZPO, Rn. 17, auf S. 353, untere Hälfte; ferner LG Landshut RPfl 1996, 470 und LG Stuttgart JB 1997, 548).

Nach der von den Gegnern der Annahme einer subsidiären Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts vertretenen Auffassung, der sich der Senat anschließt, ist die rechtliche Qualifizierung eines Anspruchs Sache des Erkenntnis- und nicht des Vollstreckungsverfahrens, da dies ansonsten einer unzulässigen Ergänzung des Titels gleichkäme. Im Falle der Annahme einer subsidiären Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts bestünde nicht nur die Gefahr einer inhaltlichen Änderung des Titels; hinzu käme noch, dass das Vollstreckungsverfahren für die Durchführung einer Beweisaufnahme weniger geeignet erscheint als das Erkenntnisverfahren und daher gegenüber einem Feststellungsklageverfahren eine geringere Gewähr der Richtigkeit gegeben wäre (vgl. hierzu insbesondere BGHZ 109, 275, 279/280). Hinzu kommt, dass eine hierbei erforderliche Beweisaufnahme in der Regel im Verfahren erster Instanz vom Rechtspfleger durchgeführt werden müsste.

Demnach ist zwar eine Auslegung des Vollstreckungstitels im Vollstreckungsverfahren - nach Auffassung des Senats jedoch lediglich unter Zugrundelegung der hierfür maßgebenden allgemein anerkannten Grundsätze - möglich, nicht jedoch eine selbständige Prüfung und Ergänzung des Titels durch das Vollstreckungsgericht. Bei der Auslegung des Titels ist lediglich der Vollstreckungstitel selbst (beim Urteil: Rubrum, Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründe), im Gegensatz zu einer weitgehend vertretenen Auffassung nicht auch der Akteninhalt mit heranzuziehen, da allgemeiner Meinung zufolge die Auslegung eines Vollstreckungstitels nur aus dessen Inhalt heraus erfolgen und außer auf gesetzliche Vorschriften - nicht auf andere, außerhalb des Titels liegende Umstände zurückgegriffen werden darf (allgemeine Meinung, vgl. hierzu z.B. Zöller/Stöber, 21. Aufl., Rn. 5 und Münchener Kommentar/Krüger, ZPO, Rn. 8, je zu § 704; vgl. ferner Senatsbeschluss, RPfl 1997, 446).

4.

Bei einem Versäumnisurteil kann ausnahmsweise auch der als zugestanden geltende Sachvortrag des Klägers berücksichtigt werden (vgl. hierzu auch OLG Zweibrücken, JB 1988, 933 ff., 934; Zöller/Stöber, 21. Aufl., Rn. 9 zu § 850 f). Wird die Klage jedoch nicht ausschließlich auf eine behauptete vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Beklagten gestützt, so bedarf es einer sorgfältigen Prüfung bei Auslegung des Vollstreckungstitels, ob genügende Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass das Versäumnisurteil (auch) auf eine solche unerlaubte Handlung gegründet werden sollte. Im vorliegenden vom Senat zu entscheidenden Fall sind keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine solche Annahme ersichtlich....(wird ausgeführt). Lediglich auf Seite 7 der insgesamt 9 Seiten umfassenden Klagschrift finden sich in nur 6 Zeilen pauschale Ausführungen zu einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 263 StGB.

Anders als in einem Fall, in dem ein Anspruch ausschließlich auf eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung gestützt wird, kann im vorliegenden Fall im Hinblick auf die umfangreichen Ausführungen zur vertraglichen Haftung nicht mit hinreichender Sicherheit dem als zugestanden anzusehenden Klagvorbringen entnommen werden, dass das Landgericht der Klage in seinem Urteil auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zum Nachteil des Gläubigers stattgegeben hat.

Entgegen der vom Rechtspfleger vertretenen Auffassung kann auch daraus, dass der Schuldner ursprünglich - anders als dann im Erstbeschwerdeverfahren - zur Behauptung des Gläubigers in dessen Antrag, wonach auch Ansprüche gegen den Schuldner aus unerlaubter Handlung geltend gemacht worden seien, keine Stellung genommen hat, nicht gefolgert werden, die Voraussetzungen des § 850 f Abs. 2 ZPO seien gem. § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen.

Ob die erstmals im Vollstreckungsverfahren behaupteten tatsächlichen Voraussetzungen des § 850 f Abs. 2 ZPO vorliegen, hat das Vollstreckungsgericht entgegen der vom Rechtspfleger vertretenen Auffassung nicht zu prüfen (vgl. auch OLG Zweibrücken JB 1988, 933 ff., 934), abgesehen davon, dass auch im Falle einer Anwendung des § 138 Abs. 3 ZPO dem in einem solchen Fall als vom Schuldner nicht bestrittenen Vorbringen keine Geständniswirkung i.S. von §§ 288, 290 ZPO zukäme (vgl. hierzu zB auch BGH NJW 1991, 1683 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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