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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 13.07.2005
Aktenzeichen: 6 M 145.04
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, SGB X, BAföG


Vorschriften:

VwGO § 154 Abs. 2
VwGO § 166
ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 4
SGB X § 45
SGB X § 45 Abs. 1
SGB X § 45 Abs. 2
SGB X § 45 Abs. 3
SGB X § 45 Abs. 4
SGB X § 45 Abs. 2 Satz 1
SGB X § 45 Abs. 2 Satz 2
SGB X § 45 Abs. 2 Satz 3
SGB X § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3
SGB X § 50
BAföG § 13 Abs. 2 Nr. 1
BAföG § 13 Abs. 2 Nr. 2
BAföG § 13 Abs. 3 a
BAföG § 50 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
6 M 145.04

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg am 13. Juli 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. September 2004 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 30. September 2004 den Antrag abgelehnt, dem Kläger Prozesskostenhilfe für seine Klage gegen den Bescheid vom 20. Mai 2002 (Nr. 1 - 3) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2002 über die teilweise Rücknahme eines Bescheides zur Bewilligung von Ausbildungsförderung sowie die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen zu bewilligen. Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde (vgl. §§ 146 Abs. 1, 147 Abs. 1 VwGO) gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO davon abhängig, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Die Bewertung des Verwaltungsgerichtes, wonach es hier an einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage fehle, weil der Bescheid - soweit er angefochten wurde - sich voraussichtlich als rechtmäßig erweisen werde, ist nicht zu beanstanden.

Auf die hier erfolgte Rücknahme des Bescheides vom 20. Juni 2001 über die Bewilligung von Ausbildungsförderung sowie die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen sind die Regelungen der §§ 45, 50 SGB X anwendbar (vgl. Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, § 20 Anh. 1). Soweit ein begünstigender Verwaltungsakt rechtswidrig ist, darf er gemäß § 45 Abs. 1 SGB X unter den Einschränkungen der §§ 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Er darf nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte hingegen nicht berufen, soweit ein Ausschlussgrund nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegt.

Dass der ursprüngliche den Kläger begünstigende Bewilligungsbescheid - soweit er zurückgenommen wurde - rechtswidrig im Sinne von § 45 Abs. 1 SGB X war, ist vom Verwaltungsgericht näher ausgeführt worden (vgl. EA S. 2 und 3) und ist zwischen den Beteiligten auch im Beschwerdeverfahren nicht in Streit. Der Beklagte hatte nämlich irrtümlich den (erhöhten) Unterkunftsbedarf des Studierenden nach der Regelung des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG bemessen, welche nur für Auszubildende gilt, die nicht bei ihren Eltern wohnen. Der Kläger bewohnt aber tatsächlich - wie er in seinem Antrag richtig angegeben hat - Wohnraum, der im Eigentum der Eltern steht, weshalb er gemäß § 13 Abs. 3 a BAföG im rechtlichen Sinne bei seinen Eltern wohnt und sein Unterkunftsbedarf demnach gemäß §13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG (niedriger) zu bemessen war.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass das Vertrauen des Klägers auf den Bestand des Bewilligungsbescheides nicht schutzwürdig sei, weil er sich gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X auf ein Vertrauen nicht berufen könne. Der Kläger habe - so das Verwaltungsgericht - die (teilweise) Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes in Folge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, weil er die erforderliche Sorgfalt bei der Überprüfung des Bewilligungsbescheides verletzt habe (vgl. näher EA S. 3 f.).

Der Kläger macht hingegen im Wesentlichen geltend, grobe Fahrlässigkeit liege hier nicht vor. Er habe den Bewilligungsbescheid gelesen und geprüft, ohne dass ihm dessen Fehlerhaftigkeit aufgefallen sei. Das Verwaltungsgericht überspanne die Anforderungen an die Pflicht der Bürger zur Überprüfung der Bewilligungsbescheide über Ausbildungsförderung. Es könne von ihm als juristischen Laien keine "stundenlange Überprüfung" anhand der Schlüsselzahlen des Bescheides verlangt werden.

Dieses Vorbringen rechtfertigt im Ergebnis keine vom Verwaltungsgericht abweichende Beurteilung.

