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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 11.09.2006
Aktenzeichen: 1 Ws 347/06
Rechtsgebiete: StPO, ZPO, RVG, BRAGO


Vorschriften:

StPO § 140
StPO § 311
StPO § 140 Abs. 1
StPO § 140 Abs. 2
StPO § 397 a Abs. 1
StPO § 404
StPO § 404 Abs. 5
StPO § 404 Abs. 1 Satz 1
ZPO §§ 114 ff
ZPO § 119
RVG § 15 Abs. 2
RVG § 33 Abs. 3
RVG § 33 Abs. 3 Satz 3
RVG § 44 Abs. 1
RVG § 48 Abs. 1
RVG § 49
RVG § 56 Abs. 2
BRAGO § 89
BRAGO § 97 Abs. 1 Satz 4
BRAGO § 123
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ws 347/06

In dem Strafverfahren gegen

..., zurzeit in der Justizvollzugsanstalt Rohrbach

wegen Betrugs u.a.

hier: Kostenfestsetzung

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler und die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Schwenninger

am 11. September 2006

beschlossen:

Tenor:

1. Die (sofortige) Beschwerde des Pflichtverteidigers gegen den Beschluss der 7. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Kaiserslautern vom 23. August 2006 wird als unbegründet verworfen.

2. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).

Gründe:

In der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten, dem der Beschwerdeführer gemäß § 140 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war, sind drei Adhäsionsanträge gestellt worden. Einem der Antragsteller ist gemäß § 404 Abs. 5 StPO, 119 ZPO Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Zur Abgeltung des einen Adhäsionsanspruches hat der Angeklagte mit den Geschädigten in der Hauptverhandlung einen Vergleich abgeschlossen; die beiden weiteren Forderungen hat er anerkannt und ist insoweit im Urteil vom 30. Mai 2006 zur Zahlung verpflichtet worden.

Der Beschwerdeführer hat als Pflichtverteidiger u.a. die Festsetzung der dreimaligen Gebühr nach Nr. 4143 VV GVG für die drei Adhäsionsanträge beantragt. Die Rechtspflegerin hat im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 1. August 2006 demgegenüber das Adhäsionsverfahren gemäß § 15 Abs. 2 RVG als eine Angelegenheit behandelt und die Adhäsionsgebühr deshalb nur einfach anerkannt. Dagegen hat sich mit der Erinnerung sowohl der Beschwerdeführer als auch die Bezirksrevisorin gewandt, die allgemein die Belastung der Staatskasse mit Kosten des Adhäsionsverfahrens beanstandet. Die Strafkammer hat durch Beschluss vom 23. August 2006 den Antrag des Pflichtverteidigers auf Festsetzung der Gebühren für das Adhäsionsverfahren zurückgewiesen. Dies beanstandet er mit der Beschwerde.

Das Rechtsmittel ist gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässig. Da ihm eine Frist gesetzt ist, folgt es den Regeln der sofortigen Beschwerde gemäß § 311 StPO. Mangels förmlicher Zustellung des angefochtenen Beschlusses vom 23. August 2006 ist die zweiwöchige Frist gemäß § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG nicht in Gang gesetzt worden, so dass die Beschwerde ungeachtet des Zeitablaufs rechtzeitig erhoben worden ist.

Das zulässige Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Senat teilt die Auffassung der Wirtschaftsstrafkammer, dass der Beschwerdeführer gegen die Staatskasse keinen Gebührenanspruch für seine Tätigkeit in den Adhäsionsverfahren hat. Zwar steht außer Frage, dass die Gebühr nach Nr. 4143 VV RVG angefallen ist. Der Umfang des Vergütungsanspruchs des Rechtsanwalts gegen die Landeskasse richtet sich jedoch gemäß §§ 44 Abs. 1, 48 Abs. 1 RVG nach der Reichweite der Beschlüsse über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe bzw. seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Prozesskostenhilfe gemäß § 404 Abs. 5 StPO, § 114 ff ZPO ist dem Angeklagten nicht bewilligt worden; einen entsprechenden Antrag hat er nicht gestellt. Die Bestellung nach § 140 StPO erstreckt sich nicht auf das Adhäsionsverfahren, so dass nicht bereits die Beiordnung den dort entstanden Gebührenanspruch nach Nr. 4143 VV RVG der Staatskasse aufbürdet.

