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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 18.11.2008
Aktenzeichen: OVG 1 B 2.07
Rechtsgebiete: GG, VersG


Vorschriften:

GG Art. 8
VersG § 15 Abs. 1
1. a) Das aus dem Versammlungsgrundrecht abgeleitete Selbstbestimmungsrecht des Anmelders einer Versammlung über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Versammlung schließt grundsätzlich auch die Verwendung technischer Schallverstärkung (Lautsprecher, Megaphone) ein.

b) Dieses Selbstbestimmungsrecht ist allerdings nicht schrankenlos, sondern wird durch kollidierende Rechte Dritter begrenzt.

2. Gesichtspunkte der Binnenkommunikation der Versammlungsteilnehmer erfordern einen Einsatz technischer Schallverstärkung ab 40 Versammlungsteilnehmern stets; je nach Umständen des Einzelfalls kann der Einsatz technischer Schallverstärkung auch schon ab 20 Teilnehmern erforderlich sein.

3. Der Einsatz technischer Schallverstärkung ist darüber hinaus als Ausfluss des kommunikativen Gehalts des Versammlungsgrundrechts als einem Akt kollektiver Meinungskundgabe auch zum Zwecke der Erregung der Aufmerksamkeit Außen-stehender - sog. Außenkommunikation - in den vorstehend erwähnten Grenzen zulässig.

4. Zu den Anforderungen an die Abwägung zwischen außenkommunikativen Anliegen und kollidierenden Rechten Dritter im Einzelfall.


OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

OVG 1 B 2.07

Verkündet am 18.11.2008

hat der 1. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Wolnicki, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dahm, den Richter am Verwaltungsgericht Eidtner und die ehrenamtlichen Richterinnen Dietrich und Graeger für Recht erkannt:

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat.

Im übrigen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. Dezember 2005 teilweise abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Untersagung bzw. Beschränkung der Benutzung von Lautsprecheranlage bzw. Megaphonen am 17. April 2003 auch bei der Versammlung am Arbeitsamt Kreuzberg/Charlottenstraße und bei der Versammlung am U-Bhf. Samariterstraße rechtswidrig war.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Klägerin und der Beklagte jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1fachen des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen Einschränkungen für die Benutzung von Megaphonen, durch die sie sich in ihrem Versammlungsgrundrecht beeinträchtigt sieht.

Die Klägerin meldete mit Faxschreiben vom 12. April 2003 für den 17. April 2003 im Rahmen eines sog. "Aktionstages gegen den Krieg" insgesamt sechs Kundgebungen an, die

- um 08.00 Uhr in der Charlottenstraße (vor dem Arbeitsamt Kreuzberg, nachfolgend kurz als "Versammlung Nr. 1" bezeichnet),

- um 10.00 Uhr vor dem Verteidigungsministerium (Reichpietschufer Ecke Stauffenbergstr., nachfolgend kurz als "Versammlung Nr. 2" bezeichnet),

- um 14.00 Uhr in der Nähe der US-Botschaft (Unter den Linden Ecke Neustädtische Kirchstr., nachfolgend kurz als "Versammlung Nr. 4" bezeichnet),

- um 16.30 Uhr am U-Bahnhof Samariterstraße (nachfolgend kurz als "Versammlung Nr. 5" bezeichnet),

- um 18.00 Uhr auf dem Hermannplatz (nachfolgend kurz als "Versammlung Nr. 6" bezeichnet) und

- um 19.30 Uhr auf dem Heinrichplatz (nachfolgend kurz als "Versammlung Nr. 7" bezeichnet)

stattfinden sollten, wobei jeweils 30 Minuten vor dem Versammlungsbeginn mit dem Aufbau begonnen werden sollte; die Klägerin gab an, dass ein Lautsprecherwagen sowie mehrere Handmegaphone mitgeführt werden sollten. Auf dem Anmeldefax befinden sich zwei handschriftliche Bearbeitungsvermerke, denen zufolge es bei einer für den 15. Juni 2002 von der Klägerin angemeldeten Demonstration zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit Auflagen, die Lautstärke der Lautsprecher zu mindern, gekommen sein soll, und vor einer abschließenden Bearbeitung weitere Einzelheiten zum geplanten Ablauf zu erfragen seien.

Mit Schreiben vom 14. April 2003 forderte der Beklagte die Klägerin auf, Angaben zu der erwarteten Teilnehmerzahl, zu den an den einzelnen Standorten geplanten Aufbauten und zu der bei Versammlung Nr. 7 beabsichtigten Filmvorführung zu machen; ferner solle die Klägerin eine(n) verantwortliche(n) Leiter(in) für die sechs Versammlungen benennen und genauere Angaben zu den jeweils angemeldeten Örtlichkeiten machen. Mit Antwortschreiben vom 15. April 2003 teilte die Klägerin mit, sie selbst sei jeweils Versammlungsleiterin, es würden jeweils 50 bis 150 Teilnehmer erwartet, es seien keine Aufbauten beabsichtigt, und es solle ein "Kriegs- bzw. Antikriegsfilm" bei der Versammlung Nr. 7 gezeigt werden. Die Frage nach den Details der Örtlichkeit blieb unbeantwortet. Mit weiterem Fax vom selben Tage ergänzte die Klägerin, sie beabsichtige, auf dem Heinrichplatz - Versammlung Nr. 7 - eine Leinwand aufzubauen.

