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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 30.09.2003
Aktenzeichen: 5 U 18/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
Zur augenärztlichen Behandlung einer intraokularen Infektion bzw. Endophtalmitis nach Kataraktoperation durch Vitrektomie.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 5 U 18/02

Verkündet am: 30. September 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken

durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hoffmann sowie die Richter am Oberlandesgericht Geisert und Kratz

auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Grundurteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 22. Mai 2002 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf eine Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 12 000,00 EUR abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision gegen das Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am ....... 1922 geborene, jetzt 81 Jahre alte Klägerin nimmt den Beklagten im Zusammenhang mit einer augenärztlichen Behandlung auf Schmerzensgeld und Rentenzahlung in Anspruch.

Die Klägerin befand sich seit dem Jahr 1997 in augenärztlicher Behandlung bei dem Beklagten wegen beidseitigen grauen und grünen Stars. Nach operativen Eingriffen in den Jahren 1998 und 1999 an beiden Augen wurde am 5. Mai 1999 links eine ambulante Kataraktoperation mit Implantation einer Kunstlinse vorgenommen. Eine schriftliche Einverständniserklärunq der Klägerin datiert vom 15. Februar 1999.

Bei der zweiten postoperativen Kontrolle am 8. Mai 1999 stellte der Beklagte eine intraokulare Infektion des operierten Auges fest, die er bei Gabe von Schmerzmitteln und Corticoiden konservativ mit Antibiotika ( anfangs intravenös, später oral ) behandelte. Am 10. Mai 1999 war der Klägerin mit dem linken Auge nur noch ein Heil-Dunkel-Sehen möglich. In der Folgezeit erblindete die Klägerin auf diesem Auge vollständig. Es bestand weiterhin eine Schmerzsymptomatik.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Erblindung sei auf einen Behandlungsfehler des Beklagten zurückzuführen. Nach Feststellung der Augeninfektion hätte umgehend eine Vitrektomie vorgenommen und/oder intraokulare bzw. intravitriale Antibiotikagaben verabreicht werden müssen. Sie sei vor der Operation vom 5. Mai 1999 auf das Risiko einer Erblindung nicht hingewiesen worden. Auf die schriftliche Einverständniserklärung vom 15. Februar 1999 könne sich der Beklagte schon wegen des zeitlichen Abstandes nicht mehr berufen. Der Beklagte habe sie auf die Möglichkeit der Vitrektomie als Behandlungsalternative nicht hingewiesen.

Infolge der Erblindung sei sie auf fremde Hilfe für die Führung des Haushaltes angewiesen, den sie zuvor in vollem Umfang habe versorgen können.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen,

1. an sie ein Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch 80 000,-- DM, zu zahlen;

2. an sie eine lebenslängliche, vierteljährlich vorauszahlbare, monatliche Rente seit 1. Juni 1999 in Höhe eines Betrages zu zahlen, dessen Festsetzung in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch 600,-- DM.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat geltend gemacht, der Krankheitsverlauf bei der Klägerin sei schicksalhaft. Die von ihm gewählte Behandlungsmethode sei jedenfalls vertretbar. Die konservative Behandlung habe die Ausgangssituation für ein operatives Vorgehen schaffen sollen. Zu einer Vitrektomie sei es dann jedoch wegen einer nicht vorhersehbaren, mit der Entzündung nicht in Zusammenhang stehenden Komplikation nicht mehr gekommen. Die Klägerin sei vor einer gleichartigen Operation am rechten Auge im Februar 1999 aufgeklärt worden. Die Möglichkeit einer Vitrektomie sei nach Auftreten der Infektion mit der Klägerin wiederholt besprochen worden.

Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie eines mündlich erstatteten Zusatzgutachtens die Haftung des Beklagten durch das angefochtene Grundurteil festgestellt. Ein Behandlungsfehler liege jedenfalls in dem weiteren Zuwarten des Beklagten mit einem operativen Eingriff über den 10. Mai 1999 hinaus. Die Erblindung der Klägerin sei hierdurch kausal verursacht worden. Der Beklagte hafte darüber hinaus auch wegen unzureichender Aufklärung über Behandlungsalternativen nach Auftreten der Entzündung. Der Beklagte habe eine entsprechende Aufklärung nicht dokumentiert und sei als beweisfällig anzusehen.

Der Beklagte hat gegen das Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt. Er trägt noch vor, die Kammer sei zu Unrecht von einem Kausalitätsnachweis des Behandlungsfehlers für eine Erblindung der Klägerin ausgegangen. Der Sachverständige Prof. V... habe in seinem schriftlichen Gutachten eine Erblindung des linken Auges auch bei einer regelrecht durchgeführten Operation nicht ausschließen können. Das mündliche Gutachten von Prof. K... habe nichts anderes ergeben. Die von Letzterem zitierte Studie sei auf den vorliegenden Fall nicht zu übertragen, da hierfür von vornherein Patienten ohne weitergehende Risiken ausgewählt worden seien.

Die Prüfung eines anderweitigen Kausalverlaufs, die das Landgericht im Urteil angestellt habe, beruhe auf einer krassen Fehlbewertung der Kausalitätsfrage.

