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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 12.09.2003
Aktenzeichen: 3 W 177/03
Rechtsgebiete: PStG, FGG, EMRK, GG


Vorschriften:

PStG § 15 a
PStG § 15 b Abs. 2
PStG § 45 Abs. 1
PStG § 48 Abs. 1
PStG § 49
FGG § 12
FGG § 25
EMRK Art. 6 Abs. 2
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (hier: Antrag auf Anlegung eines Familienbuchs für eine im Ausland geschlossene Ehe) dürfen einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen Stellung zu nehmen die Beteiligten Gelegenheit hatten und verbietet es die Unschuldsvermutung, bei Beweisüberlegungen zum Nachteil eines Beteiligten die bloße Tatsache ausschlagen zu lassen, dass gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren ohne rechtskräftige Verurteilung geführt worden ist.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 3 W 177/03

In dem Verfahren

betreffend die Anlegung eines Familienbuches an dem beteiligt sind:

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dury und die Richter am Oberlandesgericht Petry und Jenet auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) vom 15./16. August 2003 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 15. Juli 2003

ohne mündliche Verhandlung

am 12. September 2003

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung an das Landgericht Koblenz zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1) ist Deutscher, die Beteiligte zu 2) besitzt die ghanaische Staatsangehörigkeit.

Unter Vorlage von Ablichtungen eines - nicht legalisierten - "Certificate of Marriage" des Registrar of Marriages Kumasi/Ghana über ihre Eheschließung am 19. September 2000 in Kumasi sowie von eidesstattlichen Versicherungen der in der vorbezeichneten Heiratsurkunde aufgeführten Trauzeugen beantragten beide bei dem für ihren Wohnsitz zuständigen Standesbeamten (Beteiligter zu 3)), ein Familienbuch für sie anzulegen. Der Beteiligte zu 3) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass er nach dem Ergebnis der über die Deutsche Botschaft in Ghana angestellten Ermittlungen die behauptete Eheschließung nicht für erwiesen erachte.

Das von den Beteiligten zu 1) und 2) gem. § 45 Abs. 1 PStG angerufene Amtsgericht hat mit Beschluss vom 17. Januar 2003 ihren Antrag, den Beteiligten zu 3) zur Anlegung eines Familienbuches anzuhalten, zurückgewiesen. Die von den Beteiligten zu 1) und 2) dagegen eingelegte Beschwerde ist beim Landgericht ohne Erfolg geblieben. Gegen dessen Entscheidung vom 15. Juli 2003 wenden sich die Beteiligten zu 1) und 2) mit ihrer weiteren Beschwerde.

II.

1. Das Rechtsmittel ist gemäß §§ 48, 49 Abs. 1 Satz 2 PStG, 27 FGG als nicht fristgebundene Rechtsbeschwerde statthaft und auch im Übrigen verfahrensrechtlich bedenkenfrei (§ 29 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 4 FGG). Die Beteiligten zu 1) und 2) sind berechtigt, die Anlegung eines Familienbuches zu beantragen, nachdem sie geltend machen, außerhalb des Geltungsbereiches des Personenstandsgesetzes eine Ehe geschlossen zu haben und der Erstbeteiligte Deutscher ist (§§ 15 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Halbs. 1, Abs. 2 PStG). Ihre Befugnis zur Einlegung der weiteren Beschwerde ergibt sich schon aus der Zurückweisung der ersten Beschwerde, im Übrigen daraus, dass sie bei Unrichtigkeit der Entscheidung des Landgerichts in ihrem Recht beeinträchtigt sind (§ 20 Abs. 1 und 2 FGG).

2. In der Sache erzielen die Antragsteller einen vorläufigen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückverweisung der Sache an das Erstbeschwerdegericht. Denn dessen Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO).

a) Nach § 15 b Abs. 2 PStG hat der Standesbeamte in das Familienbuch nur die Tatsachen einzutragen, die er für erwiesen erachtet; soweit erforderlich, hat er den Sachverhalt durch Ermittlungen aufzuklären.

Die Vorschrift ist dahin zu verstehen, dass dem Standesbeamten bei der Anlegung eines Familienbuchs (auch) ein materielles Prüfungsrecht hinsichtlich der einzutragenden Tatsachen zusteht (BGH StAZ 1991, 187).