Mit Verfügung vom 16. April 2003 erteilte der Beklagte der Klägerin eine Anmeldebestätigung für die sechs Versammlungen. Unter der Rubrik "Versammlungsort" wies die Bestätigung die zusätzliche Angabe "Die genaue Örtlichkeit wird jeweils durch den Polizeieinsatzleiter vor Ort zugewiesen!" auf; ferner wurde mit der Anmeldebestätigung ein Merkblatt mit Hinweisen übergeben. Der Text der Anmeldebestätigung enthält ferner noch die Angaben: In Bezug auf Ziffer 9 des Merkblattes werde ergänzt, dass der Einsatz von Lautsprechern - darunter fielen auch Megaphone - nur dann versammlungsrechtlich abgedeckt sei, soweit tatsächlich mindestens 50 Versammlungsteilnehmer vor Ort anwesend seien, und dass jegliche Aufbauten nicht Gegenstand dieser Anmeldebestätigung sein könnten. In dem als Anlage beigegebenen Merkblatt heisst es unter Ziffer 9., dass die Inbetriebnahme von Lautsprechern nur insoweit zulässig sei, wie es die Meinungskundgabe an die Versammlungsteilnehmer erforderlich mache.

Die Versammlung Nr. 1 wurde von 07:55 Uhr bis 09:11 Uhr durchgeführt. Der polizeiliche Einsatzbericht weist insgesamt 14 Versammlungsteilnehmer aus. Zu Beginn der Versammlung fanden ausweislich des vorliegenden Polizeiberichts Diskussionen zwischen der Klägerin sowie einer weiteren, von der Klägerin als Mit-Versammlungsleiterin bezeichneten Person, sowie dem Einsatzleiter über Rechtsnatur und Verbindlichkeit der den Einsatz von Lautsprechern betreffenden Teile der Anmeldebestätigung und des Merkblattes statt. Der Polizeibericht beschreibt sodann das Anbringen von Transparenten am Lautsprecherwagen und das Verteilen von Flugblättern. Dass Lautsprecher eingesetzt worden wären oder dass deren Einsatz von den Polizeikräften vor Ort unterbunden oder limitiert worden wäre, teilt der Polizeibericht nicht mit.

Die bei der Versammlung Nr. 1 verteilten Flugblätter wiesen sechs Veranstaltungsorte und -zeiten aus, dabei fehlte die Versammlung Nr. 2, statt dessen war zusätzlich für 12:00 Uhr eine Versammlung am Gesundbrunnencenter (Badstraße, am U-Bhf. Gesundbrunnen, nachfolgend kurz als "Versammlung Nr. 3" bezeichnet) aus. Auf die Abweichung des Flugblatts von Anmeldung und Anmeldebestätigung angesprochen, meldete die Klägerin die Versammlung Nr. 3 telefonisch als Spontan-Versammlung nach und erhielt hierfür eine telefonische Anmeldebestätigung.

Die Versammlung Nr. 3 wurde von 12:00 Uhr bis 12:30 Uhr durchgeführt. Der polizeiliche Lagebericht weist anfangs 10, im weiteren Verlauf der Versammlung bis zu 30 Teilnehmer aus und enthält unter der Rubrik "Verlauf" die weiteren Angaben "1200 Kundgebungsbeginn und gleichzeitig Beginn der Lautsprecherdurchsagen; 1210 Hinweis des Verbindungsbeamten, Lautsprecherdurchsagen zu unterlassen; 1225 erneute Aufforderung zur Unterlassung der Lautsprecherdurchsagen (...) und gleichzeitiger Hinweis auf Anzeigenfertigung; 1230 Kundgebungsende durch Anmelderin bekanntgegeben; 1240 keine Kundgebungsteilnehmer mehr vor Ort" sowie unter der Rubrik "Tätigkeiten/Vorkommnisse" die Angabe "Strafanzeige 030417/5250-5 Verstoß Versammlungsgesetz".

Die Versammlung Nr. 4 wurde von 14:05 Uhr bis 14:40 Uhr durchgeführt. Der polizeiliche Lagebericht weist 30 Teilnehmer aus und enthält unter der Rubrik "Verlauf" die weiteren Angaben "ruhiger und störungsfreier Veranstaltungsverlauf (...); Verteilen von Flugblättern, individuelle Anfahrt des nächsten Kundgebungsortes" sowie unter der Rubrik "Tätigkeiten/Vorkommnisse" die Angabe "Maßnahmen des Versammlungsschutzes". Dass Lautsprecher eingesetzt worden wären oder dass deren Einsatz von den Polizeikräften vor Ort unterbunden oder limitiert worden wäre, teilt der Polizeibericht nicht mit.

