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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 19.09.2005
Aktenzeichen: 3 W 132/05
Rechtsgebiete: EuGVO


Vorschriften:

EuGVO Art. 34 Nr. 1
EuGVO Art. 34 Nr. 2
1. Die Darlegungs- und Beweispflicht für einen behaupteten ordre public-Verstoß i.S.v. Art. 34 Nr. 1 EuGVO trifft den Schuldner.

2. Etwaige formale Zustellungsfehler bei der Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes begründen für sich allein kein Anerkennungshindernis nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO. Vielmehr ist entscheidend, ob ein etwaiger Zustellungsmangel so schwer wiegt, dass dadurch die Möglichkeiten des Beklagten zu einer effektiven Rechtsverteidigung unzulässig behindert wurden.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 3 W 132/05

In dem Verfahren

betreffend die Vollstreckbarerklärung eines italienischen Urteils,

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dury, den Richter am Oberlandesgericht Petry und die Richterin am Oberlandesgericht Stutz auf die Beschwerde des Schuldners vom 20. Juni 2005 gegen den ihm am 4. Juni 2005 zugestellten Beschluss des Vorsitzenden der 1. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 10. Mai 2005

ohne mündliche Verhandlung

am 19. September 2005

beschlossen:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die zu dem Urteil des Friedensgerichts Meran vom 16. Juli 2004 - Nr. 194/2004 - zu erteilende Vollstreckungsklausel hinsichtlich des gegen den Schuldner zu vollstreckenden Zahlungsanspruchs lautet wie folgt:

"350,69 € nebst Zinsen hieraus seit dem 25. September 2003 in Höhe von 7 Prozentpunkten über dem Zinssatz für die jüngste Hauptrefinanzierungsoperation der E.. am ersten Kalendertag des betreffen den Halbjahres sowie Kosten in Höhe von 1 138,75 €".

II. Der Schuldner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Die Gläubiger, Rechtsanwälte mit Kanzleisitz in Meran (Italien), haben gegen den in Deutschland wohnhaften Schuldner wegen Honoraransprüchen aus dem Jahr 2003 ein Urteil des Friedensgerichts Meran vom 16. Juli 2004 (in Fotokopie Bl. 25-29 d. A.) erwirkt, mit dem der Schuldner verurteilt worden ist, an die Gläubiger "den Betrag von € 350,69 samt Zinsen in der vom Gesetzesdekret Nr. 231 vom 09.10.2002 festgesetzten Höhe ab Fälligkeit bis zur tatsächlichen Leistung zu zahlen" sowie den Gläubigern "die Verfahrenskosten zu ersetzen, die mit € 933,40, ergänzt um die Aufschläge (2 % Beitrag zur Vorsorgekasse und 20 % MwSt.) auf die hierfür zu berücksichtigenden Posten und um die erforderlichen Folgekosten bestimmt werden".

Dieser italienische Titel wurde am 16. September 2004 durch das Friedensgericht Meran für vollstreckbar erklärt (Vollstreckungsanordnung in Fotokopie Bl. 30d.A.).

Der Schuldner hat sich auf den Rechtsstreit in Italien nicht eingelassen. Die Klageschrift und die gerichtliche Bestimmung des Verhandlungstermins auf den 9.Juli 2004, jeweils in deutscher Sprache abgefasst, wurden ihm von den klagenden Rechtsanwälten am 27. Februar 2004 unmittelbar im Wege der Direktzustellung durch die Post mittels Einschreiben zugestellt und von ihm persönlich entgegengenommen (Rückschein Bl. 95 R d. A.).

Auf Antrag der Gläubiger vom 14./15. April 2005 ordnete der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des für den Wohnsitz des Schuldners zuständigen Landgerichts Zweibrücken am 10. Mai 2005 an, das italienische Urteil mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.