Ob die Beiordnung des Verteidigers gemäß § 140 StPO ohne weiteres auch seine Tätigkeit im Adhäsionsverfahren umfasst oder es insoweit einer zusätzlichen Bewilligung nach § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO bedarf, ist schon zur Geltung der BRAGO von den Obergerichten unterschiedlich entschieden worden; der Bundesgerichtshof hat die Frage ausdrücklich offen gelassen (BGH NJW 2001, 2486, 2487). Der Gesetzgeber bietet im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 1. Juli 2004 keine Entscheidungshilfe an. Er führt zwar in der Begründung des Entwurfs des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes (Art. 3) aus:

Der Pflichtverteidiger soll die Gebühr nach Nummer 4143 VV RVG-E ebenfalls erhalten. Das entspricht dem geltenden Recht. Sie wird - wie derzeit nach § 97 Abs. 1 Satz 4, §§ 89, 123 BRA GO -, der Höhe nach durch § 49 RVG-E begrenzt." (BT-Drs. 15/1971, 228).

Damit bleibt jedoch weiterhin offen, welche gerichtliche Entscheidung - allgemeine Beiordnung oder gesonderte Bewilligung der Prozesskostenhilfe - den Gebührenanspruch der Staatskasse gegenüber begründet. Die Fortschreibung der unterschiedlichen Entscheidungspraxis zeichnet sich bereits ab (vgl. LG Bonn vom 7. April 2005 - 37 Qs 9/05, und dazu den Aufhebungsbeschluss des OLG Köln vom 29. Juni 2006 - 2 Ws 254/05, beide bei Burhoff online, RVG Entscheidungen). Der Senat schließt sich mit folgenden Erwägungen der Auffassung an, dass sich die Beiordnung gemäß § 140 StPO nicht ohne Weiteres auf das Adhäsionsverfahren erstreckt (ebenso OLG München, StV 2004, 38; im Ergebnis auch OLG Saarbrücken, StV 2000, 433 f):

Es ist zwar zutreffend, dass in der Regel die (unbeschränkte) Bestellung zum Pflichtverteidiger das gesamte Strafverfahren umfasst (vgl. Meyer-Goßner StPO 49. Aufl., § 140 Rn 5). Da der Pflichtverteidiger dem Angeklagten beigeordnet wird, um sich gegen den staatlichen Strafanspruch auch unter den besonderen Bedingungen des § 140 Abs. 1 und 2 StPO wirksam verteidigen zu können, endet die Reichweite der Beiordnung jedoch dort, wo diese Voraussetzungen nicht (mehr) gelten (vgl. auch § 140 Abs. 3 StPO). Der Bundesgerichtshof hat eine solche Beschränkung der vom Tatrichter angeordneten Pflichtverteidigung deshalb für die Verhandlung vor dem Revisionsgericht vorgesehen, da dort für die Notwendigkeit des rechtlichen Beistands andere Gesichtspunkte entscheidend sind: Es sei sachgemäß, "die Beiordnung so auszulegen, dass sie sich soweit erstrecken soll, als der beiordnende Vorsitzende in der Lage ist, die Frage der Notwendigkeit zu beurteilen" (BGHSt 19, 258, 259). Da sich diese Beurteilung am staatlichen Strafausspruch ausrichtet und dieser sich in der Regel über die Verfahrensabschnitte und Instanzen nicht ändert, ist es ansonsten folgerichtig, die Beiordnung für das gesamte Strafverfahren gelten zu lassen. Die Notwendigkeit der Verteidigung auch im Adhäsionsverfahren wird der beiordnende Richter dagegen allenfalls in seine Erwägungen zu § 140 Abs. 2 StPO einbeziehen, wenn zum Zeitpunkt seiner Entscheidung der Antrag nach § 404 StPO schon gestellt ist. Ist dies nicht der Fall, richtet sich die Notwendigkeitsprüfung ausschließlich am staatlichen Strafausspruch und den damit verbundenen Anforderungen aus, nicht jedoch am vermögensrechtlichen Interesse des Verletzten. Auch der Katalog des § 140 Abs. 1 StPO rechtfertigt die notwendige Beiordnung mit dem gesteigerten Aufwand für die Verteidigung gegen den Strafvorwurf.