Die Versammlung Nr. 5 wurde von 16:40 Uhr bis 17:05 Uhr durchgeführt. Der polizeiliche Lagebericht weist anfangs 10, im weiteren Verlauf der Versammlung bis zu 30 Teilnehmer aus und enthält unter der Rubrik "Verlauf" die weiteren Angaben "1630 Eintreffen der Anmelderin; 1635 Verbindungsaufnahme mit Anmelderin, ein 10minütiger Redebeitrag über den mitgeführten Lautsprecherwagen wurde gestattet; 1640 Versammlungsbeginn (...); 1645 ca 30 Teilnehmer vor Ort; 1647 Beginn des Redebeitrages; 1658 Ende des Redebeitrages; 1705 Veranstaltungsende" sowie unter der Rubrik "Tätigkeiten/Vorkommnisse" die Angabe "ruhiger störungsfreier Verlauf der Versammlung".

Die Klägerin hat am 16. Mai 2003 Klage erhoben und zu deren Begründung vorgetragen: Die Anmeldebestätigung des Beklagten habe die Formulierung enthalten, dass der Einsatz von Lautsprechern einschließlich Megaphonen nur versammlungsrechtlich abgedeckt sei, wenn tatsächlich mindestens 50 Versammlungsteilnehmer vor Ort anwesend seien. Bei der Versammlung Nr. 1 habe die Klägerin von einem Einsatz des Lautsprecherwagens wegen der geringen Teilnehmer- und Passantenzahl abgesehen. Bei den Versammlungen Nr. 2 und 7 habe sie den Lautsprecherwagen uneingeschränkt nutzen dürfen, bei den Versammlungen Nr. 3, 4 und 6 habe sie den Lautsprecherwagen gar nicht, bei der Versammlung Nr. 5 nur sehr leise einsetzen dürfen. Wegen des Lautsprechereinsatzes bei der Versammlung Nr. 3 habe die Staatsanwaltschaft zu 58 Js 1228/03 ein Ermittlungsverfahren gegen sie - die Klägerin - geführt, welches nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden sei, allerdings mit der Ankündigung, dass im Wiederholungsfalle nicht mehr mit einer Einstellung gerechnet werden könne. Das Ermittlungsverfahren sei in den einschlägigen Datenbanken der Staatsanwaltschaft und der Polizei gespeichert. Der in der Anmeldebestätigung selbst über den bloßen Hinweis auf das Merkblatt enthaltene Text betreffend den Lautsprechereinsatz nur bei mindestens 50 Teilnehmern sei auch ein über einen bloßen Hinweis hinausgehender, versammlungsbeschränkender Verwaltungsakt mit Regelungswirkung. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergebe sich zum einen aus der Datenspeicherung des eingestellten Ermittungsverfahrens wegen vermeintlichen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, zum anderen aus der Schwere des Grundrechtseingriffs, weil ihr - der Klägerin - ohne Lautsprechereinsatz die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens praktisch unmöglich gemacht worden sei. Die Rechtswidrigkeit der Unterbindung des Lautsprechereinsatzes wiederum folge bereits daraus, dass die von dem Beklagten insoweit angeführten Regelungen des Straßen(verkehrs)rechts, namentlich § 33 Abs. 1 StVO, durch die Regelungen des Versammlungsrechts insgesamt verdrängt würden. Der Lautsprechereinsatz sei ein versammlungsimmanentes Element und unterliege keiner straßenverkehrsrechtlichen Erlaubnispflicht neben dem Versammlungsgesetz. Eine pauschale Abgrenzung danach, ob mindestens 50 Personen an einer Versammlung teilnähmen, sei willkürlich; sie berücksichtige nicht hinlänglich die Umstände des Einzelfalls wie Versammlungszweck, Art der Durchführung, Vorbelastung des Versammlungsorts durch Verkehrslärm usw., und verlange dem Versammlungsleiter im Hinblick auf die Feststellung, ob zurzeit gerade 49 oder 50 Versammlungsteilnehmer anwesend seien, Unzumutbares ab. Eine derartige pauschale Handhabung verkenne überdies, dass § 15 Abs. 1 VersG eine Ermessensvorschrift sei. Selbst wenn § 33 Abs. 1 StVO anwendbar sein sollte, so änderte dies nichts an der Rechtswidrigkeit der Maßnahmen, denn zum einen hätte die Anmeldung dann zugleich als Sondernutzungserlaubnisantrag ausgelegt werden müssen, und zum anderen sei eine Verkehrsbeeinträchtigung nicht dargelegt, so dass ein solcher Antrag auch hätte genehmigt werden müssen.

Das Verwaltungsgericht hat am 6. Dezember 2005 vor dem Einzelrichter mündlich verhandelt; dabei hat die Klägerin angegeben, dass die Polizeiangaben zur Teilnehmerzahl bei der Versammlung Nr. 3 stimmen könnten, und dass sie bei der Versammlung Nr. 1 ihrer Erinnerung nach an der Lautsprecherbenutzung gehindert worden sei.

