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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 19.09.2003
Aktenzeichen: 6 WF 167/03
Rechtsgebiete: FGG, GG


Vorschriften:

FGG § 33
GG Art. 13
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen im Rahmen der Vollstreckung eines Titels auf Herausgabe eines Kindes gemäß § 33 FGG die Wegnahme des Kindes von Dritten, auch unter Anwendung von Gewalt gegen Dritte und Durchsuchung von deren Wohnung, zulässig ist.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 6 WF 167/03

In der Familiensache

betreffend die Vollstreckung einer Anordnung über die Rückführung der Kinder ... alle wohnhaft bei der Mutter, ...

hier: Vollstreckungsanordnungen gegen Dritte,

hat der 6. Zivilsenat - Familiensenat - des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch die Richterinnen am Oberlandesgericht Euskirchen und Schlachter und den Richter am Oberlandesgericht Kratz auf die Beschwerden des Vollstreckungsgläubigers vom 14. August 2003 gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts - Familiengericht - Zweibrücken vom 6. August 2003,

ohne mündliche Verhandlung am 19. September 2003

beschlossen:

Tenor:

I. Die angefochtenen Beschlüsse werden teilweise geändert und insgesamt neu gefasst:

1. Auf den Antrag des Vollstreckungsgläubigers vom 9./10. Juli 2003 wird der zuständige Gerichtsvollzieher ermächtigt, im Rahmen der Vollstreckung der Herausgabeanordnung die Kinder auch jedem Dritten wegzunehmen.

2. Auf den Antrag des Vollstreckungsgläubigers vom 4. August 2003 wird der zuständige Gerichtsvollzieher weiter ermächtigt, im Rahmen der Vollstreckung der Herausgabeanordnung auch Gewalt gegen jeden Dritten anzuwenden.

3. Auf den Antrag des Vollstreckungsgläubigers vom 7. Juli 2003 wird der zuständige Gerichtsvollzieher weiter ermächtigt, die Wohnung des Bruders der Vollstreckungsgläubigerin ...und dessen Lebensgefährtin Frau ... in der sich die Kinder derzeit aufhalten, nach den Kindern zu durchsuchen und hierfür erforderlichenfalls die Unterstützung durch die Polizei in Anspruch zu nehmen.

II. Die weitergehenden Anträge vom 9./10. Juli 2003 und vom 4. August 2003 werden abgewiesen.

III. Die Beschwerdeverfahren 6 WF 166/03 und 167/03 sind gerichtsgebührenfrei.

Es wird angeordnet, dass die Vollstreckungsschuldnerin die notwendigen Auslagen des Vollstreckungsgläubigers für beide Beschwerdeverfahren zu erstatten hat.

IV. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird für beide Beschwerdeverfahren auf je 3.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Das zulässige Rechtsmittel des Vaters führt auch in der Sache im Wesentlichen zum Erfolg. Seinen Vollstreckungsanträgen ist in dem aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Umfang stattzugeben.

I.

1. Entgegen der Ansicht des Familiengerichts trifft die im Erkenntnisverfahren laut dem zu vollstreckenden Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts vom 26. Juni 2002 statuierte Herausgabeverpflichtung nicht nur die dort ausdrücklich als Verpflichtete bezeichnete Mutter, sondern jeden Dritten, welcher die tatsächliche Obhut über die herauszugebenden Kinder im Auftrag und nach Weisung der Mutter ausübt. Der Dritte ist in diesem Falle als nur scheinbar Berechtigter gleichsam Obhutsdiener, auf den bei der Vollstreckung gemäß § 33 FGG die bei der Pfändung von Sachen nach den §§ 808, 809 ZPO geltenden Grundsätze entsprechend anwendbar sind. Der Obhutsdiener übt - unabhängig davon, ob in räumlicher Nähe oder weit entfernt - wie der Besitzdiener des § 855 BGB die tatsächliche Gewalt für den Verpflichteten aus, so dass die Obhut (bei Sachen: der Gewahrsam) dem Verpflichteten zuzurechnen ist (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 808 Rdn. 8). Ein solches Scheinobhutsverhältnis kann vor Vollstreckungszugriff nicht schützen, insbesondere wenn der Dritte im Einvernehmen oder gar auf Veranlassung des Verpflichteten die Obhut ausübt, um die herauszugebenden Kinder der Vollstreckung zu entziehen (vgl. Zöller/Stöber, a.a.O., § 809 Rdn.5).

Entscheidend ist somit allein, dass das faktische Obhutsverhältnis von dem Verpflichteten abgeleitet wird, den Weisungen des Verpflichteten unterliegt und von diesem jederzeit beendet werden kann. Dies ist vorliegend der Fall.

