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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 09.10.2007
Aktenzeichen: 8 WF 128/07
Rechtsgebiete: ZPO, SGB II, SGB XII


Vorschriften:

ZPO § 727
SGB II § 33 Abs. 2 Satz 3
SGB XII § 94 Abs. 3 Satz 2
Bei der Titelumschreibung gem. § 727 ZPO ist das Nichtvorliegen des Ausschlussgrundes des § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II i. d. F. vom 20. Juli 2006 mangels Offenkundigkeit nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachzuweisen. Denn aus der Neuregelung in § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB XII i. d. F. vom 2. Dezember 2006 (so in Kraft seit 1. Januar 2005) lässt sich die Intention des Gesetzgebers erkennen, dass die sozialhilferechtlichen Schuldnerschutzvorschriften nicht ohne weiteres zum Ausschluss des Forderungsüberganges führen sollen, soweit der Sozialhilfeträger die Leistungsfähigkeit nicht nachweisen kann, sondern dass vielmehr seine Versicherung, von einer bestehenden oder drohenden Sozialhilfebedürftigkeit des Unterhaltsschuldners keine Kenntnis zu haben, ausreichen muss (Aufgabe der bisherigen Rechsprechung des Senats).
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 WF 128/07

09. Oktober 2007

In der Unterhaltssache

wegen nachehelichen Unterhalts; hier: Titelumschreibung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Tolk Richter am Oberlandesgericht Grüßhaber Richterin am Oberlandesgericht Tschersich

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beteiligten Ziff. 3 wird der Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts - Familiengerichts - Heilbronn vom 27. Juli 2007, Az. 5 F 1359/05, aufgehoben.

2. Die Rechtspflegerin beim Amtsgericht - Familiengericht - Heilbronn wird angewiesen, über den Antrag der Beteiligten Ziff. 3 vom 15. Januar 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Gründe:

1. Die Beteiligte Ziff. 3 verfolgt als zuständiger Sozialhilfeträger ihren im angefochtenen Beschluss der Rechtspflegerin zurückgewiesenen Antrag auf Titelumschreibung gegen den Beteiligten Ziff. 2 als Unterhaltsschuldner auf Grund Rechtsnachfolge kraft gesetzlichen Forderungsübergangs gem. § 33 Abs. 1 SGB II weiter.

Mit Schreiben vom 15. Januar 2007 / 2. April 2007 hat die Beteiligte Ziff. 3 die Umschreibung des vollstreckbaren gerichtlichen Unterhaltsvergleichs vom 1. Juli 2005 auf sich als Rechtsnachfolgerin der Beteiligten Ziff. 1 als Vollstreckungsgläubigerin in Höhe von insgesamt 899,87 Euro wegen gewährter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis 31. Januar 2007 beantragt. In dem Vergleich hatten sich die Beteiligten Ziff. 1 und 2 auf einen monatlichen Ehegattenunterhalt ab 1. Juli 2005 in Höhe von 200 € zu Gunsten der Klägerin geeinigt.

Die Beteiligte Ziff. 3 hat die Bewilligung und Auszahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch mit dem Amtssiegel versehene elektronische Dokumente des Bewilligungsbescheides vom 05. Dezember 2006 und der Auszahlungsnachweise nebst Kassenanordnungen belegt. Sie hat zudem bestätigt, dass der Beteiligte Ziff. 2 derzeit keine Leistungen von der Beteiligten Ziff. 3 beziehe, was bundesweit mittels der zentralen Personendatenverwaltung überprüft worden sei.

Der Beteiligte Ziff. 2 hat sich zu der beantragten Titelumschreibung nicht geäußert und die Rechtspflegerin hat diese mit Beschluss vom 27. Juli 2007 abgelehnt, weil nicht nachgewiesen worden sei, dass die Heranziehung des Unterhaltsverpflichteten nicht zu dessen Sozialhilfebedürftigkeit führe.