Das Verwaltungsgericht hat nach Rückübertragung durch den Einzelrichter auf die Kammer durch Urteil vom 21. Dezember 2005 festgestellt, dass die polizeiliche Untersagung, den Lautsprecher bei der Versammlung Nr. 3 zu benutzen, rechtswidrig war, und die Klage im übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Die Klage sei unzulässig, soweit sie gegen den Hinweis in der Anmeldebestätigung gerichtet sei. Es fehle insoweit an einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis, weil es sich bei der entsprechenden Formulierung lediglich um einen Hinweis auf die nach Ansicht des Beklagten bestehende Rechtslage handle, durch den die Klägerin unabhängig von dessen Richtigkeit oder Unrichtigkeit mangels Regelungswirkung nicht beschwert sei. Demgegenüber sei die Klage wegen Rehabilitationsinteresses bzw. Schwere des Grundrechtseingriffs zulässig, soweit sie sich auf die bei den einzelnen Versammlungen jeweils ausgesprochenen Untersagungen des Lautsprechereinsatzes beziehe.

Die Klage sei hinsichtlich der Versammlung Nr. 3 auch begründet. Als Rechtsgrundlage für die Verfügung, die Benutzung der Lautsprecheranlage zu unterlassen, komme § 15 Abs. 1 VersG in Betracht, wonach eine Versammlung verboten oder von Auflagen abhängig gemacht werden könne, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung unmittelbar gefährdet sei. Diese Voraussetzungen hätten nicht vorgelegen. Zwar sei der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, das die Benutzung elektronischer Schallverstärker nur insoweit versammlungsrechtlich gedeckt sei, wie diese als Mittel zur Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Versammlung erforderlich seien. Der Veranstalter einer Versammlung sei insoweit selbst berechtigt, darüber zu entscheiden, welcher Formen der kommunikativen Einwirkung auf die Öffentlichkeit er sich bedienen wolle, wozu auch die Benutzung von Lautsprechern gehöre, und zwar sowohl hinsichtlich der Binnenkommunikation der Versammlungsteilnehmer als auch hinsichtlich der Außenkommunikation, also dem Anliegen, Unbeteiligte mit verbalen und akustischen Botschaften anzusprechen. Diese Befugnisse fänden aber ihre Grenze in den Grundrechten anderer, namentlich in den Rechten von Verkehrsteilnehmern und der negativen Meinungsfreiheit von Passanten, denen die akustische Botschaft der Versammlung ggf. gegen ihren Willen aufgedrängt werde. Ferner ende der Zweck einer Versammlung als gemeinschaftlicher Meinungskundgabe dort, wo der Einsatz elektronischer Verstärkung allein dazu diene, Unbeteiligte anzusprechen und diesen ein Informationsangebot aufzudrängen. Die Kammer gehe davon aus, dass ab einer Teilnehmerzahl von 40 Versammlungsteilnehmern schon die Binnenkommunikation der Versammlungsteilnehmer einen Lautsprechereinsatz erfordere, während bei einer Teilnehmerzahl bis 20 Personen auch bei einem (verkehrs)lärmbelasteten Versammlungsort der Lautsprechereinsatz lediglich der einseitigen Information Unbeteiligter dienen könne und unzulässig sei. Bei Teilnehmerzahlen zwischen 20 und 40 komme es auf die Umstände des Einzelfalles an. Für die Versammlung Nr. 3 bedeute dies, dass die Untersagung der Lautsprecherbenutzung rechtswidrig gewesen sei, da immerhin 30 Teilnehmer vorhanden gewesen seien, der Versammlungsort eine vergleichsweise hohe Verkehrslärm-Vorbelastung aufgewiesen habe und eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls durch den Polizeiführer vor Ort nicht ersichtlich sei.

Demgegenüber sei die Klage unbegründet, soweit sie die Versammlungen Nr. 4, 5 und 6 zum Gegenstand habe. Bei den Versammlungen Nr. 5 und 6 seien jeweils nur unter 20 Teilnehmer gezählt worden, so dass der Lautsprechereinsatz versammlungsrechtlich nicht gerechtfertigt gewesen sei; bei der Versammlung Nr. 4 finde sich zwar eine Teilnehmerzahl von 30, der Polizeibericht enthalte jedoch keinen Hinweis darauf, dass der Klägerin die Lautsprecherbenutzung überhaupt untersagt worden wäre, und das Klagevorbringen sei diesbezüglich unsubstantiiert. Zu den Versammlungen Nr. 1, 2 und 7 verhält sich die Urteilsbegründung nicht.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 19. Januar 2006 zugestellte Urteil fristgerecht Zulassung der Berufung beantragt, die der Senat durch Beschluss vom 1. März 2006 - OVG 1 N 10.06 - zugelassen hat.

