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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 08.09.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 106/05
Rechtsgebiete: BKatV, StVO


Vorschriften:

BKatV § 4 Abs. 1
StVO § 25 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ss 106/05

In dem Bußgeldverfahren

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hier: Rechtsbeschwerde

hat der Senat für Bußgeldsachen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Landgericht Schwenninger

am 8. September 2005

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 21. März 2005 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben; in diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Kaiserslautern zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Kaiserslautern hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit innerorts um 38 km/h zu einer Geldbuße von 175 € verurteilt. Im Bußgeldbescheid waren ursprünglich eine Geldbuße von 100 € und ein Fahrverbot von einem Monat vorgesehen. Von der Verhängung des Fahrverbots hat das Gericht abgesehen mit der Begründung, dies führe zu einer Existenzgefährdung des Betroffenen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die in zulässiger Weise auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt und die Verhängung des im Bußgeldkatalog für derartige Fälle vorgesehenen Fahrverbots angestrebt wird.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat vorläufigen Erfolg.

Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hat das Amtsgericht offenbar nicht verkannt, dass § 4 Abs. 1 BKatV das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVO indiziert, so dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes als eindringlichen Denkzettel bedarf (BVerfG DAR 1996, 196; BGHSt 38, 125; ständige Rechtsprechung des Senats). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient nicht zuletzt der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen. Von der Verhängung des Regelfahrverbots kann deshalb nur abgesehen werden, wenn wesentliche Besonderheiten in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen anzunehmen sind und deshalb der vom Bußgeldkatalog erfasste Normalfall nicht vorliegt. Somit ist der Tatrichter in jedem Fall gehalten zu prüfen, ob der jeweilige Einzelfall Besonderheiten aufweist, die ausnahmsweise ein Abweichen von der Regelsanktion gebieten oder zumindest zulassen und stattdessen eine angemessene Erhöhung der Regelbuße als ausreichend erscheinen lassen. In den Fällen des § 4 Abs. 1 BkatV können dabei sowohl außergewöhnliche Härten als auch eine Vielzahl minderer Erschwernisse bzw. entlastender Umstände genügen, um eine solche Ausnahme zu begründen (BGH NZV 1992, 117 und 286; OLG Naumburg NZV 1995, 161 und 201; BayObLG NZV 1994, 327, 370 und 487; OLG Düsseldorf NZV 1993, 37, 241 und 446; OLG Köln NZV 1994, 161; OLG Oldenburg NZV 1993, 198 und 278; OLG Karlsruhe VRS 88, 476). Im Hinblick auf dieses Regel-Ausnahmeverhältnis ist für die tatrichterliche Einzelfallprüfung, ob trotz des Vorliegens der Voraussetzungen eines Regelfalles von einem Fahrverbot abgesehen werden kann, nur noch eingeschränkt Raum (BGH NZV 1992, 286; OLG Düsseldorf NZV 1995, 161 und NZV 1993, 241; BayObLG NZV 1994, 327). Gewinnt der Tatrichter auf diesem Weg die Überzeugung, dass trotz eines Regelfalles die Verhängung des Fahrverbotes unangebracht wäre, hat er dafür eine eingehende und nachvollziehbare, auf Tatsachen gestützte Begründung zu geben (BGH NZV 1992, 117 und 286; OLG Naumburg NZV 1995, 161; BayObLG NZV 1994, 487). Diese unterliegt der eingeschränkten Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, das nur dann eingreift, wenn Ermessensfehler vorliegen, etwa wenn das Tatgericht den ihm eingeräumten Ermessensspielraum bei der Rechtsfolgenentscheidung überschritten hat, seine Erwägungen unzureichend, lückenhaft oder in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen oder gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen worden ist.

Das angefochtene Urteil genügt den Feststellungs- und Begründungsanforderungen für das Absehen von einem Fahrverbot nicht.

Das Urteil bejaht eine Existenzgefährdung des Betroffenen durch ein Fahrverbot, ohne dass dies in den Urteilsgründen im Rahmen der Zumessung näher begründet wird. Lediglich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich aus der Darlegung der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen, dass dieser seit mehreren Jahren Taxifahrer sei und das von ihm unterhaltene Taxi allein von ihm zu Zwecken des Lebensunterhalts gefahren werde. Einen Vertreter könne er sich aus finanziellen Gründen nicht nehmen, da der Taxibetrieb gerade soviel abwerfe, dass er damit seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Vier Wochen Urlaub, um eventuell ein Fahrverbot abzudienen, könne er sich ebenfalls auf Grund der beengten finanziellen Verhältnisse nicht erlauben. Hier fehlen bereits nähere Angaben etwa über die Höhe der Einkünfte, der laufenden Lasten, der familiären Verhältnisse (verheiratet, evtl. Einkünfte der Ehefrau), sonstige Einkünfte (ggf. Rente - Betroffener befindet sich im Rentenalter). Eine umfassende Beurteilung und Überprüfung der Rechtsfolgenentscheidung lassen die beschränkten Feststellungen nicht zu. Darüber hinaus lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, auf welche Weise das Amtsgericht zu diesen Feststellungen gelangt ist. Die Vermutung liegt nahe, dass sich der Bußgeldrichter offenbar auf die bloße, nicht durch Tatsachen untermauerte Behauptung des Betroffenen gestützt hat. Das Fehlen jeglicher Beweisaufnahme und -würdigung stellt nicht nur im Strafverfahren, sondern auch im Bußgeldverfahren in der Regel einen sachlich-rechtlichen Mangel dar, der auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils führt (OLG Stuttgart NZV 1994, 371 m.w.N.). Zwar ist es dem Tatrichter nicht schlechthin verwehrt, einer Behauptung zu glauben, auch wenn sie nicht Gegenstand der Beweiserhebung war. Entlastende Angaben des Betroffenen, der sich auf das Vorliegen einer persönlichen Ausnahmesituation beruft, darf er aber nicht ohne weiteres - und ohne jegliche Begründung im Urteil - einfach als glaubhaft hinnehmen (OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Düsseldorf NZV 1995, 405 und VRS 90, 231). Die Verhängung eines Fahrverbots wird von den Betroffenen häufig als besonders einschränkend empfunden und deshalb gefürchtet. Die Erfahrung zeigt, dass ein Betroffener sich deshalb nicht selten - und zwar mehr oder weniger pauschal und mit Übertreibungen - auf das angebliche Vorliegen einer ihn besonders treffenden Härte beruft, um der Verhängung des Fahrverbots zu entgehen. Der Tatrichter wird deshalb ein derartiges Vorbringen kritisch würdigen müssen. Wenn er von einer Überprüfung eines solchen Vorbringens auf seinen Wahrheitsgehalt absieht und solche entlastenden Behauptungen ohne weiteres als glaubhaft übernimmt, muss er die Gründe hierfür im Urteil näher darlegen. Diesen Anforderungen genügt - wie bereits ausgeführt- das angefochtene Urteil nicht.

Der dargelegte Feststellungs- und Begründungsmangel stellt einen sachlich-rechtlichen Fehler dar, auf dem das Urteil beruht. Dieses ist somit im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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