Der Beteiligte zu 3) und die Vorinstanzen haben mithin in zulässiger Weise die Frage geprüft, ob am 19. September 2000 in Kumasi/Ghana tatsächlich eine (rechtswirksame) "Ordinance-Ehe" (vgl. dazu Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Ghana S. 25 f) zwischen den Beteiligten zu 1) und 2) geschlossen worden ist.

b) Ihre diesbezüglich verbleibenden Zweifel hat die Zivilkammer im Wesentlichen wie folgt begründet:

Zwar sei aufgrund der von den Antragstellern beigebrachten Belege als erwiesen anzusehen, dass sich der Beteiligte zu 1) zum Zeitpunkt der behaupteten Eheschließung in Ghana aufgehalten und er dort auch familiären Kontakt zu Einheimischen erlangt habe. Andererseits werde jedoch der Beweiswert der Angaben der Beteiligten zu 2) dadurch erschüttert, dass ein gegen sie wegen des Vorwurfs des Gebrauchens eines gefälschten ghanaischen Führerscheins betriebenes strafrechtliches Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft "nur nach § 153 StPO eingestellt wurde, also grundsätzlich ein schuldhaftes Verhalten der Beteiligten zu 2) ... vorlag".

Hinzu kämen - in den Beschlussgründen des Landgerichts näher dargelegte - inhaltliche Widersprüche zwischen dem tatsächlichen Vorbringen der Antragsteller in dem vorliegenden Personenstandsverfahren und der Einlassung der Beteiligten zu 2) als Beschuldigte im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.

Unter weiterer Berücksichtigung des unzuverlässigen Urkundenwesens in Ghana sowie des Umstandes, dass dort bei Eheschließungen keine Identitätskontrolle stattfinde, bestünden danach auch weiterhin ernsthafte Zweifel an einer wirksamen Eheschließung zwischen den Beteiligten zu 1) und 2).

c) Diese Erwägungen sind von Rechtsfehlern beeinflusst.

aa) Das erstgenannte Verdachtsmoment gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Antragsteller (Strafverfahren gegen die Beteiligte zu 2)) kann gegen sie schon wegen der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 der in Deutschland unmittelbar im Rang von Bundesrecht geltenden Europäischen Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) nicht ins Feld geführt werden. Solange jemand wegen einer ihm vorgeworfenen Straftat nicht rechtskräftig verurteilt worden ist, hat er vor dem Gesetz als unschuldig zu gelten (Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Art. 6 Rn. 156). Im vorliegenden Fall ist das Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen die den Tatvorwurf einer Urkundenfälschung bestreitende Beteiligte zu 2) - so die Feststellung des Landgerichts - nach dem Opportunitätsprinzip gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden. Eine solche Einstellung setzt - was die Zivilkammer verkennt - einen Schuldnachweis gerade nicht voraus; vielmehr ist nach § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO nur eine hypothetische Schuldbeurteilung dahin vorzunehmen, dass, ein Tatnachweis unterstellt, "die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre" (vgl. statt aller: Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 153 Rdnr. 3 m.w.N.).

Es geht mithin nicht an, die bloße Tatsache, dass gegen jemanden ein Strafverfahren ohne rechtskräftigen Schuldnachweis stattgefunden hat, bei zivilrechtlichen Beweisüberlegungen zu seinem Nachteil ausschlagen zu lassen (BGH VersR 1990, 173, 174; BGH VersR 1996, 575). In gerichtlichen Verfahren, auf welche - wie im vorliegenden Fall nach § 48 Abs. 1 PStG - die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden sind, kann insoweit nichts anderes gelten.

bb) Soweit das Landgericht als weiteres Verdachtsmoment gegen die Glaubwürdigkeit der Antragsteller vermeintliche Widersprüche in der jeweiligen Sachdarstellung im Personenstands- und im Strafverfahren gewertet hat, sind diese Beweisüberlegungen mit Verfahrensfehlern behaftet.

Die erstmals im Verfahren der Erstbeschwerde erfolgte Beiziehung der Strafakte 2010 Js 031393/01 StA Koblenz (Ermittlungsverfahren gegen die Beteiligte zu 2)) ist den an dem vorliegenden Verfahren Beteiligten nicht bekannt gegeben worden; namentlich die Antragsteller haben auch keine Gelegenheit erhalten, sich vor der Entscheidung des Landgerichts zu den von der Zivilkammer angenommenen und bei der Beweiswürdigung zu ihrem Nachteil verwerteten Widersprüchen und Auffälligkeiten zu erklären. Bei einer Beweiswürdigung dürfen indes stets nur solche Umstände und Erkenntnisse berücksichtigt werden, zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten (BVerfGE 64, 135, 144: vgl. für den Zivilprozess Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 286 Rdnr. 16; Keidel/Kuntze/Winkler/Schmidt, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 12 Rdnr. 147 m.w.N.). Darin, dass die Zivilkammer dies nicht beachtet hat, liegt eine Gehörsverletzung (Art. 103 Abs. 1 GG) und zugleich ein Verstoß gegen das Recht der Antragsteller auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 EMRK).

d) Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ohne sie das Landgericht zu einer für die Antragsteller günstigeren Beweiswürdigung und Entscheidung gelangt wäre.

e) Der Senat kann hier nicht an Stelle des Landgerichts selbst entscheiden (vgl. dazu Jansen, FGG, 2. Aufl., § 27 Rdnr. 45), weil die Sache nicht zur Entscheidung reif ist.

