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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 25.01.2006
Aktenzeichen: 3 W 239/05
Rechtsgebiete: EuGVVO


Vorschriften:

EuGVVO Art. 32
EuGVVO Art. 38
Ein italienisches "decreto ingiuntivo" (Mahnbescheid), das nach Einlegung des Widerspruchs gemäß Art. 648 der italienischen Zivilprozessordnung (cpc) für vorläufig vollstreckbar erklärt wird, stellt eine gerichtliche Entscheidung im Sinne des Art. 32 EuGVVO dar, die nach Kapitel III der EuGWO für vollstreckbar erklärt werden kann. Abgrenzung zum Senatsbeschluss vom 22. September 2005 - 3 W 175/05-).
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 3 W 239/05

In dem Verfahren

betreffend die Vollstreckbarerklärung eines italienischen Mahnbescheids,

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Richter am Oberlandesgericht Petry und die Richterinnen am Oberlandesgericht Simon-Bach und Stutz auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 21. Dezember 2005 gegen den ihr am 12. Dezember 2005 zugestellten Beschluss des Vorsitzenden der 1. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 28. November 2005

ohne mündliche Verhandlung

am 25. Januar 2006

beschlossen:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin erwirkte gegen die Antragsgegnerin am 26. Oktober 2004 bei dem Tribunale civile di Lucca (Italien) einen Mahnbescheid (decreto ingiuntivo) über 25 922,91 € nebst gesetzlicher Zinsen und bezifferter Verfahrenskosten, der der Antragsgegnerin am 24. November 2004 zugestellt wurde. Gegen den Mahnbescheid hat diese innerhalb der ihr gesetzten Frist von 50 Tagen Widerspruch eingelegt. Am 18. April 2005 wurde der Mahnbescheid von dem Richter für Vorermittlungen am Tribunale di Lucca im Widerspruchsverfahren für vorläufig vollstreckbar erklärt. Die Vollstreckungsklausel wurde am 30. Juni 2005 erteilt. Einen Antrag der Antragsgegnerin auf Aufhebung der vorläufigen Vollstreckbarkeit hat das Tribunale civile di Lucca am 9. Dezember 2005 als unbegründet zurückgewiesen.

Entsprechend dem Begehren der Antragstellerin hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des für den Sitz der Antragsgegnerin zuständigen Landgerichts Zweibrücken mit Beschluss vom 28. November 2005 angeordnet, den vorbezeichneten italienischen Mahnbescheid - hinsichtlich des Zinssatzes konkretisiert - mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Dagegen richtet sich die am 21. Dezember 2005 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin. Zur Begründung trägt sie vor, der Mahnbescheid sei nicht als Entscheidung im Sinne der Art. 32, 38 EuGVVO anzusehen, da in Italien das kontradiktorische Verfahren noch nicht abgeschlossen und das rechtliche Gehör noch nicht vollständig gewährt worden sei.

II.

Auf das vorliegende Verfahren betreffend die Vollstreckbarerklärung des gegen die Antragsgegnerin in Italien erlassenen Mahnbescheids finden die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO) Anwendung, welche am 1. März 2002 in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft - mit Ausnahme Dänemarks - in Kraft getreten ist.

Das Rechtsmittel ist danach gemäß Art. 43 EuGVVO i. V. m. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2b, 11 Abs. 1, 55 AVAG statthaft und auch im Übrigen verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist rechtzeitig innerhalb der Frist des Art. 43 Abs. 5 EuGVVO beim Oberlandesgericht eingelegt worden und entspricht der von § 11 Abs. 1 Satz 1 AVAG bestimmten Form.

In der Sache führt die Beschwerde nicht zum Erfolg.

Der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken hat den Mahnbescheid des Tribunale civile di Lucca vom 26. Oktober 2004 zu Recht für vollstreckbar erklärt.

Die Förmlichkeiten der Art. 53 und 54 EuGVVO sind gewahrt. Insbesondere hat die Antragstellerin die Bescheinigung nach Art. 54 EuGVVO vorgelegt.