Über die vom Vollstreckungsgläubiger begehrten Maßnahmen ist deshalb nicht in einem gesonderten neuen Erkenntnisverfahren, sondern im Verfahren der Vollstreckung des bereits bestehenden Beschlusses gemäß § 33 FGG zu befinden. Andernfalls könnte jede Anordnung zur Herausgabe von Kindern allein dadurch unterlaufen werden, dass die Kinder innerhalb des Familien- und Freundeskreises des Herausgabeverpflichteten von einem zum anderen gereicht werden.

2. Damit erweist sich das Begehren des Vollstreckungsgläubigers als begründet, soweit er die Ermächtigung zur Vollstreckung gegen (unbenannte) Dritte unter Gewaltanwendung begehrt, welche die Kinder auf Weisung der Vollstreckungsschuldnerin in Obhut haben.

3. Da bisher unbestritten vorgetragen ist, dass sich die Kinder derzeit bei dem Bruder der Vollstreckungsschuldnerin und dessen Lebensgefährtin aufhalten, ist als weitere Vollstreckungsmaßnahme die Durchsuchung von deren Wohnung anzuordnen.

Dies rechtfertigt sich schon daraus, dass die Wohnungsinhaber mit der In-Obhutnahme der Kinder einer rechtswidrigen Kindesentziehung durch die Vollstreckungsschuldnerin wissentlich Vorschub leisten. Die Durchsuchung ihrer Wohnung bedeutet für sie keine unverhältnismäßige Härte, da sie sie jederzeit dadurch abwenden können, dass sie die bei Ihnen befindlichen Kinder an den Vollstreckungsgläubiger oder den zuständigen Gerichtsvollzieher oder dessen Hilfsorgane herausgeben.

Auf die vorherige formelle Anhörung der Wohnungsinhaber durch den Senat wird ausnahmsweise zur Sicherung der Rechte des Vollstreckungsgläubigers verzichtet, da dies dazu führen könnte, dass die Kinder wieder an einen anderen Ort gebracht und damit erneut der Vollstreckung entzogen werden. Im Übrigen hatte die Vollstreckungsschuldnerin als gegenüber den Wohnungsinhabern weisungsbefugte Inhaberin des Obhutsrechts für die Kinder Gelegenheit, von dem Begehren des Vollstreckungsgläubigers Kenntnis zu nehmen und die Wohnungsinhaber entsprechend zu informieren und zur Herausgabe der Kinder anzuweisen, um die Wohnungsdurchsuchung zu vermeiden.

4. Einer erneuten Prüfung der sachlichen Voraussetzungen der angeordneten Rückführung der Kinder durch den Senat bedarf es nicht. Es kann keinem Zweifel unterliegen. dass es dem Wohle der Kinder mehr entspricht, wieder beim Vater an ihrem früheren Aufenthaltsort in ... zu leben und dort betreut zu werden, als eine illegale Existenz zeitweise sogar ohne die Mutter mit ständigem Wechsel des Aufenthaltsorts und der Betreuungspersonen führen zu müssen.

II.

1. Das Begehren des Vollstreckungsgläubigers im Antrag vom 4. August 2003, den Gerichtsvollzieher zu ermächtigen, Wohnungen von (nicht namentlich genannten, also noch unbestimmten) Dritten, in denen sich die Kinder aufhalten, zu durchsuchen, ist unbegründet.

Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) verbietet die (generelle oder präventive) Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung gegen eine nicht namentlich genau bezeichnete Person oder gar gegen eine unbestimmte Vielzahl von nicht namentlich bezeichneten Personen. Die Durchsuchung einer Wohnung darf vielmehr nur nach Prüfung des konkreten Einzelfalls gegen einen bestimmten Wohnungseigentümer angeordnet werden.

2. Die weiteren Anträge des Vollstreckungsgläubigers gemäß dem Schriftsatz vom 4. August sind unzulässig.

Für die Ermächtigung zur Anwendung von Gewalt gegen die Kinder fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, da diese bereits im Beschluss des Senats vom 9. April 2003 ausgesprochen wurde und weiterhin Gültigkeit besitzt.

Die Ermächtigung zur Wegnahme der Kinder von Dritten und zur Durchsuchung der Wohnung Dritter ist bereits mit Schriftsatz vom 9. Juli 2003 beantragt worden; dem wiederholten Antrag steht die Rechtshängigkeit entgegen.

III.

Die angefochtenen Entscheidungen können deshalb keinen Bestand haben. Die Rechtssache ist vielmehr zur Entscheidung reif, ohne dass es weiterer Maßnahmen bedarf. Der Senat entscheidet deshalb unter Verzicht auf die an sich gebotene Zurückverweisung an das Familiengericht selbst. Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung, da von einer persönlichen Anhörung der Beteiligten eine zusätzliche Aufklärung nicht zu erwarten ist. Zudem ist Eile geboten, da Gegenstand des Verfahrens die Vollstreckung eines rechtskräftigen Titels ist.

Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens entscheidet der Senat gemäß den §§ 131 Abs. 3 KostO, 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Den Wert des Beschwerdegegenstandes setzt der Senat gemäß § 30 Abs. 2 und 3 KostO fest.

Ende der Entscheidung

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