Nach dem Ausschlussgrund des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen(-sschutz) im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gegeben, wenn der Kläger als Begünstigter die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat; er also schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteilsfähigkeit und dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen (sog. subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 - B 11 AL 21.00 - FEVS 52, 494 m.w.N.; vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 2. März 2004 - OVG 5 M 8.04 -; LSG für das Land Brandenburg, Urteil vom 24. Mai 2000 - L 8 AL 83.99 - veröffentlicht in Juris). Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1987 - 5 C 54.82 -, Buchholz 436.36 zu § 20 BAföG Nr. 24 m.w.N.; VGH BW, Urteil vom 4. März 1996 - 7 S 2275.95 -; ähnlich OVG Berlin, Urteil vom 12. Januar 1983 - 7 B 23.82 - Ls., beide veröffentlicht in Juris) ist der Auszubildende gehalten, dazu beizutragen, rechtswidrige Leistung von Ausbildungsförderung an ihn zu vermeiden. Daraus ergibt sich die Verpflichtung des Auszubildenden, Bewilligungsbescheide zu prüfen und auf Überzahlungen zu achten. Diese Verpflichtung lässt sich nicht nur aus dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben herleiten. Sie wird im Recht der Ausbildungsförderung auch dadurch nahe gelegt, dass die Behörde ihrerseits nach § 50 Abs. 2 Nr. 1 BAföG verpflichtet ist, in dem Bescheid u.a. die Höhe und Zusammensetzung des Bedarfs des Auszubildenden anzugeben. Sinn dieser Vorschrift ist es, dem Auszubildenden die behördliche Entscheidung einsichtig zu machen und eine Nachprüfung der Berechnung zu ermöglichen. Dem entspricht es, wenn umgekehrt vom Auszubildenden erwartet wird, dass er diese Nachprüfung auch vornimmt und die Behörde auf für ihn ersichtliche Fehler oder Unklarheiten hinweist. Ein Vorwurf des grob fahrlässigen Nichterkennens der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides kommt im Regelfall allerdings nur dann in Betracht, wenn die Angaben im Bewilligungsbescheid selbst ergeben, dass der Förderungsanspruch in der bewilligten Höhe nicht bestehen kann, oder wenn auf Grund der Angaben im Bescheid der Auszubildende begründete Zweifel an der Höhe der Leistungsbewilligung haben muss.

Gemessen an diesem Maßstab hat der Kläger, der trotz seines kurzzeitigen Studiums der Rechtswissenschaft hinsichtlich seiner persönlichen Urteilsfähigkeit und seines Einsichtsvermögens noch als - nicht juristisch geschulter - durchschnittlicher Studierender anzusehen ist, die teilweise Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides über die Leistung zur Ausbildungsförderung infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt. Unter Anlegung der gebotenen Sorgfalt hätte er nämlich bei der Vornahme einer Prüfung des Bewilligungsbescheides relativ einfach und klar feststellen können, dass die in diesem unter "K. sonstige Angaben" im Feld 131 angegebenen Feststellungen zum Umstand, er bei seinen Eltern bzw. im Eigentum der Eltern stehenden Raum wohnt, nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Der Umstand, dass die Angaben im Feld 131 in dem Bescheid nicht offen durch Text, sondern durch die Zahl "1" verschlüsselt dargestellt ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn es ist dem Studierenden im Hinblick auf die fortschreitende Automatisierung der Berechnungsvorgänge bei der Bewilligung von Ausbildungsförderung als Vorgang einer Massenverwaltung grundsätzlich zuzumuten, Schlüsselkennzahlen anhand beigefügter Erläuterungen zu entschlüsseln (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 1972 - VI 24.69 -, BVerwGE 40, 212 für Versorgungsempfänger). Nach dem Erkenntnisvermögen eines durchschnittlichen Studierenden hätte der Kläger daher allein mit Hilfe der auf der Rückseite eines Bescheides über die Bewilligung von Ausbildungsförderung befindlichen Erläuterungen zu Feld 131 sowie auf Grund nahe liegender und einfachster Überlegungen erkennen können, dass der Beklagte ihn (fälschlicherweise) als Auszubildenden behandelt hat, der nicht bei seinen Eltern oder im Eigentum der Eltern stehenden Wohnraum wohnt und dass es infolge dessen zu einer rechtswidrigen Überzahlung gekommen ist. Entgegen der Behauptung des Klägers ist hierzu keine "stundenlange Überprüfung" erforderlich. Vielmehr bedarf es für eine solche Nachprüfung nur weniger Minuten, zumal - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - hierzu keine weiteren, über den Bescheid hinausgehenden Nachforschungen, etwa zum Bundesausbildungsförderungsgesetz erforderlich gewesen wären. Die hier anzuwendenden Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Bedarfsregelung (vgl. § 13 Abs. 2 und 3 a BAföG) sind in den Erläuterungen zu dem Bewilligungsbescheid wiedergegeben. Dass der dem Kläger übersandte Bewilligungsbescheid vom 20. Juni 2001 atypischerweise auf seiner Rückseite derartige Erläuterungen nicht enthalten hat, hat der Kläger nicht ansatzweise geltend gemacht.

Ausweislich der letzten Seite des "Bescheidzusatzes" vom 20. Mai 2002 hat der Beklagte das durch § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X eröffnete Ermessen ("darf") darüber, ob er den Bewilligungsbescheid zurücknimmt nicht verkannt. Es ist auch nicht ersichtlich, das er es fehlerhaft ausgeübt hätte, denn bei dem hier vorliegenden Sachverhalt des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X hat die Ermessensbetätigung der Behörde im Normalfall zur Rückgängigmachung des Verwaltungsaktes zu führen (vgl. BVerwGE, Urteil vom 17. September 1987 - 5 C 26.84 -, BVerwGE 78, 101). Besondere Gründe, die eine andere Ermessensbetätigung erfordert hätten, hat der Kläger nicht beigebracht. Den Umstand, dass die fehlerhafte Bewilligung allein vom Beklagten verursacht worden ist, hat dieser im Widerspruchsbescheid gewürdigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 166 VwGO i.V.m § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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