Zutreffend ist der Vorsitzende der Zivilkammer davon ausgegangen, dass der in dem italienischen Ausgangsverfahren von dem Richter für Vorermittlungen für vorläufig vollstreckbar erklärte Mahnbescheid eine Entscheidung im Sinne der Art. 32, 38 EuGVVO darstellt.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu der gleich gelagerten Problematik des Art. 25 EuGVÜ kann eine Entschließung dann als "Entscheidung" anerkannt werden, wenn sie von einem Rechtsprechungsorgan erlassen worden ist, das kraft seines Auftrags selbst über zwischen den Parteien bestehende Streitpunkte entscheidet. Weitere Voraussetzung ist, dass einer Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung im Urteilsstaat nach unterschiedlichen Modalitäten ein kontradiktorisches Verfahren vorausgegangen ist oder hätte vorausgehen können. Hierfür reicht es aus, dass nach Ende eines nicht kontradiktorischen ersten Verfahrensabschnitts die Sache Gegenstand einer kontradiktorischen Erörterung sein konnte, dass also die Wirksamkeit der Entschließung erst dann eintritt, wenn der Schuldner Gelegenheit hatte, seine Rechte geltend zu machen (EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2004 - C - 39/02, Rdnrn. 43-52 - und Urteil vom 13. Juli 1995 - C - 474/93 -, veröffentlicht in IPrax 1996, 262; OLG Köln, Beschluss vom 17. November 2004 - 16 W 31/04 -, veröffentlicht in juris).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Im Gegensatz zu dem, der Entscheidung des Senats vom 22. September 2005 - 3 W 175/05 - zugrunde liegenden Fall, in dem der Mahnbescheid ohne vorherige Anhörung der dortigen Antragsgegnerin sofort in vorläufig vollstreckbarer Form erlassen wurde (Art. 642 c.p.c.), erfolgte im Streitfall die Gewährung der vorläufigen Vollstreckung des Mahnbescheids, nachdem die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt und ihre Einwendungen vorgebracht hatte (Art. 648 c.p.c.). Der Abschluss des Klageverfahrens erster Instanz, in das das italienische Mahnverfahren nach Einlegung des Widerspruches übergeht, ist nicht erforderlich; vielmehr reicht es gemäß Art. 38 EuGVVO aus, dass der Mahnbescheid vorläufig vollstreckbar ist. Die EuGVVO verlangt keine "Endgültigkeit" der Entscheidung, sondern eröffnet zur Verbesserung der Effektivität des grenzüberschreitenden Rechtsschutzes auch nur vorläufigen Entscheidungen die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung (Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 32 Brüssel I-VO Rdnr. 7).

Der Vollstreckbarkeitserklärung stehen auch keine Anerkennungs- und damit Vollstreckungshindernisse nach Art. 45 Abs. 1, 34 EuGVVO entgegen.

Ein Verstoß gegen den deutschen ordre public (Art. 34 Nr. 1 EuGVVO) ist nicht ersichtlich.

Eine Anwendung dieser Klausel kommt nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Anerkennungsstaates stünde. Damit das Verbot der Nachprüfung der ausländischen Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit (Art. 45 Abs. 2 EuGVVO) gewahrt bleibt, muss es sich bei dem Verstoß um eine "offensichtliche" Verletzung einer in der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (Rauscher/Leible, aaO, Art. 34 Brüssel I-VO Rdnr. 9 m.w.N.).

Der Umstand, dass der Mahnbescheid trotz des von der Antragsgegnerin eingelegten Widerspruchs für vorläufig vollstreckbar erklärt wurde, lässt nicht den Schluss darauf zu, dass das italienische Gericht ihr Verteidigungsvorbringen unter Verletzung der Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs nicht beachtet hat. Dies trägt die Antragsgegnerin auch nicht vor.

Der Zustellung der Vollstreckungsanordnung vom 18. April 2004 bedurfte es nicht. Sie ist entbehrlich, wenn sie nach dem Recht des Ursprungsstaates keine Vollstreckbarkeitsbedingung ist (Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 53 EuGVVO, Rdnr. 4). Dies ist hier der Fall; denn in Art. 654 Abs. 2 c.p.c. ist bestimmt, dass zum Zweck der Vollstreckung eine neuerliche Zustellung des für vollstreckbar erklärten Mahnbescheids nicht notwendig ist.

Einer Wertfestsetzung hinsichtlich der Gerichtskosten bedarf es nicht, weil für das Rechtsmittelverfahren betreffend die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel eine Festgebühr bestimmt ist (Kostenverzeichnis 1520 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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