Gegen die am 14. August 2007 der Beteiligten Ziff. 3 zugestellte Entscheidung hat sie am 27. August 2007 Beschwerde eingelegt mit der Begründung, dass die Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners von diesem darzulegen und zu beweisen sei. Ein Nachweis der Leistungsfähigkeit könne durch die Beteiligte Ziff. 3 nicht erbracht werden, da der Beteiligte Ziff. 2 weder auf das Auskunftsersuchen reagiert habe noch von vornherein auf Grund eines eigenen Bezuges von Leistungen von der Inanspruchnahme habe ausgeschlossen werden können.

Die Rechtspflegerin hat die Akte ohne Abhilfe dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, 11 Abs. 1 RpflG) und hat auch in der Sache Erfolg.

Nachdem die Beteiligte Ziff. 3 durch öffentliche Urkunden (§§ 371a Abs. 2, 415, 417, 418 ZPO) die Bewilligung und Gewährung der Sozialhilfeleistungen nachgewiesen hat und sich die Unterhaltspflicht des Beteiligten Ziff. 2 aus dem gerichtlichen Vergleich ergibt, steht insoweit dem gesetzlichen Forderungsübergang gem. § 33 Abs. 1 SGB II durch den Nachweis der Rechtsnachfolge gem. § 727 ZPO nichts entgegen.

Die Rechtspflegerin hat jedoch die Titelumschreibung abgelehnt, weil das Nichtvorliegen des Ausschlussgrundes des § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II von der Beteiligten Ziff. 3 mangels Offenkundigkeit nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen worden sei.

Hierbei beruft sich die Rechtspflegerin auf die ständige Rechtsprechung des Senats zu § 91 BSHG (u. a. Beschluss vom 19. Oktober 1995, Az. 8 WF 66/95, veröffentlicht in Juris-Online; Beschluss vom 29. Januar 1998, Az. 8 WF 9/98, veröffentlicht in Juris-Online; Beschluss vom 4. Mai 1998, Az. 8 WF 55/97, veröffentlicht in Juris-Online; Beschluss vom 05. Dezember 2000, Az. 8 WF 84/00, veröffentlicht in NJW-RR 2001, 868; zuletzt bestätigt durch den nicht veröffentlichten Beschluss vom 21. Februar 2006, Az. 8 WF 122/05, zu § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB XII unter Vorbehalt bzgl. der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung).

Die vom Senat in den genannten Beschlüssen im Einzelnen begründete Auffassung wurde ebenfalls vertreten durch den 20. Familiensenat des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 29. November 1999, Az. 20 WF 78/99, veröffentlicht in InVo 2000, 352), während der 05. Familiensenat des OLG Karlsruhe in späteren Entscheidungen (Beschluss vom 1. August 2003, Az. 5 WF 88/03, veröffentlicht in NJW-RR 2004, 154, und Beschluss vom 5. August 2003, Az. 5 WF 87/03, veröffentlicht in InVo 2004, 238) davon ausgeht, dass die Beachtung der sozialhilferechtlichen Schutzvorschriften (§ 91 Abs. 1 Satz 3 BSHG) bezüglich des Anspruchsübergangs nicht urkundlich nachgewiesen werden muss, dass vielmehr Ausschlussgründe wie die eigene Bedürftigkeit bzw. Leistungsunfähigkeit vom Unterhaltsschuldner geltend zu machen und nachzuweisen seien.

Dies wird ebenfalls vertreten vom OLG Köln, Beschluss vom 22. August 1996, Az. 10 WF 132/96, veröffentlicht in MDR 1997, 369, und vom OLG Zweibrücken, Beschluss vom 8. Januar 1997, Az. 2 WF 80/96, veröffentlicht in FamRZ 1997, 1092, sowie in der Literatur (Stöber in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 727 Rdnr. 22; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, Sozialhilfe, 2005, § 94 SGB XII Rdnr. 29; Wolfgang Münzberg in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 727 Rdnr. 43; wohl auch Wolfsteiner in Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2007, § 727 Rdnr. 23 und Rdnr. 50; wohl nicht von Lackmann in Musielak, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 727 Rdnr. 12).