Zum einen wird die Zivilkammer sich nunmehr mit dem Vorbringen in der Begründung der weiteren Beschwerde auseinander zu setzen haben, mit welchem die Antragsteller die in der angefochtenen Entscheidung beanstandeten Widersprüche in ihrer Sachdarstellung ausräumen wollen. Zum anderen sind gegebenenfalls auch noch Ansätze für weitere Ermittlungen (§ 12 FGG) vorhanden. So kommt neben einer - bislang nicht durchgeführten - persönlichen Befragung der beiden Antragsteller zu den näheren Umständen der Anbahnung ihrer behaupteten Eheschließung als weitere Auskunftsperson dafür auch die von der Beteiligten zu 2) namhaft gemachte F..... P..... in Betracht (vgl. insoweit den Vortrag Bl. 35 d.A.); durch letztere, ansonsten unter Umständen durch Ausweispapiere oder durch Tätigkeits- bzw. Verdienstbescheinigungen ihres - wie sie nunmehr angibt - öffentlichen Arbeitgebers in Ghana kann die Beteiligte zu 2) möglicherweise auch belegen, dass sie sich - was der Beteiligte zu 3) und die Instanzgerichte anzweifeln - im September 2000 tatsächlich in ihrem Herkunftsland aufgehalten hat.

Wenn die Antragsteller nach äußerem Anschein in geordneten Familienverhältnissen zusammenleben, nicht zu widerlegen ist, dass die Beteiligte zu 2) im September 2000 tatsächlich in Ghana aufenthältig war, und auch sonst keine konkreten Anhaltspunkte für eine Scheinehe bestehen, wird die Zivilkammer, so sie bei der erneuten Entscheidung auch weiterhin eine am 19. September 2000 nach der Marriage Ordinance erfolgte Eheschließung zwischen den Beteiligten zu 1) und 2) für nicht erwiesen erachten will, in den Beschlussgründen zu erörtern haben, welche plausiblen Beweggründe den Beteiligten zu 1) seinerzeit dazu bewegen haben können, nach Ghana zu reisen und dort fälschlicherweise eine Eheschließung mit einer anderen Frau als der Beteiligten zu 2) unter deren Namen registrieren zu lassen.

f) Zwar liegt die Entscheidung darüber, ob ein Antragsteller, der ein Familienbuch angelegt haben will, die dafür erforderlichen Nachweise vorgelegt hat, grundsätzlich bei dem Standesbeamten und im Falle von dessen ablehnender Entscheidung bei den zur Kontrolle berufenen Tatgerichten. Deren "freie Beweiswürdigung" ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz - nur - darauf nachprüfbar, ob sie den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend ermittelt (§ 12 FGG), sich bei der Beurteilung des Beweisstoffes mit allen wesentlichen Umständen auseinandergesetzt (§ 25 FGG) und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln und Verfahrensvorschriften (§ 15 FGG) sowie gegen Denkgesetze und zwingende Erfahrungssätze verstoßen haben (Keidel/Kuntze/Winkler/Meyer-Holz, aaO, § 27 Rdnr. 42 m.w.N.).

Bei seiner Entscheidung muss der Standesbeamte - und mit ihm das Gericht - im Übrigen jedoch einen vernünftigen Maßstab anlegen und dabei bedenken, dass mit der Möglichkeit, ein Familienbuch auf Antrag anzulegen (§ 15 a PStG), auch solchen Personen geholfen werden soll, die überhaupt keine beweiskräftigen Personenstandsurkunden mehr besitzen und auch nicht mehr beschaffen können (vgl. BGH StAZ 1991, 187, 190: Massfeller/Hoffmann/Hepting/Gaaz, PStR Band 1, § 15 b PStG, Rdnr. 52); die Vorschrift des § 15 b Abs. 2 PStG ist deshalb auch im Lichte der in Art. 6 Abs. 1 GG angeordneten besonderen staatlichen Schutzpflicht für Ehe und Familie anzuwenden.

g) Nachdem die weitere Beschwerde zum Erfolg führt, ist eine Kostenentscheidung im Hinblick auf § 131 Abs. 1 Satz 2 KostO nicht veranlasst (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Oktober 1999 - 3 W 237/99 -, StAZ 2001, 38). Damit erübrigt sich auch die Festsetzung eines Gegenstandswertes für das Verfahren der weiteren Beschwerde.

Ende der Entscheidung

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