Mit seiner Beschwerde dagegen rügt der Schuldner angebliche Gehörsverletzungen in dem italienischen Säumnisverfahren. Er behauptet außerdem, dem Friedensgericht Meran sei von den Gläubigern bewusst verschwiegen worden, dass sich die Verfahrensbeteiligten anlässlich der Beendigung des Mandatsverhältnisses auf ein Anwaltshonorar von nicht mehr als 100,-- € geeinigt hätten.

II.

Die gemäß Art. 43 EuGVO i. V. m. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 11 Abs. 1 AVAG statthafte und auch sonst form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken hat zu Recht dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Urteils des Friedensgerichts Meran vom 16. Juli 2004 stattgegeben. Der zu vollstreckende Anspruch war lediglich, weil er nach deutschem Verständnis teilweise zu unbestimmt ist, im Zinsausspruch zu konkretisieren (vgl. insoweit BGH NJW 1993, 1801 und Senat OLGR Zweibrücken 2005, 222, jeweils m. w. N.).

Im Einzelnen gilt dazu Folgendes:

1. Auf das vorliegende Verfahren betreffend die Vollstreckbarerklärung des gegen den Schuldner in Italien ergangenen Versäumnissurteils finden die Vorschriften der EuGVO Anwendung, welche am 1. März 2002 in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme Dänemarks in Kraft getreten ist.

2. Gemäß Art. 34, 35 EuGVO wird eine Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat nicht anerkannt - und somit nach Art. 45 EuGVO auch nicht für vollstreckbar erklärt -, wenn einer der dort abschließend aufgeführten Versagungsgründe vorliegt. Das ist hier nicht der Fall. Namentlich steht der Anerkennung der italienischen Säumnisentscheidung weder der deutsche ordre public (Art. 34 Nr. 1 EuGVO) noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Schuldners bei der Verfahrenseinleitung (Art. 34 Nr. 2 EuGVO) entgegen. Im Übrigen darf das Urteil des Friedensgerichts Meran, wie Art. 45 Abs. 2 EuGVO klarstellt, keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden (Verbot der revision au fond).

a) Gemäß Art. 34 Nr. 1 EuGVO wäre dem Urteil des Friedensgerichts Meran die Anerkennung zu versagen, wenn es der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich widersprechen würde.

Unter diesem Gesichtspunkt beachtlich ist vorliegend allein der von dem Schuldner der Sache nach erhobene Einwand des Prozessbetrugs (Rüge des Verschweigens einer angeblichen Abrede zur Höhe des Anwaltshonorars gegenüber dem italienischen Gericht). Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Beklagte, der sich - wie im vorliegenden Fall der Schuldner - im Ausland nicht eingelassen hat, im Anerkennungsverfahren rügen, der Gegner habe das Urteil durch vorsätzlich falschen Prozessvortrag erwirkt. Ein solches Urteil würde gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstoßen (BGH NJW 2004, 2386, 2388 m. w. N.; Schlosser, EUZ/EuGWO, 2. Aufl., Art. 34-36 Rdnr. 5 b).

Indes ist für das bestrittene Vorbringen zu einer fernmündlichen vorgerichtlichen Einigung mit den Gläubigern zur Höhe des geschuldeten Rechtsanwaltshonorars kein Beweis angeboten. Das wirkt sich aus Gründen der Beweislastverteilung zum Nachteil des Schuldners aus, weil dieser die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines ordre public-Verstoßes trägt (Schlosser aaO, Art. 34-36, Rdnr, 34; Rauscher/Leible, EUZPR Art. 34 Brüssel I-VO Rdnr. 22).

b) Art. 34 Nr. 2 EuGVO bestimmt, dass eine ausländische Entscheidung nicht anerkannt wird, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte.