Das systematische Argument der generellen Erstreckung der Beiordnung auch auf das Adhäsionsverfahren als Teil des gesamten Strafverfahrens (so aber OLG Schleswig NStZ 1998, 101; OLG Hamm JurBüro 2001, 531; OLG Köln aaO, LG Görlitz bei Burhoff online, RVG Entscheidungen) geht zudem aus einem weiteren Grund fehl. Das Adhäsionsverfahren zählt nicht zu den Prozessabschnitten, die sukzessive den staatlichen Strafanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss (und im Wiederaufnahmeverfahren darüber hinaus) realisieren, sondern ist ein Annex, der das zivilrechtliche Anspruchsinteresse des Verletzten aus rechtsökonomischen Erwägungen und dem Gedanken des Sachzusammenhangs in das Strafverfahren integriert. Die rechtliche Zwischenstellung dieses Anspruchsverfahrens wird in seiner teilweise zivilrechtlichen Ausrichtung deutlich (Rechtshängigkeit, § 404 Abs. 2 StPO; Vergleich, § 405 StPO). Dazu gehört auch die für "beide Parteien" eingeräumte Befugnis, nach "Klageerhebung" Prozesskostenhilfe "wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten" zu beantragen (§ 404 Abs. 5 Satz 1 StPO). Auch diese Überlegung spricht dagegen, das Adhäsionsverfahren für die Frage der Reichweite der Beiordnung nach § 140 StPO den sonstigen Verfahrensteilen gleichzustellen.

Mit § 404 Abs. 5 StPO hat der Gesetzgeber zudem eine besondere Beistandsregelung für den Angeklagten und den Verletzten geschaffen, die im Gegensatz zu § 140 StPO Bedürftigkeit, Ausschluss der Mutwilligkeit und Erfolgsaussicht für die Beiordnung voraussetzt. Für den Angeklagten würde diese Regelung überwiegend ins Leere laufen, würde man die allgemeine Beiordnung nach § 140 StPO genügen lassen (so auch LG Bonn aaO). Sie würde die durch § 404 ff StPO geschaffene "Waffengleichheit" zwischen Täter und Opfer wieder zugunsten des Angeklagten verschieben (vgl. auch § 140 Abs. 2 Satz 1: Gegenanwalt bei Opferschutz). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes, dass sich die Beiordnung für den Nebenkläger gemäß § 397 a Abs. 1 StPO nicht auf das Adhäsionsverfahren erstreckt (BGH NJW 2001, 2486), spricht deshalb eher für die hier zur Rechtsstellung des Angeklagten vertretenen Auffassung (gegenteilig OLG Köln aaO). Auch das Argument, eine Überprüfung der Erfolgsaussicht der Verteidigung sei dem Institut der Pflichtbeiordnung fremd (vgl. OLG Hamm aaO), ist nicht stichhaltig, da es insoweit um die Beurteilung des zivilrechtlichen Anspruches geht. Es ist durchaus denkbar, dass trotz Notwendigkeit der Verteidigung gegen die Anklage der zivilrechtliche Anspruch des Verletzten völlig unproblematisch ist und vom Angeklagten anerkannt wird, so dass insoweit eine anwaltliche Tätigkeit entbehrlich erscheint. Somit trifft es auch nicht zu, dass jede Tätigkeit im Sinne notwendiger Verteidigung zugleich Einfluss auf den Adhäsionsanspruch haben müsste (so aber OLG Köln aaO).

So stellt sich der Sachverhalt auch in vorliegender Beschwerdesache dar. Die Verteidigung des Angeklagten hat sich von Anfang an auf den subjektiven Tatvorwurf konzentriert. Die Forderungen der Geschädigten wurden zum Teil bereits in der Hauptverhandlung verglichen und ansonsten im Umfang der Adhäsionsanträge anerkannt. Der Strafkammer ist deshalb darin zuzustimmen, dass ein Antrag auf Prozesskostenhilfe, ungeachtet der Frage der Bedürftigkeit des Angeklagten, keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

Da dem Beschwerdeführer mangels Beiordnung in den Adhäsionsverfahren der Gebührenanspruch nach Nr. 4143 VV RVG nicht gegen die Staatskasse zusteht, bleibt seinen Rechtsmitteln der Erfolg versagt; die Frage der Zusammenfassung der Adhäsionsanträge als dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG stellt sich nicht.

Ende der Entscheidung

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