Das Landgericht habe die Beweislast der Klägerin betreffend die Aufklärungsrüge verkannt. Im Übrigen gelte hinsichtlich der Kausalität eines Aufklärungsmangels das Vorstehende entsprechend.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt noch vor, die Erklärung des Sachverständigen Prof. K..., eine Vitrektomie sei unabdingbar, wenn der Patient nur noch hell-dunkel sehe, deute auf einen groben Fehler des Beklagten hin.

Der Beklagte habe in erster Instanz ausreichend Gelegenheit gehabt, Ausführungen zur Frage der Kausalität des Behandlungsfehlers zu machen, ohne hiervon Gebrauch zu machen. Zwischenzeitlich habe ihr linkes Auge entfernt werden müssen (Enukleation), was ebenfalls auf die Fehlbehandlung durch den Beklagten zurückzuführen sei.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 26. November 2002 (Bl. 217 f d.A.) durch Einholung eines weiteren schriftlichen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. C... O.... Auf das schriftliche Gutachten vom 3. April 2003 (Bl. 237 f d.A.) wird verwiesen. Der Privatdozent Dr. L...-O... H., hat im Senatstermin vom 9. September 2003 ein erläuterndes Zusatzgutachten erstattet (Sitzungsniederschrift des Senats Bl. 276 f d.A.).

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf das erstinstanzliche Urteil sowie die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist zulässig.

Die mit dem Rechtsmittel vorgetragenen Einwendungen betreffend die Kausalität eines möglichen Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden bezeichnen im Rahmen der Berufungsbegründung in nicht zu beanstandender Weise diejenigen Anhaltspunkte, welche nach Auffassung des Beklagten Zweifel an der Richtigkeit des landgerichtlichen Urteils rechtfertigen (vgl. § 520 Abs. 3 ZPO). Der Beklagte wendet sich damit nicht etwa verspätet gegen die Ausführungen der erstinstanzlich zugezogenen Sachverständigen, sondern gegen die rechtliche Würdigung der Kammer in der angefochtenen Entscheidung.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen den Beklagten weder auf deliktischer noch auf vertraglicher Grundlage zu.

Nicht zu beanstanden ist allerdings im Ergebnis die vom Landgericht vertretene Auffassung, wonach die vom Beklagten angewandte Methode zur Behandlung der im linken Auge der Klägerin aufgetretenen intraokularen Infektion nicht ärztlichem Standard entsprach.

Die Kammer ist auf der Grundlage der ersttinstanzlichen Sachverständigengutachten davon ausgegangen, dass spätestens am 10. Mai 1999, als auf dem linken Auge nur noch ein Hell-Dunkel-Sehen für die Klägerin möglich war, eine operative Intervention durch Vitrektomie erforderlich gewesen wäre. Dies steht in Einklang mit dem vom Senat eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachten des Prof. Dr. med. O.... Die gerichtlichen Gutachter legen ebenso wie die Sachverständige der Schlichtungsstelle der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, Prof. Dr. med. Öl..., in ihrem Gutachten vom 10. Januar 2000 dieser insoweit übereinstimmenden Beurteilung die im Jahr 1995 veröffentlichten Ergebnisse einer umfangreichen Studie aus den USA zur Behandlung intraokularer Entzündungen nach Katarakt-Operationen, die "Endophthalmitis Vitrectomy Study", zu Grunde. Danach ergab sich eine statistisch signifikante Verbesserung der Prognose durch frühzeitige Vitrektomie bei Patienten mit einem anfänglichen Sehvermögen von hell/dunkel ("Lichtschein").

Der Beklagte zieht nicht in Zweifel, dass das Ergebnis der Studie den Standard der therapeutischen Vorgehensweise bei Endophthalmitis seither maßgebend beeinflusst hat. Er ist allerdings der Auffassung, dass dieses auf den vorliegenden Fall nicht ohne Weiteres übertragen werden könne, da in die Studie keine Patienten mit weitergehenden Komplikationen (über die Endophthalmitis hinaus) einbezogen worden seien, während bei der Klägerin erhebliche weitergehende Vorschädigungen, insbesondere beim Sehnerv, vorgelegen hätten.

Der vom Senat dazu gehörte Sachverständige Privatdozent Dr. H... hat ausgeführt, dass im praktischen Alltag oftmals eine generalisierende Betrachtungsweise der Ergebnisse solcher Studien erforderlich sei, da naturgemäß klinische Studien nicht zu jeder Einzelfallkonstellation vorlägen. Gleichwohl hat er es - insoweit in Übereinstimmung mit dem vom Landgericht gehörten Sachverständigen Prof. K... - als plausibel bezeichnet, dass der Beklagte angesichts der Vorschäden von einem operativen Eingriff hat absehen wollen.