Danach kommt es nach der EuGVO - anders als noch unter der Geltung des EuGVÜ - nicht darauf an, ob ein Verstoß gegen Zustellungsvorschriften vorliegt. Deshalb bedarf es im vorliegenden Fall keiner Entscheidung dazu, ob die hier vorgenommene Direktzustellung der Klageschrift durch die Gläubiger (ausländische Rechtsanwälte) an den Schuldner im Parteibetrieb wegen des in § 1071 ZPO erklärten Widerspruchs gegen die Geltung von Art. 15 EuZVO unzulässig war (so etwa LG Trier NJW-RR 2003, 287 und Emde, NJW 2004, 1830) und ob ein etwaiger Zustellungsfehler durch tatsächliche Kenntnisnahme geheilt worden wäre (vgl. insoweit de Lind van Wijngaarden-Maack, IPrax 2004, 212, 215 f).

Denn aus der etwa zu verneinenden Ordnungsmäßigkeit der Zustellung ist nicht ohne weiteres auf einen Verstoß gegen Art. 34 Nr. 2 EuGVO zu schließen. Entscheidend ist vielmehr allein, ob ein etwaiger Zustellungsfehler so schwer wiegt, dass dadurch die Möglichkeiten des Beklagten zu einer effektiven Rechtsverteidigung unzulässig behindert wurden (Schlosser aaO, Art.34-36 Rdnr. 8; Rauscher/Leible aaO, Art. 34 Brüssel I-VO Rdnrn. 30 ff; Roth, IPrax 2005, 438, 439 m. w. N.).

Das ist etwa der Fall, wenn der Beklagte die Klage nicht verstehen konnte, weil sie nicht in einer der in Art. 8 EuZVO genannten Sprachen verfasst oder in eine solche übersetzt war.

So liegen die Dinge hier gerade nicht. Der Schuldner hat die Klageschrift nebst Ladung in deutscher Sprache am 27. Februar 2004 persönlich in Empfang genommen. Zwischen der Kenntniserlangung und dem auf den 9. Juli 2004 anberaumten Verhandlungstermin vor dem Friedensgericht Meran lag eine Zeitspanne von mehr als vier Monaten. Es besteht deshalb kein Zweifel daran, dass der Schuldner, der in Italien ohnehin geschäftlich tätig war, bei Entfaltung zumutbarer Verteidigungsbemühungen ohne weiteres den Erlass des Versäumnisurteils hätte verhindern können. Hierzu hätte es nicht einmal italienischer Sprachkenntnisse bedurft, weil er sich vor dem Friedensgericht Meran hätte auf deutsch, das in Südtirol zweite Amtssprache ist, persönlich verteidigen oder zur Wahrung seiner Interessen einen deutschsprachigen Anwalt beauftragen können.

Sowohl dem von Art. 34 Nr. 2 EuGVO geforderten (Mindest-)Standard an die Gewährung rechtlichen Gehörs als auch der verfahrensrechtlichen Garantie des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf einen fairen Prozess war damit in dem Rechtsstreit vor dem Friedensgericht Meran ohne weiteres genügt.

3. Soweit der italienische Vollstreckungstitel wegen des Zinsanspruchs der Konkretisierung bedarf, hat der Senat diese entsprechend dem Regelungsgehalt des in der Urteilsformel des Friedensgerichts Meran in Bezug genommenen Gesetzesdekrets Nr. 231 vom 9. Oktober 2002 vorgenommen. Danach beginnt der Lauf von Verzugszinsen ohne Erfordernis einer vorherigen Mahnung 30 Tage ab Erhalt der Rechnung (Art. 4) und entspricht die Höhe der Verzugszinsen, sofern die Parteien keine abweichende Regelung getroffen haben, dem jeweiligen Leitzinssatz der Europäischen Zentralbank, erhöht um 7 Prozentpunkte; dabei findet auf jedes Kalenderhalbjahr der Leitzinssatz Anwendung, der am ersten Tag des Halbjahres von der Europäischen Zentralbank angewandt worden ist (Art. 5).

4. Das Rechtsmittel des Schuldners erweist sich danach als unbegründet mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Einer Wertfestsetzung hinsichtlich der Gerichtskosten bedarf es nicht, weil für das Rechtsmittelverfahren betreffend die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel eine Festgebühr bestimmt ist (Kostenverzeichnis 1520 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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