Die Klägerin begründet ihre Berufung mit einer umfassenden Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und führt - soweit hier von Interesse - ergänzend aus: Bei den insgesamt sieben Versammlungen, die sie für den 17. April 2003 angemeldet und an diesem Tage durchgeführt habe, sei es ihr um das Anliegen gegangen, die Öffentlichkeit dazu aufzufordern, sich an den Protestaktionen gegen den Irakkrieg zu beteiligen und selbst Initiativen gegen den Krieg zu ergreifen. Bei der Versammlung Nr. 1 sei die Klägerin von der Polizei daran gehindert worden, eine Sprechverstärkung zu benutzen. Bei der Versammlung Nr. 4 habe sie die Lautsprecheranlage gar nicht, bei der Versammlung Nr. 5 nur sehr leise nutzen dürfen. Bei den Versammlungen Nr. 2, 6 und 7 habe sie die Lautsprecheranlage uneingeschränkt nutzen dürfen. Die Versammlungen Nr. 1, 3, 4 und 5 hätten jeweils zu normalen Geschäftszeiten an belebten und verkehrsreichen Hauptverkehrsstraßen stattgefunden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 6. November 2008 hat die Klägerin klargestellt, dass sich ihre Berufung nicht gesondert gegen Satz 2 des Zusatzes zur Anmeldebestätigung nebst Ziffer 9 des Merkblatts richtet, und dass sie bei der Veranstaltung Nr. 6 die Lautsprecher uneingeschränkt habe benutzen dürfen. Ferner hat sie im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18. November 2008 die Berufung insoweit zurückgenommen, wie diese die Versammlung Nr. 4 zum Gegenstand gehabt hat.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. Dezember 2005 teilweise abzuändern und festzustellen, dass die Untersagung bzw. Beschränkung der Benutzung von Lautsprecheranlage bzw. Megaphonen am 17. April 2003 auch bei den Versammlungen am Arbeitsamt in Kreuzberg/Charlottenstraße und am U-Bhf. Samariterstraße rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, das Verwaltungsgericht habe zutreffend angenommen, dass die Verwendung technischer Hilfsmittel zur Schallverstärkung nur dann in den Schutzbereich des Versammlungsgrundrechts fielen, wenn die Versammlung sonst undurchführbar wäre. Sowohl die vom Beklagten bisher angenommene Mindestzahl von 50 Teilnehmern als auch die nunmehr von dem Verwaltungsgericht angenommene Mindestzahl von - je nach Versammlungsort - 20 bis 40 Teilnehmern sei nicht willkürlich, sondern auf der Grundlage von Erfahrungswerten bestimmt. Der Einsatz von technischer Schallverstärkung auch dann, wenn er nicht mehr für die Durchführung der Versammlung erforderlich sei, diene aber nicht mehr der Verwirklichung des Versammlungsgrundrechts, sondern der Erzwingung der Aufmerksamkeit unbeteiligter Dritter, wofür es an einer anzuerkennenden Rechtsgrundlage fehle. Soweit die Klägerin selbst einräume, dass es ihr weniger um die kollektive Meinungsbildung und Meinungskundgabe der Versammlungsteilnehmer, sondern um die Ansprache bisher unbeteiligter Dritter gegangen sei, könne sie sich für die von ihr gewünschte Lautsprecherbenutzung nicht auf das Versammlungsrecht berufen. Bei der Versammlung Nr. 5 - am U-Bhf. Samariterstr. - sei die Lautsprecherbenutzung auch nicht untersagt, sondern lediglich angeordnet worden, den Lautsprecher leiser zu stellen.

Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 6. November 2008 den Ersten Polizeihauptkommissar K_____ und die Polizeihauptkommissarin W_____ und im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18. November 2008 Frau A_____ (geb. A_____) als Zeugin vernommen. Wegen der Bekundungen der Zeugen wird auf die jeweilige Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat, nämlich hinsichtlich der Versammlung Nr. 4, war das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

Im übrigen ist die zulässige Berufung der Klägerin begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage hinsichtlich des mit der Berufung weiterverfolgten Teils des ursprünglichen und nunmehr klargestellten Streitgegenstands - nämlich bezüglich der Versammlung Nr. 1, Charlottenstraße, vor dem Arbeitsamt Kreuzberg, und bezüglich der Versammlung Nr. 5, Frankfurter Allee, am U-Bhf. Samariterstraße - zu Unrecht abgewiesen.

Die bei der Versammlung Nr. 1 nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme getroffene Anordnung, den Gebrauch des Lautsprechers und der Handmegaphone zu unterlassen, und die bei der Versammlung Nr. 5 getroffene Anordnung, den Lautsprecher nur mit reduzierter Lautstärke zu verwenden, waren jeweils rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten.

1. Zunächst steht zur Überzeugung des Senats fest, dass diese Anordnungen tatsächlich erlassen worden sind.

Zwar ergeben sich die genannten Anordnungen nicht aus Satz 2 des Zusatztextes der Anmeldebestätigung, auch nicht in Zusammenschau mit Ziffer 9 des der Anmeldebestätigung beigegebenen Merkblatts; zutreffend hat bereits das Verwaltungsgericht festgestellt, dass es sich insoweit lediglich um einen Hinweis auf die - freilich unzutreffende - Rechtsauffassung des Beklagten handelt, nicht aber bereits um versammlungsbeschränkende Verwaltungsakte.

Bei beiden Versammlungen ist jedoch durch den jeweiligen Polizeieinsatzführer während der Versammlung eine Anordnung entsprechenden Inhalts getroffen worden.

a) Für die Versammlung Nr. 1 ergibt sich dies aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat.

Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung des Senats waren für sich genommen zwar nicht die Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Anhörung vor dem Senat, weil diese noch in der erstinstanzlichen Anhörung vor dem Einzelrichter am 6. Dezember 2005 Unsicherheiten über eine etwaige Untersagung gezeigt hatte ("soweit ich mich erinnern kann") und wenig nachvollziehbar erscheint, dass ihre diesbezügliche Erinnerung nunmehr - fast drei Jahre später - sicher sein sollte. Der Senat stützt sich aber auf die glaubhaften Bekundungen der Zeugin A_____. Diese hat - bei offenem Einräumen einzelner Erinnerungslücken - eine im Wesentlichen detailreiche und nachvollziehbare Schilderung der Abläufe gegeben, denen sich entnehmen lässt, dass der Zeuge K_____ gemeinsam mit einem weiteren Polizeibeamten gegenüber der Klägerin als Versammlungsleiterin Anordnungen getroffen hat, die auf eine Unterbindung des Einsatzes von Lautsprecherwagen und Handmegaphonen hinausliefen, und zwar wegen der verhältnismäßig geringen Anzahl der Versammlungsteilnehmer: Insoweit hat die Zeugin bekundet, der Einsatz des Lautsprecherwagens und der Megaphone sei rigoros untersagt worden, und zwar mit dem Hinweis, die Geräte könnten beschlagnahmt werden, falls sie eingesetzt würden. Dies steht im Einklang mit den Feststellungen des entsprechenden Polizeiberichts, denen zufolge zwischen der Klägerin und den vor Ort befindlichen Polizeibeamten eine Diskussion über die vermeintlichen Auflagen des Merkblattes zu dem Megaphoneinsatz stattgefunden hat, was dafür spricht, dass es einen tatsächlichen Anlass für diese Diskussion gegeben haben muss. Anhaltspunkte, aufgrund derer Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen würden, sind nicht ersichtlich. Diese Bekundungen stehen nicht im Widerspruch zu denen des Zeugen K_____, der erklärtermaßen über keine eigene Erinnerung verfügt und lediglich auf den von ihm am Tag der Versammlung unterzeichneten Einsatzbericht verwiesen hat; zur Frage einer Untersagung eines etwaigen Megaphoneinsatzes haben sich dessen Bekundungen mithin als unergiebig erwiesen.

b) Für die Versammlung Nr. 5 ergibt sich eine entsprechende Anordnung bereits aus der Berufungserwiderung des Beklagten, in welcher dieser klargestellt hat, dass es eine Anordnung des Polizeiführers, die Lautstärke zu vermindern, gegeben hat (vgl. Blatt 135 der Gerichtsakte).

2. Als Rechtsgrundlage der in Rede stehenden Anordnungen kommt jeweils allein § 15 Abs. 1 VersG in Betracht. Danach kann eine Versammlung von der zuständigen Behörde von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Andere Rechtsgrundlagen für eine Einschränkung der Lautsprecherbenutzung - etwa solche des Straßenverkehrsrechts oder des Immissionsschutzrechts - werden durch die Vorschriften des Versammlungsrechts verdrängt. Die §§ 14, 15 VersG bilden ein in sich geschlossenes und abschließendes Regelungswerk, durch welches sichergestellt wird, dass bei Durchführung einer Versammlung die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung notwendigen Maßnahmen getroffen werden können, wobei der Begriff der öffentlichen Sicherheit auch im Versammlungsrecht nach traditionellem polizeirechtlichen Verständnis die gesamte Rechtsordnung umfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 - 7 C 50.88 -, hier zitiert nach juris, RdNr. 15 mwN). Die Voraussetzungen für den Erlass einer versammlungsbeschränkenden Auflage lagen jedoch hinsichtlich beider noch im Streit stehenden Teilversammlungen des Aktionstages der Klägerin nicht vor.

Ausgangspunkt der Prüfung, ob ein elektronischer Schallverstärker für die Durchführung einer Versammlung erforderlich ist, ist der Inhalt des Versammlungsgrundrechts. Eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG iVm §§ 14, 15 VersG ist - in Abgrenzung zur bloßen Ansammlung - eine Zusammenkunft von Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung - "kollektive Aussage" - in Gruppenform (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 aaO, RdNr. 12 f.) bzw., nach einer jüngeren Definition des Bundesverfassungsgerichts, örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 -, juris, Orientierungssatz 1.a.bb. und RdNr. 19). Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung; dieser Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen einschließlich solcher Veranstaltungen, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81 und 1 BvR 341/81 "Brokdorf II" -, juris, RdNr. 60 und 61). Dieses Selbstbestimmungrecht des Veranstalters umfasst auch den Einsatz von Lautsprechern (vgl. OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2003 - 4 B 365/03 -, juris, RdNr. 19).