Der Senat kann es letztlich offen lassen, ob es behandlungsfehlerhaft war von einer Vitrektomie im vorliegenden Fall abzusehen. Denn jedenfalls war die konservative Therapie in der angewandten Form keine ausreichende Versorgung der intraokularen Entzündung. Der Sachverständige Privatdozent Dr. H... hat überzeugend dargelegt, dass die über eine Infusion bzw. oral verabreichten Antibiotika regelmäßig nicht zu einem ausreichenden Wirkstoffspiegel am Ort der Entzündung führen und daher bei Wahl einer konservativen Behandlungsmethode jedenfalls eine Keimbestimmung nach Biopsie und eine darauf abgestimmte intraokulare Antibiotikagabe erforderlich gewesen wäre. Insoweit ist nach der Überzeugung des Senats ein Behandlungsfehler gegeben.

Zutreffend ist das Landgericht auch davon ausgegangen, dass die Klägerin die Beweislast für die haftungsbegründende Kausalität, d.h. Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden, trifft. Nicht gefolgt werden kann dem Landgericht aber darin, dass dieser Nachweis als erbracht anzusehen ist.

Die bei der Klägerin aufgetretene Endophthalmitis war zwar geeignet, den Krankheitsverlauf wie eingetreten hervorzurufen. Grundlage der Haftung des Beklagten ist jedoch nicht die Verursachung dieser Infektion, etwa durch unzureichende Hygiene bei Durchführung der Katarakt-Operation. Ihm liegt vielmehr ein Behandlungsfehler durch Unterlassen der gebotenen therapeutischen Maßnahmen zur Last. Die Klägerin trifft in diesem Falle die Beweislast dahin, dass bei richtiger Behandlung entsprechend dem medizinischen Standard die Entzündung hätte beherrscht und das linke Auge hätte erhalten werden können (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl., Teil B, Rdnr. 218 mit Rechtsprechungsnachweisen). Wenn vorliegend der Beklagte bestreitet, dass der Gesundheitsschaden durch eine andere Behandlung, insbesondere eine Vitrektomie, vermieden worden wäre, behauptet er nicht - wie vom Landgericht erwogen - einen anderen hypothetischen Kausalverlauf. Er bestreitet damit schlicht die Ursächlichkeit des ihm zur Last liegenden ärztlichen Fehlverhaltens. Nach den bereits im ersten Rechtszug eingeholten Sachverständigengutachten kann eine Erblindung des betreffenden Auges weder für den Fall einer rechtzeitig durchgeführten Vitrektomie noch bei einer konservativen Behandlung entsprechend dem dargelegten ärztlichen Standard ausgeschlossen werden.

Eine Haftung des Beklagten aufgrund eines Behandlungsfehlers erfordert daher, dass der Klägerin hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität Beweiserleichterungen zugute kommen, die in Fällen sog. grober Behandlungsfehler bis zur Beweislastumkehr führen können (BGH NJW 2000, 2741; NJW 1999, 862). Generell ist ein Behandlungsfehler als grob in diesem Sinne zu bewerten, wenn ein medizinisches Fehlverhalten vorliegt, das aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein Verstoß gegen elementare medizinische Behandlungsstandards oder elementare medizinische Erkenntnisse vorliegt.

Einen elementaren Behandlungsfehler in diesem Sinne hat bereits das Landgericht auf der Grundlage des Zusatzgutachtens des Prof. Dr. Kr... verneint. Auch der Senat kann einen groben Behandlungsfehler vorliegend nicht feststellen. Maßgebend hierfür ist, dass die Wahl der konservativen Behandlungsmethode nicht als schlechterdings unvertretbar im oben dargestellten Sinn angesehen werden kann. Der Beklagte wollte zunächst mit plausibler Begründung einen weiteren Eingriff in das mehrfach operierte Auge vermeiden. Die Auffassung des Beklagten in der Folgezeit, die angewandte Therapie spreche an und sei erfolgreich, kann ebenfalls nicht als elementar fehlerhaft angesehen werden. Dabei hat sich der Beklagte auf den Krankheitsverlauf in der Augenvorderkammer, wo eine Besserung des Reizzustandes und vollständige Rückbildung des Hypopyons eintraten, verlassen. Allerdings war ab der Diagnose der Infektion ein Einblick in den hinteren Augenabschnitt nicht mehr möglich, so dass der Infektionsverlauf dort nicht sicher beurteilt werden konnte. Andere Diagnosemethoden standen hierfür aber nicht zur Verfügung.

Eine Haftung des Beklagten wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht scheidet im Ergebnis ebenfalls aus. Es ist schon zweifelhaft, ob vorliegend eine echte Behandlungsalternative - Vitrektomie oder konservative Behandlung - bestand, über die aufzuklären gewesen wäre (vgl. zur Aufklärungspflicht in diesem Fall etwa Geiß/Greiner aaO, Teil C Rdnr. 29). Dies kann schon deshalb dahingestellt bleiben, weil die gewählte Behandlungsmethode nicht ärztlichem Standard entsprach und insoweit nicht eine Aufklärung der Patientin sondern eine regelgerechte Therapiewahl geboten war. Da die Vermeidbarkeit des eingetretenen Gesundheitsschadens für jede der in Betracht kommenden, nicht fehlerhaften Therapien aber nicht feststeht, scheitert jedenfalls auch deshalb eine Haftung des Beklagten wegen unzureichender Aufklärung über Behandlungsalternativen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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