Der erkennende Senat hatte sich im Rahmen dieser Problematik bisher auf den Standpunkt gestellt, dass die in dem damals noch geltenden § 91 Abs. 1 und 2 BSHG für den gesetzlichen Forderungsübergang verlangte Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nicht seinerseits sozialhilfebedürftig werden dürfe, schon nach dem Gesetzeswortlaut als Übergangsvoraussetzung normiert sei, die der Sozialhilfeträger im Fall einer begehrten Titelumschreibung gem. § 727 ZPO grundsätzlich mit den dort vorgeschriebenen Beweismitteln - öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden - zu beweisen habe.

An dieser Rechtsprechung hat der Senat auch festgehalten, nachdem der Gesetzgeber in der ab 1. Januar 2005 in Kraft getretenen entsprechenden Regelung in § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB XII nunmehr ergänzend bestimmt hat, dass der Sozialhilfeträger die Einschränkung, wonach der Unterhaltspflichtige nicht selbst leistungsberechtigt sein dürfe, zu berücksichtigen habe, wenn er hiervon durch vorgelegte Nachweise oder auf andere Weise Kenntnis erlangt habe. Denn nach den Motiven des Gesetzgebers stelle diese Bestimmung eine Neuregelung zur Verwaltungsvereinfachung dar, die nicht ohne weiteres zu einer anderweitigen Auslegung der bisherigen Regelung führe.

Der Senat hat aber in seiner Entscheidung vom 21. Februar 2006 ausdrücklich offen gelassen, ob nach der Neuregelung bei Titelumschreibungsanträgen für Leistungen auf der Grundlage von § 94 SGB XII die Versicherung des Sozialhilfeträgers genügt, von einer bestehenden oder drohenden Sozialhilfebedürftigkeit des Unterhaltsverpflichteten bei Realisierung der Forderung keine Kenntnis zu haben.

Vorliegend kommt zwar ein Forderungsübergang gem. § 33 Abs. 1 SGB II i. d. F. vom 20. Juli 2006 in Betracht und in Abs. 2 dieser Vorschrift ist der in § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB XII i. d. F. vom 2. Dezember 2006 (so in Kraft seit 1. Januar 2005) enthaltene Zusatz nicht eingefügt worden. Dennoch lässt sich aus der Neuregelung der letztgenannten Bestimmung die Intention des Gesetzgebers erkennen, dass die sozialhilferechtlichen Schuldnerschutzvorschriften nicht ohne weiteres zum Ausschluss des Forderungsüberganges führen sollen, soweit der Sozialhilfeträger die Leistungsfähigkeit nicht nachweisen kann, sondern dass vielmehr seine Versicherung, von einer bestehenden oder drohenden Sozialhilfebedürftigkeit des Unterhaltsschuldners keine Kenntnis zu haben, ausreichen muss.

Aufgrund der Neuregelung und der überwiegenden Rechtsauffassung anderer Oberlandesgerichte gibt der Senat seine bisherige Rechtsprechung auf.

Die Beteiligte Ziff. 3 hat insoweit versichert, dass der Beteiligte Ziff. 2 auf ihr Auskunftsersuchen nicht reagiert hat und keine Leistungen der Beteiligten Ziff. 3 bezieht, was bundesweit mittels der zentralen Personendatenverwaltung überprüft worden sei.

Im Hinblick auf die zu Tage getretene Intention des Gesetzgebers kann damit ein weiterer, der Beteiligten Ziff. 3 nicht möglicher Nachweis zur Leistungsfähigkeit des Beteiligten Ziff. 2 nicht verlangt werden, zumal sich dieser auch im Rahmen seiner Anhörung gem. § 730 ZPO nicht geäußert hat.

Der den Antrag der Beteiligten Ziff. 3 zurückweisende Beschluss der Rechtspflegerin war deshalb aufzuheben und das Verfahren dem Amtsgericht zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats vorzulegen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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