Bei der Anwendung dieser Überlegungen auf die einzelne Versammlung ist zu unterscheiden zwischen einem Einsatz elektronischer Schallverstärkung zum Zwecke der Binnenkommunikation der Versammlungsteilnehmer - verstanden als Möglichkeit der Versammlungsleitung, die Ordnung der Versammlung, insbesondere einer Versammlung in Form eines Aufzuges, aufrechtzuerhalten, und als Möglichkeit der Versammlungsleitung sowie derjenigen, die neben der Versammlungsleitung bei einer Versammlung Redebeiträge liefern, von den Teilnehmern auch vernommen zu werden - einerseits und andererseits zum Zwecke der Außenkommunikation, bei der sich die Versammlung (als Kollektiv) an zufällig anwesende bzw. den Versammlungsort passierende, an der Versammlung selbst jedoch (zunächst) unbeteiligte Dritte richtet.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass der Einsatz elektronischer Schallverstärkung bereits für Zwecke der Binnenkommunikation bei einer Versammlungsteilnehmerzahl von mindestens 40 Versammlungsteilnehmern stets, bei weniger als 20 Versammlungsteilnehmern nicht und bei 20 bis 40 Versammlungsteilnehmern in Abhängigkeit von der akustischen Situation des Versammlungsorts erforderlich ist. Auch bei günstigen akustischen Verhältnissen ist eine Menschenmenge ab etwa 40 Personen im Freien mit der bloßen Stimme jedenfalls für einen ungeübten Sprecher nur noch schwer zu erreichen; demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass eine Menschengruppe von bis zu 20 Personen auch bei ungünstigen akustischen Verhältnissen mit der bloßen Stimme nicht erreicht werden könnte. Bei einer Teilnehmerzahl zwischen 20 und 40 Teilnehmern ist insoweit auf die Umstände des Einzelfalls, namentlich die Vorbelastung des Versammlungsorts durch Verkehrslärm, die enge oder weite Einfassung des Versammlungsorts durch hohe oder niedrige Umgebungsbebauung, die Entfernung zu lärmempfindlichen baulichen Nutzungen (Wohngebäude, Kindertagesstätten, Krankenpflegeeinrichtungen u.a.) usw. abzustellen. Diese Umstände des Einzelfalls lassen sich regelmäßig erst während der Durchführung der Versammlung überprüfen; die Grenze des bereits binnenkommunikativ Zulässigen kann sich während der Versammlung ggf. auch verschieben.

a) Nach diesen Maßstäben war die Anordnung, die Lautsprecheranlage bei der Versammlung Nr. 5 nur mit reduzierter Lautstärke zu betreiben, rechtswidrig. Zwar waren zunächst nur 10 Teilnehmer anwesend; ausweislich des polizeilichen Einsatzberichts war die Teilnehmerzahl bis zum Beginn des lautsprecherverstärkten Redebeitrags auf ca. 30 Teilnehmer angestiegen. Es handelte sich daher - ebenso wie bei der Versammlung Nr. 3, bezüglich derer bereits das Verwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit der dort getroffenen Anordnung festgestellt hat - um eine Situation, in der eine Abwägung schon aus Gründen der Binnenkommunikation im Einzelfall hätte stattfinden müssen. Eine derartige Prüfung der Einzelfallumstände lässt sich jedoch weder dem Akteninhalt noch dem Vorbringen des Beklagten entnehmen; infolgedessen ist bei dieser Versammlung ebenso wie bei der Versammlung Nr. 3 davon auszugehen, dass die Voraussetzungen zum Einschreiten gegen den Lautsprechereinsatz bei der Versammlung schon um der Binnenkommunikation der Versammlung willen nicht vorgelegen haben.

b) Nach denselben Maßstäben lässt sich demgegenüber hinsichtlich der Versammlung Nr. 1, an der laut Einsatzbericht lediglich rund zehn Versammlungsteilnehmer mitgewirkt haben, allerdings nicht feststellen, dass die Untersagung des Lautsprecher- bzw. Megaphoneinsatzes schon um der Binnenkommunikation der Versammlungsteilnehmer willen rechtswidrig gewesen wäre. Dies führt freilich nicht zu der Annahme, dass die in Rede stehende Anordnung rechtmäßig gewesen wäre; unzutreffend ist das Verwaltungsgericht insoweit davon ausgegangen, dass es allein auf die Erforderlichkeit des Megaphoneinsatzes für Zwecke der Binnenkommunikation ankomme.

Das Selbstbestimmungsrecht des Anmelders einer Versammlung über Inhalt und Form der Versammlung umfasst grundsätzlich auch das Recht, technische Schallverstärker für Zwecke der Außenkommunikation einzusetzen. Das Wesen einer öffentlichen Versammlung besteht gerade in dem Bemühen, auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozess einzuwirken. Das Versammlungsgrundrecht als Recht zur kollektiven Meinungskundgabe würde entwertet, wenn den Teilnehmern einer Versammlung die Wahrnehmbarkeit der Inhalte ihrer Versammlung durch Dritte, die an der Versammlung nicht selbst teilnehmen, verwehrt würde; die Meinungskundgabe setzt voraus, dass auch ein Kommunikations-Gegenüber vorhanden ist, dem die Teilnehmer etwas bekunden können (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 aaO, RdNr. 62+63). Dies setzt voraus, dass die von der Versammlung ausgehenden Kommunikationssignale - Lieder, Parolen, Redebeiträge - auch inhaltlich wahrgenommen werden können, und erfordert mehr, als dass Dritte, die die Demonstration wahrnehmen, lediglich erkennen, dass sich eine gewisse Zahl von Menschen versammelt hat und einer Rede lauscht, die gerade eben laut genug ist, um von den Teilnehmern der Versammlung vernommen zu werden, während die Außenstehenden lediglich registrieren können, dass eine Rede unbekannten Inhalts gehalten wird. Gerade die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit durch die Versammlung ist zentraler Bestandteil des Versammlungsgrundrechts (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 -, BVerfGE 104, 92 [109 f.] "Sitzblockade Wackersdorf"). Ausweislich der Äußerungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat über die von ihr mit der Versammlungsreihe verfolgten Ziele war die Außenkommunikation - nämlich die Aufforderung an Außenstehende, sich ebenfalls gegen den Irak-Krieg zu engagieren - zentraler Bestandteil ihres Versammlungsanliegens. Die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene Gleichsetzung von außenkommunikativen Anliegen einer Versammlung mit dem Betreiben von sog. "Info-Tischen" geht vor diesem Hintergrund an den vorstehend dargestellten Zusammenhängen vorbei.

Freilich ergibt sich daraus nicht, dass sich die Veranstalter entsprechender, auf Außenkommunikation angelegter Versammlungen stets und in beliebigem Umfange technischer Mittel zur Schallverstärkung bedienen dürften. Das den Grundrechtsträgern durch Art. 8 GG eingeräumte Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung ist - auch soweit es entsprechende außenkommunikative Anliegen dem Grunde nach einschließt - durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit begrenzt; das Versammlungsgrundrecht umfasst nicht auch die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben. Kommt es zu Rechtsgüterkollisionen, ist das Selbstbestimmungsrecht des Versammlungsanmelders durch die Grundrechte anderer begrenzt mit der Folge, dass auch versammlungsrechtliche Auflagen zur Vermeidung bzw. Beherrschung dieser Rechtsgüterkollision zulässig sein können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 aaO, S. 108 und S. 111). Als potentiell kollidierende Rechtsgüter sind insbesondere die grundrechtlich relevanten Belange der Straßenverkehrsteilnehmer, Lärmschutzbelange von Anwohnern und Passanten sowie das Grundrecht der Passanten und anderer Dritter auf negative Meinungsfreiheit (vgl. zu dem Gesichtspunkt, dass Außenstehenden die Teilnahme an einer von ihnen nicht gebilligten Versammlung nicht durch übermäßige Schallverstärkung gleichsam aufgezwungen werden darf, die von dem Verwaltungsgericht bereits zitierte Entscheidung des VG Stuttgart, Beschluss vom 13. Januar 2006 - 5 K 496/06 -, juris, RdNr. 16) in den Blick zu nehmen; wichtige Abwägungselemente sind insbesondere die Dauer und Intensität der Versammlung, deren vorherige Bekanntgabe, ggf. vorhandene Ausweichmöglichkeiten für Drittbetroffene, sowie allgemein die Sozialadäquanz der unvermeidlichen Beeinträchtigungen Dritter (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001, aaO S. 112).

Nach diesen Maßstäben erweist sich die Anordnung, den Gebrauch des Lautsprecherwagens und der Handmegaphone bei der Versammlung Nr. 1 zu unterlassen, als rechtswidrig. Denn eine rechtsfehlerfreie Anordnung dieses Inhalts hätte erfordert, die mit dem Versammlungsgrundrecht der Klägerin kollidierenden Rechtsgüter Dritter einzelfallbezogen festzustellen und anschließend eine einzelfallbezogene Abwägung des vom Versammlungsgrundrecht geschützten kommunikativen Anliegens der Klägerin mit den kollidierenden Rechten Dritter vorzunehmen. Weder dem Akteninhalt noch dem Vorbringen des Beklagten lässt sich entnehmen, dass ein solcher Ermittlungs- und Abwägungsvorgang stattgefunden hätte; das offenbar praktizierte Festhalten an starren, allein an binnenkommunikativen Maßstäben ausgerichteten und selbst für diese zu hoch angesetzten Teilnehmerzahlengrenzen wird der Bedeutung des Versammlungsgrundrechts insoweit nicht gerecht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2 VwGO, soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat, im übrigen aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Festsetzung für beide Rechtsstufen auf je 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der in Ziffer 45.4 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ 2007, 1327 ff.) enthaltene und von dem Verwaltungsgericht übernommene Vorschlag, versammlungsrechtliche Streitigkeiten mit dem Auffangwert anzusetzen, trägt dem vorliegenden Streitfall nicht hinreichend Rechnung, weil Streitgegenstand versammlungsbeschränkende Anordnungen für jeweils mehrere einzelne Versammlungen - in der ersten Instanz überdies noch die der Anmeldebestätigung beigegebenen Hinweise - sind; der Senat erachtet insoweit für beide Rechtsstufen jeweils den zweifachen Auffangwert für angemessen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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